Fotografie

Fotografie
Sonderheft "experimentelle fotografie", das neue frankfurt, 3/1929

Fotografien sind aus den Printmedien des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken. Sie haben den Charakter der periodischen Presse grundsätzlich verändert, und neue journalistische Berufe (wie die des Fotoreporters oder des Bildredakteurs) hervorgebracht. Eine Flut von Bildagenturen gründete sich, um den permanenten Hunger der Redaktionen nach neuer, unverbrauchter Ware zu stillen. Eine Beschäftigung mit diesem wichtigen „Rohstoff“ des „Iconic Turn“ lohnt sich also, weil erst das Verständnis für das Wesen des fotografischen Abbilds es erlaubt, seine Bedeutung für die Prozesse der Massenkommunikation richtig einzuschätzen. Wesentliche Impulse erhielt die Fotogestaltung durch die jungen, meist autodidaktischen Fotografen (z.T. auch aus dem Bauhaus-Umfeld), die unter dem Stichwort des „Neuen Sehens“ eine moderne Bildsprache entwickelten und durchsetzten. Diese findet sich zum einen in den Portfolios, Fotostrecken und Einzelbildern wieder, die gerade die illustrierten Magazine bevorzugt publizierten; zum anderen aber auch in den markanten Fotobüchern der Epoche, die monographisch oder als Anthologien die Leistungsfähigkeit der zeitgenössischen Lichtbildner verdeutlichten. Mit Paul W. John sei exemplarisch ein Vertreter der klassischen Illustrationsfotografie vorgestellt, der seine Bilder auch mit Begleittexten den Redaktionen im Lande anbot. Eberhard Posner andererseits kann als klassischer Studiofotograf gelten, der sich der stilvollen Porträtinszenierung verschrieb. Schließlich sei in diesem Kontext auch die Kunst der Filmfotografie erwähnt, wo spezielle Standbildfotografen am Set versuchten, das Geschehen in stimmungsvollen Szenenfotos einzufangen.

Paul W. John

Der Berliner Fotograf Paul W. John (1887-1966) betrieb seit den 1920er Jahren einen privaten Agenturbetrieb, für den er umfangreichere Fotoserien mit den Schwerpunkten Topographie, Architektur, Brauchtum und soziales Leben herstellte und gemeinsam mit von ihm verfassten Begleitartikeln an die illustrierte Presse vertrieb. Abdrucke seiner Fotografien finden sich dementsprechend in den verschiedenen Magazinperiodika jener Zeit, darüber hinaus aber auch in einschlägigen Buchreihen (z. B. Die deutschen Bücher, Orbis Terrarum) der Epoche. In der maßgeblichen Jahresschau Das deutsche Lichtbild ist John in den Jahren 1928 bis 1937 nahezu ununterbrochen (außer 1936) mit acht typischen Einzelmotiven vertreten. Über den Tod des Fotografen hinaus ist ein nennenswerter Archivbestand erhalten geblieben, der bis heute in seinem Kern bewahrt wurde – darunter mehrere tausend Vintage-Abzüge von Johns Hand, rückseitig zeitgenössisch betitelt und mit seinem Fotografenstempel versehen, außerdem Ausstellungsabzüge in größerem Format, mehrere hundert Glasnegative, Rollfilm-Negative, Original-Manuskripte, persönliche Dokumente und Korrespondenzen. In den Jahren 1998 bis 2001 erfolgte eine fachgerechte Sichtung und Erschließung des Bestandes, zu der begleitend auch eine umfangreiche Werkauswahl (Paul W. John fotografiert Deutschland, 1999) mit über 800 Abbildungen erschienen ist und eine Ausstellung (1999) durchgeführt wurde. Der Archivbestand wurde 2013 durch die Deutsche Fotothek an der SLUB Dresden übernommen und wird seither dort gepflegt.

Ausstellung "Paul W. John" (1999)

Werkübersicht "Paul W. John fotografiert Deutschland" (1999)

Paul W. John, Im Strandbad Wannsee (1930er J.)

Eberhard Posner

Eberhard Posner, Akt (um 1937)

Serielle Porträtfotografie ist nichts außergewöhnliches, im Gegenteil: Jeder professionelle Lichtbildner des 20. Jahrhunderts dürfte stets mehr als einmal auf den Auslöser gedrückt haben, um anschließend aus der Bilderserie das vermeintlich beste Porträt herauszugreifen. Die Porträts und Akte, die Eberhard Posner zwischen 1936 und 1941 von seiner späteren Frau Elsbeth anfertigte, sind und bleiben diese Fotos private Erinnerungsstücke, die er nie selbst für einen Wettbewerb eingereicht oder zu einer Publikation zusammengestellt hat. Aber zweifellos muss man den gebürtigen Berliner, der nach seiner Ausbildung im Lette-Verein bei dem bekannten Atelier Sandau beschäftigt war, als Profi-Fotografen bezeichnen, der handwerklich ebenso geschult war wie in der Wahl von Motiven. So kann es nicht verwundern, dass die technische Qualität seiner Aufnahmen durchweg überzeugt.

Die vorliegende Sammlung umfasst mehr als 300 Motive, die nach dem Tode Posners auf Flohmärkten der Stadt aufgetaucht sind. Sie entstammen mehreren Fotoalben und Mappen aus seinem privaten Nachlass, der inzwischen in alle Winde zerstreut ist und, seiner peniblen Nummerierung der Negative zufolge, mehrere Tausend Motive umfasst haben muss. Aus einem weiteren Album, das wohl als Erinnerungsstück für seine Schwiegermutter gedacht war, lassen sich die Aufnahmen grob datieren. Die frühesten Aufnahmen zeigen Posner und sein „Fräulein Elsbeth Fischer“ während der Olympiade 1936 auf der Terrasse eines Restaurants mit Blick auf das Reichssportfeld. Später im selben Jahr setzen die Porträtserien ein, in denen Posner mit wechselnder Beleuchtung, Kleidung und Körperhaltungen ebenso experimentierte wie mit unterschiedlichen Perspektiven. Zwei Serien mit Aktaufnahmen entstanden im Juli 1938 und im Juli 1940; nach der Heirat im Juni 1941, also mitten in den Kriegswirren, und einer kurzen Hochzeitsreise porträtierte Posner seine angetraute Ehefrau noch vereinzelt, aber nicht mehr mit der früheren Hartnäckigkeit. Eine letzte Aufnahme stammt aus dem Frühjahr 1947. Die erhaltenen Vintage Prints sind überwiegend im Postkartenformat, abgesehen von einigen größeren Abzügen, die er selbst auf einen Unterlagenkarton montierte und namentlich signierte.

Der Bestand eröffnet eine eigene Perspektive auf die Geschichte der visuellen Kommunikation, namentlich der Fotografie im Nazi-Deutschland: Posners privat-professionelle Porträtserie berührt den Diskurs um den Alltag im so genannten ‚Dritten Reich’, um das Leben einer durchaus aufgeschlossenen intellektuell-künstlerischen Schicht, in deren Lebenswelt auch Relikte der Moderne (wie beispielsweise die Zeitschrift ‚die neue linie’, Jazz-Konzerte auf dem Ku’-Damm und Hollywood-Filme) präsent waren. Posners Porträts der späten dreißiger Jahre spiegeln eine Unschuld, die die Zeit schon lange verloren hatte. In den einzelnen Aufnahmen spiegelt sich die unbeschwerte Illusion einer bürgerlichen Oberschicht, es könne in jenen Tagen ein richtiges Leben im Falschen geben, und insofern illustrieren sie eine Moderne, die man heute als solche nicht mehr wahrnimmt. Aus ihrer Zeit herausgenommen scheint freilich die gesamte Porträtserie einer jungen Frau, keiner berühmten Schauspielerin und keines Revuestars, die ihre Persönlichkeit im Licht der Scheinwerfer nie verliert. Die Geschichte der Fotografie kennt wenige solcher Manifestationen, und noch weniger Liebesserklärungen dieser Art.

Publikation "60 Fotos"

Fotobücher

Neben den illustrierten Zeitschriften stellt das Fotobuch diejenige Publikationsform dar, die die Verbreitung moderner fotografischer Positionen am stärksten befördert hat. Zwar lag die Schwelle für eine Buchveröffentlichung durchaus hoch, und nur wenige Fotografen kamen zu Lebzeiten in den Genuss einer eigenen Monographie. Öfters hingegen bebilderten sie Themen als Auftragsarbeiten von Verlagen, und von wesentlicher Bedeutung waren schon in der Zwischenkriegszeit die Foto-Anthologien, die einen Querschnitt durch das aktuelle Schaffen zeigten. Auch hier ist rund um 1929, das Jahr der FiFo-Ausstellung des Werkbundes in Stuttgart, eine gewisse Ballung einschlägiger Werke zu verzeichnen.

Eine Referenzbibliothek versammelt ausgewählte Erstausgaben berühmter Fotobücher der 1920er Jahre; darunter Fotografen-Klassiker wie Man Rays Werkschau von 1934, Brassais Paris-Buch, Moi Vers Band über das Getto von Wilna, die beiden Mappenwerke mit Blossfeldts Pflanzenfotografien, Josef Pecsis Reklamefoto-Album oder Sasha Stones Aktportät-Mappe „Femmes“. Daneben sind mit „Es kommt der neue Fotograf“, „Foto-Auge“, „Nus“ und den deutschen und französischen Fotojahrbüchern „Das deutsche Lichtbild“ bzw „Photographie“ auch die wesentlichen Sammelbände vorhanden. Der Bestand wird durch eine umfangreiche Bibliothek an Sekundärliteratur ergänzt, auf deren Grundlage auch mehrere Beiträge zu dem zweibändigen Standardwerk „Autopsie“ von Manfred Heiting und Roland Jaeger (Steidl Verlag Göttingen, 2013 & 2015) entstanden.

Kapitel zum Fotobuch in "Neue Typografien" 

Filmfotografie

Zur massenhaften Verbreitung des „neuen“ Mediums Film trugen auch die für den Aushang in den Schaukästen der Kinos angefertigten, von vielen Augen bestaunten Filmstandbilder bei, die als klassisches Exempel eines Hybridmediums gelten können: Einerseits repräsentieren sie eine spezifische Variante des fotografischen Mediums, angefertigt von (vielfach namenlosen, heute nicht mehr zu ermittelnden) Profi-Lichtbildnern im Auftrag der großen Studios, mit der ihnen eigenen Ästhetik, Bildsprache und Motivwelt. Andererseits war ihre Funktion seinerzeit klar festgelegt – als maßgebliche Werbeträger sollten sie, neben den (zumeist gezeichneten) Plakaten, das Interesse des Publikums wecken, den Zuschauer fesseln, neugierig machen auf das Geschehen auf der Leinwand, und ihn so in die Kinosäle locken. Und hier manifestiert sich der hybride Charakter der Filmstandbilder: Wie kann es gelingen, durch einzelne Momentaufnahmen ein dynamisches Medium, dessen Reiz gerade im Erzählen in der Zeit liegt, angemessen einzufangen?

In Filmstandbildern gerinnen Plots zu Schlüsselbildern, kristallisieren sich Handlungsstränge in verdichteten visuellen Ikonen: Marlene in Strapsen, der Maschinenmensch Maria, der Wahn des Dr. Mabuse. Oft wird übersehen, dass es sich dabei nicht einfach um Kadervergößerungen aus den Filmstreifen handelt, wie man meinen könnte, sondern um sorgfältig arrangierte, gestellte Aufnahmen am Set (daher auch der Begriff „Standbild“). Die Fotos zeigen uns heute, wie ihr Schöpfer damals das noch unfertige Filmwerk wahrnahm, was er (Standfotografen waren ausschließlich Männer) als die maßgebliche Botschaft identifiziert hatte, und welcher Inszenierung er die erforderlichen Schlüsselqualitäten zuschrieb.

Eine umfangreiche Sammlung von Original-Standbildern der 1920er Jahre deckt viele Klassiker des deutschen Stummfilms wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Der Golem und wie er in die Welt kam“, „Nosferatu“, „Der letzte Mann“, „Faust“ oder „Die Büchse er Pandora“ ab, außerdem Fritz Langs Meisterwerke wie „Dr. Mabuse“, „Die Nibelungen“, „Metropolis“ oder „M“. Ein Spezialbestand versammelt Stills aus Filmen der Stummfilmdiva Ria Jende, gesuchte Einzelmotive wie die Fotomontagen zu Ruttmanns „Berlin – die Sinfonie einer Großstadt“ oder Rollenporträts von Louise Brooks.

Ausstellung "Kunst.Ort.Kino" (2017) 

Monografie "Filmfieber - deutsche Filmpublizistik 1917 – 1937"

Ausstellung "Die Sprache des Stummfilms" (2006)

Begleitbroschüre "Die Sprache des Stummfilms" (2006)

Griffelkunst

Die Griffelkunst-Vereinigung in Hamburg, als eine wesentliche Organisation zur Popularisierung von Kunst in den 1920er Jahren im Umfeld der Arbeiterbildungs-Bewegung gegründet, gibt schon seit über 80 Jahren Originalwerke renommierter Künstler an ihre Mitglieder ab. Die Leitung der Thüringer Griffelkunst-Gruppe bringt es mit sich, dass jeweils im Frühjahr und im Herbst eines jeden Jahres eine Ausstellung der zur Wahl stehenden Blätter im Foyer der Universitätsbibliothek veranstaltet wird. Durch die Ausrichtung dieser für alle Mitglieder und Interessenten zugänglichen Präsentation wird die regionale Sichtbarkeit des Forschungsbereichs unterstützt und der Kontakt zu den Liebhabern der visuellen Künste gepflegt.

Griffelkunst-Wahlabend, Mai 2023

Insbesondere gibt die Griffelkunst seit vielen Jahren auch Foto-Editionen mit Abzügen klassischer Motive vom Original-Negativ heraus. In den letzten Jahren wurden diese zu eigenen Mappen mit meist sechs Werken im Format 24x30 cm und einem Begleitheft zusammengefasst. Das Archiv enthält einen kompletten Satz dieser Mappen mit Werken u. a. von Moholy-Nagy, Salomon oder Wols, sowie weitere Einzelwerke von Man Ray, Umbo oder Rodtschenko. Ergänzend liegen auch Editionen zeitgenössischer Fotografen wie Tomas Struth oder Nan Goldin vor.

Eine Übersicht der historischen Photo-Editionen hat die Griffelkunst-Vereinigung 2016 als Sonderpublikation zusammengefasst. 

Nan Goldin, Amanda in the locker room (1993)