Bauhaus

Bauhaus
Oskar Schlemmer, Die Bühne am Bauhaus (1925)

Das Staatliche Bauhaus Weimar wurde 1919 zwar als eine Kunsthochschule gegründet, in der Nachfolge einer Akademie und einer Kunstgewerbeschule. Sein primärer Zweck war jedoch zunächst die nicht-akademische Gesellenausbildung in praktisch-manuellen Fertigkeiten, seine primäre Aufgabe die Organisation eines sinnvoll auf diesen Zweck hin ausgerichteten Lehrbetriebs. Selbstverständlichkeiten, gewiss; sich diese institutionelle Verankerung von Zeit zu Zeit wieder in Erinnerung zu rufen schadet freilich keineswegs. Denn aus heutiger Wahrnehmung erscheint das Bauhaus oft vordergründig als die Keimzelle eines radikal modernen Stilwillens, und nur konsequent beleuchtet die – überwiegend kunsthistorische – Forschung zumeist die Werke einzelner Protagonisten und die Werkzusammenhänge in verschiedensten Kontexten.

Aus Perspektive der (visuellen) Kommunikationsforschung hingegen liegt das Augenmerk eher auf dem Bauhaus als Organisation, den Kommunikationsbeziehungen, in die die Einrichtung und ihre Protagonisten eingebunden waren („Netzwerke“), und den Medien, die das Bauhaus im Sinne einer modernen Public Relations als Instrumente einsetzte. Zum einen interessieren die kommunikativen Netzwerke, die Angehörige des Bauhauses während ihrer Zeit an der Schule aufbauten und später oft jahrzehntelang aufrecht erhielten; zum anderen die – zumeist in „Neuer Typographie“ gestalteten – Drucksachen, die öffentlich verbreitet wurden und wesentlich zu unserer Auffassung vom Bauhaus als Initiator einer eigenen Form der visuellen Gestaltung beitrugen. Im Kontext des 100. Gründungsjubiläums des Bauhauses 2019 entstanden daneben mehrere Ausstellungen und Begleitbände zum Thema Frauen am Bauhaus", darunter der dreisprachige Fotoband bauhausmädels(Taschen Verlag, 2019).

Diese Geschlechterperspektive wurde durch die Ausstellung und den Katalog „Vergessene Bauhaus-Frauen“ (Klassik-Stiftung Weimar, Bauhaus-Museum 2021/22) fortgeschrieben, die von Presse und Fachwelt stark beachtet war. Höhepunkt meiner Befassung mit dem Bauhaus-Thema ist freilich das mehrjährige Projekt „Bauhaus und Nationalsozialismus“ mit einer wissenschaftlichen Tagung (2023) und einer Ausstellung in drei Weimarer Museen (2024) nebst zugehöriger Katalogpublikation.

Interessante Materialien des Archivs sind in diesem Zusammenhang (neben den eigentlichen Bauhaus-Drucksachen) die Arbeiten von Herbert Bayer – als Jungmeister in Dessau für die Druck- und Reklamewerkstatt verantwortlich und später einer der wichtigsten Grafik-Designer Deutschlands – und von Irmgard Sörensen-Popitz („Söre“), die heute als eine der ersten Art-Directorinnen der Welt gilt. Beider Engagement trifft sich in den Arbeiten für die Lifestyle-Illustrierte die neue linie, deren Erscheinungsbild ganz erheblich von der Bauhaus-Typographie und ihren Protagonisten beeinflusst wurde.

Bauhaus und Nationalsozialismus

Iwao Yamawaki: Der Schlag gegen das Bauhaus (1932)

Als ein Hauptwerk in meiner Befassung mit dem Bauhaus betrachte ich die – gemeinsam mit Dr. Anke Blümm (KSW) und Prof. Dr. Elizabeth Otto (U of Buffalo, USA) konzipierte und kuratierte – Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“, die im Frühsommer 2024 für viereinhalb Monate gleichzeitig in drei Weimarer Museen zu sehen war. Dem ging eine dreijährige Forschungsphase voraus, in der eine internationale Tagung den Wissensstand neu auslotete, der nun in einem Begleitkatalog und einem akademischen Aufsatzband dokumentiert ist. Eine thematisch passende VR-Anwendung rundet dieses ausgeprägt publikumswirksame Projekt ab, das eine breite Resonanz in Medien, Fachöffentlichkeit und unter Interessierten aus Kunst, Kultur und Geschichte gefunden hat.

Einige Kernbotschaften dieses Projekt lauten:

Der „blinde Fleck“ des Bauhauses
Die Zeit zwischen 1933 und 1945 blieb von der bisherigen Bauhaus-Forschung meist ausgeklammert – diese Ausstellung schaut genauer hin!

Prominente NS-Opfer, Exilantinnen und Exilanten dienten lange als Schutzbehauptung
Über viele Jahre galt das „gute“ Bauhaus als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus – eine zu einseitige Deutung dieser Zeit.

Mitgemacht und später ausgeblendet – Bauhaus-Angehörige als gefragte Gestalter in der Nazi-Zeit
Die meisten früheren Bauhäuslerinnen und Bauhäusler blieben auch nach 1933 in Deutschland – ihre Schicksale wurden nun erstmals ungeschönt aufgeblättert.

Das Bauhaus war von Anfang an ein Ort politischer Auseinandersetzungen!
Rechte und linke Kräfte bestimmten das Schicksal der Institution von Anfang an mit – Ressentiments, die sich die Nazis 1933 zunutze machten.

Unter den Nazis abgehängt, beschlagnahmt und verkauft – heute wieder hier auf Besuch!
Schon ab 1930 entfernten die NS-Machthaber später als „entartet“ angesehene Kunst aus den Museen; für die Ausstellung kehren Schlüsselwerke aus der ganzen Welt nach Weimar zurück.

Bauhäuslerinnen und Bauhäusler in den Diensten der NS-Propaganda
Die Bauhaus-Ästhetik lebte auch nach 1933 in der Produkt- und Werbegestaltung fort – vom NS-Regime oft als zeitgemäß und funktional gutgeheißen.

Was vom Bauhaus übrig blieb
Bieder und gefällig gestalteten viele Bauhaus-Angehörige nach 1933, ganz traditionell im Sinne des NS-Geschmacks.

Weitere Takeaways:

„Auf Wiedersehen nach der Revolution!“
Linke Bauhaus-Angehörige hofften auf eine neue Welt; die Nazis brachten das Ende der Kunstschule, Terror und erzwungene Mitwirkung.

Hakenkreuzfahnen über dem Bauhaus
Das Schulgebäude von Walter Gropius, eine Ikone der Architekturmoderne, wurde nach 1933 durch NS-Organisationen genutzt und als Kulisse werbewirksam eingesetzt.

Nazi-Moderne, Marke Bauhaus
Riesige Propagandaschauen sollten zeigen, wie fortschrittlich NS-Deutschland ist; Designer aus dem Bauhaus halfen mit, diese Botschaften effektiv an das Publikum zu vermitteln.

Adolf Hitler im Stahlrohrmöbel – nur scheinbar ein Widerspruch
Auch der Führer machte es sich manchmal im am Bauhaus so populären Stahlrohrsessel bequem, wie wiederentdeckte Pressfotos aus den 1930er Jahren zeigen.

Von volkstümlich bis modern… und viel dazwischen
Bauhaus-Angehörige haben unter dem NS-Regime unterschiedliche Wege eingeschlagen; wer in Deutschland blieb, musste sich mit dem Zeitgeist arrangieren.

Einfache Schubladen passen nicht
Bauhaus-Angehörige, die als „entartet“ diffamiert wurden, konnte unter den Nazis trotzdem eine erfolgreiche Karriere als Künstler aufbauen; umgekehrt wurden Werke von jenen, die sich früh zur NSDAP bekannten, mitunter trotzdem als „entartet“ beschlagnahmt

Zeugen der Vernichtung und Diffamierung
Für die Zugehörigkeit zum Bauhaus wurde man nicht verfolgt, aber viele politisch missliebige und jüdische Bauhäuslerinnen und Bauhäusler wurden zu Opfern der Nazi-Herrschaft – auch ihre Werke zeigt die Ausstellung.

Ein Bauhaus-Architekt entwirft Baracken für Auschwitz
Die fortschrittliche Ausbildung schützte nicht davor, an einem der größten Verbrechen der Menschheit beteiligt zu sein.

Ausstellung "Bauhaus und Nationalsozialismus" (2024)

Ausstellungskatalog

Wissenschaftliche Tagung (2023)

Projekt auf den Webseiten der Klassik Stiftung Weimar

Bauhauskommunikation

Ein Lehr- und Forschungsschwerpunkt anlässlich des Bauhausjahrs 2009 legte sein Augenmerk auf das Bauhaus als Organisation und untersuchte die Kommunikationsbeziehungen, in die die Einrichtung und ihre Protagonisten eingebunden waren. Darunter sind sowohl die vom Bauhaus initiierten Maßnahmen zum Dialog mit der Öffentlichkeit zu verstehen, als auch die von außen an das Bauhaus gerichteten Botschaften. Es interessierten gleichermaßen die medial publizierten wie die persönlich adressierten Mitteilungen – in einem ganzheitlichen Verständnis von Corporate Communications als Teil einer Corporate Identity, die außerdem das Corporate Design und das Corporate Behaviour (Unternehmenskultur) umfasst. Zentrales Instrument dieser Corporate Communications war die Öffentlichkeitsarbeit (bzw. die Public Relations) des Bauhauses, neben Werbemaßnahmen und der organisationsinternen Kommunikation. Der Analyse wurde ein aktuelles Verständnis von Unternehmenskommunikation zugrunde gelegt, das durchaus in der Lage war, die Vorgänge in den 1920er Jahren sinnvoll zu strukturieren.

Eine Grundannahme der Untersuchung lautete, dass das Bauhaus als Organisation verstanden werden kann, auf die die Maßstäbe von Corporate Communications anwendbar sind; eine andere, dass das Weimarer Bauhaus seit seiner Gründung unter permanentem äußerem Druck agierte und deswegen die meisten seiner Kommunikationsmaßnahmen aus heutiger Sicht unter Krisen-PR (›Flucht in die Öffentlichkeit‹) zu verorten sind. Ihrer zentralen These zufolge gelang es dem Bauhaus – und insbesondere Walter Gropius als seinem prominentesten Vertreter – mit großem Erfolg, unterschiedliche Anspruchsgruppen und Teilöffentlichkeiten mit seinen Botschaften zu erreichen und zu überzeugen. Dies dürfte einen kaum zu überschätzenden Beitrag dazu geleistet haben, dass das Bauhaus trotz eines feindlichen Umfeldes überhaupt so lange in Weimar (und später Dessau) existieren konnte.

Dieses Forschungsprogramm wurde anhand mehrerer Lehrveranstaltungen mit Studierenden der Universität Erfurt durchgeführt und erarbeitet. Verschiedene Teilprojekte widmeten sich der Presseresonanz des Bauhauses (u.a. anhand einer standardisierten Inhaltsanalyse), den persönlichen Netzwerken seines Direktors Walter Gropius, den Bauhauswochen als inszenierten Ereignissen und einzelnen Kommunikationsinstrumenten wie den von Herbert Bayer gestalteten Inflations-Geldscheinen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden 2009 in einem wissenschaftlichen Symposium zum Thema „Bauhauskommunikation“ vorgestellt, an dem sich auch prominente Bauhaus-Forscher mit eigenen Studien beteiligten. Die Befunde wurden in einem Buch zusammengefasst, das als erster Band in der Reihe der Neuen Bauhausbücher neuer Zählung (Gebr. Mann Verlag, Berlin) erschien. Eine englischsprachige Publikation zum Thema erschien 2014 als Monographie unter dem Titel The Bauhaus and Public Relations: Communication in a Permanent State of Crisis im Verlag Routledge (New York/London).

 Flyer zum Symposium bauhauskommunikation (2009)

Tagungsband "bauhauskommunikation" (2009)

Bestandsübersicht "bauhaus.typografie" (2017)

Tagungsband "Weimar 1924" (2019)

Begleitband zur Ausstellung "Bildermagazin der Zeit" (2019)

 

 

Vortrag am Bauhaus Dessau (2015)

Das Bauhaus am Kiosk: die neue linie 1929-1943

Herbert Bayer

Frauen am Bauhaus

Das Bauhaus gilt als eine der fortschrittlichsten Kunstschulen der Zwischenkriegszeit, nicht zuletzt wegen der enormen Dichte an Künstlerpersönlichkeiten, die den Unterricht verantworteten: Neben anderen gehörten Wassili Kandinsky und Paul Klee, Oskar Schlemmer und Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy und Gerhard Marcks dem Lehrkörper an und trugen zu einer ganzheitlichen Ausbildung der Studierenden bei. Übergeordnetes Ziel war die Tätigkeit am Bau, weshalb – sicher den Interessen des Leiters Walter Gropius geschuldet – die Architektur als Königsdisziplin galt; Gesellenbriefe oder Diplome konnten aber in verschiedenen Werkstätten erworben werden. Trotz seines fortschrittlichen Ansatzes mussten weibliche Studierende am Bauhaus im Vergleich zu ihren männlichen Kommilitonen aber zahlreiche Nachteile hinnehmen. Anja Baumhoff hat das in ihrer grundlegenden Studie The Gendered World of the Bauhaus (2001) ausführlich dargelegt. In der Einrichtung existierten verschiedene Regularien, die die Aufstiegs- und Ausbildungschancen von Frauen deutlich verminderten.

Zwar proklamierte bereits das Gründungsprogramm vom April 1919 unter dem Punkt „Aufnahme“ unmissverständlich:

Aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Vorbildung vom Meisterrat des Bauhauses als ausreichend erachtet wird, und soweit es der Raum zuläßt.

Diese Formulierung findet sich quasi wortgleich im Paragraf 3 des ersten Satzungsentwurfs vom selben Monat und in der 1921 veröffentlichten, behördlich autorisierten Fassung wieder. In seiner ersten Ansprache an die Studierenden am 6. Mai 1919 legte Gründungsdirektor Walter Gropius ebenfalls großen Wert auf diesen Aspekt, wie das Eingangszitat aus seinen überlieferten Notizen belegt, in dem er seinen Studierenden gleiche Rechte und Pflichten auferlegte, vermeintlich ohne besondere Rücksicht auf die „Damen“ zu nehmen.

Otti Berger, "Der böse Geist" (Doppelbelichtung, 1931/32), Foto: Judit Kárász (zugeschrieben)

Tatsächlich zeigt aber die Analyse der im Thüringer Staatsarchiv überlieferten Dokumente zum Bauhaus klar männlich dominierte Machtstrukturen. Baumhoff identifizierte eine „hidden agenda“ von Gropius und dem Meisterrat, um die ursprünglich hohe Zahl weiblicher Studierender zu reduzieren – denn diese hätte dem Ansehen der Schule schaden können – und sie von den angeseheneren Werkstätten fernzuhalten. In einem Fall soll der Direktor sogar verhindert haben, dass eine weibliche Studentin an einem Bauvorhaben teilnahm, weil er befürchtete, dass die aufgeheizte lokale Öffentlichkeit daraus einen moralischen Skandal herbeireden könnte. 1920 wurde deshalb eine spezielle Frauenklasse eingeführt, die bald mit der Textilwerkstatt fusionierte. Einerseits kam diese weibliche Domäne den Absichten der Bauhausmeister entgegen, den Frauenanteil in den übrigen Werkstätten zu reduzieren; andererseits, erinnerte sich 1931 Gunta Stölzl, die spätere Leiterin der Weberei, in der Zeitschrift Bauhaus, hätten die Studentinnen selbst die Initiative ergriffen:

bauhausmädchen der ersten zeiten versuchten sich in jeder werkstatt: tischlerei, wandmalerei, metallwerkstatt, töpferei, buchbinderei. bald zeigte sich, daß der schwere hobel, das harte metall, das anstreichen von wänden für manche nicht die betätigung war, die den psychischen und physischen kräften entsprach. die seele blieb dabei hungrig! handwerk musste es sein! […] wir gründeten eine frauenklasse. […] wir suchten mit der neuen generation der bauhausmaler in dem wirbelnden chaos von kunstwerten herum, voll begeisterung für unsere taten, voll hoffnung für unseren selbständigen weg.

Anhand verschiedener Fallstudien kommt Baumhoff letztlich zu der Schlussfolgerung, dass das Bauhaus als pädagogische Einrichtung mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse nicht progressiv war, und zwar deswegen, weil die Schule die konventionellen sozialen Werte aufrechterhielt, unter anderem mit hierarchischen Strukturen innerhalb der Schule, die auf einem Netzwerk aus Paternalismus, Autorität, Macht und Geschlechterdifferenzen gründeten.

Aus Sicht der Gegenwart und den heutigen Maßstäben, an denen wir Gleichberechtigung messen, waren die Standards einer Gleichbehandlung der Geschlechter nicht erfüllt.

Trotz allem gab es einen substanziellen Anteil von Frauen am Bauhaus, die sich erfolgreich dem männlich geprägten Anforderungsprofil angepasst und jenseits der Weberei orientiert haben. Zusammengenommen sind unter den 181 ernsthaften Studentinnen immerhin 170 Fälle dokumentiert, in denen zumindest für ein Semester, aber oft auch länger eine andere Werkstatt als die Weberei besucht wurde. Tatsächlich steht aber auch die Weberei am Bauhaus mehr als manch andere Werkstatt für den modernistischen Anspruch der Einrichtung: Textilgestaltung spielte nicht nur in der Gestaltung von Innenräumen eine zentrale Rolle und setzte Akzente in der neusachlichen Materialfotografie – sie hat aufgrund der Marktfähigkeit der Designs auch maßgeblich zum Erfolg der Bauhausprodukte in der Weimarer Republik beigetragen. Die Weberei also primär auf eine Funktion als Unterbringungsanstalt für weibliche Studierende zu reduzieren, würde die innovative Kraft der Arbeit mit Textil und damit auch die Leistungen der betreffenden Studierenden verkennen.

Ivana Tomljenovic, als Studentin in Prag (ca. 1928), Fotograf*in: unbekannt

Bereits die Entscheidung, am Bauhaus zu studieren, dort einen Lebensabschnitt zu verbringen, und die Sozialisation in einer der wichtigsten Einrichtungen der gestalterischen Moderne kann sich auch als Form des Empowerment lesen lassen. Vielleicht das schlagendste zeitgenössische Indiz für dieses Empowerment-Narrativ ist ein dreiseitiger Artikel in der nationalkonservativen Illustrierte Die Woche in der ersten Ausgabe des Jahres 1930. „Mädchen wollen etwas lernen“ lautet der Titel der Bildreportage, und im Untertitel zum Aufmacherporträt wird gleich ein neuer Frauentyp der Gegenwart proklamiert:

Der Typ des Bauhausmädels. Der Star unter den Schauspielerinnen. Sie weiß, was sie will und wird es auch zu etwas bringen.

Die Fotostrecke zeigt die „Bauhausmädels“ bei ihren Aktivitäten – beim Malen und Zeichnen, bei der Kostümprobe und dem Ballspiel, außerdem beim Lösen von Geometrieaufgaben oder als Musikantin an der Posaune. Den „Typ des Bauhausmädels“ führt das Manuskript erst in seinem allerletzten Absatz ein, in dem die studierende und gebildete Frau als Ideal einer neuen Gegenwart gepriesen wird. Dem Begriff „Bauhausmädel“ wird eine „schlagworthafte Bedeutung im guten Sinn“ attestiert, er gilt als Etikett für „eine ganz besondere Art von Mädchen, deren Begabung künstlerische und kunsthandwerkliche Betätigung sucht“. Der gesamte Beitrag ist damit ein Plädoyer für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit junger Frauen, die sich in der Arbeitswelt bewähren und damit für sich selbst sorgen können – und somit nicht mehr auf das Wohlwollen des Mannes angewiesen sind.

Insofern steht das „Bauhausmädel“ als modernes Rollenbild für eine grundsätzlich emanzipatorische Haltung, und der Begriff ist aus dem Zeitduktus heraus zweifelsfrei positiv und anerkennend gemeint. Fast schon als Kompliment gedacht, drückt der damalige Begriff des „Bauhausmädels“ eine stille Bewunderung für die jungen Frauen aus – Frauen, die in einem mutigen Schritt die ausgetretenen gesellschaftlichen Pfade verlassen haben, und die sich ihren üblichen Bestimmungen als Hausfrau, Ladenmädel und Stenotypistin entzogen haben, um sich eine andere, schöpferische Zukunft zu erschließen.

 

Ausstellungskatalog "Vergessene Bauhaus-Frauen (2021)

Bildband "Bauhausmädels" (2019)

Ausstellungskatalog "4 'Bauhausmädels'" (2019)

Nachschlagewerk "bauhaus women" (2019)

Nachschlagewerk "Frauen am Bauhaus" (2019)

Bildatlas mit Ausstellungskatalog "Es kommt ... die neue Frau!" (2019)

Wissenschaftliche Aufsatzsammlung "Bauhaus Bodies" (2019)

Ausstellung "Vergessene Bauhaus-Frauen" (2021/22)

Ausstellung "4 'Bauhausmädels'" (2019)

Ausstellung "Es kommt ... die neue Frau!" (2019)

Die Woche, Nr. 1/1930

DFG-Projekt "Bewegte Netze"

Bewegte Netze
Bauhaus-Studierende (um 1928), Fotograf*in unbekannt

Den Bauhausangehörigen und ihren Beziehungsgeflechten in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist ein gemeinsames Forschungsprojekt an der BTU Cottbus und der Universität Erfurt gewidmet. Seit Januar 2013 sichten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Kunsthistoriker und Kommunikationswissenschaftler umfangreiches Archivmaterial, das in den nächsten drei Jahren in eine öffentlich zugängliche Forschungsplattform überführt werden soll: Die Ergebnisse fließen in eine für das Projekt eigens entwickelte Datenbank, die durch grafische Auswertungswerkzeuge einen neuartigen visuellen Zugang zu den historischen Informationen ermöglicht.

In seinem 14-jährigen Bestehen bildete das Bauhaus ca. 1000 Schüler aus, danach verstreuten sich durch die politische Ausnahmesituation die Lebenswege der Lehrenden und Studierenden in alle Welt. Am bekanntesten sind sicherlich diejenigen Bauhausmitglieder, die in die USA gingen, darunter Walter Gropius und Mies van der Rohe. Leitfrage für das Projekt ist, wie bedeutsam die Vernetzung der „Bauhäusler“ untereinander für ihre weiteren Biografien war. Dazu werden exemplarisch sechs Netzwerke innerhalb des Bauhauses untersucht, wie z. B. die Gruppe um den zweiten Bauhausdirektor Hannes Meyer, der 1930 mit Schülern in die Sowjetunion ausreiste. Eine weitere Formation bilden die Bauhaus-Architekten, die in Deutschland blieben und sich auf unterschiedliche Weise mit dem NS-System arrangierten. Schließlich werden auch die am Bauhaus ausgebildeten Gebrauchsgrafiker um Herbert Bayer und Joost Schmidt untersucht, wozu die Bestände des Archivs einen Beitrag leisten werden.

Das Vorhaben erfolgt in enger Absprache mit den drei Bauhaus-Nachfolgeinstitutionen, dem Bauhaus-Archiv Berlin, der Stiftung Bauhaus Dessau und dem Bauhaus-Museum Weimar. In Kooperation mit diesen Einrichtungen sollen verschiedene Ausstellungen realisiert werden, die die Konturen der untersuchten Netzwerke verdeutlichen und insofern auf den Forschungsergebnissen aufsetzen. Ein erstes Projekt in diesem Kontext war die Ausstellung über Herbert Bayers Gebrauchsgrafik mein reklame-fegefeuer 2013/14 im Berliner Bauhaus-Archiv und dem Gutenberg-Museum Mainz; ein zweites die Ausstellung in Weimar und Bremen zum Wirken des Bauhausmeisters Gerhard Marcks.

Ausstellung "Wege aus dem Bauhaus" (2017)

Biografien der Bauhausangehörigen auf der Webseite "bauhaus.community"

Bauhaus-ShortCuts auf der Webseite "bauhaus.community"

Söre (Irmgard Sörensen-Popitz)

söre
Werbebroschüre für den Beyer-Verlag Leipzig (1934)

Die Bauhäuslerin Irmgard Sörensen-Popitz (1896-1993), die ihre Arbeiten mit ›Söre‹ signierte, teilte das Schicksal vieler Frauen am Bauhaus, deren Karrierewege heute weitgehend vergessen sind. Geboren am 3. Juli 1896 in Kiel, besuchte sie zunächst die dortige Handwerker- und Kunstgewerbeschule. Ab 1917 studierte sie fünf Jahre als ordentliche Schülerin an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig, davon insgesamt 10 Semester in der Meisterklasse von Prof. Hugo Steiner-Prag. Als bedeutender Weggefährte war Jan (Iwan) Tschichold bereits an der Leipziger Akademie ein Kommilitone von Irmgard Sörensen, der sie als Assistent der Fachklasse von Prof. Hermann Delitsch auch unterrichtete. Beide bezeichneten den Besuch der Bauhaus-Ausstellung von 1923, wo Sörensen sich besonders für die typografischen Arbeiten der Bauhausdruckerei unter Laszlo Moholy-Nagy begeisterte, als ein Ereignis, das ihr weiteres Leben prägte.

Aber Söre, die daraufhin 1924/25 zwei Semester am Bauhaus verbrachte und unter anderem von Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy unterrichtet wurde, pflegte zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zu diesem Lebensabschnitt. Während ihrer Zeit am Bauhaus lernte sie neben anderen Herbert Bayer und dessen Frau Irene kennen, ab 1925 die Leitung der neu eingerichteten Werkstatt für Druck und Reklame übernahm. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bauhaus war Söre lange Jahre als Gestalterin für den Leipziger Beyer-Verlag tätig – darunter auch als Art Directorin der modernen Lifestyle-Illustrierten die neue linie, für die Bayer und Moholy-Nagy zahlreiche Layouts und Umschläge entwarfen. Ihr in der Gesamtschau bedeutsamstes gebrauchsgrafisches Einzelwerk ist der Prospekt Ihre Werbung und die Frau, den Söre im Frühjahr 1935 gestaltete und der unter den Werbemitteln jener Zeit einen herausragenden Stellenwert besitzt. Nach dem Krieg arbeitete sie u.a. für den bundesrepublikanische Zweig des Insel-Verlags und schuf als freie Künstlerin Werke auf Papier im Stil des Informel, ohne jedoch jemals zu größerer Popularität zu gelangen oder in der Fachwelt die gebührende Beachtung zu finden.

Durch Kontakte zur Nachlassverwalterin von Irmgard Sörensen-Popitz war es möglich, anlässlich des Bauhausjahrs 2009 in der Kunsthalle Harry Graf Kessler (Weimar) die erste Retrospektive zu Söres Schaffen zu kuratieren. Gemeinsam mit Studierenden der Universität Erfurt wurden eine Werkschau und ein Katalog gestaltet, die von frühen Entwürfen aus der Bauhaus-Zeit bis zu den späten abstrakten Arbeiten das gesamte Oeuvre der Künstlerin abdeckten. Diese ist außerdem mit einem Aufsatz in dem Standardwerk über weibliche Grafik-Designerinnen des 20. Jahrhunderts (Breuer/Meer 2011) vertreten. Aus dem Nachlass Söres, der inzwischen von der Stiftung Bauhaus Dessau betreut wird, gelangten auf Wunsch der Verwalterin einige Blätter in das Archiv.

Ausstellung "Vom Bauhaus zum Informel" (2009)

 

Adolf-Georg B. Cohrs

Cohrs
ohne Titel (Marburg, 1993)

Geboren am 4. September 1908 in Harburg/Elbe, bewarb sich Adolf-Georg Benno Cohrs im Alter von 20 Jahren am Dessauer Bauhaus. Nach seiner Aufnahme 1929 studierte er bis Ende 1932 bei Wassily Kandinsky, Paul Klee und Josef Albers. Für seine Ausbildung als Architekt sorgten Mies van Der Rohe, Ludwig Hilbersheimer und Alfred Arndt. Nach der Übersiedlung des Bauhauses nach Berlin war auch Cohrs von der NS-Verfolgung bedroht; Werke wurden aus Ausstellungen als „entartet“ entfernt, und bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmte und vernichtete die Gestapo im Oktober 1934 alle Bilder, Zeichnungen und weiteren Unterlagen. Nach dem Krieg widmete sich Cohrs wieder der Malerei, neben seiner Haupttätigkeit als selbständiger Architekt, der (u. a. als Leiter des Hochbauamts Dortmund) an zahlreichen renommierten Bauprojekten der frühen Bundesrepublik mitwirkte.

Bei Kandinsky, den Cohrs als seinen „großen Lehrmeister“ bezeichnete, entstand 1930/31 auch eine seinerzeit viel beachtete Kleinbild-Serie über „Das sonderbare Erlebnis eines kleinen Mannes“, die in renommierten Ausstellungen gezeigt wurde und Cohrs selbst aufgrund von Fotodokumenten später wieder rekonstruieren konnte. Über seine Bildwerke – oft surreal verfremdete Landschaften – sagte er: „Eine Analyse zu finden vom Gegen¬ständlichen zum Abstrakten – im gegenseitigen Wechsel – kennzeichnet meine Arbeiten. Wie entstehen meine Bilder? Welches sind die Impulse, die mich zum Schaffen anregen? Nun, es sind Erlebnisse meiner Umwelt, die ich festhalten möchte. Für mich bedeutet Malen, Erlebtes mitzuteilen, Empfindungen sichtbar zu machen, und das ist etwas ganz anderes als Bilder oder Abbilder des Gesehenen wiederzugeben.“

Das Werk von Cohrs wurde anlässlich des Bauhausjahrs 2009 erstmals in einer Gesamtschau gewürdigt. Der für die Universitätsbibliothek Erfurt kuratierten Ausstellung stand ein umfangreiches Werkkonvolut aus dem Nachlass des Künstlers zur Verfügung, das sein Sohn pflegt; die Ausstellungsdidaktik und eine Begleitpublikation entstanden unter Mitarbeit von Studierenden der Universität Erfurt.

Ausstellung "Zwischen Gegenstand und Abstraktion" (2009)

Neue Typographie/Reklame