Ausstellungen

Der Reiz des Materiellen

Die neue Linie (2007)
Die neue Linie (2007)

Ein Plädoyer für die Ausstellung als alternative Präsentationsform

Immer wieder dasselbe Spiel: Nach dem Projekt ist vor dem Projekt, aus den Ergebnissen ein Paper gebastelt, mit einem Vortrag über die Konferenzen getingelt, den Aufsatz für eine Zeitschrift oder einen Sammelband eingereicht – undsoweiter undsofort. Die Art und Weise, in der wir Kommunikationswissenschaftler die Befunde unserer Forschungen mitteilen, folgt nur allzu oft diesem eingetretenen Pfad, den selbst Forscher jenseits der Qualifizierungsphase selten verlassen. Da kann es nicht verwundern, wenn – so die alte Klage – unsere Arbeit selbst von einer interessierten Öffentlichkeit nur ausnahmsweise beachtet wird.

Diesen Zustand zu beklagen ist eine Sache, ihm abzuhelfen zu versuchen eine andere. Vor einigen Jahren habe ich mich deswegen entschlossen, ergänzend zu dem üblichen Repertoire eine alternative Form der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erproben: mittels Ausstellungen, die sich an ein Publikum jenseits der engeren Fachgrenzen richten. In diesem Beitrag fasse ich einige Erfahrungen zusammen, die ich anhand unterschiedlicher Projekte sammeln konnte; seine Stilform ist die eines persönlichen Plädoyers für die Mühen, auch einmal ungewöhnliche Wege zu gehen.

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Erste Einsichten in die Ausstellung als Kommunikationsform erschlossen sich mir bereits in den 1990er Jahren, als ich mehrere Themen entsprechend aufbereitet habe: Massenliteratur („Aus der Tasche in die Hand“ über früher deutsche Taschenbuchreihen, „Der Asche entstiegen“ über Taschenkrimis) und Publikumszeitschriften der 50er Jahre(„Und immer lockt das Weib“ über Filmstars auf Illustriertentiteln). Manche DGPuK-Mitglieder erinnern sich vielleicht auch noch an die kleine Präsentation „Rekonstruierte Realitäten“ anlässlich der Mainzer DGPuK-Jahrestagung 1998, die – passend zum Tagungsthema – zeitgeschichtlich bedeutsame Ereignisse im Spiegel der aktuellen Presse präsentierte. Diesen Projekten war ein Ausgangspunkt gemeinsam, nämlich der optische Reiz der jeweiligen Exponate.

Damit ist bereits eine notwendige Voraussetzung benannt, unter der die Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse in einer Ausstellung Erfolg verspricht: eine gewisse visuelle Attraktivität des Untersuchungsmaterials. In dieser Hinsicht ist unser Fach freilich in einer beneidenswerten Situation, denn sowohl Printmedien als auch bewegte Bilder aus Film und Fernsehen, digitale Anwendungen oder Töne eignen sich im Grunde hervorragend für die öffentliche Präsentation (nicht umsonst setzt auch die Didaktik herkömmlicher Ausstellungen gerne auf eine Multimedia-Komponente). Und es macht Betrachtern großen Spaß, ihrer eigenen Mediensozialisation in Form der fast vergessenen Lieblingsserie von Anno dazumal oder der Zeitschriften im elterlichen Haushalt wieder zu begegnen.

Eine zweite Überlegung betrifft die Form des Erkenntnisgewinns. Von Vorteil sind hier komparative Ansätze: Beispielsweise ließe sich Kommunikation in unterschiedlichen Kulturen gut aufbereiten, ebenso wie ein Vergleich der Berichterstattung unterschiedlicher Medien zu einem Thema. Besonders faszinieren zumeist historisch-komparative Zugänge; nicht nur deswegen, weil hier aus anderen Disziplinen (wie etwa der Kunstgeschichte) eine museale Darbietung längst üblich ist, sondern weil entsprechende Exponate per se mit einer großen Publikumsresonanz rechnen können.

Damit soll aber nicht gesagt sein, dass empirisch-analytische Erkenntnisse grundsätzlich weniger geeignet für eine Ausstellung wären. Wieso nicht eine Wanderausstellung zum Thema „Gewalt in den Medien“ konzipieren, die Ergebnisse medienpsychologischer Forschung durch Anschauungsmaterial illustriert, die aus Inhaltsanalysen bekannten Dimensionen des Phänomens ausleuchtet, und ganz nebenbei noch das Verständnis für methodische Aspekte der Forschung weckt? Außer offenkundige Hindernisse wie Zeit, Aufwand und Finanzierung zu überwinden setzt dies jedoch voraus, dass Wissenschaftler bereit und in der Lage sind, mit der zwangsläufigen Verkürzung ihrer Resultate zu leben – und auch mit deren Einbettung in einen populärwissenschaftlichen Kontext einverstanden sind. Denn eine Ausstellung sollte niemals wie eine Ansammlung von Postern daherkommen, die wir für Tagungen herstellen, sondern lebt von der Materialität ihrer Exponate.

Wie ein solcher Spagat gelingen kann, lässt sich gut an einer gerade zu Ende gegangenen Ausstellung dokumentieren: „Das Bauhaus am Kiosk“ über die Geschichte einer Publikumszeitschrift namens „die neue linie“ zwischen 1929 und 1943, gezeigt im Bauhaus-Archiv Berlin. Ausgangspunkt war in einer ersten Phase die wissenschaftlich erschöpfende Behandlung des Themas. Nach mehrjähriger Recherche in Archiven, Gesprächen mit Zeitzeugen und natürlich einer genauen Inspektion der Zeitschriftenexemplare selbst entstand ein Manuskript von gut 200 Druckseiten – eine klassische Monographie, die inzwischen auch im Buchhandel erschienen ist. Mit diesem Manuskript im Hintergrund fiel es mir leicht, ein Exposé zu schreiben und eine öffentliche Einrichtung für das Thema zu begeistern. Pluspunkt war hier mein Vorsatz, Studierende in die Realisierung mit einzubinden, denn Museen und Archive sind, wie andere öffentliche Einrichtungen auch, notorisch klamm an Mitteln, und das Angebot, die arbeitsintensive Vorbereitung einer Ausstellung auslagern zu können, ist durchaus attraktiv. In der Ausstellung wurden die wissenschaftlich-analytischen Texte auf ein Minimum reduziert – diese sollen sich dem Betrachter durch eine wohlüberlegte Auswahl der Exponate erschließen, die Appetit auf den ausführlichen Katalog machen.

Allerdings erledigt sich die Ausstellungskonzeption auch in einem Seminar nicht von selbst. Eine Gruppe interessierender Studierender ist als kreativer Ideengenerator nicht zu unterschätzen; diese Ideen in sinnvolle Bahnen zu lenken jedoch Aufgabe des Dozenten. Es bietet sich an, das Aufgabenspektrum frühzeitig zu strukturieren und Teilgruppen mit jeweils eigenen Verantwortungsbereichen zu versehen. Meist ist dabei eine Doppelstruktur vonnöten: Zum einen eine Aufteilung aus inhaltlicher Sicht (z. B. nach Epochen oder Facetten des Themas), zum anderen nach organisatorischen Aspekten. Als typische, immer wiederkehrende Teilgebiete seien hier genannt: Ausstellungsdesign (vom Farbkonzept bis zur Auswahl und Anordnung der Exponate), Ausstellungsbau (falls größere Raumobjekte vorgesehen sind), Ausstellungsdidaktik (Texte und Beschriftungen), Multimedia-Elemente (Ton. und Videodokumente, interaktive Elemente), publizistische Begleitung (Pressemitteilungen, Plakat, Einladungen, Flyer, Kataloge etc.) sowie die Organisation der Begleitveranstaltungen (Vernissage, Pressekonferenz, Führung, Vorträge etc.).

Die Koordination all dieser Arbeitsschritte ist ein komplexer Vorgang, weshalb es sich anbietet, zunächst Erfahrungen im Kuratieren von Ausstellungen an der eigenen Hochschule zu sammeln. Oft bieten Universitätsbibliotheken, Hörsaalgebäude oder Institute eine geeignete Infrastruktur für erste Gehversuche, und die Toleranz gegenüber nicht immer perfekten studentischen Arbeiten ist höher. Beispielsweise konnte ich im Sommer 2006 die Ausstellung „Die Sprache des Stummfilms“ über die Filmpublizistik der Weimarer Jahre an der UB Erfurt zeigen. Über zwei Semester hinweg hatte sich meine Seminargruppe die Inhalte erarbeitet und ein Ausstellungskonzept entworfen, gemeinsam mit einem Dozenten und Studierenden der FH Erfurt. Überhaupt sind Kooperationen mit künstlerisch-technischen Fachgebieten sinnvoll, um die eigenen Kompetenzen zu ergänzen – das Bauhaus-Projekt habe ich mit einer Kollegin aus der Kunst realisiert.

Bleibt die große Frage nach Art und Herkunft der Exponate: Original oder Reproduktion ist hier die erste Entscheidung. Aus Sicht des Publikums ist der Fall klar, denn „die Gravitation des Materiellen“ (Horst Bredekamp) und das Authentische machen für den Betrachter einen entscheidenden Reiz aus. Gleichzeitig erhöht dies den Aufwand exponentiell, denn die Objekte sind normalerweise in Rahmen und Vitrinen zu schützen, müssen bewacht werden, es sind konservatorische Vorkehrungen zu treffen (z. B. Schutz vor Lichteinfall) und Versicherungen abzuschließen. Eine Themenpräsentation mit Reproduktionen auf Tafeln ist vergleichsweise unkompliziert und kann leichter an unterschiedlichen Orten gezeigt werden. Dennoch ist das Zeigen von Originalen inhaltlich und aufmerksamkeitstechnisch immer vorzuziehen, sofern es die Rahmenbedingungen erlauben, und manchmal hilft schon eine gezielte Mischung.

Daran schließt sich die Frage nach der Herkunft solcher Exponate an. In der Regel sind diese in Fremdbesitz von Archiven oder Museen, und die Ausleihe kann an einschneidende Bedingungen geknüpft sein. Generelle Verfügbarkeit, Einschränkungen in der Leihdauer, spezielle Präsentationsformen und insbesondere der sachgerechte Transport stellen erhebliche Hindernisse auf dem Weg zum Wunschobjekt dar. Andererseits ist neben dem Sammeln und Bewahren auch das Deuten und Veröffentlichen die Aufgabe der Einrichtungen, weshalb Anfragen meist wohlwollend geprüft werden. Eine deutlich komfortablere Situation bietet sich freilich, wenn die Exponate unkompliziert aus dem eigenen Bestand entnommen werden können. Bei mir war dies der Fall, und gerade die wissenschaftliche Bearbeitung ist in den heimischen vier Wänden um vieles leichter. Es besteht ferner ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Forschung und Erschließung, und oft ergeben sich erst durch den mühsamen Aufbau einer Sammlung Erkenntnisse, die beim Zugriff auf fremde Bestände verborgen bleiben (vgl. z. B. te Heesen / Spary 2002).

Allerdings erfordert diese Strategie einen deutlich längeren Planungshorizont, denn nicht immer sind aussagekräftige Stücke auf dem Markt schnell beschaffbar. Deswegen entstehen Forschungsideen oft erst aus einer Sammlung heraus, die in ihrer Geschlossenheit eine neue Perspektive eröffnet. Dabei ist eine letzte grundsätzliche Entscheidung zu treffen: Sammle ich archival, d.h. auf Vollständigkeit hin, um tatsächlich alle relevanten Objekte zur Verfügung zu haben? Oder museal, also mit Blick auf das aussagekräftige Einzelstück, dass später prototypisch für einen bestimmten Sachverhalt steht? „Eine fachwissenschaftliche Sammlung basiert auf einer begründeten Auswahl von Sammlungsstücken und gliedert sie nach Ordnungskriterien“, so Hagenberg (2007). In der Realität dominieren zumeist Mischformen, bei denen die sorgfältige Erschließung auf Basis eines Archivs zu einer Liste ausgewählter Beispiele führt, die zur Verdeutlichung benötigt werden.

Abschließend sei zugegeben: Nicht jedes Thema eignet sich für eine Ausstellung, nicht immer sind interessante Exponate verfügbar, und mit einer schlechten Präsentation ist letztlich auch nichts gewonnen. Aber obwohl Ausstellungsprojekten von Fachkollegen mitunter belächelt werden und ihnen die akademische Anerkennung oft versagt bleibt – die Chance, neue Zielgruppen für unsere Themen zu erreichen, rechtfertigt den Aufwand jederzeit. Im Falle der Bauhaus-Ausstellung schlug sich dies beispielsweise in Artikeln in der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, der FR, der taz und einer ganzen Reihe von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen nieder. Und dass aus alldem auch ein akademischer Prestigegewinn erreicht werden kann, verdeutlicht das Beispiel der Ausstellung „VIEWing our LIFE and TIMES“, die ich zur letztjährigen ICA-Tagung eingerichtet hatte: Forscher von der Annenberg School an der USC fanden sie interessant genug, um sie auch in Los Angeles zu zeigen, gepaart mit einer Einladung zu einem Gastaufenthalt und Vorträgen.

Erstdruck als:

Rössler, Patrick: Reiz des Materiellen. Ein Plädoyer für die Ausstellung als andere Präsentationsform. In: Aviso Nr.44/2007, S. 23-25.