SPF Religion. Gesellschaft. Weltbeziehung. Max-Weber-Kolleg

G. W. Leibniz und Osteuropa

Gábor Gángó: Trotz seiner hohen Relevanz für die Formation des frühneuzeitlichen Europabewusstseins erweist sich das Forschungsthema "Gottfried Wilhelm Leibniz und Osteuropa" als terra incognita im sonst bereits breit ausgeloteten Leben und Werk des deutschen Universalgelehrten und verlangt nach grundsätzlicher kritischer Diskussion. Um zu der Wiederbelebung eines bisher nur marginal behandelten Frühwerkes beizutragen, werde ich während meines Aufenthaltes am Max-Weber-Kolleg ein Manuskript für eine Monographie zum Leibnizschen Traktat Specimen Polonorum, verfasst im Dienste der Kandidatur des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg um die polnische Krone 1669, erstellen.

Laufzeit
09/2019 - 08/2017

Projektleitung

Prof. Dr. Gábor Gángó
Prof. Dr. Gábor Gángó
Fellow (Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien)

Trotz seiner hohen Relevanz für die Formation des frühneuzeitlichen Europabewusstseins erweist sich das Forschungsthema „Gottfried Wilhelm Leibniz und Osteuropa“ als terra incognita im sonst bereits breit ausgeloteten Leben und Werk des deutschen Universalgelehrten und verlangt nach grundsätzlicher kritischer Diskussion. Um zu der Wiederbelebung eines bisher nur marginal behandelten Frühwerkes beizutragen, werde ich während meines Aufenthaltes am Max-Weber-Kolleg ein Manuskript für eine Monographie zum Leibnizschen Traktat Specimen Polonorum, verfasst im Dienste der Kandidatur des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg um die polnische Krone 1669, erstellen. Damit leistet meine Arbeit einen Beitrag zur Forschungsstelle für Frühneuzeitliches Naturrecht des Max-Weber-Kollegs. Bisheriges Hindernis für eine genauere Auseinandersetzung mit dem Specimen Polonorum war, dass die Forschung hinsichtlich des Kontextes im Dunkeln tappte. Deshalb werde ich ideengeschichtliche Methodologie und philosophiehistorische Interpretation mit grundlegender Quellenforschung kombinieren. Während der philologischen Arbeit greife ich auf polnische Archivquellen ebenso zu wie auf den Bibliotheksnachlass von Leibniz’ Mentor Johann Christian von Boineburg in der Universitätsbibliothek Erfurt. Die Quellenarbeit wird eine umfassende kontextuelle Rekonstruktion der Entstehung des Specimens Polonorum ermöglichen, die uns auch die philosophisch-logischen Ansätze dieses wichtigen Frühwerkes besser verstehen lässt. Für die kontextgebundene Arbeit ist zuerst die Flugschriftenpolemik des Wahlkampfes, insbesondere die politische Publizistik von Boineburg und seinem Kreis, in den Blick zu nehmen. Zunächst werde ich nicht nur Boineburgs Warschauer Mission als Wahlgesandten des Pfalzgrafen untersuchen, sondern auch hinter die Kulissen der Mainzer Tagespolitik schauen. Die Re-Kontextualisierung der Leibnizschen Flugschrift in der Kurmainzer Politik ermöglicht uns, klarer zu sehen, dass, ähnlich wie andere, auf weitaus eingehenderer Weise analysierte Leibniz-Texte der Mainzer Jahre (von dem „Sekuritätsgutachten“ bis zum Consilium Aegyptiacum), auch die polnische Wahlschrift in enger Verbindung mit der Grundproblematik der Politik des Mainzer Kurfürsten Johann Friedrich von Schönborn steht, d.h. mit der französischen Expansion am Rhein. Die Besonderheit des polnischen Projektes besteht darin, dass, wegen der sich rasch verändernden diplomatischen Konstellationen des Devolutionskrieges, Boineburg (und mit ihm Leibniz) und der Mainzer Kurfürst sich in entgegengesetzten Lagern des polnischen Wahlkampfes fanden. Auf der Grundlage des auf diese Weise gewonnenen Verständnisses von Leibniz’ Specimen Polonorum möchte ich ein wesentlich politisch (machtpolitisch, religionspolitisch, kulturpolitisch) zentriertes Bild des jungen Leibniz aufzeichnen: das eines mehr pragmatisch und situationsbezogen als ethisch-staatsmetaphysisch – aber keinesfalls nur kurzsichtig-machtorientiert – denkenden Leibniz. Es sollte die Politik in der Mainzer Periode von Leibniz’ Leben ursprünglich als Praxis erscheinen lassen; eine Praxis, die sich theoretisch weitgehend als begründungs- oder erklärungsbedürftig erwies.