Ein Mann mit Eigenschaften (2009)

Zu Leben und Schaffen von Bruno E. Werner

Autor: Patrick Rössler 

Erscheinungsjahr: 2009

Verlag: Edition 451 in einer einmaligen Auflage von 30 Exemplaren

Beschreibung: 

Der Anruf kam aus heiterem Himmel: Sie sei die Tochter von Bruno E. Werner, und habe aus der Presse von der Ausstellung zur Zeitschrift »die neue linie« erfahren, die ihr Vater in den 1930er Jahren herausgegeben hatte, erklärte mir Sibylle May. Sie und ihre Schwester, Imogen Stuart, haben mir daraufhin nicht nur immer wieder Rede und Antwort gestanden, wenn ich sie über das Umfeld befragte, in dem die modernste Lifestyle-Zeitschrift zwischen den Kriegen entstanden war – sie haben mir auch bereitwillig Dokumente und Schriftwechsel aus dem privaten Familienbesitz zugänglich gemacht.

Leider kam dieses Material zu spät, als dass ich es noch für die Ausstellung 2007 im Berliner Bauhaus-Archiv und für den Begleitkatalog hatte verwenden können. Aber sobald klar war, dass es anlässlich des Veranstaltungszyklus' »Bauhaus 2009« eine Wiederauflage von beidem in Weimar geben würde, habe ich die wertvollen neuen Informationen selbstverständlich in die Darstellung integriert. Doch schnell wurde klar, dass die »neue-linie«-bezogenen Aspekte nur einen Bruchteil der interessanten Aufschlüsse betraten.

Bruno E. Werner, dessen Name heute nur noch den intimen Kennern der deutschen Literaturszene der 1950er Jahre ein Begriff sein dürfte, bezeichnete »die neue linie« zwar als sein liebstes publizistisches Kind; sein lebenslanges Wirken als Journalist und Kulturdiplomat kann aber prototypisch stehen für die Biografie eines Intellektuellen der Zwischen- und Nachkriegszeit – und die existenzielle Frage, wie man in Zeiten kultureller Barbarei eine Haltung in der inneren Emigration findet, die einen vor dem eigenen Gewissen bestehen lässt.

Bruno E. Werner hat dieses Thema in seinem großen Zeitroman »Die Galeere« selbst so berührend wie differenziert durchdrungen, dass dieses dickleibige Werk, das er schon unter dem Nazi-Regime begonnen hatte, noch immer seinesgleichen sucht unter der Bewältigungsprosa der frühen Nachkriegszeit. Zu Unrecht ist dieses Buch heute weitgehend vergessen, und wenn das Ende dieses Bandes einige Einblicke in die zeitgenössische Resonanz auf die »Galeere« bietet, dann zeigt das nur, wie wesentlich Werners Roman für die damalige Diskussion war. Auch zu Beginn des neuen Jahrtausends sei jedem zeitgeschichtlich Interessierten die Lektüre dieses einmaligen Dokuments anempfohlen; wenngleich im Buchhandel derzeit vergriffen, lässt sich die Fischer-Taschenbuchausgabe von 1991 antiquarisch leicht beschaffen.

Für diese hat J. Hellmut Freund ein sensibles Nachwort verfasst, das auch eine biographische Skizze enthält und nach wie vor die wesentliche gedruckte Quelle zu Leben und Werk von Bruno E. Werner darstellt. Im vorliegenden Band haben wir, um Redundanzen zu vermeiden, auf den Abdruck dieser hervorragenden Beschreibung verzichtet; statt dessen kommt ausführlich Sibylle May zu Wort, die schon vor geraumer Zeit die wesentlichen Fakten und Impressionen zum Leben ihres Vaters für einen Vortrag zusammengestellt hatte. Ich danke ihr herzlich für die Erlaubnis, ihre persönlichen Manuskripte, aber auch den noch erhaltenen Schriftverkehr ihres Vaters auswerten zu dürfen. Daneben kommt selbstverständlich auch Bruno E. Werner zu Wort, mit einer Reihe bislang nicht oder nur versprengt veröffentlichter Beiträge: Von frühen Versuchen expressionistischer Lyrik über Auszüge aus seinem Kriegstagebuch und einem Manifest, das die Aufbruchstimmung unter der Jugend um 1920 dokumentiert – bis hin zu einer eigenartig schwankenden Auseinandersetzung mit der Schließung des Bauhauses und einer satirischen Vorausschau auf eine Rede, wie er glaubte, dass er sie im Jahr 2000 vielleicht halten müsste.

Bruno E. Werner hat dieses neue Jahrtausend nicht erlebt, weder die Fahrt des Menschen zum Mond noch die Wiederentdeckung der von ihm so geschätzten Weimarer Kunst und Kultur, eingeschlossen die späte Würdigung der »neuen linie«. Er starb bereits vor 45 Jahren, in meinem eigenen Geburtsjahr; und wenn der Band dazu beitragen kann, dass späteren Generationen etwas mehr von dieser publizistischen Schlüsselpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts überliefert wird als seine bekannten Prosawerke, so hat er seinen Zweck bereits erfüllt. Persönlich möchte ich ihn als kleine Verbeugung vor einem streitbaren Geist verstanden wissen – einem »Mann mit Eigenschaften« eben, der zeitlebens aufrecht für seine Überzeugungen einstand.

Vorwort zur Publikation (2009)

Zur Ausstellung "die neue linie" 

Zur Publikation "die neue linie"