SPF Religion. Gesellschaft. Weltbeziehung. Max-Weber-Kolleg

Die wiederaufgefundene Handschrift Ms Eisenach 1361 der Wartburg-Stiftung und ihre Teilparallelen: Edition und Situierung in Raum und Zeit

Jana Ilnicka: Mit diesem Projekt möchte ich eine kritische Edition der Texte der Wartburger Handschrift anbieten, die der Mittelalter-Forschung insgesamt, gerade der Forschung zu Gender- und Frauenbildungsfragen und auch der Eckhart-Forschung zugänglich gemacht werden soll. Darüber hinaus werden neben der kritischen Ausgabe der Handschrift, Beiträge zur Situierung dieser Texte in die lokalen und zeitgenössischen Diskurse erarbeitet, die der Vorbereitung einer theoretischen Monographie zu Fragen der Frauen- und Laienbildung dienen sollen.

Laufzeit
02/2021 - 01/2024

Finanzierung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) :
328 400 Euro

Projektleitung

Dr. Jana Ilnicka
Junior Fellow und Mitglied der Meister-Eckhart-Forschungsstelle (Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien)

Die Wartburger Handschrift Ms Eisenach 1361-50 ist ein Kodex von 108 einspaltig beiderseitig beschriebenen Blätter (216 Seiten), 115x85 mm groß, entstanden im XIV Jh. und geschrieben in einem westmittelhochdeutschen Dialekt. Sie befand sich ursprünglich in dem Prämonstratenserinnenstift Altenberg, bevor sie erst in Privatbesitz und danach in den Bestand der Wartburg-Stiftung gekommen ist. Die Handschrift beginnt mit dreizehn Psalmen (2r-24v), die alle ins Mittelhochdeutsch übersetzt sind. Danach folgt eine anonyme Predigt zu dem Fest Mariä Himmelfahrt (25r-33r). Ab dem Blatt 34r fängt eine Reihe von 70 Textstücken an (34r-108v), einige davon sehr kurz, die anderen länger. Das letzte Textstück (n. 70) beginnt auf fol. 108v und ist nicht vollständig, da ein Blatt in der Handschrift herausgerissen ist. Ab Blatt 34r hat die Handschrift teilweise Parallelen mit der Handschrift Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 986, und es gibt noch einige ähnliche Fragmente in einer Münchner Handschrift, München Cgm. 5235 (4. v. XIV. Köln?, M60).

Manche der 70 Textstücke fangen mit der Angabe des Autors an: Thomas von Aquin und Meister Eckhart sind die zwei Autoritäten, die in dieser Handschrift namentlich als Autoren erwähnt werden („Meister Thomas sagt“ oder „Meister Eckhart sagt“), die anderen sind anonym („Ein Meister sagt“, „Einige Meister sagen“, „Es gibt eine Frage“). Einige der Meister Eckhart zugeordneten Texte hat der erste Herausgeber der deutschen Werke Meister Eckharts, Franz Pfeiffer, in seiner Eckhart-Ausgabe von 1857 als „Sprüche“ ediert. Zum Teil wurden dann diese Sprüche von Heinrich Denifle (ca. 30 Jahre später) und Josef Koch (ca. 100 Jahre später) als bearbeitete Übertragungen von ins Deutsche übersetzte lateinische Werke Eckharts identifiziert, aber die Handschrift selbst galt seit 1909 als verschollen und die Autorschaft Eckharts für diese Stücke wurde weitgehend bestritten. Um die weiteren Texte, die man zumindest aus der Berliner Teilparallelhandschrift kannte, hatte sich die Forschung seither nicht mehr bemüht. Doch vor wenigen Jahren entdeckten Balázs J. Nemes und Markus Vinzent diese Handschrift in der Bibliothek der Wartburg-Stiftung. Mit dem Projekt wird eine kritische Edition dieser Handschrift erarbeitet und diese Texte werden der Forschung zugänglich gemacht.

Die bisherige Stichprobenanalyse der Handschrift hat gezeigt, dass diese Texte nicht unmittelbar für sich genommen verstanden werden können, sondern in den Kontext der damaligen philosophisch-theologischen Debatte eingeführt werden müssen, und dass erst aus diesem Kontext heraus ihre präzisen Inhalte zum Vorschein kommen. Eine solche kontextualisierende Analyse ermöglicht auch die Angaben zur Autorschaft zu korrigieren und einen Beitrag zur Erforschung des Diskussionsstandes im 14. Jahrhundert leisten.

Die Sprache der Wartburger Handschrift, Mittelhochdeutsch, zeigt, dass die höchst spekulativen theologischen Themen in einer Volkssprache, also, in einem nicht universitären Umfeld, aufgenommen wurden. Deshalb wird die genaue Analyse dieser Texte erlauben, einen ganz neuen Blick auf die Laienbildung im 14. Jahrhundert zu werfen. U.a. betrifft es die damalige Frauenbildung, welche, wie die Wartburger Handschrift nahelegt, nicht auf die „Frauenmystik“ reduziert werden kann.