Philosophische Fakultät SPF Religion. Gesellschaft. Weltbeziehung. Forschung

Freiwilligkeit und Diktatur. Freiwillige Teilnahme am Neuererwesen der DDR

Teilprojekt der Forschungsgruppe "Freiwilligkeit". Mit einem subjektorientierten analytischen Ansatz stellt unsere Studie die freiwillige Teilnahme von "Neuerern" in den Vordergrund - Mitglieder des betrieblichen Erfinder- und Vorschlagswesens der DDR, bekannt als "Neuerer- und Rationalisatorenbewegung". Die Analyse konzentriert sich auf die individuelle Interpretation des eigenen Handelns und untersucht das Verhältnis von Selbst- und Fremdsteuerung im Hinblick auf die Beteiligung an einer politisch orchestrierten Massenbewegung. Die Motivationen für die individuelle Beteiligung umfassen ein breites Spektrum, in dem Zwang und Gewalt eine wichtige Rolle spielen.

Laufzeit
10/2020 - 09/2023

Projektleitung

Prof. Dr. Christiane Kuller
Inhaberin der Professur für Neuere und Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik (Historisches Seminar)

Team

Elena Marie Elisabeth Kiesel

Hauptprojekt

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Dieses Unterprojekt wird von drei Dimensionen der Freiwilligkeit bestimmt. Erstens kann Freiwilligkeit als eine Norm innerhalb des fließenden Diskurses um die Prinzipien staatlicher Massen- und Arbeitsorganisationen verstanden werden. Zweitens untersuchen wir Freiwilligkeit als eine Ressource der Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit, die denjenigen zur Verfügung steht, die sich für die (vermeintliche) Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen engagieren. Dabei geht es um den individuellen Handlungsspielraum der Beschäftigten zwischen Loyalität gegenüber dem Staat, den herrschenden organisationsspezifischen Prinzipien, ideologischen Überzeugungen und persönlichen Argumenten. Drittens wird die Freiwilligkeit als diskursive Strategie untersucht: In der DDR diente die freiwillige Teilnahme zum Teil als Mittel, um sich des Status als "Freiwilliger" im Sinne des herrschenden normativen Diskurses zu versichern. Nach 1990 hat sich die Bedeutung des freiwilligen Engagements in der DDR jedoch ins Negative gewandelt. Das Teilprojekt fragt daher auch nach dem Bedeutungswandel von Freiwilligkeit im zeitgeschichtlichen Kontext.

Das Teilprojekt verfolgt drei Ziele. Erstens soll eine neue Perspektive auf das betriebliche Vorschlagswesen der DDR eröffnet werden, das bisher vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten untersucht worden ist. Durch die Verschränkung von subjektiver Sinnstiftung und kollektiven Prinzipien soll ein innovativer Beitrag zum Verständnis der Sozialgeschichte und des Alltagslebens in der DDR geleistet werden. Zweitens verfolgen wir einen neuen Ansatz zur Erklärung konformistischen Verhaltens in Diktaturen, der über die Frage der ideologischen Überzeugungen hinausgeht. Drittens will das Projekt das Verständnis für den spezifischen Charakter von Staat und Gouvernementalität in der DDR erweitern. Durch die Verknüpfung von normativen Aspekten diktatorischer Herrschaftskonzepte mit der Selbstdeutung der handelnden Subjekte soll ein aktualisiertes und nuanciertes Verständnis diktatorischer Herrschaft ermöglicht werden.