Der deutsch-amerikanische Historiker Dr. Scott Krause, Leiter des Willy-Brandt-Forums Unkel, besuchte die Brandt School und stellte Willy Brandts politische Aktivitäten im Berlin des Kalten Krieges vor.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Brandt aus dem skandinavischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt und fand sich in einem starken Netzwerk von remigrierten Sozialdemokraten wieder, die ihre Ablehnung von Stalins Art des Kommunismus aufgrund eigener Erfahrungen mit ihm teilten. Brandt selbst hatte diese antitotalitäre Wendung während des Spanischen Bürgerkriegs durchlaufen.
In West-Berlin bildeten sie mit gleichgesinnten liberalen US-Besatzungsbeamten eine epistemische Gemeinschaft. Letztere unterstützten vor allem diese Fraktion der SPD, da sie für Freiheit und Demokratie stand und die Westbindung und die NATO vorantreiben wollte, anstatt Moskau zu nahe zu stehen, wie es andere Fraktionen der deutschen Linken damals taten. Dieses Netzwerk baute teilweise auf bestehenden Beziehungen aus dem Exil in den Vereinigten Staaten während des Krieges auf. Sie teilten das Ziel, die Demokratie nach West-Berlin zu bringen. Sie betrachteten West-Berlin als ein Laboratorium für Demokratie, dessen Erfahrungen schließlich auf die gesamte Bundesrepublik übergreifen sollten.
Die eigenen Nachforschungen unseres Gastdozenten in Archiven und jetzt freigegebenen US-Akten haben gezeigt, wie dieses Netzwerk geschickt Zeitungen und Radiosender einsetzte, um das Bild von West-Berlin als "Vorposten der Freiheit" zu fördern. Dieses "Vorposten"-Bild hatte der damalige Bürgermeister von West-Berlin, Ernst Reuter, nach der Berlin-Blockade und der erfolgreichen Luftbrücke geprägt, um die West-Berliner bei Laune zu halten, aber auch, um das Bild des bösen Deutschlands in das eines potenziellen Verbündeten umzuwandeln, der die Unterstützung der USA verdiene.
Der Historiker skizzierte außerdem, wie das Netzwerk Medien nutzte, um amerikanische Spenden zu annehmen zu können. So erhielt beispielsweise das Berliner Stadtblatt, dessen Chefredakteur Willy Brandt damals war, von der US-Besatzung überzogene Preise für Beilagen, um das gemeinsame Ziel zu unterstützen. Krause machte deutlich, dass Brandt, obwohl er von den US-Geheimdiensten als "Aktivposten" betrachtet wurde und heimlich Geld aus US-Quellen erhielt, immer ein unabhängiger Akteur blieb. Der zurückgekehrte Emigrant war kein politischer Spielball, sondern bemühte sich um die Finanzierung des eigenen politischen Projekts, das er mit anderen prominenten Sozialdemokraten in West-Berlin, wie etwa Reuter, teilte. Für Willy Brandt waren in jenen Jahren - und gerade in West-Berlin an den Fronten des Kalten Krieges - Nachrichtendienste und Geheimdienste ein normaler Teil des politischen Prozesses.
Krause empfahl, die PR-Mitarbeiter dieser Zeit und ihre Verbindungen untereinander genau unter die Lupe zu nehmen, um zu verstehen, wie sie politische Kampagnen prägten. Bilder von Präsident Kennedy und Brandt als West-Berliner Bürgermeister unterstützen dieses Argument, wobei Kennedy als Freund Brandts, aber auch als Vorbild im Wahlkampf in Erscheinung trat.
Am Ende des Vortrags wies Krause darauf hin, dass der Bau der Berliner Mauer zu einer Zeit, als Brandt Westberliner Bürgermeister war, zu einer weiteren politischen Wende in seinem Leben führte. Er wurde ein Pragmatiker, der eher an kreativen Lösungen als an radikalen Veränderungen interessiert war. Er musste die Opposition des Kalten Krieges mit der Aussicht auf eine baldige Wiedervereinigung Deutschlands in Einklang bringen. Dies war der Ausgangspunkt von Brandts Neuer Ostpolitik, für die er später den Friedensnobelpreis erhielt.
Der Vortrag fand am 25. Mai 2022 statt, eine Woche nach dem Erscheinen der deutschen Fassung von Krauses "Bringing Cold War Democracy to West Berlin. A Shared German-American Project" (Routledge 2019) als "Vorposten der Freiheit. Remigranten an der Macht im geteilten Berlin (1940-1972)" im Campus Verlag.