Das Judentum wird bis heute mit dem Bilderverbot assoziiert, da das Verbot der Gottesdarstellung an zentraler Stelle unter den Zehn Geboten steht und mehrfach in der Bibel wiederholt wird. Immer wieder beklagen die Propheten Israels Abgötterei und Götzendienst in Form der Bilderverehrung, die Idolatrie wird Hurerei gleichgesetzt. Zur Strafe wird das ungetreue Israel heimgesucht, der Tempel zerstört und das Volk ins Exil gezwungen. Damit wird die Einhaltung bzw. Übertretung des Bilderverbotes bereits von der Bibel als zentrales Movens der Geschichte des jüdischen Volkes definiert; das Narrativ überdauert die Antike und prägt auch mittelalterlich jüdisches Selbstverständnis. In den deutschsprachigen, sogenannten aschkenasischen Gemeinden werden Pogrome und Verfolgungen der Kreuzzugszeit in diese biblische Tradition gestellt und als Strafe für die Sünde der Idolatrie interpretiert, die mit der Verehrung der goldenen Kalbes bereits vor dem Einzug in das Land Kanaan begonnen hätte und dem jüdischen Volk letztlich die Knechtschaft der Diaspora eingebracht habe. Die Furcht vor dem „Sündenfall“ der Idolatrie, oftmals ausgelöst durch die (Zwangs-)Konversion, bestimmt auch die gleichzeitige rabbinische Diskussion, insbesondere der sogenannten Weisen von Aschkenas (Haside`Aschkenas), die eine rigorosen Abstinenz von jeglicher Bildlichkeit fordern, selbst von der Mikrografie, eine aus winzigen Buchstaben geformte, charakteristisch jüdische Form der Buchillustration.
Zeitgleich mit diesen Forderungen entwickelt sich nichts desto trotz eine aufwendige Buchillumination, die figürliche Darstellungen nicht scheut und sich sogar gezielt christlicher Ikonografie bedient, die Darstellung des Menschenantlitzes ausgenommen. Bis heute ist das Nebeneinander von rabbinischer Verbotsdiskussion und gleichzeitiger Nutzung illuminierter Gebetsbücher in teilweise ein und derselben Gemeinde ein Enigma jüdischer Kunstforschung. Oftmals wird auf die Erklärung des Rabbi Meir von Rothenburg verwiesen, der das Bilderverbot auf die Gottesdarstellung und die Gottesebenbildlichkeit beschränkt sehen will, aber nicht jeglichen Bilderschmuck verbietet. Neufunde wie in Zürich und Erfurt deuten darauf hin, dass im mittelalterlichen Judentum sehr wohl Bilderschmuck zumal im säkularen Wohnbereich als Zeichen sozialen Prestiges geschätzt wurde und dass aufwendig dekorierte Manuskripte womöglich ähnlichen Zwecken dienten. Darüber hinaus aber scheint ihre komplexe Ikonografie oftmals von zeitgleicher christlich-jüdischer Auseinandersetzung bestimmt. In der bewussten Inversion christlicher Bildbotschaften scheint eine neue Form jüdischer Selbstbehauptung angesichts zunehmender Verfolgung auf. Christlicher Bildargumentation wird im gleichen Medium geantwortet, nur richten sich die Antworten nicht an ein christliches Publikum, sondern dienen innerjüdischer Selbstvergewisserung. Einblicke in all dies liefert Annette Weber in ihrem Vortrag.
Die nächste Veranstaltung findet am Dienstag, 3. Mai, statt. Dr. Anna-Katharina Rieger aus Erfurt spricht dann zum Thema: „Wann ist ein Bild ein Bild? Anthropomorphe und anikonische Götterbilder im griechisch-römischen Mittelmeerraum“.
Nähere Informationen unter: www.uni-erfurt.de/ringvorlesungen.
(Pressemitteilung 37-2016 vom 19. April 2016)