Durch die Jahrhunderte haben Kirchenleitungen und Klerus versucht, Liturgie für die Gläubigen zu erklären. Die Motive dafür fielen von Jahrhundert zu Jahrhundert unterschiedlich aus. Die Vertiefung und Formierung religiöser Praxis, die Förderung einer bestimmten, kirchlich reglementierten Frömmigkeit, die Ermöglichung einer intensiveren Teilnahme der Laien an der Liturgie werden in Studien immer wieder genannt. Das neue Forschungsprojekt untersucht im Rahmen des Theologischen Forschungskollegs eine bislang nicht berücksichtigte Quellengruppe. Dabei handelt es sich um für „Laien“ verfasste kleine Liturgiken aus der Mitte und dem späten 19. Jahrhundert. Die Bücher sind einfach strukturiert und allgemeinverständlich geschrieben. Sie sollten durch die Erschließung der Liturgiefeiern und ihrer Theologie die Bindung der Kirchenmitglieder an die Kirche und eine intensive liturgische Praxis fördern. Dafür wurden zum Beispiel lateinische Texte ins Deutsche übersetzt und kommentiert. Die Bücher können als Versuch verstanden werden, Abbrüchen in der innerkirchlichen Praxis und einer nur temporären Beteiligung am Gottesdienst der Kirche entgegenzuwirken. Das Projekt wird untersuchen, wer Verfasser und Adressaten dieser Bücher waren und in welchem Umfeld die Bücher entstanden sind. Was sind die Intentionen der Autoren der Bücher, allesamt Kleriker, mit Blick auf die Leserinnen und Leser gewesen? Welche theologischen Vorstellungen von Liturgie und Kirche lassen sich ihnen entnehmen? Vermutlich sollten die Gläubigen auf ein bestimmtes, zeitspezifisches Verständnis der Liturgie eingeschworen werden, sollte die Beziehung zur Liturgie in einer Zeit großer Umbrüche (Industrialisierung, Kulturkampf etc.) gefestigt und der Distanzierung einzelner Bevölkerungsgruppen von Kirche und Gottesdienst entgegengearbeitet werden. Aber auch die Beteiligung der Gläubigen an der klerikal dominierten Liturgie sollte verbessert werden. „Diese Quellengruppe hat bislang in der Forschung keine Beachtung gefunden, obwohl sich gerade an ihr feststellen lässt, was Theologen und Kirchenleitungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Wissenskanon mit Blick auf den Gottesdienst für wichtig erachteten“, sagt Professor Kranemann. Es lässt sich an ihr ablesen, wie man sich innere und äußere Teilnahme der Gläubigen vorstellte und wie Bildung in Fragen des Gottesdienstes lange vor der Liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts aussah: So können die kleinen Liturgiken als Teil einer religiösen Bildungsinitiative gelesen werden.