Das Projekt fragt nach einer grundlegenden Denkfigur in der modernen Konzeption des Subjekts: nach der Unverfügbarkeit eines konstitutiven Teils des Selbst. In der Geschichte der Psychologie hat diese Denkfigur in besonders prominenter Weise die Gestalt des Unbewussten angenommen, aber keineswegs nur diese; die Unverfügbarkeit des Selbst hat insofern eine Geschichte. Diese Geschichte will das Projekt zu ähnlichen Figuren in drei Wissensdisziplinen in Beziehung setzen, die das Subjekt als kollektives denken (können): Soziologie, Ethnologie und Kulturwissenschaften. Denn auch hier – beispielsweise im Phänomen der Masse – werden Subjekte beschrieben, die ihrer selbst nicht Herr sind.
Ausgangsprämisse des Projekts ist, dass die Wissensgeschichten individueller Subjekte einerseits und kollektiver Subjekte andererseits miteinander verknüpft sind. Dies lässt sich an den Interrelationen der Psychologie mit jeder der drei ‚Kollektivwissenschaften‘ nachvollziehen: Zwischen Psychologie und Soziologie stellt sich die Frage, ob Kollektivsubjekte mit psychologischen Kriterien beschrieben werden können und woran ihre Selbstregierung ggf. scheitert; zwischen Psychologie und Ethnologie die Frage, inwiefern in der Psyche ein zivilisationsgeschichtlich Früheres nachlebt und welche Bedeutung das für ‚moderne‘ Kollektive hat; zwischen Psychologie und Kulturwissenschaften schließlich die Frage, inwiefern Kollektive einen Selbstausdruck haben, über den sie weder individuell noch gemeinschaftlich Rechenschaft ablegen können.
Die zweite zentrale Annahme lautet, dass diese interrelationale Wissensgeschichte nicht nur eine der genannten Disziplinen, sondern zugleich eine literarische ist. Denn Literatur geht nicht nur eklektisch mit verschiedenen Wissensfeldern um, deren Zusammenhänge sie so intensiviert. Gerade in literarischen Texten können Kollektivsubjekte auch in einer Weise dargestellt werden, die deren Erfahrbarkeitsdimension, damit aber auch deren psychologische Implikationen in den Vordergrund stellt, die sie im gleichen Zuge nuanciert. Deshalb bedarf dieses Thema eines gleichermaßen wissensgeschichtlichen wie literaturwissenschaftlichen Zugangs.
Verfolgt werden soll auf diese Weise die These, dass die Denkfigur des unverfügbaren Selbst wissensgeschichtlich eine variationsreiche Konstante darstellt. Deren historische Ausformungen und Verschiebungen will das Netzwerk nachzeichnen und so einen noch ungeschriebenen Teil der Geschichte des Subjekts zur Darstellung bringen.