Obwohl das Bewusstsein für die Klimakrise und Umweltprobleme in den vergangenen Jahrzehnten in der deutschen Bevölkerung gewachsen ist, vollzog sich der Umstieg von fossilen Energiequellen auf erneuerbare Energie (wie Wind- und Wasserkraft, Solarenergie) nicht in demselben Ausmaß. Um zu erklären, warum Menschen trotz vorhandenen Umweltbewusstseins nicht auf „Ökostrom“ umsteigen, haben Robert Neumann und Guido Mehlkop in ihrer Untersuchung Daten von insgesamt 3.445 Menschen aus einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland ausgewertet. Die Menschen wurden zu insgesamt fünf Zeitpunkten zwischen 2015 und 2019 gefragt, ob sie Ökostrom nutzen bzw. nutzen wollen, zudem wurden die Stärke des Umweltbewusstseins der Befragten gemessen, ob Freunde und Familie die Nutzung von Ökostrom erwarten sowie Alter, Geschlecht und Einkommen der befragten Personen.
Ganz besonders haben sich Neumann und Mehlkop dabei für sogenannte „Neutralisierungen“ interessiert, also Strategien, das eigene Gewissen zu beruhigen, auch wenn man etwas getan hat, von dem man weiß, dass es nicht richtig ist. In Bezug auf umweltrelevantes Handeln kann man etwa sein schlechtes Gewissen dadurch beruhigen, dass man sich umweltgerechtes Handeln nicht leisten kann, weil man das Geld für das Wohl der Familie braucht oder dass die Umweltzerstörung sowieso nicht aufzuhalten ist, egal wie man selbst handelt. Solche Neutralisierungen werden im sozialen Umfeld erlernt und müssen zur Situation passen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen, die solche Neutralisierungsstrategien zur Verfügung haben, statistisch signifikant seltener zu Ökostrom wechseln und dass diese Neutralisierungen nicht nur das eigene „schlechte Gewissen“ beruhigen, sondern auch gegen Erwartungen des sozialen Umfelds, wie den Freunden und der Familie „immun machen“. Diese Effekte sind übrigens viel stärker als der Einfluss des Einkommens, der gar nicht signifikant war. Oder anders ausgedrückt: Ob man Ökostrom bezieht oder nicht, ist keine Frage des Einkommens, sondern der Einstellungen. Guido Mehlkop: "Die Ergebnisse unserer Studie sind ein weiteres Puzzleteil zur Erklärung, warum es uns oft so schwer fällt, unser Verhalten zu ändern."
Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag im Forschungsblog "WortMelder"!