Neue Studie: Welchen Einfluss haben Impfempfehlungen auf das individuelle Impfverhalten?

Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes interdisziplinäres Forscherteam um Robert Böhm (RWTH Aachen) und Privatdozentin Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt hat erstmals systematisch in untersucht, welchen Einfluss Impfempfehlungen auf das individuelle Impfverhalten haben und welche gesellschaftlichen Konsequenzen unterschiedliche Impfempfehlungen haben können. Ihre Studie wird in der renommierten Zeitschrift Health Economics erscheinen.

PD Dr. Cornelia Betsch
PD Dr. Cornelia Betsch

Grippe wird oft unterschätzt: Jährlich sterben weltweit 250.000 bis 500.000 Menschen an schwerwiegenden Grippeerkrankungen. Insbesondere Risikogruppen wie ältere Menschen, schwangere Frauen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen sind für schwerwiegende Krankheitsverläufe gefährdet. Die jährliche Impfung gegen saisonale Grippe gilt als eine der effektivsten präventiven Maßnahmen gegen die Grippeerkrankung. Allerdings variieren die Empfehlungen für Grippeimpfungen sehr stark zwischen Ländern: Während in Deutschland und anderen Ländern die Grippeimpfung nur für Risikogruppen empfohlen ist, gelten in anderen Ländern wie den USA universelle Impfempfehlungen – also eine Empfehlung für alle Menschen. „Bislang war jedoch unklar, welchen Einfluss solche Empfehlungen auf das individuelle Impfverhalten haben und welche gesellschaftlichen Konsequenzen unterschiedliche Impfempfehlungen haben können“, erklärt Juniorprofessor Dr. Robert Böhm. Zusammen mit Dr. Cornelia Betsch ist er dieser Frage nun nachgegangen.

In einem kontrollierten Laborexperiment mit fast 300 Teilnehmern wurden im Rahmen der Studie wiederholte Impfentscheidungen simuliert. Dies entspricht der Grippeimpfung. Den Teilnehmern wurde dabei entweder die Rolle eines Hoch- oder Niedrigrisiko-Patienten zugewiesen. Hochrisiko-Patienten konnten durch eine Erkrankung im Experiment mehr Geld verlieren als Niedrigrisiko-Patienten. Nun gab es drei Gruppen mit unterschiedlichen Impfempfehlungen: entweder wurde allen Teilnehmern die Impfung empfohlen (wie in den USA), nur den Hochrisiko-Patienten (wie in Deutschland) oder es wurden gar keine explizite Impfempfehlung ausgesprochen (Kontrollgruppe).

Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass Menschen sehr sensibel auf Impfempfehlungen reagieren und diese befolgen. So war die Impfbereitschaft der Hochrisiko-Patienten am höchsten, wenn die Impfung nur ihrer Gruppe empfohlen wurde. Allerdings zeigte sich auch, dass Niedrigrisiko-Patienten weniger bereit waren zu impfen, wenn es nur eine Empfehlung für Hochrisiko-Patienten gab. Die Impfrate von Niedrigrisiko-Patienten war in diesem Fall sogar geringer, als wenn es für niemanden eine Impfempfehlung gab. Insgesamt war die Impfrate der Gesamtgruppe am höchsten, wenn es eine allgemeine Impfempfehlung gab.

„Damit zeigt die Studie ein wichtiges Dilemma auf, vor dem nationale Gesundheitsorganisationen stehen“, sagt Dr. Cornelia Betsch: „Wenn Hochrisikogruppen effektiv geschützt werden sollen, ist eine spezifische Empfehlung für diese Risikogruppe ratsam. Diese geht aber zulasten des Impfschutzes der Gesamtbevölkerung. Abzuwägen ist jedoch, wie sinnvoll eine generelle Steigerung der Impfrate in der Gesamtbevölkerung ist, damit Hochrisiko-Patienten indirekt durch den Gemeinschaftsschutz (Herdenimmunität) geschützt werden können.


Studie: Böhm, R., Meier, N. W., Betsch, C., & Korn, L. (im Druck). Behavioural consequences of vaccination recommendations: An experimental analysis. Health Economics.