Mit dem "diffraktiven Lesen" ist eine Interpretations- und Analysemethode gemeint, die dieser Tatsache Rechnung trägt. "Gelesen" werden in diesem Zusammenhang nicht nur Bücher, Filme und andere Medien, sondern auch der Baikalsee oder das menschliche Genom. Diffractive Reading ist auf kultur- und naturwissenschaftliche Phänomene gleichermaßen anwendbar und theoretisiert, wie Lesen die Welt verändern kann, im Guten wie im Problematischen: Lesen ermöglicht uns, menschliches Handeln in Gesellschaft, Kultur und außermenschlicher Natur zu reflektieren und zu kritisieren. Das menschliche Genom "auszulesen", bedeutet aber automatisch auch, es modifizieren zu können und damit die Natur massiv zu beeinflussen.
Der Band umfasst neben einer theoretischen Fundierung des diffraktiven Lesens eine ganze Reihe von Anwendungen der Methode auf Romane (etwa von J.R.R. Tolkien oder Siri Hustvedt), auf Filme, die Musik von U2 oder das User-Portal Stack Overflow. Andere Beiträge, die das diffractive reading der Natur thematisieren, unterwerfen diese menschliche Einflussnahme einem kritischen Blick und bieten zugleich Beispiele behutsamerer Lektüre des menschlichen Körpers und der Umwelt.
Der Band verbindet geistes- und naturwissenschaftliche Interessen und Methoden auf intensive Weise und ist zugleich ein wichtiger literaturwissenschaftlicher Beitrag zum Anthropozän als Phänomen und Diskussionsgegenstand. Hervorgegangen ist er aus Workshops und einem internationalen call for articles des Erfurter Netzwerk zum Neuen Materialimus (ENNM), das Kai Merten, Professor für neuere Englische Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt, leitet. Das Buch ist bei Rowman & Littlefield erschienen, einem für aktuelle wissenschaftliche Diskussionen einschlägigen Londoner Verlag. Insgesamt stellt der Band die Erfurter Literaturwissenschaft in einen globalen, international stark wahrgenommenen Diskussionszusammenhang.