Über Deutschlands koloniale Geschichte wird in jüngster Zeit heftig debattiert. Es geht um kolonial belastete Straßennamen, um die Bestände von Museen und die Frage nach dem kulturellen Erbe insgesamt. Im Mittelpunkt stehen ehemalige Kolonien in Afrika wie das heutige Tansania und Namibia. Doch muss die Perspektive sowohl zeitlich als auch räumlich erweitert werden. Der deutsche Kolonialismus begann nicht erst 1884 mit der Berliner Kongokonferenz, sondern bereits im frühen 16. Jahrhundert mit den Aktivitäten der Handelshäuser der Fugger und Welser in Lateinamerika. Und er fand keineswegs nur jenseits des Salzwassers statt. Auch die deutschen Expansionsbestrebungen in Richtung Osten (Polen) sowie in Richtung Südosteuropa und Osmanisches Reich hatten eine koloniale bzw. imperiale Dimension. Mark Terkessidis, renommierter Migrations- und Rassismusforscher, schlägt für die Geschichte des deutschen Kolonialismus einen größeren Rahmen vor. Nur so werden die Position Deutschlands in der Welt sowie aktuelle Migrations- und Fluchtbewegungen verständlich. In einer globalisierten Gesellschaft muss sich der Raum der Erinnerung demokratisch erweitern.
Terkessidis ist freier Autor und hat u. a. für taz, Tagesspiegel, Die Zeit und Süddeutsche Zeitung geschrieben sowie Radiobeiträge für den Deutschlandfunk verfasst und im WDR-Radio moderiert. Er wurde über die Banalität des Rassismus und unterrichtete an den Universitäten Köln, Rotterdam und St. Gallen promoviert. Zuletzt veröffentlichte er Interkultur (2010), Kollaboration (2015) und Nach der Flucht (2017).