"Die Willy Brandt School of Public Policy ist tief bestürzt ob der Ereignisse in Afghanistan. Seit 2006 bilden wir regelmäßig Studierende aus dem Land aus, zumeist gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Sie erwarben im Master of Public Policy Programm das politische Handwerkszeug und die Expertise, um beim Aufbau ihres Landes mitzuhelfen. Wir zählen mittlerweile an die 50 Alumni, die beispielsweise im Dienste der Regierung, als Politiker*innen, Wissenschaftler*innen oder als Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen tätig sind.
Mit dem Sieg der Taliban schweben die Menschen, die im Rahmen der Ausbildungsprogramme gefördert wurden, und ihre Familien in akuter Lebensgefahr. Das Erreichte ist zerstört. Hochschulbildung findet absehbar im Land nicht mehr statt. Mit der Ausbildung von afghanischen Fachkräften – besonders im politischen Bereich – hat sich die Bundesrepublik einer wichtigen Aufgabe im Sinne ihrer demokratischen, humanistischen und freiheitlichen Werte angenommen. Die Bundesregierung muss nun deutlich machen, dass sie weiter zu ihren Werten steht und Verantwortung übernimmt. Es bedarf daher folgender Schritte, um kurz- und langfristig diesem Auftrag nachzukommen.
Erstens sollte Absolvent*Innen aus Programmen wie unserem Master of Public Policy, sowie deren dadurch ebenso bedrohten erweiterten Familien, unbürokratisch und schnell die Ausreise aus Afghanistan und die Einreise nach Deutschland ermöglicht werden. Der DAAD leistet dankenswerterweise bereits Unterstützung in diesem Anliegen. Allerdings zeigen die Ereignisse der vergangenen Tage, dass es sofortiger Maßnahmen bedarf und neben den Absolventen und ihrer Kernfamilie auch deren Geschwister und Eltern durch die Verbindung zum Studienprogramm des Familienmitglieds in akuter Gefahr sind. Wir fordern das Auswärtige Amt auf, umfassende Unterstützung zu leisten, bevor die neue Regierung in Kabul Fakten schafft.
Zweitens bedarf es der Ad-Hoc-Unterstützung für afghanische Staatsbürger in besonders gefährdeten Berufen. An der Brandt School stoßen wir daher ein 'Policy Experts at Risk' (PExaR) Programm an, das Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, und Mitarbeiter*innen von deutschen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen eine temporäre institutionelle Anbindung gibt. Dies erlaubt ihre für Afghanistan wichtige Expertise weiter verfügbar zu halten, ihnen eine Plattform für ihre Arbeit zu geben und ihnen eine kurzfristige professionelle Perspektive in Deutschland zu eröffnen. Das PExaR Programm soll mittelfristig auch ausgewählten Policy Experten aus anderen Krisenländern zur Verfügung stehen. Wir bitten das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zu diesem Zwecke die Brandt School strukturell zu unterstützen.
Leider sind die jüngsten Ereignisse in Afghanistan kein Einzelfall. Erst im Februar entstand in Myanmar durch einen Militärputsch eine ähnliche Lage. Daher scheint es uns, drittens, notwendig, nachhaltige Instrumente zu entwickeln, um Menschen aus Krisenländern Bildung im Sinne der Aufklärung und modernen Wissenschaft anbieten zu können. Im Falle Afghanistans wird es mithin darum gehen, den Universitäten des Landes eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, die das Taliban-Regime überdauert. Wir fordern daher die deutschen Universitäten auf, ausländischen Partner*innen als 'Universities in Exile' eine Plattform zu bieten, um auch aus dem Exil Bildungsangebote zu entwickeln, und Forschung zu betreiben.
Deutschlands Bildungssystem und gerade das Hochschulwesen ist auf Inklusion und Teilhabe ausgerichtet. Der Digitalisierungsschub in der Hochschullandschaft des vergangenen Jahres bietet zudem eine Vielzahl von Möglichkeiten. Neben den genannten Ministerien ist hier auch die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, die sich einer freien Welt verschrieben haben. Mit solchen Plattformen kann in Krisenländern eine kritische Masse an Bildung und Wissen erzeugt werden, um das 'wissenschaftliche Gedächtnis' zu sichern und langfristig für die Stabilität dieser Länder einen veritablen Beitrag zu leisten.
Die Brandt School wird ihr Möglichstes leisten, für unsere afghanischen Alumni, Kolleg*innen und Peers. Wir appellieren an die Bundesregierung, über die kurzfristige Rettung gefährdeter Menschen hinaus den skizzierten Weg zu gehen um langfristige, (aus)bildungsorientierte Instrumente für Krisenprävention und -bewältigung zu entwickeln. Dies ist nicht nur eine humanitäre Aufgabe. Es ist das aufgeklärte Selbstinteresse der führenden wirtschaftlichen und politischen Nation Europas."