Am 21. September 1919 hielt der aus dem heutigen Tansania stammende Kishwahili-Lektor Mdachi ("der Deutsche") bin Sharifu im Erfurter Kaisersaal einen Vortrag über "Unsere koloniale Vergangenheit". Eingeladen hatten ihn die Deutsche Friedensgesellschaft und der pazifistische Bund Neues Vaterland. Schon der Titel des Vortrags war eine Provokation. Mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages Ende Juni 1919 hatte das Deutsche Reich seine Kolonien verloren. "Unsere koloniale Vergangenheit" bekräftigt gegenüber demaufkommenden Kolonialrevisionismus das Ende der deutschen Expansionsbestrebungen. Entsprechend gespalten fiel die Reaktion der Erfurter Presse aus: Die links-sozialdemokratische Tribüne berichtete wohlwollend: "In einem überraschend guten Vortrage", heißt es mit paternalistischem Einschlag, habe Sharifu seinem Publikum "Kunde von der oft recht unmenschlichen Behandlung" gegeben, "die die Eingeborenen Deutsch-Ostafrikas von den deutschen Beamten und weißen Kolonisten erfahren haben." Dagegen zeigte sich die deutschnationale Thüringer Allgemeine Zeitung empört über die "Anwürfe des Schwarzen gegen die
Weißen, und insbesondere gegen uns Deutsche".
Sharifus Erfurter Vortrag war Teil einer Rundreise, die ihn im Sommer 1919 neben mehreren Vorträgen in Berlin auch nach Hamburg und Cottbus führte. Kurz vor Abschluss der Versailler Friedensverhandlungen hatte Sharifu eine Petition unterzeichnet, die vom Berliner U-Bahn-Zugführer Martin Dibobe initiiert worden war. Die Petition, die sich an die Weimarer Nationalversammlung richtete, forderte "Gleichberechtigung" für alle Afrodeutschen — und zwar im gesamten Reich, das heißt sowohl in den Kolonien als auch auf europäischem Boden. Die Ausstellung "Breaking the Silence — Der Zorn des Mdachi bin Sharifu" von Berlin Postkolonial macht diese Zusammenhänge sichtbar und entreißt den frühen afrodeutschen Aktivismus dem Vergessen. Ausgehend von ausgewählten Original-Fotografien aus der Sammlung des Plantagen-besitzers Karl Vieweg, die die Botschaft Tansanias zur Verfügung gestellt hat, dekonstruiert sie den langlebigen Mythos von der Loyalität der Kolonisierten zum deutschen Kaiserreich.
Das Programm der Veranstaltungsreihe entnehmen Sie bitte dem Flyer auf der Website der Initiative "Decolonize Erfurt".