Geleitet wird das Seminar von Michael Haspel, der von der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland an die Universität Erfurt abgeordnet wurde und hier im Rahmen der Forschungsstelle „Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht“ am Martin-Luther-Institut mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie forscht und lehrt. In seinem Seminar hilft der ehemalige Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen nun Studierenden der Evangelischen Religionslehre, komplexe religiöse Zusammenhänge sprachlich zu erforschen, zu bearbeiten und so anderen Zielgruppen zugänglich zu machen.
Es sind vielfältige Themen und große Worte wie die Sintflut, die Gnade Gottes, das Erntedankfest, die Hoffnung am Kreuz oder die christliche Liebe, die sich die Studierenden in Professor Haspels Seminar herausgesucht haben. Mittels elementarer Sprache möchten sie sie in Kommunikationsmittel übersetzen, die mindestens genauso vielfältig sind: in einem Beitrag für den Poetry Slam, in Social Media Posts, in kindgerechte Geschichten mit Bild und Text, in Texte in Leichter Sprache, in eine Graphic Novel oder einen Radiobeitrag zum Beispiel. Trotz der Themen- und Medienvielfalt geht allen Seminarprojekten zunächst jedoch der gleiche, dreistufige Prozess voraus, den die Studierenden im Seminar durchgehen. „Zuerst geht es darum, die ‚Großen Worte‘ zu verstehen. Wir erarbeiten also den Begriff auf theologischer Ebene“, erläutert Haspel. Anschließend – und das war für die meisten Studierenden das Schwierigste – versucht die Seminargruppe, den Begriff zu elementarisieren. Das heißt, zu seiner strukturellen Ebene vorzudringen und zu versuchen, einen Bezug zum Hier und Jetzt herzustellen. „Wir möchten dabei erarbeiten, was das Ganze denn eigentlich mit den Menschen heute zu tun hat. Diese Erörterung ist ein wirklich interessanter Prozess. Die Seminarteilnehmer studieren zwar alle Evangelische Religion im Nebenfach, aber die Hauptfächer unterscheiden sich. Dadurch kommen ganz unterschiedliche Perspektiven auf, die eine Diskussion darüber befruchten. So finden wir gemeinsam den Kern dieser Konzepte und die Grundlage für ihre mediale Umsetzung.“ Beim Thema Erntedankfest, zu dem drei Studentinnen einen Text für Kinder im Alter von sieben bis zehn erarbeitet haben, wurden im Seminar beispielsweise erst einmal alle Bräuche beschrieben, historisch erschlossen und dann gefragt, was sie heute in einer Zeit, in der die meisten Kinder gar nicht mehr die unmittelbare Erfahrung von Landwirtschaft und Ernte haben, noch bedeuten. „Hier liegt die Struktur darin, das ganze Leben als Gabe zu verstehen und nichts, was das Leben ausmacht, als selbstverständlich anzusehen. Dankbarkeit und das Teilen mit anderen sind so die zentralen Themen der Geschichte geworden“, sagt der Professor. Dieser Übersetzungsprozess in das selbstgewählte Medium ist die dritte Stufe des Seminars, in der die Teilnehmer relativ frei arbeiten können. Damit sie zunächst jedoch ein Verständnis für die elementare Sprache, die ihren Arbeiten zugrunde liegen soll, aufbauen, wurden die Projektanden vom Büro für Leichte Sprache des Christlichen Jugenddorfs (CJD) zu einem Workshop mit einem sogenannten ‚Prüfer‘ eingeladen, der selbst oft mit Verständnisproblemen kämpft. Er schilderte den Studierenden seinen Alltag und machte ihnen noch einmal bewusst, wie wichtig einfache Sprache für ihn und andere mit eingeschränkten Fähigkeiten zu lesen und zu verstehen ist, um am normalen Alltag teilzuhaben. „Das war eine sehr authentische Lernsituation. Ich kann den Studierenden ja zehnmal sagen, wie wichtig das ist. Es von einem Betroffenen selbst zu hören, ist viel einprägsamer. Und uns allen wurde dabei bewusst, dass es nicht nur Menschen mit Lernbehinderung betrifft, sondern auch Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die Aufgrund von Krankheit oder Alter eingeschränkt sind. Da sind wir bei einem recht hohen Prozentsatz der Bevölkerung und somit ist die einfache Sprache für den Bildungsbereich und für die öffentliche Infrastruktur hochrelevant.“
Der Frage, mit welchen Medien anderen die Chance gegeben werden kann, an Kommunikation teilzunehmen und vor sie Ausgrenzung zu bewahren, war deshalb zentral in Haspels Seminar. Jeder der Studierenden soll mit einem eigenen, möglichst auch veröffentlichtem und der entsprechenden Zielgruppe zugänglich gemachtem Werk abschließen. Vor allem aber sollen sie mit einem geschärften Bewusstsein für die Problematik aus dem Semester gehen. „Ich finde es wichtig, dass diejenigen, die ein pädagogisches Studium absolvieren, einfache Sprache als ein Werkzeug im Instrumentenkasten mitbekommen, zumindest den Anstoß, damit reflektiert umzugehen. Egal, wohin es sie nach dem Studium verschlägt, es gibt viele Zusammenhänge in ihrem späteren Arbeitsleben, in denen dieses Instrument für sie sehr sinnvoll sein wird.“
Das sagen die Studierenden:
Toni (HF Geschichtswissenschaft, NF Evangelische Religionslehre):
„Ich finde das Seminar gut, weil ich hier auch kreativ arbeiten und etwas Produktives erstellen kann. Als Thema habe ich mir die christliche Liebe ausgesucht, das Thema par excellence also. Liebe ist neben Hoffnung und Glauben der wichtigste Aspekt des christlichen Verständnisses und bildet das theologische Fundament. Pädagogisch lässt sich das jedoch immer schwerer vermitteln, denn die Welt scheint weniger von (Nächsten-)Liebe und Mitgefühl geprägt zu sein als von Gewalt und Ungerechtigkeit. Anhand von fünf Beispielen aus dem Neuen Testament möchte ich die biblische Liebe textlich beschreiben und dazu fünf Zeichnungen anfertigen. Am schwersten fällt mir dabei bisher die Elementarisierung und die Beantwortung der Fragen: Was ist biblische Liebe überhaupt, und wie begegnet sie uns? Oder ist sie vielleicht nur eine Utopie?“
Robert (HF Erziehungswissenschaft, NF Evangelische Religionslehre):
„Ich möchte eine Geschichte über die Sintflut in kindgerechter Sprache verfassen und diese dann in einer Klasse der integrativen Schule, in der ich mein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert habe, vorstellen, das heißt: sie den Kindern vorlesen und dann mit ihnen über das Thema diskutieren. Das Schwierige daran ist einerseits das unterschiedliche Leistungsniveau der Kinder und andererseits der Inhalt, also die Frage: Wie kann ich eine Geschichte mit vielen Toten kindgerecht erzählen? Mein Ziel ist es, dass die Geschichte dann auch in der Bibliothek der Schule für alle Kinder zugänglich gemacht wird. Über das Seminar hinaus habe ich auch die Überlegung, die Geschichte noch zu einem Kinderbuch zu erweitern und sie eventuell in sogenannte Metacom-Zeichen – ein Symbolsystem zur Unterstützten Kommunikation – zu übersetzen.“
Dorina (Promotionsstudentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Martin-Luther-Institut):
„Ich schreibe gerade meine Dissertation über Sprache im Religionsunterricht, da hat mich der Seminartitel natürlich gleich angesprochen, weil er spannende Perspektiven und Anregungen für mein Forschungsthema verspricht. Ich habe mir für das Seminar einen Text aus dem Neuen Testament ausgesucht, nämlich ‚Der Zöllner Zachäus‘ aus dem Lukas-Evangelium. Diese Geschichte möchte ich in Leichte Sprache übersetzen und mit kurzen theologischen Erläuterungen in Leichter Sprache versehen. Ein ‚Prüfer‘ vom CJD wird dann beurteilen, ob ich die strengen Regeln richtig angewandt habe. Mein Ziel ist es, die Geschichte einem möglichst großen Personenkreis zugänglich zu machen, von Menschen mit Lerneinschränkungen bis hin zu Migranten. Die größte Herausforderung ist dabei, wirklich alle Regeln zu beachten. Zum Beispiel darf ich möglichst keine zusammengesetzten Substantive verwenden oder muss sie mit einem Bindestrich trennen. Das ist schwierig, aber man lernt wieder, stärker auf seine eigene Sprache zu achten.“
Friederike, Stefanie, Michele (HF Erziehungswissenschaft, NF Evangelische Religionslehre):
„Uns hat an dem Seminar gereizt, dass es explizit nicht für Lehramtsstudenten war und trotzdem den praktischen pädagogischen Zugang bietet. Wir möchten einen Artikel über das Erntedankfest verfassen – in einer einfachen Sprache für Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahre. Der Text soll dann gemeinsam mit einer Illustration im Kirchenanzeiger veröffentlicht werden. Das schwierigste war für uns der Übersetzungsprozess in die einfache Sprache, die von den Kindern auch verstanden wird. Außerdem war es schwer, zur elementaren Struktur des Begriffes vorzudringen. Insgesamt ermöglichte das Seminar, noch einmal ganz anders auf Theorien und Begriffe zu schauen, von denen man eigentlich zuvor dachte, man kennt sie. Aber in der Diskussion erschienen logische Sachen plötzlich gar nicht mehr so logisch. Das eröffnete uns einen neuen Zugang, auch zum Thema Erntedankfest.“
(Abbildung unter Verwendung einer Illustration für o.g. Geschichte zum Erntedankfest)