Holger Zaboworski ist kein Unbekannter in Erfurt: Bereits 2011 war er als Fellow am Theologischen Forschungskolleg der Universität Erfurt zu Gast. Hier forschte er zur „Begründung von Toleranz und Anerkennung“. An diese Zeit erinnert sich der Wissenschaftler gern: „Ich denke an viele Begegnungen mit Lehrenden und Studierenden, anregende Diskussionen und eine wissenschaftliche und menschliche Kultur im Forschungskolleg und an der Universität, die mich sehr beeindruckt hat. Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt.“
Der Philosoph ist ein weltoffener Mensch. Seine akademischen Wege haben ihn bereits nach England und in die USA geführt: Nach dem Studium der Philosophie, der katholischen Theologie und der klassischen Philologie in Freiburg, Basel und Cambridge wurde er 2002 an der Universität Oxford zum D. Phil. sowie 2010 an der Universität Siegen zum Dr. phil. promoviert. In Oxford und Cambridge nahm er außerdem Lehraufträge wahr, bevor er 2005 eine Professur für Philosophie an der philosophischen Fakultät der Catholic University of America in Washington, D.C. übernahm.
2012 kehrte der gebürtige Nordrhein-Westfale schließlich nach Deutschland zurück. An der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar trat er die Professur für Geschichte der Philosophie und philosophischen Ethik an. 2017 wurde Zaborowski überdies Rektor der Hochschule. Der Neubeginn in Erfurt bedeutet damit nun auch einen Abschied von Vallendar. Fehlen werden ihm dort „zum einen die besondere Atmosphäre und die Menschen, die diese Hochschule ausmachen“, sagt er, „aber inhaltlich auch das Gespräch mit der Pflegewissenschaft, die neben der Theologie in Vallendar gelehrt wird, und die mein eigenes theologisches und philosophisches Denken sehr bereichert und auch verändert hat.“
In Erfurt hofft der Philosoph, der vorwiegend zur Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zur Phänomenologie, Ethik und Religionsphilosophie forscht, neue Gesprächs- und Kooperationspartner zu finden. An der theologischen Fakultät möchte er eine Forschungsstelle zur Phänomenologie aufbauen und dabei u. a. das Denken Martin Heideggers und das Werk Eugen Finks in den Vordergrund stellen. So wird u. a. das Internationales Eugen Fink-Archiv für phänomenologische Anthropologie und Sozialphilosophie von der Universität Mainz an die Universität Erfurt umziehen. Daneben wird er insbesondere auf zwei wissenschaftliche Schwerpunkte fokussieren: die Gottesfrage und die Frage nach dem Menschen. Beide Fragen stünden in engem Bezug zueinander, seien aber auch mit benachbarten Wissenschaften stark verwoben, konstatiert der Professor. Der Philosophie komme dabei eine wichtige Brückenfunktion zu, „weil sie von der allen Menschen gemeinsamen Vernunft ausgeht und so Gespräche zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zwischen Theologie und Gesellschaft erleichtert.“
Eben jene Gespräche sind Holger Zaborowski ein großes Anliegen – und das nicht nur innerhalb der Hochschule. Neben seinen Aufgaben in Forschung und Lehre ist der Wissenstransfer ein zentraler Dreh- und Angelpunkt im Wirken des Philosophen. Seit 2015 setzte er gemeinsam mit Martin Ramb, Kulturbeauftragter im Bistum Limburg, die Veranstaltungsreihe „DENKBARES. Begegnungen mit Menschen und Büchern“ um. Was einst als ein literarisch-philosophischer Wandersalon begann, entwickelte sich im Rahmen des „Kultursommers Rheinlandpfalz“ zu einem populären Format –bestehend aus Buchvorstellungen, Autorengesprächen und Kunstausstellungen. „Angefangen hatte das alles einst in einem Restaurantkeller in Koblenz“, erinnert sich Zaborowksi. „Seither gehen wir mit dem Format gezielt an Orte jenseits der Hochschulen und Kirchen, um Menschen anzusprechen, die vielleicht Berührungsängste mit genau diesen Orten haben. Ich bin überzeugt, dass wir dafür auch in Erfurt spannende Orte finden werden.“
DENKBARES hat für Holger Zaborowski bereits vielfältige Synergien hervorgebracht. Neben der aktiven und zuweilen sehr persönlichen Begegnung mit Menschen, die stets auch Fragen für seine eigene Forschung anregen, hat die Reihe das Projekt „Koordinaten Europas“ angestoßen. Seinen Anfang nahm dieses Format 2019 mit der Veröffentlichung des Buches „Heimat Europa?“, der Frage nachgeht, wie Europa zur Heimat einer modernen und multikulturellen Gesellschaft werden könne. Je ein Exemplar davon war an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages verschickt worden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte Zaborowski und Ramb sogar zur persönlichen Übergabe des Buches nach Berlin eingeladen.
„Die große und positive Resonanz auf dieses Buch hat uns darin bestärkt, weiter an diesem Thema zu arbeiten“, beschreibt der Wissenschaftler die weitere Entwicklung des Projektes. Vor diesem Hintergrund soll es in den nächsten sechs Jahren nun je eine Buchveröffentlichung zu europarelevanten Fragen geben sowie eine begleitende, jeweils einwöchige Sommerschule für Studierende und junge Lehrende. 2020 stehen die „Koordinaten Europas“ dabei zunächst – unabhängig und doch passend zu Corona – unter dem Titelthema „Solidarität und Verantwortung“. „Es ist mir auch in Erfurt ein großes Anliegen, zu schauen, wie wir europarelevante Fragen wissenschaftlich fördern können, zum Beispiel durch Konferenzen. Aber auch, wie wir das Thema im Sinne eines Transfers in die Zivilgesellschaft bringen, damit wir nicht in einer Luftblase über Europa reden.“
Getrieben werden Zaborowskis Bemühungen um einen aktiven Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit von seiner Überzeugung, dass theologische und philosophische Fragestellungen auch jenseits der Kirchen, in politischen und gesellschaftlichen Resonanzräumen sowie in einem säkularen Kontext, wie ihn die Theologie gerade hier ihn Thüringen rahmt, von größter Bedeutung sind. Die aktuelle Corona-Krise zeige dies überdeutlich: „Wir haben eine ganze Reihe von Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, erklärt er. „Die Finanz-Krise, eine globale Gerechtigkeits-Krise und nun die Corona-Krise. Gerade solche Herausforderungen brauchen ein breites Bündnis von Menschen, denen die Würde des Menschen – gerade die Würde des Menschen in seiner Endlichkeit, die Würde des leidenden und des kranken Menschen – ein Anliegen ist.“ Die christliche Theologie und eine im Dialog mit dem Christentum entwickelte Philosophie können hier relevante Stimmen sein, sagt der Philosoph. Die gegenwärtige Situation zeige auch, dass zutiefst christliche Überzeugungen wie jene von der Würde eines jeden Menschen, in säkularen Gesellschaften wirkmächtig seien und damit dort auch von einer christlichen Theologie wissenschaftlich flankiert werden müssten.
„Mein Beruf ist ja doch eher eine Berufung“, sagt der Katholik lachend, wenn er darauf angesprochen wird, ob es jenseits von Forschung, Lehre und Wissenstransfer eigentlich auch noch andere Dinge gibt, mit denen er sich gern die Zeit vertreibt. „Vieles von dem, was ich gern tue – lesen, Kunst, Theater – steht letztendlich auch irgendwie im Zusammenhang mit meiner Forschung“, sagt er. Und dann fällt dem Vollblut-Philosophen doch noch etwas ein, wozu es ausnahmeweise weniger akademischer als genießerischer Qualitäten bedarf. „Ich koche sehr gern. Weil man da – anders als in der Forschung – doch meist sehr schnell ein sehr schönes Ergebnis direkt auf dem Teller hat.“ Doch dann erinnert Holger Zaboworski sich schmunzelnd daran, dass er ja 2007 ein Buch mit dem Titel „Essen und Trinken ist des Menschen Leben – Zugänge zu einem Grundphänomen “ herausgegeben hat. Denn so ganz ohne Wissenschaft, geht es auch hier dann doch nicht.
Bildnachweis: Prof. Dr. Holger Zaborowski (Foto: Matthias Cameran)