Die COVID-19-Pandemie hat den Menschen abverlangt, ihr Verhalten zu verändern, um die eigene Gesundheit und die der anderen zu schützen. Aktuell erfordert die Energiepreiskrise nun, dass Bürger*innen und die Industrie so viel Gas und Strom wie möglich sparen. Um solche Krisen zu bewältigen, braucht es eine Gesellschaft, die bereit ist, tiefgreifende System- und Verhaltensänderungen anzunehmen. Politik und öffentliche Verwaltung stehen dabei vor der Aufgabe, wirksame politische Rahmenbedingungen für den Klima- und Umweltschutz zu schaffen.
„Klima- und Umweltschutzmaßnahmen sind nur eingeschränkt wirksam, wenn sie unzureichend erklärt werden, wenn die öffentliche Unterstützung fehlt oder wenn sie Bürger*innen vor besondere Hürden stellen“, erläutert Dr. Mirjam Jenny. Verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse könnten Entscheider*innen aber dabei unterstützen, klimapolitische Maßnahmen wirksamer zu gestalten. Mehr noch, eine erfolgreiche Umsetzung von Klima- und Umweltschutz hätte ebenso einen positiven Effekt auf die globale Gesundheit von Mensch und Tier. Dieser One-Health-Gedanke wird unter anderem am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) von der Gruppe um die Erfurter Psychologin Cornelia Betsch, die zugleich Leiterin der dortigen Arbeitsgruppe Gesundheitskommunikation ist, weiterverfolgt.
Damit dies gelingt, müsse die Wissenschaft verlässliche Verhaltensdaten erheben, die ein klares Bild der öffentlichen Wahrnehmung und des Klimaschutzes liefern. „Dies setzt aber voraus, dass Regierungen die Infrastruktur für solche Datenerhebungen sicherstellen“, sagt Mirjam Jenny. Darüber hinaus müssten Klimaschutzmaßnahmen aus einer Klimapolitik erwachsen, die verhaltenswissenschaftliche Perspektiven berücksichtige und kommunikativ klug begleitet werde. Nur so könnten diese Maßnahmen sinnvoll wirksam werden.
Vor diesem Hintergrund sei gerade die Verhaltensforschung international zunehmend gefragt, erklärt Cornelia Betsch. „Seit spätestens diesem Jahr empfehlen richtungsweisende internationale Gremien wie der Weltklimarat, die Vereinten Nationen (UN), die Nationalen Akademien den Wissenschaften der G7 Staaten, die WHO Europa und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die politische Maßnahmengestaltung und Kommunikation mit verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbessern.“
Die beiden Erfurter Wissenschaftlerinnen sind sich einig: „Nur Klima- und Gesundheitspolitik, die menschliches Verhalten versteht, kann durch klug gesetzte Rahmenbedingungen Verhalten wirksam verändern.“ Begleitende Kommunikationskampagnen können dabei helfen, die öffentliche Unterstützung zu erhöhen und die negativen Folgen neuer und ungewohnter – vielleicht unbeliebter – Maßnahmen abzumildern. „Dafür braucht es jedoch Strukturen, die die Erhebung und Nutzung von Verhaltensdaten unterschiedlichster Art systematisieren und deren Nutzung institutionalisieren. Denn Wissen über Klimaschutzverhalten kann nur positiv wirken, wenn die Politik es nutzt und es die Menschen erreicht.“