Frieden, Freiheit, Demokratie!
// Sergey Sistiaga – 15.12.2020
Als Mitarbeiter der Universität Erfurt habe ich mich vor der Einstellung schriftlich dazu verpflichtet, die verfassungsmäßige Ordnung, also die Grundrechte, in Wort und Tat zu verteidigen. Deshalb muss ich nicht nur als Demokrat, sondern geradezu von Berufs wegen die hier angesprochenen Vorfälle dokumentieren und zugleich verurteilen.
Im Umfeld der am 12.12.2020 verbotenen Demonstrationen in Dresden und Frankfurt am Main kam es zu verstörenden Szenen, die die Fundstücke dieses West-Windows dokumentieren wollen. Dazu sollte man wissen, dass nicht alle Demonstrationen verboten wurden, sondern nur die, wo das „Falsche“ gesagt wurde: wo nämlich die Wiederherstellung der Grundrechte in Deutschland eingefordert wurde.
Da es sich bei diesen verbotenen Worten nun um die Trias Frieden, Freiheit, Demokratie handelt, sind sie, zumal zumindest die letzten zwei zum Kernbestand westlicher Ideologie gehören, für das hiesige Forschungsprojekt über den Westen relevant. Die beiden Vorfälle werden also dokumentiert, um den Leser auf diese Vorgänge aufmerksam zu machen, da sie doch eine ziemlich rabiate Abkehr von in Rede stehenden „westlichen Werten“ andeuten, denen sich die BRD zumindest in ihrer Rhetorik gerne bedient.
Das erste Fundstück transkribiert die Ansage eines Polizeibeamten, der einen vollbesetzten Bus mit dem Ziel Dresden zur Umkehr zwingt:
„[...] die Allgemeinverfügung die Demonstrationen heute, die coronakritisch bzw. regierungskritisch sind, untersagt. Das heißt wir werden jetzt das Folgende machen: Wir werden den Bus umdrehen lassen und Sie fahren an ihren Ausgangsort zurück. Sie werden heute nicht im Bereich der Landeshauptstadt an einer Demonstration teilnehmen.“
Das zweite Fundstück ist eine transkribierte Tonaufzeichnung einer Bürgerin über ihre Erlebnisse in Frankfurt am Main am besagten Tage, an dem in Erfurt übrigens auch eine Demonstration verboten wurde:
„Genau das habe ich heute in Frankfurt erlebt, ich war auf der sogenannten Demo, bin über die Zeil gelaufen, und habe gerufen: „Widerstand und Friede, Freiheit, Demokratie“. Ein Polizist ist mir dann hinterhergelaufen, hat mich angehalten, ich hab‘ das überhaupt nicht mitbekommen, so war ich in meinem Element. Und dann hat er mir gesagt, dass ich das nicht sagen dürfte. Und dann hab‘ ich gefragt: „Was darf ich nicht sagen?“ „Ja, äh,“ sag ich, „Friede, Freiheit, Demokratie darf ich nicht sagen?“
– „Ja, genau, das sind Worte von Querdenken.“
Dann habe ich gesagt: „Ich habe mit Querdenken nichts am Hut, ich bin Selbstdenkerin und seit wann darf ich solche Worte nicht benutzen, die gehören zu unserer Demokratie.“
Ja, das dürfte ich nicht und außerdem wären mir ja Leute hinterhergelaufen und ich hätte somit angestiftet zu einer Kundgebung, die ja verboten sei.
Und dann hab‘ ich gesagt: „Ich laufe alleine, und wenn Menschen mir folgen, dann ist das deren eigene Entscheidung, denn es gibt immer Menschen, die jemanden hinterherlaufen, und das tun Sie ja auch, Sie laufen ja auch Ihrem Vorgesetzten hinterher.“
Und das war wirklich unglaublich, Leute. Ich darf in diesem Land, ich hab‘ eine Zeugin, es durfte nicht gefilmt werden, ich bin von der Polizei eingekesselt worden, es durfte nicht gefilmt werden, einer aus der Truppe, der wurde das Handy aus der Hand geschlagen, ich hab‘ aber eine Zeugin, die das mitbekommen hat, und ich würde das total gerne öffentlich machen, auch bei Markus Haintz oder sonstwo, weiß aber nicht, wie ich das öffentlich machen kann und aus diesem Grunde hab‘ ich das jetzt hier per Sprachnachricht. Bitte leitet das weiter.
Es dürfen in Deutschland die Worte „Frieden, Freiheit, Demokratie“ nicht laut gerufen werden.
Das ist faktisch jetzt eine Diktatur.“[1]
Die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung listet folgende Merkmale von Diktaturen auf:
- Eine Person, Gruppe oder Organisation hat das Machtmonopol. Eine Gewaltenteilung ist nicht gewährleistet.
- Grundrechte werden abgeschafft.
- Der gesellschaftlich-politische Pluralismus wird außer Kraft gesetzt. (Ausschaltung einer Opposition)
- Schaffung einer Einheitspartei mit Massenorganisationen.
- Eine Ideologie wird zur herrschenden und beansprucht alle Bereiche des menschlichen Lebens.
- Die Freiheit der Presse wird abgeschafft, Medien gleichgeschaltet und durch Zensur ein Informationsmonopol gesichert.
- Die Macht wird durch außergesetzliche Gewalt staatlicher und parastaatlicher Repressionsapparate abgesichert.[2]
Offenkundig ist diese Liste weder komplett noch müssen alle Punkte erfüllt sein, zumal die Kriterien offensichtlich die Nazidiktatur zum Vorbild haben. Der Leser mag indes selbst darüber nachsinnen, wo dieses Land und mit ihm fast der ganze Westen steht.[3]
Selbstdenken – damit fing einer Legende nach einstmals der Westen an.
[1] Beide hier transkribierte Mitschnitte (Video, Audio) liegen dem Verfasser vor und können bei Interesse und entsprechender technischer Möglichkeiten gerne weitergereicht werden.
[2] www.politische-bildung-brandenburg.de/lexikon/diktatur
[3] Die Anhänger der Demokratiebewegung sind übrigens „total normal“, so die Worte des die Bewegung unterstützenden Publizisten Uli Gellermann sich auf die Studie Oliver Nachtweys berufend. Hier einige Ergebnisse der leider nicht vollständig offen zugänglichen Studie in der Zusammenfassung Gellermanns: „Das Durchschnittsalter der Befragten beträgt 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbständiger ist deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Zum Wahlverhalten: Bei der letzten Bundestagswahl haben 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt. Der AfD hatten 14 Prozent ihre Stimme gegeben. Dass der bisher zugängliche Teil der Studie das Verhältnis der Querdenker zu SPD und CDU nicht ausweist, ist bedauerlich. […] In der Nachtwey-Befragung sagen 64 Prozent der Befragten, man solle Kindern nicht beibringen, auf Autoritäten zu hören. Und der Nationalsozialismus wird seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung (https://www.rationalgalerie.de/home/querdenker-total-normal).“
Die in diesem West Window geäußerten Positionen sind die individuellen
Positionen des Urhebers. Sie bringen nicht die Auffassung des Projekts
als Ganzen zum Ausdruck.