„Muslims in the West“ – Interview mit Jamal Malik
Das Projekt heißt „Muslims in the West“ – Wie ist das Wort „West“ gemeint? Hat es eher mit Politik, Kultur oder mit Geographie zu tun?
JM: Wenn wir über das Projekt „Muslims in the West“ reden, dann müssen wir in Betracht ziehen, dass es bereits seit 16 Jahren hier an der Universität besteht. Der Hintergrund dafür ist 9/11. Wir haben 2002 mit der Summerschool begonnen, also unmittelbar nach den Attentaten. Die Idee ging aus der Überlegung des deutschen Staates hervor, einen Dialog mit Muslimen zu initiieren, als Präventionsmaßnahme sozusagen. Es bot sich an, eine Summerschool zu etablieren, die weltweit singulär und inzwischen überall unter dem Label „Muslims in the West“ bekannt ist.
Der Titel der Veranstaltung war wichtig, um ganz pragmatisch an Fördergelder zu gelangen. Es war aber auch schon zu antizipieren, dass es eine Fermentierung von verschiedenen ähnlich gelagerten Problematiken auch hier im Westen gibt, die Muslime, die entweder zugewandert oder alteingesessen sind, betreffen. Also, dass es zu einer gewissen problematischen Haltung in Europa und den USA kommen würde.
Dabei ist „the West“ natürlich genauso essentialistisch gefasst, wie „the muslims“. Wir haben hier also zwei Essentialismen nebeneinandergestellt, mit denen man aber arbeiten kann. Arbeiten erst einmal deshalb, weil es darum geht, diese Essentialismen aufzudröseln, zu dekonstruieren und zu rekonstruieren. Zunächst die Muslime. Was ist überhaupt ein Muslim? Ein Thema, welches während der Summerschool diskutiert wird. Zur Summerschool werden 15 Muslime eingeladen, aus muslimischen Mehrheitsregionen und aus Minderheitsregionen und da stellt sich die Frage: „Wer bist du? Was bist du für ein Muslim, was hast du für eine Auffassung vom Islam? Das ist doch keine islamische Auffassung, etc.“
Ähnlich verhält es sich mit dem Westen. Wo hört der Westen auf, wo fängt er an? Sind Bosnien und Südosteuropa in diesem Kontext wichtig? Es gibt schließlich eine ganz große muslimische Konzentration in Südosteuropa. Das wird meist nicht gesehen, wenn man über den Westen redet. „Muslime im Westen“ ist ja sozusagen ein Topos. Man assoziiert damit in erster Linie Migranten, Arbeitsmigranten, Flüchtlinge, die scheinbar nur Probleme verursachen. Man sieht nicht, dass es inzwischen im Westen auch eine 15–20 Millionen schwere muslimische Minderheit gibt, eine Minderheit, die alteingesessen ist, die schon mehrere hundert Jahre hier lebt, weshalb man auch von einem bosnischen oder albanischen Islam redet.
Also es ist ganz klar: Der Begriff des „Westen“ ist wässrig und wird auch weiterhin verwässert. In der diesjährigen Summerschool haben wir auch Veranstaltungen zu den USA. Wie sieht denn der Islam – wenn man überhaupt von „der Islam“ sprechen kann – da aus? Der ist natürlich auch ein Teil des Westens. Der Westen ist daher kulturell gefasst, aber auch politisch und geographisch, das steckt alles in diesem Begriff, wobei man jetzt natürlich noch einmal konkreter darauf schauen muss, welche Verbindungen und Verquickungen es eigentlich zwischen „the West“ und „the Non-West“ bestehen. Wir wissen natürlich, etwa mit Kipling, dass es da extrem starke Verbindungen und Überlappungen gab und gibt.
Die Postcolonial Studies haben dazu bereits viel offengelegt. „The Orient and the Occident“ als Gegensatzpaar kann so nicht einfach stehengelassen werden. Aber diese ganzen Aspekte können wir in einer Summerschool im Einzelnen nicht aufrollen. Sie werden angesprochen, wenn es um die ersten Beziehungen zwischen Muslimen und dem Westen geht, zum Beispiel Kreuzzüge, frühe Wanderungsbewegungen oder der frühe Kolonialismus. Aber im Wesentlichen soll hier gemeint sein the West – als Europa und in diesem Zusammenhang auch Westeuropa with parts of the United States.
... parts of the United States?
JM: Ja, dort, wo die Muslime wesentliche Bestandteile der Bevölkerung bilden. Zum Beispiel an The Nation of Islam kann man das schön festmachen.
Der Film „Blackkklansman“ von Spike Lee setzt sich mit dem Thema der Black Panthers auseinander. Wird die Islamisierung von bestimmten Teilen der Black Panthers in der Summerschool behandelt?
JM: Absolut, das wird in einer der Sektionen angesprochen. In dieser geht es um Ethnizität und Islam und wird verglichen mit der Südosteuropäischen Variante und Bosnien. Sie machen das Projekt schon seit etlichen Jahren. Hat sich Ihr Umgang mit dem Begriff „West“ verändert und gehen die Teilnehmer*Innen anders damit um als am Anfang?
Sie machen das Projekt schon seit etlichen Jahren. Hat sich Ihr Umgang mit dem Begriff „West“ verändert und gehen die Teilnehmer anders damit um als am Anfang?
JM: Für mich hat sich der Begriff weiter verwässert. Einmal durch die politische und demographische Situation. Wir haben im Projekt stets mehr Nicht-Westler, die andere Traditionen mitbringen und dann diesen Westen sozusagen aufwühlen. Und von daher hat sich in der Tat auch meine Perspektive auf den Westen geändert, den ich doch am Anfang, sozusagen etwas blauäugig, hermetisch sich abgrenzend gesehen habe – was er auch immer noch gerne tut. Mittlerweile ist eine steigende religiöse Pluralität in Europa zu sehen. Einige wollen dieser positiv begegnen, andere schotten sich ab, wie zum Beispiel die AFD. In beiden Fällen verwässert der Begriff des Westens.
Würden Sie sich wünschen, dass man im Projekt eine schärfere Vorstellung vom Westen hat?
JM: Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Es war vielleicht am Anfang wichtig, diese Schärfe noch einmal zu formulieren. Aber es gibt ja auch Muslime, die nicht nur aus Mehrheitsregionen stammen, sondern auch aus Minderheitsregionen, wie Großbritannien oder Frankreich. Sie sind schon Teil zum Beispiel der britischen Nationalkultur: Der Bürgermeister von London zum Beispiel ist ein Pakistani. Demgegenüber hat der BREXIT unter anderem auf Zuwanderung reagiert.
Das heißt, diese Verwässerung nimmt auch die Form von einem Reden von Abendland wie zum Beispiel bei PEGIDA an?
JM: Solche Bewegungen nutzen die Migrationsproblematik, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Aber es lässt sich zu Recht fragen, was gerade PEGIDA in Ostdeutschland mit einem so christlichen Begriff wie „Abendland“ zu tun hat? Als Mittel für einen Abgrenzungsdiskurs hat der Islam schon lange gedient. Jüdisch-christliche Tradition – was soll das? Aber gut, das gehört zur Rhetorik, viele Leute wissen es nicht, finden es gut und glauben daran.
Hat die Wahl von US Präsident Donald Trump auch die Vorbereitung auf das Projekt beeinflusst?
JM: Nicht, dass ich wüsste. Ich habe Donald Trump in keiner Weise vor Augen gehabt, als dieses Projekt verfasst wurde.
Was ist das Thema in diesem Jahr und warum?
JM: Dieses Jahr hat die Summerschool das Thema: Reform und Reformation ausgewählt. Das passt gut hier hin, anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation im letzten Jahr. Dieser Kontext ist insofern interessant, weil wir dann dazu kommen zu überlegen, ob es denn in der islamischen Welt zeitgleich nicht auch ähnliche Bewegungen gegeben hat, die reformerisch beziehungsweise reformatorisch waren. Das öffnet noch einmal einen weiteren Bereich, hin zur Global History, indem man nicht nur, mit den Postcolonial Studies, beim 19. Jahrhundert beginnt, sondern bereits bei der Frühmoderne.
Spielt 9/11 noch eine Rolle in Ihren Diskussionen?
JM: 9/11 war unter anderem der Anlass für das Entstehen der Summerschool und spielt natürlich noch immer eine große Rolle. Denn die vielen Securitization-Maßnahmen gegenüber Muslimen werden inzwischen bis in die Universitäten hineingetragen, indem man mit vielen Geldern verschiedene Institutionen aufbaut. Die Zentren für islamische Theologien mögen Teile dieser Maßnahmen wiederspiegeln.
Publikationen, die einen ähnlichen Titel haben wie „Muslims in the West“, beziehen sich fast immer auf 9/11. Es scheint eine allgemeine Tendenz zu sein, dass man dieses Thema durch 9/11 viel schärfer vor Augen hat.
JM: Viel schärfer natürlich dadurch, weil ein Angstszenario aufgebaut wird, ein Distinktions- und Veränderungsdiskurs – wichtig für die eigene Identität. Dies soll das sogenannte „europäische Profil“ schärfen. Jetzt, wo auch Europa auseinanderbricht, wird es noch viel wichtiger, das eigene Ich zu suchen. In diesem Prozess scheint 9/11 auch für Europa von extrem wichtiger Bedeutung zu sein.
Kommentieren Sie bitte folgende Formulierung aus dem Buch „Muslims in the West since 9/11“.
„Since 9/11, and particularly since the Madrid and London bombings of 2004 and 2005, the Muslim presence in Europe and the United States has become a major political concern. Many have raised questions regarding potential links between Western Muslims, radical Islam, and terrorism. Whatever the justification of such concerns, it is insufficient to address the subject of Muslims in the West from an exclusively counter-terrorist perspective.”
JM: Das ist nicht nur insufficient, sondern es ist auch falsch. Natürlich gibt es diese chaotischen Vorkommen, aber diese beziehen sich nun wirklich auf einen kleinen Teil der muslimischen Bevölkerung, die meist auch Diskriminierungs-und Marginalisierungserfahrungen gemacht hat. Die Attentäter nutzen spektakuläre Aktionen, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Um dies noch etwas provokatorisch zuzuspitzen: Durch die Verfolgung im Antisemitismus der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts, wurden die Juden oft dazu gezwungen, sich erst als Juden wahrzunehmen, weil sie eben als solche verfolgt wurden. Ist eine ähnliche Tendenz bei Muslimen nach 9/11 festzustellen?
JM: Es gibt natürlich dieses „Othering“, diese „Veranderungsprozesse“. Diese Exotisierungen nehmen viele Muslime auch an und selbst-exotisieren sich – mit Schleier und Bart. Der Islam ist zum Feindbild geworden, dies hat es in der Form vor zehn oder zwanzig Jahren noch nicht gegeben. Und so viele Schleier gibt es noch nicht einmal in den muslimischen Mehrheitsregionen. Dieses zur-eigenen-Biographie-Machen dieser Fremdbilder ist eine Reaktion darauf.
Findet sich bei Frauen eher die Tendenz, sich zum Islam zu bekennen und zeigt sich das auch in der Arbeit im Projekt und im Gespräch mit den Teilnehmern?
JM: Man könnte den Eindruck haben, Frauen hätten andere Vorstellungen vom Islam, eine eher häusliche, kulturell behaftete Vorstellung. Männer hingegen neigen eher zu dem etwas Puritanischen, Strengeren – also bekannte Rollenerwartungen. Interessanterweise gibt es, was den Schleier angeht, jetzt so etwas wie einen Global Schleier. Es hat sich diesbezüglich eine bestimmte Mode durchgesetzt, es gibt auch eine „Halal-Ökonomie“. Das wäre sozusagen eine Gegenglobalisierung oder eine parallele Globalisierung. Natürlich alles highly neo-liberal.
Im Jahr nach 9/11 erschien das Buch „Muslims in the West: From Sojourners to Citizens“ mit Fallstudien zu diversen europäischen Ländern und einem zweiten Teil zu Amerika, in dem man das Kapitel „Muslims in American Public Life“ findet. Dort heißt es: „Several Muslim public affairs groups have emerged locally and nationally since the early 1990s, working to defend Muslims against discrimination and defamation, to give them a voice in the public arena, and to represent their needs before governmental and nongovernmental bodies.” Arbeiten Sie mit solchen NGOs zusammen?
JM: Wir bieten in der Summerschool neben den vielen intra-muros Aktivitäten auch regelmäßige Exkursionen an, wie zum Beispiel nach Berlin, wo wir mit den Studierenden nach Kreuzberg fahren und auch dort wohnen, damit sie sehen, wie muslimisches Leben in der Diaspora funktioniert. In diesem Kontext suchen wir auch Faith Based Organisations auf um zu erfahren, was und wie diese arbeiten. Dies sind wichtige Eindrücke für die Summerschoolteilnehmer. Genauso ist es wichtig zu erfahren, wie Deutsche mit ihrer eigenen Historie umgehen, wie zum Beispiel in Buchenwald. Damit sie verstehen: „Aha, eine florierende Nation kann auch selbstkritisch mit der eigenen Geschichte umgehen. Das sollte man in den islamischen Ländern vielleicht auch so machen, anstatt unliebsame Kräfte zu unterdrücken.“
Also, ja, wir suchen im Rahmen der Summerschool verschiedene NGOs in Berlin auf, aber wir arbeiten selbst nicht mit NGOs zusammen.
Stellen sich Fragen nach „Muslims in the West“ für Frauen grundsätzlich anders und muss man sich bei der Arbeit im Projekt auf die oben genannten Unterschiede zwischen Männern und Frauen einstellen, oder bleiben diese für sich stehen?
JM: Es ist wichtig, die verschiedenen Artikulationsformen zu hören und leben zu lassen.
Die Rolle von Männern und Frauen in der westlichen Gesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren stark gewandelt. Haben Sie den Eindruck, dass dies für muslimische Frauen, die in westlichen Gesellschaften leben, eine andere Herausforderung darstellt als für muslimische Männer?
JM: Es sind andere Herausforderungen. Es gibt typische Rollenvorstellungen, die nur schwer aufweichen kann. Wenn die Rollen wirkungsmächtig sind und für Zusammenhalt und die eigene Identität wichtig sind, ist die Herausforderung weit größer. Frauen haben es da weit schwerer, sich der Rollenerwartung zu entledigen. Aufweichen der Grenzen kann durch Kontakt stattfinden, weshalb es ein großes Anliegen ist, dass Erfurter Studenten an der Summerschool teilnehmen. Aber ich habe eine sehr interessante Erfahrung gemacht und zwar im Rahmen eines Projektes, das parallel zu dieser Summerschool lief und mit typischen, ursprünglichen Theologiestudierenden – männlich wie weiblich -stattfand. Der Unterschied war folgender: In der Summerschool haben wir es mehr oder weniger mit jungen Muslimen zu tun, die aus säkularen Institutionen, also Universitäten, kommen und die vielleicht Islamic Studies oder ähnliches studiert haben. Sie beherrschen das Englische, sind weltläufig, waren schon im Ausland und so weiter. Also eine Klientel, die einigermaßen leicht zu handhaben ist. Dort, aus den Theologieschulen, kamen junge Menschen, die bisweilen nichts anderes als die Wände ihrer Medresen gesehen hatten. Sie konnten wenig Englisch, aber es reichte für die Interaktion. Sie waren eine stark hierarchische Ordnung gewohnt, waren kaum aufmüpfig, kritische Fragen wurden so gut wie gar nicht gestellt – im Gegensatz zu den Universitätsteilnehmern. Während die einen unverschleiert auftreten, sind die anderen tief verschleiert. Die einen sind glattrasiert, die anderen tragen lange Bärte. Dies schürt Angstbilder, es spielt dabei keine Rolle, ob Mann oder Frau.
Die Schnittstelle mit dem Westen, gestaltet sich individuell unterschiedlich. Wie hat sich Ihre Vorstellung von der Schnittstelle mit dem Westen, mit der die Leute konfrontiert sind, entwickelt und hat sich für Sie daraus ein Erkenntniseffekt bezüglich bestimmter Aspekte des Westens ergeben?
JM: Durch Entwicklungsgelder, aber auch durch nationalen Kulturexport, wie zum Beispiel durch den DAAD oder Schulen wie „Muslims in the West“, können nachhaltige Bilder erzeugt und Werte exportiert werden. Und diese Bilder haben sich im Laufe der Zeit, die ich die Summerschool organisiere, auch verbreitet, sind in die Herkunftsländer getragen worden. Denn die Teilnehmer erzählen in ihren Heimatländern von den Erlebnissen. Auf gewisse Weise hat das den gewünschten Multiplikatoreneffekt. Dem steht bisweilen das eigene Selbstwertgefühl gegenüber, nach dem Motto, „Wir haben zwar Allah, aber irgendwie sind wir auf der Strecke geblieben und wir müssen jetzt zurück zu den Wurzeln – wir haben irgendwo Fehler gemacht und uns verlaufen – der richtige Islam wird im Westen gelebt.“ Die Frage nach Authentizität ist wichtig. Deshalb sind die zahlreichen Revivalist-Movements auch so populär, die da sagen: „Ihr habt euch verlaufen! Zurück zu den Wurzeln!“ Der Westen hat eine gewisse Vorbildfunktion, nicht aber dessen moralische Verwerfungen.
... was übrigens ein großer Unterschied zu Russland ist, das den Westen zwar opponiert, aber es eben gerade nicht zu einem Teil seines Narrativs macht, dass man irgendwo den falschen Weg genommen hat. Man versucht einen Weg zu finden, um zu zeigen, dass der Westen den falschen Weg genommen hat.
JM: Naja, der Westen ist eben „unmoralisch“ – Leute laufen nackt herum und trinken Alkohol, Kinder kümmern sich nicht um die Eltern, etc. Aber auch im islamischen Kontext sind ähnliche von Modernisierung hervorgerufene Sozialpathologien erkennbar. Also, das Vorbild ist positiv, hat aber auch große Negative – und daraus schöpfen islamistischen Bewegungen ihr Substrat und grenzen sich ab. Dann das kolportierte Bild von Europa, das stark von der Vorstellung eines singulären, durch die Aufklärung bestimmten Sonderweges geprägt ist. Diese Eigendarstellung trifft bei den „Noch-nicht-Aufgeklärten“ zu Reaktionen wie „wir müssen uns noch aufklären“ oder aber „Das brauchen wir gar nicht! Wir sind doch schon aufgeklärt. Im Koran steht alles.“ Wichtig scheint zu sein, dieses Bild einer singulären europäischen Aufklärung zu hinterfragen: Gibt es nicht so etwas wie eine alternative, islamische Aufklärung? Man sollte dieses Vorbild justieren. Das ist natürlich ein größeres Unterfangen und dazu passt auch das Thema der Summerschool: Reform und Reformation. Durch Vergleiche kann man gut auf eigenes, anderes Potenzial hinweisen und dabei Muslimen ein neues Selbstverständnis zu vermitteln suchen und womöglich Europa auch diesen aufgeklärten Zahn ziehen.
Als Sie das erste Mal 2002 das Wort „West“ in „Muslims in the West“ aufgeschrieben haben und es dieses Mal mit dem thematischen Hintergrund „Reform und Reformation“ wieder aufgeschrieben haben – hat dieser Begriff 2018 einen anderen Inhalt als 2002 und ist das durch die geschichtliche Entwicklung oder durch einen Lernprozess Ihrerseits geschehen?
JM: Wahrscheinlich würde ich das Projekt heute anders nennen, den Titel komplizierter fassen. Vor dem Hintergrund der in den Summerschools aufkommenden Fragen „What do you mean by ‚west‘?“ Aber nun ist das Label „Muslims in the West“ weitbekannt. Everybody is talking about Muslims in the West.
Aber drehen wir den Spieß einmal um. Welche Ansicht haben Sie von einer Teilnehmerin/einem Teilnehmer zum Westen gehört, die Sie gewissermaßen bis heute beeinflusst hat und die Ihre Vorstellung vom Westen bereichert hat?
JM: Schon die Frage „What do you mean by ‚the west’?” selbst. Und dann sitzt man da und merkt, wie schwierig es ist, auf diese Frage klar und eindeutig zu antworten.
Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit, dem Diskurs über den Westen von innen heraus zuzuhören oder davon auszugehen, dass der Westen prinzipiell immer vom Rand her definiert wird. Stellte sich für Sie durch die Arbeit in der Summerschool heraus, dass eine Betrachtung des Westens vom Rand aus deutlicher geworden ist?
JM: Also es gibt, und das wissen wir ja spätestens seit Edward Said, immer wieder die berechtigte Frage, in wie weit der Westen sozusagen von dem Anderen lebt oder sich selbstvergewissert? In der Literatur und auch hier in der Gruppe von Studenten ist diese Problematik aufgegriffen worden. Die Frage „Was macht ihr eigentlich ohne uns?“, ähnlich dem deutschen Entwicklungsdienst, der nun eingesehen hat, dass es ohne den anderen nicht funktioniert. Man benötigt traditionale Akteure – religions as partners, also. Ob hier Homi Bhabha mitschwingt? Das Andere, sagen wir mal das Periphere, ist immer wichtig für das Eigene. Die Herausforderung ist, wie man mit dieser Einsicht umgeht.