Die Urbanisierung der Peripherie (Barcelona)
Stadtentwicklung Barcelonas
Am Ende des Mittelalters war Barcelona eine zweigeteilte Stadt. Innerhalb einer großen umschließenden Stadtmauer gab es eine zweite Mauer, die den aktiven, dicht besiedelten nordöstlichen Stadtteil von dem südwestlich gelegenen Raval (span. "Vorort") trennte, der vor allem landwirtschaftlich genutzt wurde und weitgehend unbewohnt war.
In der Frühen Neuzeit bestand diese Stadtstruktur zunächst unverändert fort. Das bedeutet aber nicht, dass die Stadtentwicklung im 16. und 17. Jahrhundert stagniert hätte. Zum Einen veränderte sich in dieser Zeit die Struktur des katalanischen Städtesystems, wobei Barcelona das beherrschende Zentrum einer „Krone“ wachsender Städte war (García Espuche). Zum Anderen wurden die für das Funktionieren der Stadt wesentlichen Infrastrukturen ausgebaut (Befestigungsanlagen, Hafen, Bewässerungskanal, Abwasserentsorgung, Straßenpflaster). Darüber hinaus betrieb der Stadtrat eine Politik der Stadtverschönerung (Errichtung öffentlicher Brunnen und neuer Monumente, Monumentalisierung städtischer Gebäude) und neue architektonische Elemente an Häusern gewannen an Zuspruch (Balkone, Gitter vor den Fenstern, Jalousien).
Zu einem grundlegenden Bruch mit der mittelalterlichen Stadtstruktur kam es erst im 18. Jahrhundert, zunächst unter dem Einfluss des Militärs. Im Spanischen Erbfolgekrieg hatte Katalonien auf der Seite der unterlegenen Habsburger gestanden. 1714 wurde Barcelona deshalb von französischen Truppen besetzt. Kurz darauf wurde mit dem Bau einer Zitadelle begonnen, die die bourbonische Herrschaft über das Stadtgebiet sichern sollte. Für den Bau der Zwingburg wurden 17% der Wohnhäuser der Stadt abgerissen, deren Bewohner zumeist die Stadt verließen.
In den 1740er Jahren setzte ein starkes Bevölkerungswachstum ein, das bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts anhalten sollte. Um die neue Bevölkerung aufnehmen zu können, wurden die vorhandenen Stadtviertel verdichtet. Bestehende Häuser wurden aufgestockt, Wohnungen geteilt und freie Innenhöfe bebaut. Ab 1753 wurde nach Plänen von Militäringenieuren die Barceloneta, ein neues Viertel am Meer, errichtet.
In dem südlichen Stadtteil Raval waren seit dem Mittelalter einige Hospitäler und Klöster hinzu gekommen. Trotzdem war er weiter sehr dünn besiedelt und unterschied sich vom dicht bebauten und besiedelten nördlichen Stadtteil, wo auch das Gewerbe der Stadt und die politischen und religiösen Zentren angesiedelt waren.
Neben der inneren Stadtmauer lagen auf der Raval-Seite große Alleen, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts als Promenadenstraßen genutzt wurden, die Ramblas. Während die Ramblas also schon lange eine wichtige Funktion im urbanen Leben erfüllten, wurde der Raval erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts in das städtische Gefüge integriert. Dazu mussten aber erst (ab 1775) die innere Stadtmauer abgerissen und (um 1800) zahlreiche neue Straßen im Raval eröffnet werden. Im Folgenden stieg die Zahl der Bewohner und der Manufakturen im Raval erheblich an. Die Einführung der Dampfmaschine machte das Viertel dann zum wichtigsten Industriegebiet Barcelonas.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Gebiet um die Ramblas ausgebaut. Es kamen zwei neue Plätze hinzu sowie eine Querstraße, die durch die die römischen und mittelalterlichen Stadtgebiete von den Ramblas zur Zitadelle führte. Damit verschob sich das Zentrum der Stadt, unmittelbar bevor der berühmte Erweiterungsplan Ildefonso Cerdàs 1859 durch den Stadtrat angenommen wurde und die Stadtstruktur einen erneuten Umbruch erlebte.
Das Forschungsprojekt widmet sich der Frage, ob und wie diese Entwicklung die Wahrnehmung des städtischen Raums durch die Zeitgenossen beeinflusst hat und wie diese Räume in verschiedenen Medien repräsentiert worden sind.
Auskunft über diese Fragen geben Reisebereichte und Stadtbeschreibungen, aber auch ikonographische Quellen wie Stadtpläne und -ansichten. Dabei ist auffällig, dass die zeitgenössischen Reiseberichte zumeist nur den nördlichen Stadtteil beschrieben; der südliche Raval dagegen wurde aus der Stadtwahrnehmung weitgehend ausgeschlossen. Diese Wahrnehmung dürften die Reisenden mit den Einheimischen geteilt haben. Wo Barcelona doch einmal als zweigeteilt beschrieben wurde, betraf diese Zweiteilung die Trennung zwischen den römischen und den mittelalterlichen Stadtteilen:
„Sie ligt am Mittelländischen Meer / und ist gleichsam in zwey Städte eingetheilet / davon die Innere / so hohe Mauren / und durch dieselbe vier Thore hat / die auf die vier Gegenden des Himmels zu stehen / die Alte / die andere aber / so um diese herum angelegt ist worden / und auch ihre starcken Mauren und dauerhaffte Thürne [sic] hat / die Neue mögte genennet werden.“ [J. M., Der Schau-Platz von Spanien und Portugall …, Amsterdam 1704]
Ein ganz anderes Bild entwarfen die frühen Stadtpläne, die zu einem großen Teil im Kontext von militärischen Belagerungen entstanden. Hier wurde die Stadt immer durch ihre äußeren Mauern definiert und schloss den Raval ausnahmslos mit ein. Die Zweiteilung Barcelonas ist hier klar erkennbar. Häufig ist aus den Plänen selbst nicht zu entnehmen, dass es sich beim Ravalum ein weniger dicht besiedeltes und landwirtschaftlich genutztes Gebiet handelte. Es gibt Beispiele, in denen man aus den eingezeichneten Straßen unweigerlich den Eindruck gewinnt, beide Stadtteile seien gleich dicht besiedelt gewesen.
Ein weiteres Beispiel für differierende Wahrnehmungen sind die Ramblas. Die Ramblas dienten der urbanen Gesellschaft seit dem 16. Jahrhundert als Promenaden und wurden so schon lange vor dem Raval in das städtische Leben integriert. In den Reiseberichten wurden Schilderungen der Ramblas und der hier promenierenden Bevölkerung spätestens seit Beginn des 18. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der Darstellung Barcelonas. Dabei rückten sie deutlich ins Zentrum der geschilderten Stadt. Das entsprach zwar ihrer Lage auf den Stadtplänen der Zeit, dürfte aber weit weniger mit der Wahrnehmung der Einheimischen korrelieren, für die die Ramblas hinter der inneren Stadtmauer lagen. Gegenwärtig lässt sich also die Hypothese formulieren, dass die Ramblas sehr früh in das imaginierte Zentrum der Besucher der Stadt gerückt sind und die tatsächliche, also die städtebauliche Verschiebung des Zentrums um viele Jahrzehnte vorweg nahmen. Anhand des Umgangs mit der Stadtmauer lässt sich mit der Dichotomie innen/außen eine weitere raumbezogene Perspektive einbauen.
Die Karten sind Eigentum des Institut Cartogràfic de Catalunya und wurden unentgeltlich zur Durchführung dieses Projektes zur Verfügung gestellt. Sie sind erhältlich unter www.icc.cat. (Cartografía propiedad del Institut Cartogràfic de Catalunya, cedida gratuitamente para la realización de este proyecto, disponible en www.icc.cat.)
Bibliographie zur Einführung
- Albert García Espuche, Un siglo decisivo. Barcelona y Cataluña, 1550 - 1640, Madrid 1998.
- Manuel Guàrdia Bassols, Francisco Javier Monclús, José Luis Oyón (Hg.), Atlas histórico de ciudades europeas. Península Ibérica, Barcelona 1994.
- Antònia Maria Perelló Ferrer, L'arquitectura civil del segle XVII a Barcelona, Barcelona 1996.
- Albert Garcia i Espuche, Manuel Guàrdia i Bassols, Espai i societat a la Barcelona pre-industrial, Barcelona 1986.
Projektpublikationen
- Ekkehard Schönherr: The expansion of Barcelona in the early modern age. Aspects of a historian’s access to historical maps and the search for new representations of historical spatial information, in: e-Perimetron, Vol. 7, No. 2, 2012, S. 62-72 (Online-Version).
- weitere Publikationen
Projekttagung
Mapping Spatial Relations, their Perceptions and Dynamics: the City today and in the Past
Erfurt, 18. Mai 2012
Ort: IBZ, Michaelisstraße 38
Tagungsberichte:
Ekkehard Schönherr: Tagungsbericht "Mapping spatial relations"..., in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, 1/2013, S. 149-151.
Urška Perenic: Katiranje prostorskih odnosov, njihovega dojemanja in dinamik: mesta danes in v preteklosti: z delavnice v Erfurtu, in: Slavisticna revija, letnik 60 (2012), S. 580-582 (online-Version)