Obwohl Erfurt im historischen Gedächtnis nicht in der ersten Reihe der Zentren der Aufklärung im deutschen Sprach- und Kulturraum verankert ist, wie etwa Halle, Leipzig, Zürich, Hamburg, Königsberg oder Göttingen, nimmt es doch über seine Universität einen bedeutenden Platz im Ranking der Kultur- und Wissenschaftszentren jener Zeit ein. Der französisch-deutsche Historiker Étienne François hat unter dem Gesichtspunkt des Verlagswesens und der Buchproduktion die Region Hannover – Berlin – Dresden – Erfurt – Göttingen als eine Region bezeichnet, deren Dynamik und Kreativität in Europa keine Parallele hat.
Es ist also naheliegend, sich im 300. Geburtsjahr Immanuel Kants der Erfurter Universität als einem genuinen und produktiven Ort aufklärerischen Denkens zu widmen. Unter dem einer gemäßigten Aufklärung zugewandten Mainzer Erzbischof und Kurfürsten Emmerich Joseph von Breidbach zu Bürresheim (reg. 1763–1774) und seinem Nachfolger Friedrich Karl Joseph von Erthal (reg. 1774–1802) bestanden dafür begünstigende Rahmenbedingungen. Neben Christoph Martin Wieland (1733–1813) als bekanntestem wirkten radikale Aufklärer wie Carl Friedrich Bahrdt (1740–1792) und Friedrich Justus Riedel (1742–1785) oder Johann Christian Lossius (1743–1813), der mit seiner physiologischen Philosophie, einer Verbindung von Naturwissenschaft und Philosophie, eine Alternative zu Kants kritischer Metaphysik entwickelte (Physische Ursachen des Wahren, Gotha 1775; Unterricht der gesunden Vernunft, Gotha 1777). Lossius setzte sich zudem direkt mit Kant auseinander (Etwas über Kantische Philosophie in Hinsicht des Beweises über das Daseyn Gottes, Erfurt 1789). Sie hatten Kollegen, die zwar weniger konfliktakzentuiert wirkten aber die Wissenschaftsgeschichte mit eigenen Beiträgen beförderten. Der Historiker und Lexikograf Johann Georg Meusel (1743–1820) erfasste und erschloss mit seinen biografisch-bibliografisch orientierten Lexikonprojekten (Fortsetzung von Georg Christoph Hambergers "Das gelehrte Teutschland", Lemgo ab 1773–1820; Teutsches Künstlerlexikon, Lemgo 1778; Lexikon der von 1750 bis 1800 gestorbenen teutschen Schriftsteller, 15 Bände, Leipzig 1802–1816) die wissenschaftliche und kulturelle Community seiner Zeit. Nicht zuletzt repräsentierte der Altphilologe Johann Jakob Friedrich Sinnhold (um 1735–1805) den Versuch der Freimaurerei in Erfurt eine Heimstatt zu geben.
Gleichzeitig kam es zu Konflikten um diese Entwicklung, wofür hier exemplarisch die Auseinandersetzung zwischen dem Professor primarius des Corpus professorum Theologiae Augustanae Confessionis Johann Balthasar Schmidt (1720–1772) und Carl Friedrich Bahrdt (1740–1792) genannt sei, bei dem es um die Frage der generellen Übereinstimmung von dessen Theologie mit der Schrift und dem Apostolischen Glaubensbekenntnis ging (J. B. Schmidt: Actenmäßige Erzählung und Nachricht an das Publicum und abgenöthigte Vertheidigung wider Herrn Doctor und Professor Bahrdt, Erfurt 1770). Zu den Kritikern der radikalen Aufklärung gehörte auch der mit zwei Wirkungsperioden 1758 bis 1760 und 1763 bis 1770 in Erfurt vertretene Augustinertheologe Jordan Simon (1719–1776), der das Konzept einer gemäßigten, katholischen Aufklärung vertrat. Nicht zuletzt wurde durch Männer wie Friedrich Justus Riedel und Jakob Adlung (1699–1762) die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gebieten wie der Ästhetik bzw. der Musik im Rahmen universitärer Lehre und im Sinne der Aufklärung intensiviert. Der Zeitraum von 1750 bis 1775 wird dabei als Kernzeitraum betrachtet, in dem die Erfurter Universität zum Teil der Bildungsbiografie von Akteuren wurde, die mit ihren Ideen am Ende des Jahrhunderts wirksam wurden, wie der kunsttheoretisch interessierte Schriftsteller Wilhelm Heinse (1746–1803) und der Philologe Dietrich Wilhelm Andreä (1749–1813).
PROGRAMM
DONNERSTAG, 26. SEPTEMBER
13 Uhr | Ankommen
14 Uhr | Begrüßung und Eröffnung
SEKTION 1 | ALLGEMEINES
14.30 bis 15.15 Uhr |
Matthias Schnettger, Mainz: Die Kurfürsten von Mainz und die Aufklärung – Perspektiven für die Erfurter Universität seit der Mitte des 18. Jahrhunderts
15.15 bis 16 Uhr |
Franz-Ulrich Jestädt, Erfurt: Die Wahrnehmung Erfurts und seiner Universität in der Publizistik um 1750 bis 1775
16 bis 16.30 Uhr | Kaffee
16.30 bis 17.15 Uhr |
Martin Mulsow, Erfurt / Gotha: Der kurze kalte Sommer der Reform: Flugpublizistik und Konflikt im städtischen Resonanzraum Erfurts während der Hungerkrise 1770–72
SEKTION 2 | AKTEURE
17.15 bis 18 Uhr |
Carolin Oser-Grote, Würzburg: Jordan Simon (1719–1776) und die katholische Aufklärung
18.30 Uhr Abendessen
FREITAG, 27. SEPTEMBER
9 bis 9.45 Uhr |
Antonie Magen, München: Christian Adolf Klotz (1738–1771) und die Personalpolitik der Erfurter Universität
9.45 bis 10.30 Uhr |
Michael Ludscheidt, Erfurt: Christian Heinrich Schmid (1746–1800): Der Jurist als aufgeklärter Literaturvermittler
10.30 bis 11 Uhr | Kaffee
11 bis 11.45 Uhr |
Gideon Stiening, Münster: Friedrich Justus Riedel (1742–1785): Ästhetik als aufgeklärte Wissenschaft
12 bis 14.00 Uhr | Mittagspause
14 bis 14.45 Uhr |
Lars Thade Ulrichs, Bochum: Koxkox und Diogenes. Natürliche Utopie statt utopischer Natur in Wielands Erfurter Schriften
SEKTION 3 | WERKE
14.45 bis 15.30 Uhr |
Gerd Sundermann, Sissach: Johann Christian Lossius (1743–1813): „Physische Ursachen des Wahren“, 1775
15.30 bis 16 Uhr | Kaffee
16 bis 16.45 Uhr |
Andreas Lindner, Erfurt: Studien- und Kirchenreform unter dem Primat der Philologie – Carl Friedrich Bahrdts „Laute Wünsche eines stummen Patrioten“ 1769
16.45 bis 17.30 Uhr |
Christoph Bultmann, Erfurt: Carl Friedrich Bahrdts „Neueste Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzählungen“ (1773–1775)
17.30 Uhr | Imbiss
18 bis 19.30 Uhr |
Klaus Manger, Jena: Christoph Martin Wieland (1733–1813) im Spiegel seiner Erfurter Werke
20 Uhr | Abendessen
SAMSTAG, 28. SEPTEMBER
SEKTION 4 | VARIA
9 bis 9.45 Uhr |
Karl Traugott Goldbach, Kassel: Jakob Adlung (1699–1762) und seine „Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit“ 1758 oder: Die Musik sucht ihren Platz in der Wissenschaft
9.45 bis 10.30 Uhr |
Charis Goer, Utrecht: Die Poetik, Ästhetik und Anthropologie Wilhelm Heinses (1746–1803) im Kontext der Spätaufklärung
10.30 bis 11 Uhr | Kaffee
11 Uhr |
Abschlussgespräch und Verabredungen für Tagungsband
12.30 Uhr | Ende der Tagung