Mit der ersten Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte im Jahr 1822 begann laut Werner von Siemens (1886) ein „naturwissenschaftliches Zeitalter“, in dem sich die Naturwissenschaften für weitere Bevölkerungsgruppen öffneten und nicht mehr ausschließlich in Fachkreisen thematisiert wurden.
Das Dissertationsprojekt untersucht wie diese von Siemens konstatierte Öffnung der Wissenschaften in der Provinz ablief. Trotz räumlicher Distanz zu Universitäten und den wissenschaftlichen Zirkeln der Großstädte trafen sich wissenschaftlich interessierte Bürger und organisierten sich unter anderem in Vereinen. Dort verfolgten sie gemeinsame Bestrebungen zur Förderung von Wissen und Wissenschaft. Die Handlungspraktiken und das Selbstverständnis der Gruppen in der Provinz sollen nun genauer untersucht werden. Ausgehend vom 1875 gegründeten Naturwissenschaftlichen Verein Gotha wird ermittelt, was man unter Wissen in bürgerlichen Kreisen außerhalb der Metropolen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstand und wie es generiert und rezipiert wurde.
Neben der Sozialstruktur der Gruppe werden die Praktiken des gemeinsamen Forschens, Sammelns und Präsentierens betrachtet. Vorträge, Exkursionen und öffentlichkeitswirksame Projekte bildeten den Kern der Vereinsarbeit, die in Gasthäusern, Museen, Schulen, lokalen Unternehmen und der Natur stattfand. Die dort besprochenen Themen lassen Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Akteure als Wissenschaftler zu. Ergänzend soll ermittelt werden, wie dieses Selbstverständnis im überregionalen wissenschaftlichen Rahmen bewertet wurde. Die Arbeit soll insgesamt als Kontrastfolie zu Untersuchungen der Metropolen als Zentren der Naturwissenschaften dienen und einen weiteren Blick auf die Provinz als Wissensraum werfen.
Bild: Gothaischen Zeitung, 2. November 1881. © Forschungsbibliothek Gotha.