Anna-Maria Post
Projektskizze
Projektskizze
Verdichtung. Völkerpsychologie und Literatur in der Mitte des 19. Jahrhunderts. (Arbeitstitel)
Ziel meines Dissertationsvorhabens ist die Rekonstruktion des Konzeptes der Verdichtung als semiotisches Modell im Kontext von Völkerpsychologie und realistischer Literatur.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts bildet sich auf der Grundlage der Philosophie Johann Friedrich Herbarts und der Sprachgeschichte (v.a. Humboldt, Grimm) mit der Völkerpsychologie eine neue Richtung der Kulturphilosophie aus, die sich der wissenschaftlichen Aneignung des Alltäglichen widmet. Den Kern dieser neuen Wissenschaftsdisziplin, die von Moritz Lazarus und Heymann Steinthal in den 1860er Jahren in ihrer gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft entwickelt wurde, stellt der Begriff der Verdichtung dar. Moritz Lazarus überträgt die ursprünglich physikalisch-chemisch geprägte Begrifflichkeit auf die Beschreibung kultureller Prozesse. Verdichtung fungiert als „Oekonomie der geistigen Kraft“ (Lazarus: Das Leben der Seele II, S. 247.), die die Fülle der Erkenntnis zu bewältigen weiß. Das Denken in verdichteten Formen beruht dabei immer auf Prozessen und Figuren der Stellvertretung und Hindeutung, stellt demnach ein relationales System dar. In dieser Hinsicht kann man das Konzept der Völkerpsychologie als (kultur)semiotisches Modell lesen, das verwendet wird, um die Komplexität moderner Gesellschaften zu erfassen und beschreibbar zu machen.
Zeitgleich zur Entstehung der Völkerpsychologie werden auch in der Literatur Fragen der Darstellbarkeit und Er/Fassbarkeit von Realität virulent. Die realistische Literatur ist jedoch mit einem Problem konfrontiert: die Fülle der Wirklichkeit. Dem realistischen Schreiben liegt demnach ein Ökonomieprinzip zugrunde, das u.a. poetologische Strategien der ‚Verdichtung’ etabliert, um der komplexen Wirklichkeit habhaft zu werden. Völkerpsychologie und realistische Literatur weisen demnach ein analoges Problembewusstsein auf und Verdichtung ist sowohl ein in der zeitgenössischen Wissenschaft verwendetes Konzept, anhand dessen auch die Wirklichkeitserfassung des Realismus und dessen poetologische Strategien beschrieben werden können.
Von großer Bedeutung für diesen Zusammenhang ist das literarische und theoretische Werk Berthold Auerbachs, der mit seiner Poetik und Praxis der volkstümlichen Literatur der Völkerpsychologie im literarischen Sektor vorausarbeitet und mit den Völkerpsychologen in regem Kontakt stand. Auerbach liefert nicht nur ethnographische Ansatzpunkte in der Literatur, darüber hinaus entzünden sich an der kritischen Auseinandersetzung mit seinen Texten die Programmatik des literarischen Realismus. So ist Auerbach nicht nur für die Völkerpsychologen, sondern auch für die Realisten ein wichtiger Ausgangspunkt. Anhand des Verhältnisses zwischen Auerbach und den Völkerpsychologen lässt sich ferner die inhärente politische Dimension von Kulturbeschreibung in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufzeigen. Denn durch die Beschreibung von Kultur sollen nicht nur deren Funktionsweisen bewusst gemacht werden, vielmehr soll durch das so erlangte Wissen wiederum auf die kulturelle Entwicklung eingewirkt werden, mit dem Ziel der politischen Vereinigung der deutschen Nation und der Judenemanzipation.
Wissenschaftlicher Werdegang
Wissenschaftlicher Werdegang
2005-2011 | Studium der Fächer Germanistik und Hispanistik (Erstes Staatsexamen) an der Universität Konstanz und der Universidad Autónoma Madrid
2006-2008 | Tutorin „Einführung in die allgemeine Literaturwissenschaft“
2007-2011 | Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Juliane Vogel
2010-2011 | Wissenschaftliche Hilfskraft für Prof. Dr. Dr. h.c. em. Gerhart von Graevenitz
Seit Oktober 2011| Doktorandin im Forum: Texte. Zeichen. Medien. (Christoph-Martin-Wieland Stipendium)
2013 | Marbach-Stipendium der Deutschen-Schillergesellschaft am Deutschen-Literaturarchiv in Marbach
Forschungsschwerpunkte
Forschungsschwerpunkte
- Realismus
- Völkerpsychologie (Moritz Lazarus)
- Schnittstellen zwischen Literatur und bildender Kunst
- Raumkonzepte in der Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts
- Österreichische Literatur (v.a. Stifter, Bernhard, Jelinek)
Publikationen
Publikationen
Aufsätze:
- Flache Literatur. Die Frage nach der Übertragbarkeit von Clement Greenbergs flatness-Begriff auf die Literatur (PDF, 173 KB), in: kunsttexte.de, Nr. 1, 2011 (14 Seiten), www.kunsttexte.de.
- Die „unverlierbare Zeit“. Sergio Chejfecs Lenta biografía und die 2. Generation der Shoah, in: HeLix – Heidelberger Beiträge zur romanischen Literaturwissenschaft, Bd. 4, 2011.
- Zeitschrift statt Lehrstuhl. Die „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft“ (1860-1890), in: Grundlagenforschung. Für eine linke Praxis in den Geisteswissenschaften, Nr. 0: Die wissenschaftliche Zeitschrift, 2014 (erscheint Januar 2014)
Lexikonartikel:
- "Theodor Fontane" (zusammen mit Juliane Vogel), in: Handbuch der Kunstzitate. Malerei, Skulptur, Fotografie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne. Hg. v. Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher und Joanna Wolf, Berlin 2011, S. 193-197.
- "Thomas Bernhard" (zusammen mit Juliane Vogel), in: Handbuch der Kunstzitate. Malerei, Skulptur, Fotografie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne. Hg. v. Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher und Joanna Wolf, Berlin 2011. S. 64-67.
Vorträge
Vorträge
- Die Völkerpsychologie und Berthold Auerbachs „ethnographische Schreibverfahren“. Vortrag im Rahmen des Workshops „Berthold Auerbach“ an der Universität Bonn, 6.-7. Juli 2012.
- Verdichtungsformen in Berthold Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichte „Der Lehnhold“. Vortrag im Rahmen des Workshops „Berthold Auerbach“ an der Universität Bonn, 6.- 7. Juli 2012.
- Der Begriff der Kleinheit in verschiedenen Theoriekontexten. Zu Kafka, Deleuze/Guattari, Kundera und Prunitsch. Vortrag zusammen mit Anna Häusler im Rahmen der Tagung „Distanz: Figuren, Schreibweisen, Diskurse“ an der Universität Erfurt, 8.-10. November 2012.
- Berthold Auerbach und die Völkerpsychologie – Kulturbeschreibung als politisches Projekt. Beitrag zum 8. Studientag Literatur und Wissenschaftsgeschichte am Max-Plank-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, 14. Juni 2013.
- Literatur als „ideale Verklärung“ – Berthold Auerbachs Poetik der volkstümlichen Literatur und deren Verhältnis zu Theodor Fontanes Realismusverständnis. Vortrag im Rahmen des Herbst-Kolloquiums „Theodor Fontane and his contemporaries“ des Fontane-Kreis Großbritannien und Irland im German Historical Institute London, 25. Oktober 2013.
Lehrveranstaltungen
Lehrveranstaltungen
- Wintersemester 2012/2013: Dorfgeschichten
- Sommersemester 2013: Text-Bild-Verhältnisse (zus. mit Anna Häusler)