Bei der Diskussion des Einflusses des Islamismus in der heutigen arabischen Welt wird oft vergessen, dass auch in der Geschichte Europas religiöse Bewegungen entscheidenden Anteil an der Entstehung der Moderne hatten. Lino Klevesath geht daher in seiner ideengeschichtlichen-vergleichenden Arbeit den Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Ideen bei den englischen Puritanern des 17. Jahrhunderts und der heutigen Bewegung des sunnitischen politischen Islam in der arabischen Welt nach.
Der Arbeit liegt die These zugrunde, dass puritanische Denker wie Thomas Helwys oder John Milton entscheidenden Anteil an der Entwicklung zentraler moderner politischer Ideen wie Volkssouveränität, Religionsfreiheit und dem Konzept der Gleichheit hatten. Dabei behaupteten die englischen "dissenters", diese Ideen aus der Bibel ableiten zu können. In ähnlicher Weise werden diese Ideen von heutigen reformorientierten Denkern des politischen Islam wie Rachid al-Ghannouchi oder Abu al-'ala Madi "neu erfunden", indem sie als genuin islamische Konzepte mit koranischen Wurzeln ausgegeben werden. Auch wenn dies aus westlicher Sicht als eine historische Fiktion erscheint, hilft dieser Ansatz der Islamisten, die Ideen in den konservativ-religiösen Bevölkerungsschichten der arabischen Welt zu verankern und damit die Chancen für die Entwicklung stabiler Demokratien zu erhöhen.
Erstgutachter: Prof. Dr. Walter Reese-Schäfer (Georg-August-Universität Göttingen)
Zweitgutachter: Prof. Dr. Kai Hafez (Universität Erfurt)