Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Was ist AVL?
Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) an der Universität Erfurt umfasst in Forschung und Lehre, was an Universitäten im anglo-amerikanischen Raum Comparative Literature und Critical Literary Theory genannt wird. Das Fach gewinnt seine Vielfältigkeit durch die Kombination seiner beiden traditionellen Perspektiven – zum einen die Allgemeine Literaturwissenschaft und zum anderen die Vergleichende Literaturwissenschaft (Comparative Literature).
Die Allgemeine Literaturwissenschaft befasst sich mit den Theorien der Literatur: mit ihrer Geschichte, den Problemen ihrer Grundlegung, ihrem argumentativen Aufbau, ihren erkenntnistheoretischen Versprechen sowie der Frage, wie sie sich zu den verschiedenen Texten ins Verhältnis setzt, die unterschiedlichsten Sprachräume und Zeiten angehören können.
Wie es ihr Name anzeigt, macht sich die Vergleichende Literaturwissenschaft (Comparative Literature) das Vergleichen zum expliziten Zugang und Gegenstand. Dieses begegnet in der Literaturwissenschaft in vielfachen Formen. Gegenstände des Vergleichens können einzelne Texte, Autor*innen, Gattungen, Epochen und Nationalliteraturen sein. Wir alle kennen die Redeweise: „Das kann man doch nicht vergleichen, ...“ Was? Wieso? Man kann auch die berühmten Äpfel und Birnen durchaus miteinander vergleichen, beides Kernobst, schmecken verschieden, usw. ... Und doch: Wenn in einen Apfel gebissen wird, zumal in einem Text oder auf dem Theater, kann dieser keineswegs durch eine Birne ersetzt werden – und wenn doch, so ändern sich damit die Kontexte, die mitzulesen und mitzubetrachten wären. Ebenso wichtig ist beim Vergleichen immer die theoretische und methodologische Reflexion auf das Vorgehen des Vergleichens selbst. Es handelt sich nicht schlicht darum, dass zweierlei, was uns vorliegt, verglichen wird, sondern dass wir im Vergleichen das Verglichene anders sehen können. Wenn z. B. Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochene Krug und Sophokles‘ Tragödie Oedipus ‚verglichen‘ werden, kann nicht bloß das (gemeinsame) Motiv des sich selbst richtenden Richters hervortreten, sondern vor allem wird auch gezeigt, wie Kleists Komödie diese Vorlage, die er zitiert, neu- bzw. umschreibt. Im Vergleichen werden also die intertextuellen Bezüge erforscht, und zwar nicht nur zwischen Texten, sondern auch zwischen Theaterstücken, Bildern, Filmen u.a.. Auf diese Weise Texte, Zeichen und Medien zu lesen und analysieren, heißt solchen vielfachen Relationen und immer weiterführenden Bezügen nachzugehen. Die Literaturwissenschaft befasst sich so mit dem von dem Bezug zwischen Texten (wie Bildern u.a.) erzeugten Gedächtnis der Texte, mit Tradierungsweisen, der Kanonbildung sowie dem Übersetzen – wie ausdrücklich auch den Phänomenen des Missverstehens und des Vergessens. Vergleichende Literaturwissenschaft nimmt die Perspektive von Literaturen im Plural ein (denen gegenüber die National-Literaturen nur einen historisch (verschieden) begrenzten kleinen Ausschnitt bilden. Diese Perspektive ist gewiss seit dem 20. Jahrhundert wieder und aktuell (als Blick auf die ‚Welt‘) in hohem Maße angezeigt.
Eine solche komparatistische Perspektive macht in besonderer Weise eine externe und andere Sichtweise auf die Nationalliteraturen und ihre Philologien und deren Geschichte möglich.
Zugleich ergeben sich (zum einen) durch die Bezüge auf diese für die theorie-orientierten Debatten innerhalb des Schwerpunktes Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft immer wieder neue Ansichten. Zum andern können mit der AVL (über einzelne Nationalliteraturen und ihre Philologien) hinausgehende Problemformulierungen in den Blick genommen und beständig neu entwickelt werden. – Schauen Sie doch einmal, um sich ein aktuelles Bild zu machen, in die Aufstellungen zu den Lehrveranstaltungen im BA und MA (www.uni-erfurt.de/philosophische-fakultaet/seminare-professuren/literaturwissenschaft/professuren/allgemeine-und-vergleichende-literaturwissenschaft/lehrende: “Profilseite”(n): “Lehrveranstaltungen Archiv”), dort finden sich Seminare zu Grenzen, zu Übersetzungen, zu Fluchtdarstellungen, zu Gedächtnis und Buch, zu Komödien, Lachen, zu Formen des Auftretens, zu visueller Poesie, Reiseberichten von Autorinnen, zum Spiel der und in der Literatur, zu Literatur und Geld usw., sowie auch in die der Publikationen (www.uni-erfurt.de/philosophische-fakultaet/seminare-professuren/literaturwissenschaft/professuren/allgemeine-und-vergleichende-literaturwissenschaft/lehrende: “Profilseite”(n): “Publikationen”). –
So nimmt die AVL für die transphilologische Literaturwissenschaft (wie sie in der Erfurter Literaturwiss. gedacht und praktiziert wird), eine Schlüsselstellung ein. Insbesondere im MA dürfen sich Studierende auch an der Forschung orientieren, in die das philologienübergreifende Kolloquium des Forum Texte. Zeichen. Medien., ebenso wie (gewöhnlich) vielfach organisierte Tagungen interessante Einblicke zu geben vermögen: in die auf Formen, Medien und Praktiken der Darstellung gerichtete gemeinsame Forschung und Lehre der verschiedenen Philologien innerhalb des Seminars Literaturwissenschaft und des Forums Texte. Zeichen. Medien. In den konzeptuellen Überlegungen der AVL wird das Interesse am wechselseitigen Bedingungs- und Konstitutionsverhältnis von kulturellen Konfigurationen und Darstellungen und an den Verfahrensweisen von Darstellungen selbst zur Geltung gebracht.
Die AVL in Erfurt behandelt ihre Fragen und die von ihr gelesenen und betrachteten Gegenstände (Literatur, Bilder u.a.) auch ausdrücklich in kultur- und medienwissenschaftlicher Hinsicht. Die kulturwissenschaftliche Perspektive stellt die Literatur in Zusammenhang mit anderen Diskursen, Wissenssystemen und Erkenntnisformen, während die medienwissenschaftliche Perspektive literarische Texte als Medienereignisse begreift und im Kontext anderer Medien und der Mediengeschichte untersucht. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Wissen von der Produktivität der Sprache selbst und ihrer Organisationsformen produktiv in die Kultur- wie Medienwissenschaften eingebracht werden kann – und dass die literarischen Texte auf eigene Art andere Diskurse und Medien reflektieren. Die AVL macht überdies mit Methoden der inner- und interkulturell vergleichenden Analyse vertraut – und versteht sich als ein Ort der Reflexion von Identitätsdiskursen und -formierungen, die in Texten, Zeichen und Medien entwickelt und selbstreflexiv vorgetragen werden.