Im Rahmen der Kooperation zwischen der Université Saint Joseph (USJ) in Beirut und der Universität Erfurt sind wir nun als die erste Gruppe Studierende an unserer Partnerhochschule angekommen. Dort wurden wir bereits sehr freundlich aufgenommen und auf das umfassende und spannende Programm eingestimmt. Zum Programm, dem Studiengang hier, Aktivitäten sowie Land und Leuten werden hier im Laufe des Semesters regelmäßig neue Bilder und Berichte der Studierenden zu finden sein.
Relativ zu Beginn des Semesters unterhielten wir uns mit jungen Libanesen über Politik im Land. „I'm with Aoun, he's my Love“ war ein Satz der uns von einer jungen Libanesin gesagt wurde. Im Deutschland wahrscheinlich ein Satz, den man eher selten über Spitzenpolitiker hört. Im Libanon erfahren Politiker aber durchaus eine Art starähnliche Verehrung. Mit eben erwähnten Michel Aoun trafen wir uns vor einiger Zeit bezüglich eines Interviews. Er ist Vorsitzender des Courant Patriotique Libre (Freie Patriotische Bewegung), CPL. Einer vor allem christlich geprägten Partei, die sich selber als säkular bezeichnet. Aoun selbst ist Maronit. Im Bürgerkrieg war er Armeegeneral gegen Ende kurzzeitig Ministerpräsident (wobei er von vielen Libanesen in dieser Position nicht anerkannt wurde) und kämpfte gegen die syrische Besatzungsmacht. Von seinen Anhängern wird er bis heute oft nur „General“ genannt.
Er selber sieht seine 2005 offiziell gegründete Partei links der Mitte. Die Punkte Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft („moderate Capitalism“ wie er uns sagte) und die Bekämpfung der Korruption sind nur einige Punkte im Parteiprogramm. Auch die Förderung der Jugend ist seiner Partei wichtig. Dies schlägt sich auch in der Wählerschaft wieder. Bei der Parlamentswahl 2009 waren es vor allem Libanesinnen und Libanesen unter 30 die der CPL ihre Stimme gaben. Momentan ist seine Partei verbündet mit den schiitischen Parteien Hizbollah und Amal, dem sogenannten Bündnis des achten März´. Uns gegenüber sagte er aber, dass er diesem nicht direkt angehört sondern neutral ist und seine Partei dieses Bündnis nur unterstützt. Im Jahr 2006 unterzeichnete er ein „Memorandum of Unsterstanding“ mit Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hizbollah, welches diese Zusammenarbeit festlegte. Dieses Bündnis brachte ihm unter den libanesischen Christen viel Kritik ein und ließ seine Popularität im Land sinken.
Während er im Bürgerkrieg noch gegen Syrien kämpfte, was ihm ein 15-jähriges Exil in Frankreich einbrachte, hat er 2006 seine Meinung „geändert“. Durch sein Bündnis mit der Hizbollah ist er jetzt mit der Regierung im Nachbarland verbündet. Uns gegenüber erklärte er diesen Wandel mit seinem großen Vorbild Charles de Gaulle. Auch dieser habe sich nach dem zweiten Weltkrieg mit Deutschland versöhnt und mit Adenauer eine Freundschaft gepflegt. Meiner Meinung nach eine etwas holprige Argumentation, da das Regime in Damaskus immer noch dasselbe wie damals ist und anders als Deutschland keinen Regimewechsel vollzog...
Lennard Schlöffel
Das Semester neigt sich nun fast dem Ende entgegen und es obliegt mir ein kurzes Resümee des bisherigen Semesters aus einer etwas anderen Perspektive zu geben. Sans phrase sei gesagt: MESH lohnt sich – und zwar in jeder Hinsicht.
Nebst den diversen Erfahrungen und Erlebnissen die uns hier – als Gruppe und natürlich auch persönlich – zuteilwurden und werden, darf der Austausch mit den libanesischen Studenten nicht unerwähnt bleiben. Samt allen bereits gemachten Aussagen zu den vielschichtigen libanesischen „Charakteren“ sollte die enorme Hilfsbereitschaft und Fürsorge aller Studenten und Verantwortlichen angeführt werden. Bereits das verständnisvolle „Ah, les Allemands!“ lässt auf schnelle Hilfe hoffen, welche in aller Regel auch umgehend folgt. Dieser gewisse Exotenstatus bescherte uns nicht nur die erwähnte schnelle Hilfe, sondern auch interessante Gespräche und Ausflüge mit unseren libanesischen Mitstudenten, sprachlichen Austausch und durchzechte Nächte – wir sind ja auch nur Studenten.
Beirut glänzt unterdessen mit einigen der renommiertesten Institute im und über den Nahen Osten. Wer hier Recherche betreiben möchte, wird in aller Regel fündig – sollte dies nicht der Fall sein, so versorgen die dortigen Verantwortlichen oder eben diejenigen der USJ einen mit ausreichend Kontakten und hilfreichen Hinweisen, so dass auch der persönliche Forschungsdrang (mal ganz vom universitären Betrieb abgesehen) nicht zu kurz kommt.
Um die Aufzählung am Laufen zu halten, müssen weitere Vorzüge her: In die Reihe der diversen touristischen Attraktionen fügen sich selbstverständlich auch Wandertouren, unzählige Events der Universität, kulinarische Erfahrungen oder das Sportzentrum auf dem Campus mit ein.
Natürlich herrscht hier nicht durchgehend „eitel Sonnenschein“, doch ergibt sich gerade in Beirut (also insbesondere in Kombination mit dem Studiengang MESH) die einzigartige Möglichkeit ein vielschichtiges arabisches Land kennenzulernen und in vielerlei Hinsicht für sich zu entdecken.
Um den alten Knaben Voltaire zu bitten: „Das Geheimnis der Langeweile ist, alles sagen zu wollen.“ Aus diesem Grund soll mein Beitrag hier mit folgendem Appell an alle Interessierten enden:
Nehmt die Chance wahr und genießt ein Semester in Beirut – gleich welche Erfahrungen auch auf euch warten werden, es wird sich lohnen!
Michael Bartenstein
Chaos
Ich wohne in einer gemütlichen Wohngemeinschaft in Bachoura, in der Nähe des Stadtzentrums. Wenngleich ich nur etwa 15 Minuten Fußweg zur Uni zu bewältigen habe, so muss ich mich heute beeilen, um rechtzeitig beim Arabischkurs zu sein. Täglich unterschätze ich die Vormittagswärme und während ich meine Jacke wieder ausziehe, bereite ich mich gedanklich auf die Überquerung der ersten großen Straße vor. Da libanesische Autofahrer die Eigenschaft besitzen so viele Spuren auf der Straße zu eröffnen, wie es gerade passt, handelt es sich dabei um ein nicht immer ganz einfaches Unterfangen in Beirut. Bevor ich über eine vermutlich zwei - vielleicht auch dreispurige Straße - tänzle, schweift mein Blick kurz nach links, wo die prächtige Mohammed-al-Amin-Moschee im Sonnenlicht stolz emporragt. Elegant drängle ich mich zwischen einem glänzenden SUV und einer Mercedes S-Klasse vorbei, die am Straßenrand parken. Vor dem kleinen Autobus überwinde ich die erste Spur. Die weißen zerbeulten Mini-Autobusse sind zumeist langsamer und immer ein guter Ansatzpunkt zur Überwindung einer größeren Straße… doch schon hat sich die Straßenformation geändert und ein alter ächzender Ford Mondeo bleibt mitten auf der Straße stehen. Eine laute Stimme richtet sich an mich, sowie an alle sich in der Nähe befindlichen Personen „TACKSI
Ich lehne ab.
Noch zwei Spuren, begleitet von dem immerwährenden Hupkonzert schlängle ich mich an Baustellen und anderen Fußgängern vorbei. Konzentration ist gefragt. Löcher im Boden, die so groß sind, dass man darin verschwinden kann. Zugleich undefinierbare Eisenvorsprünge, die von der Bauabsperrung auf den Gehweg ragen und bei Nichtbeachtung blaue Flecken im Kopfbereich verursachen können. Immer wieder vom Gehweg auf die Straße und wieder hinauf auf den Gehweg hüpfend nähere ich mich der Universität. Der Lärm und die Hektik sind ungewohnt aber das Chaos ist auf seine Weise auch liebenswert. Spiegelt der Verkehr wohl die Verfasstheit der Gesellschaft wieder? Ohne weiter darüber nachzudenken, gehe ich noch schnell in einen der vielen Shops am Wegesrand hinein und hole mir für 500 Lira (umgerechnet ungefähr 25 Cent) eine kleine Flasche Wasser.
Sprachbarrieren?
Die Libanesen wirken nett, aufgeschlossen und fragen sofort woher man sei, wenn sie die Gelegenheit dazu haben. Die Herkunft des Gegenübers ist wohl eine der wichtigsten Informationen, die Libanesen für einen Austausch benötigen. Zugleich bietet diese Situation dem Gast die Gelegenheit sich nicht nur in englischer sondern auch in französischer oder arabischer Sprache auszuprobieren. In der Regel ist es einem selbst überlassen für welche der drei Sprachen man sich entscheidet, da die meisten gebildeten Libanesen ohnehin alle drei Sprachen gleichzeitig verwenden. Nur selten sind Arabischkenntnisse ein unbedingtes Muss. Vor allem im Taxi, vielleicht im Copyshop aber im Grunde kann man sich mit den meisten Libanesen auch auf Französisch oder Englisch austauschen. Was aber nicht heißt, dass man nicht auch seine Arabischkenntnisse anbringen könnte, oft zur Freude des Gegenübers.
Von Vorteil ist dabei die Tatsache, dass wir, die Studierenden aus Erfurt, uns über neun Stunden Arabisch die Woche erfreuen dürfen, in denen wir die Gelegenheit haben die Sprache intensiv zu studieren. An der USJ sind wir mit dem drei Mal wöchentlich stattfindenden Arabischunterricht angehalten viel zu reden. Erschöpfende Grammatiklektionen werden uns erspart. Nur hin und wieder wird die Grammatik eingeübt aber zumeist wird sie indirekt über die zu erlernenden Dialoge einstudiert. Damit werden Hemmungen ab- und zugleich ein Wortschatz aufgebaut, der über viele Wiederholungen ausgebildet wird. Die Stimmung im Sprachkurs ist zumeist ausgelassen und folglich beginnt der Tag in quietschfideler Atmosphäre.
„اناديكم“ (Ich rufe Euch)
Nach dem Sprachkurs treffe ich mich mit einem palästinensischen Freund und wir nehmen ein Taxi nach Sabra, einem Palästinenserlager im Süden von Beirut. Im Kontext einer Seminararbeit sind wir angehalten Feldforschung zu betreiben. Mein palästinensischer Freund begleitet mich. In Sabra wollen wir einen bekannten, in Sabra lebenden, Palästinenser besuchen. Nachdem der Taxifahrer erfahren hat, dass mein Freund palästinensische Wurzeln hat, berichtet uns der Fahrer, dass er als Bodyguard für Arafat von 1980 bis 1982 gearbeitet hat. Was für ein Zufall! Voller Freude über unser Interesse beginnt er - bei geöffnetem Fenster durch Beirut brausend - palästinensische Befreiungslieder zu singen. Seine heisere Stimme ertönt lauthals, sein Gesicht ist voller Freude als mein Begleiter mit einstimmt. Dann fällt unserem Taxifahrer ein, dass er uns noch eine kleine „Taxiführung“ durch die Gegend anbieten könnte. Schon sehen wir Gebäude an denen Arafatbilder und Palästinafahnen angebracht wurden. Letztere wehen aufgeregt im Wind hin und her. Hier hätten die Israelis versucht Abu Jihad zu töten, dort habe man… Die alten Zeiten lassen den Taxifahrer für einen Moment aufblühen. Für mich ist es unmöglich alle Eindrücke zu verarbeiten und schon stehen wir an unserem Treffpunkt.
Gegensätze
Der Bekannte meines Freundes empfängt uns herzlich und berichtet von dem Leben als Palästinenser im Libanon. Er wirkt weniger abgeklärt als ich angenommen hatte, seine Worte versöhnend. Irritiert lasse ich mich darauf ein, stelle Nachfragen aber muss erkennen, dass er mir nur einen winzigen Ausschnitt offenbart. Einen versöhnlichen und sehr schönen Ansatz.
Auf der Straße sieht man davon leider nur wenig. Wenngleich wir, auch ich, herzlich empfangen wurden, so wird mir klar, dass ich in Sabra auffalle und nicht dorthin gehöre. Womöglich möchte man mit Fremden auch kaum über die Probleme sprechen. Vielleicht möchte man sie sich auch manchmal selbst nicht eingestehen. Das Leben für die Palästinenser, sowie für viele Menschen aus sozial schwachen Milieus, ist hart. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist von Armut betroffen. Das sieht man, tagtäglich. Der Kontrast zu den wohlhabenden Gegenden im Bankenland Libanon ist enorm. Die Dichte an Luxusautos und Designerboutiquen im Stadtzentrum übersteigt die in Deutschland um Weites.
Am Nachmittag habe ich ein weiteres Seminar. Danach gehe ich erst einmal nach Hause. Ich wohne sehr zentral, gleich bei Falafel Sahyoun, dem in der ganzen Stadt bekannten Falafelverkäufer. Zur Orientierung dienen nicht die Straßennamen, sondern bekannte Plätze, Kirchen oder eben auch der Falafelstand. Wir haben eine wunderschöne Wohnung, durchgehend warmes Wasser und Strom. Wir haben eine Heizung sowie eine Klimaanlage, ein geräumiges Wohnzimmer mit großem Ess- und Arbeitstisch sowie 2 Sofas. Darüber hinaus dürfen wir uns über 2 Balkone erfreuen. Auf einem der beiden scheint immer die Sonne…
Ich entscheide mich für einen Spaziergang am Meer. In nur wenigen Minuten bin ich an der Corniche. Im Hauseingangsbereich treffe ich unseren ‚Concierge‘ Abu Achmed, der mich mit seinem strahlenden Lächeln begrüßt. Er kümmert sich um alles. Tagtäglich holt er unseren Müll ab und sucht das Gespräch. Ein Platz zum Wohlfühlen…
An der Corniche angekommen sieht man das bunte Leben des Libanons; Frauen mit engen kurzen Hosen und Schuhen mit hohen Absätzen; Frauen mit Kopftuch; junge Männer, die am frühen Abend Dabke tanzen; andere angeln und wieder andere spielen mit ihren Kindern. Hier ist immer viel los. Es ist ein Platz zum Verweilen. Menschen mit dem Rad, mit Hunden, Zuckerwatte aber auch Kinder, die Kaugummis verkaufen und Schuhe putzen. Sie seien aus Syrien. Gedankenverloren schweift der Blick auf das ruhig liegende Meer….
Leuchtturm
Ich entscheide mich noch bis zum Leuchtturm zu spazieren. Auf dem Weg sehe ich hinter einer von Palmen geteilten Straße ein halb zerfallenes Gebäude. Wenngleich es einsam dasteht, so hat es etwas von seinem alten Glanz bewahrt und ist noch immer wunderschön. Schwermut überkommt mich hin und wieder, wenn ich durch die Stadt laufe. Man sieht die Einschusslöcher in einst malerischen und doch verlassenen Häusern. Manchmal fällt mir erst beim zweiten oder dritten Mal auf, dass sich hinter der Fassade kein Gebäudekorpus mehr befindet.
Die Vergangenheit ist nur schwer zu vergessen. Sie ist überall und zugleich wird für die Zukunft gebaut. Viel Neues entsteht. Baustellen überall. Das Leben in Beirut scheint so normal. Lachende, gut gekleidete Menschen mit einem coffee-to-go in der Hand. Die Stadt wirkt geschäftig; der Hafen übersät von Yachten. Ich denke an Gemmayze und Hamra, Stadtteile in den das Herz der Stadt zu pulsieren scheint. Sie zeichnen sich durch einladende Bars und Cafés und durch das Angebot an hervorragendem Essen aus. Menschen sitzen beisammen, genießen die Gemeinschaft bei einer Nargile oder spielen Backgammon. Alles wirkt entspannt und das Miteinander ist so herzlich.
Willkommen in Beirut.
Tabea Hirsch
Die Zeit vergeht und mittlerweile haben wir einen recht guten Eindruck von den verschiedenenLehrveranstaltungen. Neben dem Arabisch-Unterricht (3 Einheiten pro Woche á 3 Stunden) haben wir noch 6 Veranstaltungen.
Die Woche beginnt mit Sociologues et anthropologues du Liban et du monde arabe. In der französischsprachigen Veranstaltung von Professor Annie Tohme-Tabet wird - wie der Titel vermuten lässt - ein Überblick über die verschiedenen Soziologen der Region vermittelt. Hierbei geht es nicht nur um die generelle Entwicklungsgeschichte der Disziplinen, sondern auch um bedeutende Vertreter der Soziologie und Anthropologie aus den verschiedenen Ländern der arabischen Welt. Von den Studierenden wird eine Präsentation zu einem Soziologen erwartet - was auch auf Englisch möglich ist.
Am Dienstag folgt in englischer Sprache Sociologie et gestion du conflit von Frau Gabriele Bunzel Khalil, dabei geht es um verschiedene Konflikttheorien, -analyse und -management. Neben Klassikern zum soziologischen Blick auf den Konflikt wie Coser, Dahrendorf und Simmel wird die Veranstaltung von zwei Workshops in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) bereichert, in denen wir die praktische Dimension der Konfliktbewältigung und deren Methoden diskutieren. Die Prüfungsleistung hierin besteht aus einer Gruppenarbeit zu einem frei gewählten Thema aus einem der Arbeitsfelder "Development and Peace Studies", "Promoting Peace Education", "The Media´s Role in Promoting peace" und "Women and Peace". Hier haben wir die Möglichkeit, Feldforschung zu betreiben und im Rahmen von beispielsweise Interviews unsere eigenen Erkenntnisse zu sammeln. Die Gruppen sind dabei aus deutschen und libanesischen Studierenden zusammengesetzt, um den Austausch der Blickwinkel zu fördern.
Ebenso auf Englisch geht es am Mittwoch in Thêatre politique et art engagé au Liban et dans le monde arabe um die soziologischen und politischen Dimensionen in Musik und Theater. Neben libanesischen Größen wie Fairuz, Ziad Rahbani und Marcel Khalife werden auch Lieder von im Westen weniger bekannten Künstlern der arabischen Welt dahin gehend analysiert, inwiefern und auf welche Art und Weise gesellschaftliche und politische Elemente in der Kunst wiedergegeben werden und Wechselwirkungen zwischen Kunst und Gesellschaft sowie Politik bestehen. Für Professor Roula Abi- Habib Khoury stellen wir jeweils einen Künstler anhand exemplarischer Werke dar und untersuchen die sozio-politische Dimension der Lieder.
Der Donnerstag wartet mit zwei Veranstaltungen auf, die beide auf französisch gehalten werden. In Genre et féminisme au Liban et dans le monde arabe bei Professor Tohme-Tabet behandeln wir Konzepte und Entwicklung der Genderforschung in der arabischen Welt, ihre Anwendung und Auswirkungen auf die hiesigen Gesellschaften. Als Prüfungsleistung wird auch hier ein Vortrag gehalten, beispielsweise zu Themen wie "Frauen und Bürgerkrieg", "Männliche Identität und Kultur" und "Frauen und Gender im Islam".
Der zweite Kurs - Rituels religieux et politique au Liban - bei Professor Robert Benedicty beschäftigt sich mit der Bedeutung religiöser Rituale im Libanon und Syrien. Vor allem deren politische Aufladung und die Wechselwirkung zwischen religiöser, politischer und gesellschaftlicher Sphäre in diesen Ritualen stehen im Mittelpunkt. Dies wird beispielhaft am schiitischen Ritual Ashura in der südlibanesischen Stadt Nabatiyeh und an den Karfreitags-Feierlichkeiten in einem Dorf im Chouf- Gebirge untersucht. Diesen Ritualen wird eine Gründungsfunktion bzw. Reproduktion der Gründungsgeschichte innerhalb der Religion zugeschrieben, weswegen sie von besondere Bedeutung sind. Am Ende des Semesters steht eine Klausur zu den Inhalten der Veranstaltungen an.
Am letzten Tag der Woche findet die zweite Veranstaltung von Professor Abi-Habib Khoury statt, Idéologies et partis politiques au Liban et dans le monde arabe. Auf englisch besprechen wir die ideologischen Positionen der zahlreichen Parteien des Libanon. Diese werden aus erster Hand von (ehemaligen) Mitgliedern der jeweiligen Partei referiert, inklusive anschließender Fragestunde. Auch hochrangige Politiker haben wir im Rahmen der Veranstaltung schon besucht, beispielsweise Walid Joumblat und Michel Aoun. Eine Analyse eines politischen Textes anhand der vermittelten Kontexte stellt dann die Prüfungsleistung der Veranstaltung dar.
Abschließend ist noch zu sagen, dass es auch innerhalb der französischsprachigen Kurse ein großes sprachliches Entgegenkommen der Lehrenden gibt. Fragen und Antworten können auch auf Englisch erfolgen ebenso wie die Prüfungsleistungen. Sprachliche Vorbehalte gegenüber dem Studiengang gelten also nicht!
Robert Willecke
Samstag, der 02. März 2013.
Wir sind eingeladen. Bei Walid Joumblat. Zum Mittagessen.
Walid Joumblat ist ein Politiker. Er ist Drusenführer und der Chef der PSP, der Progressive Socialist Party. Und er ist der Sohn von Kamal Joumblat. Jener schillernden Person, die die Partei im Jahr 1949 gegründet hat und mit seinen Ideen von Sozialismus und Säkularismus die Libanesische Parteienlandschaft bereichert hat.
Mit der Ermordung Kamal Joumblats 1977 hat sein Sohn Walid dessen Nachfolge angetreten. Bis dato war er als Lebemann bekannt. Mit der Übernahme der Ämter seines Vaters begann seine Laufbahn als Politiker, und, der libanesische Bürgerkrieg zählte das zweite Jahr, mithin als Warlord.
Mit Ende des Krieges 1990 begann Walid Joumblats Laufbahn als Staatsmann, dessen geschicktes Taktieren die libanesische Politik bis heute ständig auf Trab hält.
Wir haben uns also nach Moukhtara aufgemacht. In den Chouf. Jenen Bergen südöstlich von Beirut, in denen sich die Festung der Joumblats befindet. Ein beeindruckendes Gebäude. Die ältesten Teile des Komplexes datieren auf das Jahr 1740. Jeden Samstag am Vormittag empfängt Joumblat hier seine Anhänger. Er ist Za‘im der Drusen. Also jener Clanchef, zu dem die Menschen kommen, wenn sie Probleme haben und Hilfe brauchen. Wenn sie etwa eine Krankenhausrechnung nicht bezahlen können. Dann wird Ihnen hier geholfen.Bei unserer Ankunft führt er gerade die letzten Gespräche. Wir nehmen derweil in einem Salon seines Hauses Platz und werden von seinen drei Hunden begrüßt. Nach einigen Minuten dann hat er Zeit für uns. Bei Tee und Nüssen lernen wir uns kennen. Wo wir denn herkämen. Aus Erfurt!? Da war er auch mal. Im Jahr 1970. Die Stadt habe ihm sehr gut gefallen.
Es braucht ein wenig, bis das Gespräch ins Rollen gerät. Joumblat scheint in Gedanken noch ein wenig woanders zu sein. Dann aber entpuppt er sich als einen charmanter Gastgeber. Er erzählt von seinem Vater, dessen Visionen eines säkularen Libanons und seiner Ermordung. Er beantwortet unsere Fragen. Warum der Libanon, obgleich reich an natürlichen Ressourcen und hervorragenden Bildungseinrichten, wirtschaftlich kränkelt und auch politisch mehr schlecht als recht funktioniere? Die geopolitische Lage. So einfach.
Wahrscheinlich ein wenig zu einfach.Er ist pragmatisch. In der Art und Weise, wie er antwortet. Wie er Politik analysiert. Das wird deutlich. Nach einiger Zeit leistet uns seine Frau Gesellschaft. Auch sie ist sehr charmant und gastfreundlich. Und sie hat ein wunderbares Lächeln. Vor dem Mittagessen zeigt uns Joumblat sein Anwesen. Er mag Kunst. Vor allem die Malerei. Er zeigt uns ein Bild eines Leibwächters. Eines ehemaligen Leibwächters. Ehemalig? Er ist tot. Gestorben bei einem der vielen Attentate auf Joumblat. Dass er selbst noch lebe sei Glück. So einfach.Zum Mittagessen werden wir in den Speisesaal gebeten. Im Kamin knistert das Feuer. Es strahlt eine gemütliche Wärme aus. Der Tisch ist opulent gedeckt. Bei viel Wein und mehreren Gängen traditioneller libanesischer Küche unterhalten wir uns dann weiter. Er erzählt von seinen Begegnungen. Vielen Menschen ist er begegnet. Hafiz Al Assad, dem Vater des amtierenden syrischen Präsidenten. Fidel Castro. Erich Honecker. Aber auch westdeutschen Politkern. Er fragt, wie es denn Helmut Schmidt gehe. Sie haben sich im Rahmen der Sozialistischen Internationale kennengelernt. Warum sein jüngster Hund Oscar heiße? Er sei nach Oscar Wilde benannt. Den lese er gern.
Wir unterhalten uns auch über Politik in Deutschland. Seine Frau ist beeindruckt von der wirtschaftlichen und politischen Stärke Deutschlands und fragt nach den Gründen. Ihr Mann antwortet prompt. Disziplin und Effizienz. So einfach. Ein wenig mehr davon auch im Libanon. Ja, das fände er gut.
Nach dem Mittagessen zieht sich Joumblat dann in seine Mittagspause zurück. Seine Frau führt uns noch durch weitere Teile des Hauses. Unter Anderem in die Bibliothek. Neben unzähligen Büchern finden sich auch hier wieder Gemälde. Bildnisse von Lenin. Von der Roten Armee, die Nazi-Deutschland besiegt. Es wirkt ein wenig surreal. In diesem fürstlichen Landgut. Das eher Feudalismus denn Sozialismus ausstrahlt.Nach etwa drei Stunden bei und mit den Joumblats werden wir verabschiedet. Wir warten auf die Autos, die uns zurück nach Beirut bringen und werfen bei strahlendem Sonnenschein einen letzten Blick vom Anwesen auf die Berge.
Walid Joumblat. Der Staatsmann. Bei der anstehenden Wahl zum Vorsitz seiner Partei werde er nicht mehr antreten. Es sei nun die Zeit für andere gekommen.
Walid Joumblat. Ein spannender Mensch. Ein bewegtes Leben.
Schön, dass wir ihn kennenlernen durften.
Nino Bautz
Erfurt – Beirut. Zwei Städte, die vieles trennt. Zum Beispiel 2740 km Luftlinie. Oder ein Temperaturunterschied von derzeit 15 Grad Celsius.
Erfurt – Beirut. Zwei Städte, die aber auch verbunden sind. Zum Beispiel durch den neuen Studiengang „MESH. Middle Eastern Sociology/Anthropology & History“.
Über drei Wochen sind wir nun schon in Beirut. An der Université Saint-Joseph (USJ).
Die Süßigkeiten aus den Schultüten sind längst verzehrt. Und die Bleistifte schon häufig benutzt.
Es ist ein wenig Routine eingekehrt. Und nun haben wir auch Zeit für den Blog. So soll es sein!
Seit dem 11. Februar besuchen wir hier Kurse etwa in Konfliktsoziologie, Gender und Feminismus, Politischem Theater und Parteienideologie. Und natürlich haben wir Arabisch-Kurse. Anfangs war das Sprachenwirrwarr ganz schön anstrengend: Unterricht in drei Sprachen. Neben den Arabischkursen sind die Unterrichtssprachen in den Soziologie-Veranstaltungen Französisch und Englisch. Auch außerhalb der Uni ist die Umgangssprache oft ein Mix:
„Hey, kifak, ca va?“. Libanesisch für: „Wie geht’s?“
Aber: Wir haben uns eingelebt. Und: Die Vielsprachigkeit hat auch seine Vorteile. Wenn man auf Englisch mal nicht weiter weiß, dann lässt man einfach ein paar Worte Französisch oder Arabisch einfließen. Oder vice versa. Das funktioniert. Und ist ganz schön libanesisch.
Die meisten von uns sind am Freitag, den 8. Februar in Beirut gelandet und hatten genau zwei Tage zum Ausruhen, bevor das Semester hier startete. Der Empfang hier war sehr herzlich. Schon im Vorfeld wurde uns mit der Wohnungssuche geholfen, wir wurden vom Flughafen abgeholt und auch an der Uni an sich fühlen wir uns sehr willkommen und gut aufgehoben.
Die hiesige Programmbeauftragte, Frau Prof. Dr. Roula Abi Habib-Khoury, hat für uns ein Studiensemester auf die Beine gestellt, das sich sehen lässt. Neben den Kursen, die natürlich obligatorisch sind, vergeht kein Wochenende, an dem nicht irgendein Termin außerhalb der Universität stattfindet. So etwa Ausflüge zu den vielen Sehenswürdigkeiten des kleinen aber feinen Levante-Staates oder Gespräche mit Politikern und KünstlerInnen.
Neben einem Wochenend-Ausflug in die Berge stand auch schon ein Besuch der Deutschen Botschaft und ein Gespräch mit dem Kulturreferenten auf dem Programm. Und ein Treffen mit Walid Joumblat.Studieren in Beirut.
Das ist ganz schön anders.
Und aufregend.
Und anstrengend.
Und ganz schön gut.
Nino Bautz