Ziel des 1776 gegründeten Illuminatenordens waren die Aufklärung und sittliche Vervollkommnung seiner Angehörigen; erreicht werden sollte dies durch die Vermittlung von Wissen und die (Aus-)Bildung der Mitglieder durch ihre Ordensoberen in verschiedenen „Classen“ und geheimen Gradstufen. Die bisherige Forschung zu den Illuminaten hat sich daher überwiegend auf die Organisationsstruktur sowie auf das sogenannte ‚Höhere Wissen‘ des Ordens als sein eigentliches Arkanum konzentriert. Als Dokumente des Ordens kannte man folglich bislang vor allem Druckschriften, Gradentwürfe und die Korrespondenz der führenden Mitglieder untereinander; der zeitliche Schwerpunkt lag dabei in den Jahren bis zum Verbot des Ordens in Bayern 1784/85.
Demgegenüber steht bei dem seit Herbst 2013 am Forschungszentrum Gotha verfolgten Projekt ein ganz neues, bisher von der Forschung noch kaum beachtetes Quellenkorpus im Mittelpunkt: Es handelt sich dabei um rund 150 ungedruckte Aufsätze aus den Jahren 1783-1787, die im Nachlass Johann Joachim Christoph Bodes (1731-1793), der sogenannten „Schwedenkiste“, überliefert sind. Das Themenspektrum dieser Texte, die zum großen Teil bei den Zusammenkünften mitteldeutscher Illuminaten verlesen wurden, ist breit gefächert: Es reicht von der Epistemologie und der praktischen Philosophie über weltanschaulich-moralische Fragen bis hin zu wirtschaftlichen und sozialen Reformvorschlägen. Die Aufsätze spiegeln damit in der Summe ihrer Diversität die Interessen der spätaufklärerischen Öffentlichkeit wider und ermöglichen somit einen Einblick nicht nur in aufklärerisch motivierte Reformbestrebungen der Illuminaten, sondern auch in die Möglichkeiten und Reichweite sogenannter ‚Volksaufklärung‘, die speziell in Gotha eines ihrer Zentren hatte.
Aus der Auswertung dieses einzigartigen Quellenmaterials und seiner Einbettung in benachbarte Quellen wie die Protokolle der Gothaer „Minervalkirche“ und die geheime Korrespondenz zwischen den örtlichen Mitgliedern der niederen Grade und ihrem ‚Unbekannten Oberen‘ Bode ergibt sich die Chance, sowohl die kommunikative Praxis innerhalb des Illuminatenordens als auch die Beziehungen der internen Debatten zu allgemeinen Diskursen der deutschen Spätaufklärung weit tiefgehender als bisher zu erforschen. Das Korpus verändert radikal den Blick auf den Orden: nicht mehr Geheimnis, Exklusivität und Gradordnung stehen jetzt im Mittelpunkt der Analyse, sondern alltägliche Ordenspraxis, Mitgliederführung und das Verhältnis zu den Institutionen und Themen der öffentlich sichtbaren Aufklärung. Die Diskussionskultur innerhalb der lokalen Gruppierungen kann durch den Abgleich der Aufsätze mit anderen Quellen mikrohistorisch minutiös kontextualisiert werden. So nah wie man hier an und in den Illuminatenorden kommen kann, war dies bisher nicht denkbar. Dem Nimbus des Nebulösen und Verschwörerischen, der dem Illuminatenorden und seinen Mitgliedern nach wie vor anhaftet, kann damit durch seriöse, quellenbasierte Forschung auf einer neuen Ebene begegnet werden. Auf der anderen Seite können die Aufsätze – oft fand ein Thema mehrere konkurrierende Bearbeiter – miteinander sowie mit publizierten Schriften des ‚öffentlichen‘ Diskurses in Beziehung gesetzt werden, so dass eine Topographie von Debatten sichtbar wird und neues Licht auf die Spätaufklärung als Ganzes fällt.
Mit der Anbindung an das Forschungszentrum Gotha kehrt unser Projekt geographisch an den Ort zurück, an dem die meisten Aufsätze entstanden und für den wir die Vernetzung von Sozietäten, Bürgern und Hof am dichtesten beschreiben können. Mit dem Aufbau einer Forscher aus aller Welt zur Partizipation einladenden Internetplattform, der The Gotha Illuminati Research Base, arbeiten wir im selben Moment daran, den Standort Gotha mit seinen reichhaltigen Archiv- und Bibliotheksbeständen zu einem Zentrum der Illuminatenforschung auszubauen.
2013 - 2016
Bild: Quelle aus der "Schwedenkiste".