Illustrierte Massenpresse
Die Faszination von Illustrierten des 20. Jahrhunderts ist bis heute ungebrochen: Als vergleichsweise ‚schnelles‘ Medium gelang es ihnen, im Takt des Zeitgeschehens dieses abzubilden und gleichzeitig zu prägen. Ihre Bildberichte atmen den Esprit, ihr Layout verdeutlich das ästhetische Empfinden ihrer Epoche. Dabei sind ihre Erscheinungsformen so vielfältig wie die Lebensbereiche, über die sie berichten: An vorderster Stelle natürlich die aktuellen Illustrierten im Zeitungsformat und mit ähnlichem Anspruch, daneben die Publikumszeitschriften zur Unterhaltung und Belehrung ihrer Leserschaft, die kaum fassbare Zahl von Fachpublikationen für Gebiete von A wie Architektur über M wie Mode bis Z wie Zoologie; die Illustrierten der Partei- und Meinungskämpfe in der Weimarer Republik oder die Skandal- und Klatschpresse mit ihrem Drang zum Sensationellen.
Die Zahl der alleine in Deutschland veröffentlichten Periodika geht in die Zehntausende, mit einzelnen Ausgaben in Millionenzahl und Auflagen in Milliardenhöhe. Jeder Versuch, auch nur ein halbwegs repräsentatives Bild dieses Medientypus nachzeichnen zu wollen, scheint aufgrund der Materialfülle zum Scheitern verurteilt. Einzelne Projekte versuchen, Schneisen in dieses unübersichtliche Forschungsgebiet zu schlagen und dabei materialnah zu argumentieren. Die Bearbeitung erfordert in der Regel kommunikationswissenschaftliche und historische Expertise, neben einer Sensibilität für die medialen Quellen und deren Entstehungsbedingungen.
Moderne Illustrierte
„Der schlagende Beweis für die ausgezeichnete Gültigkeit der Photographie in der Gegenwart wird vor allem durch die Zunahme der illustrierten Zeitungen geliefert. In ihnen versammeln sich von der Filmdiva an sämtliche Erscheinungen, die der Kamera und dem Publikum erreichbar sind. Säuglinge interessieren die Mütter, junge Herren werden durch Gruppen schöner Mädchenbeine gefesselt. Schöne Mädchen erblicken gerne Sport- und Bühnengrößen, die am Fallreep des Ozeandampfers stehen, wenn sie nach fernen Ländern fahren. In den fernen Ländern werden Interessenkämpfe ausgefochten. Aber nicht auf sie ist das Interesse gerichtet, sondern auf die Städte, die Naturkatastrophen, die Geisteshelden und die Politiker. In Genf tagt der Völkerbundskongreß. Er dient dazu, die Herren Stresemann und Briand vor dem Hoteleingang im Gespräch zu zeigen. Auch die neuen Moden müssen verbreitet werden, sonst wissen die schönen Mädchen im Sommer nicht, wer sie sind. Die Modeschönheiten nehmen mit jungen Herren an mondänen Ereignissen teil, in fernen Ländern finden Erdbeben statt, Herr Stresemann sitzt auf einer Palmenterasse, für die Mütter sind unsere Kleinen. […]
Noch niemals hat eine Zeit so gut über sich Bescheid gewußt, wenn Bescheid wissen heißt: ein Bild von den Dingen haben, das ihnen im Sinne der Photographie ähnlich ist. […] Noch niemals hat eine Zeit so wenig über sich Bescheid gewußt. Die Einrichtung der Illustrierten ist in der Hand der herrschenden Gesellschaft eines der mächtigsten Streikmittel gegen die Erkenntnis. Der erfolgreichen Durchführung des Streiks dient nicht zuletzt das bunte Arrangement der Bilder. Ihr Nebeneinander schließt systematisch den Zusammenhang aus, der dem Bewußtsein sich eröffnet. Die „Bildidee“ vertreibt die Idee, das Schneegestöber der Photographien verrät die Gleichgültigkeit gegen das mit den Sachen Gemeinte.“
Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1963, S. 33ff.
Ein zentrales Forschungsinteresse im Bereich der visuellen Kommunikation gilt der übergeordneten Thematik der modernen Illustrierten in ihrer Zeit. Eine erste Ausstellung in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart präsentierte 1998 zunächst acht wichtige deutsche Zeitschriften, darunter den ‚Querschnitt‘, ‚die neue linie‘ und ‚twen‘. Seither wurde der Zusammenhang in verschiedenen Teilprojekten vertieft, unter anderem zur Darstellung von Medien in der Publikumspresse Weimars, zur Zeitgeschichte in Illustrierten des Wirtschaftswunders und Filmstars auf Titelseiten. Die einzelnen Studien sollen in eine Gesamtdarstellung der deutschen Illustrierten im 20. Jahrhundert münden, in ihren nationalen Dimensionen und internationalen Bezügen. Die Forschung wird durch ein kontinuierlich wachsendes Illustriertenarchiv mit mehr als 40.000 Heften unterstützt. Gleichzeitig erfolgt derzeit die publizistische Erschließung einer weiteren privaten Zeitschriftensammlung, die über 1.000 künstlerisch gestaltete Covers versammelt.
In 2024 konnte anlässlich des Superwahljahres in Thüringen eine Ausstellung mit Montagen von John Heartfield aus der AIZ realisiert werden, die prominente Mitbürger des Freistaats mit zeitgenössischen Kommentaren versehen und so neu interpretiert haben.
Ausstellung "33 Geistesblitze"
Ausstellung "Illustrierten-Ikonen"
Begleitkatalog zur Ausstellung "Illustrierten-Ikonen"
DFG-Projekt "Illustrierte Magazine"
Illustrierte Magazine, wie sie uns heute an jedem Kiosk selbstverständlich sind, erregten in der Weimarer Republik großes Aufsehen. Durch die bunten Blätter wie „Uhu“, „Querschnitt“ oder „Das Magazin“ lernten die Menschen fremde Länder und neue Erfindungen kennen, blickten hinter die ihnen sonst verschlossenen Türen von Parlamenten und Revuetheatern – und erfreuten sich an der zeitkritischen Prosa von Literaten wie Erich Kästner oder Kurt Tucholsky. Damals als Wegwerfprodukte gedacht, stellen sie heute eine außerordentlich gehaltvolle, auch ästhetisch erstrangige Quelle zur Alltags-, Kultur-, Design- und Fotografie-Geschichte ihrer Zeit dar. Aber vollständige Ausgaben sind in öffentlichen Bibliotheken überaus selten und bislang kaum auf Sekundärträgern gesichert.
In dem Kooperationsprojekt „Deutschsprachige illustrierte Magazine der Klassischen Moderne. Digitalisierung und Inhaltserschließung“ der Universität Erfurt und der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) – mit Unterstützung der Deutschen Nationalbibliothek sowie der Axel Springer AG als Rechteinhaberin – wurden von 2012 bis 2014 die wichtigsten deutschsprachigen Magazine der Weimarer Republik digitalisiert und damit auch für die Forschung verfügbar gemacht. Ziel war es, die sehr seltenen und verstreut überlieferten Zeitschriften virtuell zusammenzuführen, die Text- und Bildinhalte zu erschließen und benutzerfreundlich zu präsentieren. Das mit spezieller Scan-Technik ausgestattete, elektronische Produktions- und Präsentationssystem für Digitalisate in der SLUB bewältigte dabei die Masse von Artikeln und Bildern, die durch Fachpersonal beschrieben und verschlagwortet wurden.
Mit derzeit über 630 Ausgaben ging im Januar 2013 das Informations- und Forschungsportal zur illustrierten Presse der 1920er Jahre online, über das rund 75.000 Seiten und 50.000 Abbildungen abrufbar sind. Die digitale Sammlung ist über Bibliothekskataloge, Suchmaschinen, die Europäische Digitale Bibliothek Europeana oder die künftige Deutsche Digitale Bibliothek zugänglich und soll in weiteren Projekten schrittweise um weitere illustrierte Zeitschriften ergänzt werden, die für eine kulturhistorische Betrachtung der Zwischenkriegszeit von Bedeutung sind. Im Rahmen des Projekts wurden im Sommer 2013 eine Ausstellung in den Universitätsbibliotheken Erfurt und Dresden und eine internationale Fachtagung mit über 30 Referenten aus dem In- und Ausland veranstaltet.
Homepage des Informations- und Forschungsportal zur illustrierten Presse der 1920er Jahre
Tagungsband "Deutsche Illustrierte Presse"
Ausstellung "Zeitgeist im Oktavformat"
Wissenschaftliche Fachtagung
Deutsche illustrierte Magazine – Journalismus und visuelle Kultur in der Weimarer Republik
Universität Erfurt, 4. und 5.7.2013
Der interdisziplinäre Workshop wird vom DFG-Projekt „Deutschsprachige illustrierte Magazine der Klassischen Moderne” der SLUB Dresden und der Universität Erfurt ausgerichtet, das die zehn wichtigsten Magazine der 1920er Jahre digitalisiert und erschließt. Darunter befinden sich populäre Zeitschriften wie der „UHU” oder der „Querschnitt”, aber auch seltenere Reihen. Über die Projekt-Website sind mehr als 630 Ausgaben mit rund 75.000 Seiten und 50.000 Abbildungen zugänglich.
Tagungsband "Deutsche Illustrierte Presse"
Das Bauhaus am Kiosk: die neue linie 1929-1943
Das Prädikat einer „modernsten Kulturzeitschrift Deutschlands“ galt in der Zwischenkriegszeit einem stark an Mode und Reise orientierten, frühen Lifestyle-Magazin „für den Menschen von Geschmack“ (so der Verlag in einer frühen Werbeschrift): Im September 1929 erschien die erste Ausgabe der Modezeitschrift ‚die neue linie‘, gestaltet von Laszlo Moholy-Nagy, einstmals Meister am Bauhaus und inzwischen freischaffender Gestalter mit eigenem Atelier. Herbert Bayer sollte insgesamt 26 der unverwechselbaren Umschläge für „die neue linie“ entwerfen. Sie sollte die einzige Zeitschrift bleiben, die den Bauhaus-Stil konsequent für ein Massenpublikum zur Anwendung brachte – klare Linien, eine schnörkellose Schrift, dynamische Diagonalen und Fotomontagen. Im Heft mit seinem aufgeräumten Erscheinungsbild und Mut zur weißen Fläche fanden sich Bildbeispiele des „Neuen Sehens“ ebenso wie Artikel zum „Neuen Bauen“ oder Beiträge namhafter Literaten.
Auch nach 1933 vertrat „die neue linie“, bis zu ihrer endgültigen Einstellung 1943, eine ‚domestizierte Moderne‘ und diente als Kronzeuge des Regimes für eine vielfältige Presselandschaft, die vermeintlich auch fortschrittliche Publikationen duldete. Sie behielt ihre Funktion als scheinbar moderne und fortschrittliche Publikation für das intellektuell-bürgerliche Milieu mit Niveau und Vermögen und beachtlicher Wirkung im Ausland. Zwar genoss die Redaktion größere Freiheiten im kulturellen und gestalterischen Bereich; als eine politische Zeitschrift hatte sich „die neue linie“ aber nie verstanden, spätestens seit dem Arbeitsverbot für Juden 1938 war der Mitarbeiterstab systemkonform besetzt, und es dominierten die klassische Bildsprache, mittelalterliche Ansichten, die Verwendung von Frakturschrift und zunehmend völkische und martialische Elemente der herrschenden Blut-und-Boden-Ideologie.
„die neue linie“ hat also niemals offen oder verdeckt politische Opposition gegen die Vorgaben des Regimes betrieben; allerdings waren unmittelbar propagandistische Beiträge vor Kriegsbeginn ebenfalls selten zu finden. Auch die vermeintliche Rassenproblematik war aus der Berichterstattung ebenso ausgeblendet, wie der Ausdruck ‚Jude‘ und überhaupt jedweder Bezug zur so genannten ‚Judenfrage‘ vermieden wurde. Verleger Arndt Beyer betonte nach dem Krieg, er habe „vor 1933 nicht ein Wort prohitler. oder antisemit. genehmigt, gedruckt, verlegt“, nach 1933 die unpolitische Haltung aller eigenen Frauenzeitschriften weitergeführt und „die vom Propaganda-Ministerium direkt geforderten Bilder oder Aufsätze nie über das geringstmögliche Maß ausgedehnt.“ Dennoch darf nicht übersehen werden, dass es im damaligen Mediensystem keine ‚unpolitischen Sphären‘ gab – auch die neue linie verstärkte die etablierten Wertvorstellungen und trug so mittelbar zur Verfestigung der Herrschaftsstruktur bei. Trotz allem strahlten einzelne Relikte der Bauhaus-Moderne bis tief in die Kriegswirren hinein vom Kiosk herab, ehe die allgemeine Papiernot im Frühjahr 1943 für die Einstellung der Zeitschrift sorgte.
Der Sammlungsbestand konnte 2004 die Reste des ehemaligen Werbemittel-Archivs des Leipziger Beyer-Verlages sichern, das auch zahlreiche Belege zur „neuen linie“ umfasst. Im Anschluss wurden aus dem Nachlass des früheren Chefredakteurs Bruno E. Werner außerdem ergänzende Dokumente und seine eigenen Belegexemplare der Zeitschrift übernommen. Aus diesem Material und Archivalien externer Leihgeber wurde eine viel beachtete Ausstellung „Das Bauhaus am Kiosk“ (Bauhaus-Archiv Berlin, 2007) kuratiert, die anlässlich des Bauhausjahrs 2009 in veränderter Form im Bauhaus-Museum Weimar gezeigt wurde. Zu diesen Ausstellungen erschienen zwei umfangreiche Kataloge (darunter einer in deutsch und englisch) und eine Monographie zu Leben und Werk von Bruno E. Werner.
In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde seit 1998 die wechselvolle Geschichte dieser Illustrierten in ihrer Zeit beleuchtet. Höhepunkt dieser Aufarbeitung waren sicherlich die beiden umfangreichen, gut besuchten Ausstellungen zum Thema im Bauhaus-Archiv Berlin (2007) und im Bauhaus-Museum Weimar (2009), die von einem reich illustrierten Katalog im Magazinformat begleitet wurden, dessen 2. Auflage auch in einer englischen Übersetzung erschien. Ausstellungen und Katalog wurden von Seminaren in der Kommunikationswissenschaft und im Studium Fundamentale begleitet und gemeinsam mit Erfurter Studierenden erarbeitet. Grundlage dieser Ausarbeitungen ist neben einem vollständigen Lauf der Zeitschrift, die aus dem Nachlass des Herausgebers Bruno E. Werner übergeben wurde, auch das seit Ende 1933 geführte Werbemittelarchiv des Beyer-Verlages, das u. a. Druckbelege zur ‚neuen linie‘ enthält. Zur Würdigung des Lebenswerks von Werner wurde 2009 eine eigene Publikation mit Dokumenten aus seinem Nachlass zusammengestellt.
Cover Stories
Die Geschichte des Illustriertenmarktes ist immer auch ein Lehrstück in Sachen Globalisierung, denn Innovationen auf diesem Gebiet wurden im Ausland stets aufmerksam beobachtet, inhaltliche und visuelle Konzepte zuweilen auch voneinander abgeschaut. In der Zwischenkriegszeit zeichnete sich gerade Deutschland durch eine reiche Vielfalt an Zeitschriftentiteln aus, die mancherlei Hinsicht weltweit stilbildend für das Genre wurden. gerade in der US-amerikanischen Forschung herrscht aber – zuweilen auch aus Unkenntnis über die schwer zugänglichen deutschen Magazine – oft eine irrtümliche Wahrnehmung vor, wonach das eigene Land der exklusive Trendsetter auf diesem Marktsegment gewesen sei.
Um diesen Eindruck zu korrigieren und insbesondere die intensiven Wechselbeziehungen in der Zeitschriftenlandschaft zwischen beiden Nationen differenziert zu beleuchten, wurde eine Ausstellung von über 100 deutschen und amerikanischen Originalheften der Zwischenkriegszeit konzipiert, die anhand aussagekräftiger Beispiele den Austausch von Ideen und Inhalten aufzeigte. Zunächst während der Jahrestagung der International Communication Association (ICA) vom 18. bis 23. Juni 2006 einem internationalen Fachpublikum präsentiert, war die Ausstellung „Cover Stories: Magazine Design in Germany and the U.S., 1920-1970“ schließlich von Januar bis Mai 2008 im Annenberg Building der University of Southern California in Los Angeles zu sehen. Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher, farbig illustrierter Katalog unter dem Titel „VIEWing our LIFE and TIMES. American and German Magazine Design in the 20th Century: A Cross-Cultural Perspective on Media Globalization“ (2006).
Rekonstruierte Realitäten
Zeitschriften, zumal die Illustrierten, scheinen geradezu dafür geschaffen, das aktuelle Zeitgeschehen aufzugreifen und zu dokumentieren: Weniger schwerfällig als die Buchproduktion, aber gleichzeitig nicht dem partikularisierenden Aktualitätsdruck der Tagespresse ausgeliefert, fängt sie mit ihren Titelbildern, Reportagen und Fotostrecken ein abwechslungsreiches Kaleidoskop ihrer Zeit ein. Diese „Anschaulichkeit der Gegenwart“ durch Verschmelzung von Text und Bild, wie es schon der Gründer der „Leipziger Illustrierten Zeitung“ beschrieb, geschah in den 1950er und 1960er Jahren jedoch höchst selektiv, wie schon damalige Beobachter beklagten: Die Illustriertenpresse würde nur einen sehr begrenzten Ausschnitt dieser Gegenwart präsentieren, orientiert an den tatsächlichen oder vermeintlichen Interessen des Publikums: In den Bilderblättern dominierten, so der Vorwurf, Tratsch und Klatsch, Sensationen und Katastrophen, Filmstars, Mannequins und Fürstenhäuser.
Anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) vom 20. bis 22. Mai 1998 in Mainz, die unter dem Motto „Massenmedien und Zeitgeschichte“ stand, spürte eine Ausstellung mit rund 200 Exponaten diesem Phänomen nach. Im Mittelpunkt standen allerdings jene Anlässe, in denen die Illustrierten die (überwiegend politischen) Schlüsselereignisse der Epoche aufgriffen – vom Korea-Krieg über den Mauerbau bis hin zu den Studentenrevolten, von der Beatlemania bis zum ersten Mann auf dem Mond. Ihr Titel „Rekonstruierte Realitäten“ spielt dabei doppelsinnig einerseits auf die Zeitschriften selbst an, die in ihrer Berichterstattung Wirklichkeit nicht objektiv präsentieren, sondern immer nur rekonstruieren können; andererseits geht auch jede Ausstellung immer selektiv vor und muss versuchen, durch die Auswahl aussagekräftiger Stücke ein zwar bruchstückhaftes, aber dennoch instruktives Bild von der Publizistik der Zeit zu zeichnen. Alle gezeigten Exponate sind in einer illustrierten Begleitbroschüre dokumentiert.
Zwischen Typofoto und Telehor
Was heute unter dem Konzept „mediale Selbstreferenzialität“ diskutiert wird und wie eine Erfindung der 90er Jahre anmutet, ist älter – viel älter. Die Funktionslogik des journalistischen Systems, namentlich die Selektionsregeln für aktuelle Berichterstattung, befördert Medieninnovationen auf die gesellschaftliche Agenda. Der Nachrichtenfaktor „Neuigkeit“ ist einschlägig, wenn es eine neue Erfindung aus dem Bereich der Kommunikationstechnologien zu präsentieren gilt, oft verknüpft mit regionaler Nähe und Statusaspekten. Oft kuriose Visionen faszinierten gerade in den 1920er Jahren das aufstrebende Bildungsbürgertum und beflügelten die Phantasien der urbanen Mittelschicht – aber auch von Politikern und Unternehmern, die schnell das gesellschaftliche und ökonomische Potenzial eines ausdifferenzierten Mediensektors erkannten.
Interessant erscheint aus heutiger Sicht, dass die technologisch getriebenen Innovationsprozesse seinerzeit bevorzugt von Künstlern der Avantgarde aufgegriffen wurden, die in den neuen Medienanwendungen auch Möglichkeiten für den schöpferischen Ausdruck erkannten. Gerade der ungarische Konstruktivist Laszlo Moholy-Nagy kann als Vordenker begriffen werden, der die Funktion der Entwicklung audiovisueller Medien für Kunst und Gesellschaft beispielsweise in seinem epochalen Bauhausbuch „Malerei, Fotografie, Film“ (1925) adressierte. Anhand verschiedener Anwendungsfelder verdeutlicht er den Übergang aus der Gutenberg-Galaxis in ein multimediales Zeitalter, dessen Medien „neue Beziehungen zwischen optischen, akustischen und anderen funktionellen Erscheinungen“ (etwa der Schrift) herstellen. Das von ihm propagierte ‚Typofoto‘ als „visuell exaktest dargestellte Mitteilung“ kombiniert in diesem Sinne Fotografie und Text zu effektiven Fotomontagen; man erfindet den ‚Telehor‘: „den Fernseher – man kann morgen in das Herz des nächsten schauen, überall sein und doch allein sein“.
Moholy-Nagys Überlegungen markieren die Spitze eines Diskurses, der auch in den populären Medien geführt wurde, wenngleich dort stärker auf den Aspekt des technologischen Fortschritts fokussiert. Die Ausstellung „Zwischen Typofoto und Telehor“ anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) e.V. vom 12.- 14. Mai 2010 in Ilmenau verdeutlichte in sechs Abteilungen anhand von gedruckten Beispielen, wie über Medieninnovationen in der Zwischenkriegszeit berichtet wurde. Die Exponate, die in einer Begleitbroschüre vollständig dokumentiert sind, zeigten die Entwicklung von illustrierter Massenpresse und Fotomontage, Film und Fernsehen, Radio und mobiler Kommunikation – aber insbesondere die Art und Weise, in der diese Innovationen publizistisch kommentiert wurden. Das Spektrum reicht dabei von ungläubigem Staunen über einen ungebrochenen Fortschrittsglauben bis hin zur zaghaften Technologieskepsis – also genau die Argumentationsfiguren, die uns aus der Technikfolgendiskussion bis heute geläufig sind.
die neue Stadt
Die Illustrierten der Weimarer Epoche transportierten – zufällig oder beabsichtigt – immer auch Visionen von Urbanität und urbanem Leben in die Öffentlichkeit. Vielleicht so genau wie kein anderes Medium reflektierte die Massenpresse, was dies in der Massengesellschaft bedeutete: Publiziert zumeist in den Ballungszentren des Deutschen Reiches, avancierten sie schnell zu unverzichtbaren Medien der Großstadtkommunikation.
In den Periodika der städtischen Avantgarden, aber genauso in den Magazinen und Bilderblättern der Publikumspresse wurden Bilder von der ›Neuen Stadt‹ vermittelt, wie sie sich beispielsweise die moderne Architektur im Umfeld von Bauhaus und CIAM erdachte. Großen Einfluss besaß die Zeitschrift das neue frankfurt (1926-1931), die gemeinsam mit ihrem Relaunch die neue stadt (1932) alle Bereiche des ›Neuen Lebens‹ berührte und dabei auch Medien wie den Film oder die Fotografie thematisierte. Der nationale und internationale Erfolg der ursprünglich als regionales Organ gestarteten Monatshefte rief schon bald Nachahmer auf den Plan: Titel wie das neue berlin (1929), das neue leipzig (ab 1928), oder die bunte stadt (Mannheim, ab 19) und weitere Publikationen illustrieren die Welle der großstadtbezogenen Zeitschriften, die immer wieder den ›neuen‹ Lebensraum thematisierten. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass ausnahmslos alle dieser Zeitschriften von einem Fortschrittsglauben beseelt waren, der sie im politischen Kampf eindeutig als Kontrahenten der reaktionären Kräfte im Reich auswies. Nach 1933 wurden sie deswegen entweder sofort eingestellt, belanglos oder unter der Flagge der ›neuen‹ Machthaber umgekrempelt weitergeführt.
die neue stadt überschrieb programmatisch ein Ausstellungsprojekt zu „Visionen von Urbanität und urbanem Leben in der illustrierten Massenpresse“, das von einer Begleitbroschüre dokumentiert wurde. Anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) e. V. vom 16.-18. Mai 2012 in Berlin zeigte die Ausstellung ausschließlich Originalmaterial zur Konstruktion von Stadt und städtischem Leben in deutschen Printmedien der Zwischenkriegszeit, genauer der kurzen Periode zwischen 1926 (markiert durch die Eröffnung des Dessauer Bauhaus-Gebäudes) bis zur faschistischen Machtübernahme. Anhand einer exemplarischen, aber keineswegs repräsentativen Auswahl verdeutlicht sie auch die Rolle, die die illustrierte Massenpresse bei der Diffusion des urbanen Zeitgeistes spielte.
Gebrauchsgraphik
Im Zeitalter der Globalisierung erscheint es uns völlig normal, dass sich die Kiosklandschaft aus einem bunten Panoptikum internationaler Zeitschriften zusammensetzt. In der Zeit zwischen den Weltkriegen war dies dagegen alles andere als selbstverständlich. Als der Berliner Phönix Druck und Verlag 1924, also vor genau 90 Jahren, die ersten Ausgaben des Fachmagazins Gebrauchsgraphik veröffentlichte, schien die weltweite Vermarktung einer Monatsschrift noch ein kaum realisierbares Unterfangen – in Produktion, Vertrieb und Finanzierung. Dass der Herausgeber Hermann Karl Frenzel nicht locker ließ und seine »Monatsschrift zur Förderung künstlerischer Reklame« (so der ursprüngliche Untertitel) ab 1927 konsequent zweisprachig in Deutsch und Englisch produzierte, darf heute als Pionierleistung im globalen Zeitschriftenmarketing gelten.
Auch inhaltlich war die Gebrauchsgraphik offen und weltzugewandt. Von ihren ersten Ausgaben an hatte sie die herausragenden Leistungen auf jenem Gebiet, das man heute als Grafikdesign bezeichnen würde im Blick, ohne Rücksicht auf die Herkunft von Gestaltern oder Unternehmen. Jenseits ihres unbestreitbaren (und leicht nachvollziehbaren) Fokus auf die deutsche Szene, für die sie als der vielleicht wichtigste gedruckte Botschafter fungierte, betrachtete die Redaktion aufmerksam die Entwicklungen in Frankreich, England, den europäischen Nachbarstaaten – und immer wieder in Amerika. Mit ihrer modernen, aber nicht avantgardistischen Perspektive lieferte sie über zwanzig Jahre die verläßliche publizistische Grundlage für eine Branche, die wesentlich zur Weltwahrnehmung der Zwischenkriegsgeneration beitrug. Zugleich entwickelte sie ein »Who is who?« im Grafikdesign, das durch seine verblüffend treffsichere Auswahl bis heute hohe Gültigkeit hat. In den Jahren der NS-Diktatur gelang der Zeitschrift eine für alle Richtungen akzeptable Gratwanderung, die Neugründung nach der kriegsbedingten Einstellung 1944 erweiterte den Adressatenkreis zeitweilig sogar in den frankophonen Sprachraum, und bis heute verkörpert ihr Nachfolger „novum“ eine zentrale Benchmark der Szene.
Mit Unterstützung des novum-Verlags Stiebner in München haben die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt die ersten 20 Jahrgänge der Zeitschrift (1924 – 1944) komplett digitalisiert, voll durchsuchbar erschlossen und nach Themen, Gestaltern und Autoren verschlagwortet. Ab 2016 stehen diese Inhalte über die Plattform www.illustrierte-presse.de zur freien Verfügung und ergänzen dort die im Rahmen des DFG-Projekts »Deutschsprachige illustrierte Magazine der Klassischen Moderne« aufbereiteten Publikumszeitschriften der Epoche. Eine aufwändig gedruckte Monografie mit dem Titel „Eine Zeitschrift als gedrucktes Schaufenster zur Werbewelt“ flankiert diese datenbankgestützte Ressource und vereinigt ein Destillat des Gebrauchsgraphik-Volltexts mit ausgewählten Artikeln zur Geschichte der Zeitschrift – für den schnellen, online-unabhängigen Zugriff, als Einstieg in die Recherche, oder einfach nur als Appetizer für das Stöbern und Flanieren auf der Website. Den Hauptteil dieses Buches bestreitet ein lückenloser Lauf durch die zwischen 1924 und 1944 erschienenen Gebrauchsgraphik-Hefte, der anhand des jeweiligen Umschlags und einer Auflistung wesentlicher Inhalte und beteiligter Gestaltern einen zügigen Überblick über die Entwicklung der Zeitschrift erlaubt. Der Band erschien anlässlich einer gleichnamigen Ausstellung vom 9.12.2014 bis zum 1.2.2015 in der Universitätsbibliothek Erfurt, die im Frühjahr 2016 auch in der SLUB Dresden zu sehen sein wird.