Sammlung

Schriftzug des Amplonius in der Handschrift CA. 2° 358a

Die "Bibliotheca Amploniana" ist die größte heute beinahe geschlossen erhaltene Handschriftensammlung eines spätmittelalterlichen Gelehrten weltweit und zählt zu den bedeutendsten Handschriftensammlungen Deutschlands.

Der Arzt und Gelehrte Amplonius Rating de Berka, der diese Bibliothek zusammengetragen hat, übergab 1412 seine Sammlung von 633 Bänden, von denen heute noch etwa 430 in Erfurt vorhanden sind, an das von ihm zur Versorgung und Förderung von Studenten an der Universität Erfurt gestiftete Collegium Porta Coeli. Seine Büchersammlung verzeichnete Amplonius um 1410 eigenhändig in einem nach Fachgruppen geordneten Katalog, der heute noch erhalten ist und wertvolle Auskünfte über den Kernbestand der Sammlung gibt. Durch Zustiftungen der Stipendiaten des Collegiums wuchs der Bestand an Handschriften fast auf das Doppelte an. Es gingen aber im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Codices verloren oder gelangten auf unterschiedlichsten Wegen in anderes Eigentum. Zahlreiche Handschriftenverluste fallen in die Regierungszeit des Mainzer Erzbischofs Lothar Franz Graf Schönborn (1695-1725). Dieser erweiterte seine Büchersammlung aus den Beständen der Erfurter Bibliotheken erheblich. Es scheint, als habe er der "Amploniana" vor allem Handschriften aus dem Bereich der Artes (insbesondere auch "Schulautoren") entzogen. Ehemals amplonianische Handschriften finden sich heute in den Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der Anna-Amalia Bibliothek in Weimar, der Staatsbibliothek zu Berlin (Preußischer Kulturbesitz), der Universitätsbibliotheken Göttingen und Dresden, der Forschungsbibliothek Gotha sowie der Schlossbibliothek Pommersfelden.

Die Büchersammlung des Amplonius übertraf bereits in ihrer Zeit ähnliche Sammlungen um ein Vielfaches. Zum Vergleich: 1390 vererbte Konrad von Gelnhausen der Artistenfakultät der Universität Heidelberg etwas mehr als 200 Handschriften; Marsilius von Inghen, ein berühmter Heidelberger Universitätslehrer, hinterließ bei seinem Tod 1396 eine Bibliothek mit 360 Werken und damit die damals größte Privatbibliothek auf deutschem Boden; Nikolaus von Kues brachte bis zu seinem Tod 1464 etwa 170 Handschriften zusammen, die er dem von ihm gegründeten Cusanus-Stift in Bernkastel-Kues vermachte.

Heute beherbergt die "Bibliotheca Amploniana" insgesamt 979 Handschriftenbände, die schätzungsweise mehr als 7000 Einzeltexte enthalten sowie zahlreiche Inkunabeln und Drucke. Zahlenmäßig und inhaltlich ragen aus diesem Bestand die theologischen, philosophischen und medizinischen Handschriften heraus. Es finden sich aber auch zahlreiche Codices zu Grammatik, Rhetorik, Dichtkunst und klassischen Autoren sowie zu Zivil- und Kirchenrecht oder der Mathematik.

Amplonius schützte seine Bücherstiftung durch verschiedene Rechtskonstruktionen, die über Jahrhunderte hinweg sowohl die Stadt als auch die Universität Erfurt daran hinderten, die Bestände in Besitz zu nehmen.
Im 19. Jahrhundert brachte man den damals noch erhaltenen Beständen der Amploniana nach Zeiten der Vernachlässigung wieder stärkeres Interesse entgegen.
Nach Schließung der alten Erfurter Universität und der faktischen Auflösung des Collegiums zur Himmelspforte ("Porta Coeli") im 19. Jahrhundert gelangte die "Amploniana" aus dem Gebäude der "Alten Hofstatt" (ehemaliges Haus des Kurzmainzischen Statthalters) in der Markstraße (heute Nr. 6), wo sie sich seit 1767 befand, um 1837 in die Königlich Preußische Bibliothek Erfurt überführt zu werden, die die Räume des alten Kurmainzischen Packhofes am Anger (heute: Angermuseum) nutzte.

Noch während sich die "Amploniana" in ungeeigneten Räumen in der "Alten Hofstatt" befand, begann Heinrich August Erhard von 1821 bis 1827 mit der Verzeichnung der Codices, die er durch seinen beruflich bedingten Weggang aus Erfurt nicht abschließen konnte. Er beschrieb 66 Bände detaillierter (Kataloge erhalten in der Universitätsbibliothek Erfurt, Dep. Erf. CE. o. Sign. 4° 19-21). Nachdem die Bestände der "Amploniana" dann in Räume des Waage- und Packhofes verlegt worden waren, nahm Friedrich Kritz 1837 eine Neuverzeichnung des Bestandes in Angriff, die er bereits im März 1840 beenden konnte. Kritz ordnete die Bestände systematisch nach Fächern und beschrieb die Handschriften nur kurz, da er primär eine vollständige Verzeichnung des Bestandes anstrebte.

Zwischen Juni 1876 und Mai 1882 katalogisierte Wilhelm Schum die Codices der "Bibliotheca Amploniana" mit Blick auf die weitere wissenschaftliche Nutzung der Bibliothek. Er erstellte einen, nach den Maßstäben der damaligen Zeit, modernen und gründlichen Handschriftenkatalog, der 1887 erschien.

Zu Teilen des Textbestandes und zu einzelnen Codices wurden und werden einzelne, teils sehr detaillierte wissenschaftliche Untersuchungen angefertigt. Eine neue Gesamtsichtung und -katalogisierung des Bestandes konnte jedoch nicht durchgeführt werden.
Um Schums Katalogangaben, die teilweise unvollständig bzw. an manchen Punkten durch die Forschung der letzten 130 Jahre überholt sind, aufzuarbeiten und die Daten über das Internet abfragbar zu machen, wird der Katalog seit 2008 mit Förderung der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" in einem wissenschaftlichen Projekt über eine spezielle Datenbanksoftware aufbereitet und aktualisiert.

1908 kaufte die Stadt Erfurt den "Packhof" und die darin befindlichen Bibliotheksbestände vom Königreich Preußen und verlagerte 1936 Stadtbibliothek und "Amploniana" in das ehemalige "Collegium maius" in der Michaelisstraße (heute Nr. 39). Im Herbst 1942 (als der 2. Weltkrieg mit den Kämpfen um Stalingrad in eine neue Phase eintrat) evakuierte man die "Bibliotheca Amploniana" in die etwa 35 km entfernte Burg Kapellendorf bei Weimar, von wo aus sie nach Kriegsende zurück nach Erfurt überführt wurde. Dort fand sie im Hintergebäude des im Krieg zerbombten "Collegium maius" ihren Platz.
 
Nach der Wiedergründung der Universität Erfurt zum 1.1.1994 und dem Neubau der Universitätsbibliothek mit speziellen Räumen für die Nutzung und Aufbewahrung wertvoller Altbestände wurde die "Bibliotheca Amploniana" im Dezember 2001 als Dauerleihgabe an die Universität Erfurt übergeben. Seit September 2002 wird sie in der Universitätsbibliothek Erfurt (Teil der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha) aufbewahrt, bibliothekarisch betreut und wissenschaftlich erschlossen.

Literatur:

Wilhelm Schum: Beschreibendes Verzeichniss der Amplonianischen Handschriften-Sammlung zu Erfurt. Berlin 1887, Neudruck Hildesheim 2010.

Wilhelm Schum: Erfurter Handschriften in auswärtigen Bibliotheken: a. Die Gräflich Schönbornsche Bibliothek auf Schloß Pommersfelden; b. Die Königlich Bayerische Hof- und Staats-Bibliothek zu München. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 6 (1873), S. 253-279.

Andreas Speer (Hg.): Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus (= Miscellanea Mediaevalia 23). Berlin, New York 1995.

Kathrin Paasch (Hg.): Der Schatz des Amplonius: Die große Bibliothek des Mittelalters in Erfurt. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt und des Angermuseums Erfurt vom 2. September bis 4. November 2001. Erfurt 2001.

Thomas Bouillon, Brigitte Pfeil: Amplonius Rating de Berka und seine Büchersammlung. Bedeutung, Geschichte und Perspektiven der Bibliotheca Amploniana, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 70 N.F. 17 (2009), S. 31-53.

Josef Pilvousek, Josef Römelt (Hg.): Die Bibliothek des Amplonius Rating de Berka und ihre verborgenen Schätze. Anmerkungen zur Wiederentdeckung "Erfurter" Augustinus-Predigten. (= Erfurter Theologische Schriften 39). Würzburg 2010.

Aus: Brigitte Pfeil  Mosaiksteine‘ zur Geschichte der ‚Bibliotheca Amploniana‘