Der aus Schlesien gebürtige Michael Kosmeli (1773-1844), ein studierter Jurist, versatiler Schriftsteller, polyglotter Übersetzer, virtuoser Maultrommler und promovierter Botaniker, hat nie eine feste Stelle, ja noch nicht einmal einen festen Wohnsitz gehabt, sondern ist sein Leben lang als vagierender Gelehrter und Musiker kreuz und quer durch halb Europa bis nach Asien gereist. Er war das genaue Gegenteil eines Stubengelehrten. Kosmeli war vorzugsweise in dem Korridor unterwegs, der Ostdeutschland und Osteuropa mit dem Osmanischen Reich und Persien verband. Bevorzugte Anlaufstationen und Knotenpunkte bei seinen Reisen waren Berlin, Breslau, Riga, Reval, St. Petersburg, Moskau, Tiflis, Jassy und Konstantinopel, wo Kosmeli über lose Netzwerke von örtlichen Gelehrten und Freunden verfügte, die ihn beherbergen und behilflich sein konnten. Er gelangte bis nach Persien (Isfahan, Schiras) und spielte laut Zeitgenossen sogar mit dem Gedanken, zum Islam zu konvertieren; oft vergingen Jahre, bis er vorübergehend wieder nach Schlesien und Preußen zurückkehrte. Kosmeli überschritt nicht bloß fortlaufend ohne Mühe zahllose geographische, politische, kulturelle und religiöse Grenzen, sondern fühlte sich in diesem osteuropäisch-osmanischen Raum recht eigentlich zuhause. Durch seine »Rhapsodischen Briefe auf einer Reise in die Krim« (1813) und die »Harmlosen Bemerkungen auf einer Reise über Petersburg, Moskau, Kiew nach Jassy« (1822), durch seine Übersetzungen v. a. von Lyrik ( u. a. aus dem Polnischen, Russischen, Neugriechischen und Persischen), durch seine Kontakte mit einigen der hervorragendsten Gelehrten und Literaten seiner Zeit, darunter Hammer-Purgstall, Goethe, Chamisso und Jean Paul, und durch seine beständigen Konzertauftritte im In- und Ausland war Kosmeli im frühen 19. Jahrhundert unter allen deutschsprachigen Akteuren der mobilste und vielseitigste Vermittler von Texten, Ideen und Musik zwischen West und Ost, und zwar in beide Richtungen. Trotz seiner weiten Reisen, vielfältigen Verbindungen und diversen Veröffentlichungen ist Kosmeli seit langem eine vollkommen vergessene Figur, die bislang nur in einem einzigen, 2011 veröffentlichten Aufsatz (von Dr. Dirk Sangmeister) ansatzweise in den Blick genommen worden ist, nunmehr aber in die übergeordneten Zusammenhänge der »Transottomanica« eingebettet werden soll. Das Forschungsprojekt zielt in einem ersten Schritt darauf, Kosmelis verschlungene, zum Teil verwehte Lebenswege und alle seine Werke im Zusammenhang vermittels einer Kurzbiographie mitsamt detaillierter Bibliographie nebst einer kommentierten Edition seiner verstreut überlieferten Briefe zu rekonstruieren. Darauf aufbauend sollen in einem zweiten Schritt seine Rolle bei der Wissenszirkulation im transosmanischen Raum, seine Verbindungen, Verflechtungen und Interaktionen mit Gelehrten, Literaten und Musikern in West wie Ost sowie seine Transferleistungen im Zuge der Adaption von Texten, Ideen, Wissen und Kompositionen herausgearbeitet werden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt im Rahmen des Schwerpunktprogrammes »Transottomanica« für die Dauer von drei Jahren. In dem von den Historikern Stefan Rohdewald (Leipzig), Albrecht Fuess (Marburg) und Stephan Conermann (Bonn) konzipierten und geleiteten Schwerpunktprogramm erforschen seit 2017 mehr als ein Dutzend Geisteswissenschaftler im Verbund die osteuropäisch-osmanisch-persischen Mobilitätsdynamiken von der Frühen Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert.
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DFG-Förderung im Rahmen des Schwerpunktprogrammes "Transottomanica"
2021 - 2024