Raum und Recht
Der Tagungsband geht von der Beobachtung aus, dass der Raum in der Vormoderne nicht nur textuell beschrieben, sondern auch mit performativen Praktiken in Augenschein genommen und abgebildet wurde. Bei den Abbildungen handelt es sich um Visualisierungen des beanspruchten Raums, anschaulich gemachte Inaugenscheinnahmen und bildlich dargestellte Augenzeugenschaft. Wie wurden rechtliche Verhältnisse kartographiert? Diese zentrale Frage hat eine europäische Perspektive, die uns nach Entwicklungen und Einflüssen fragen lässt. Die Untersuchung gilt einerseits den Objekten der Raumdarstellung - wie Karten, Gemälden und Skizzen - andererseits den mit ihnen sich verbindenden performativen Praktiken.
Der Band enthält eine englische Übersetzung der Einleitung und einen Ausblick in die zukünftige Dokumentation von historischen Karten.
Taktungen und Rhythmen
Welches Potential besitzt der Begriff Rhythmus, um die Verzahnung von Raum und Zeit konzeptionell zu erfassen? Dieser Frage nähern sich die interdisziplinären Beiträge über Saisonalität und Rhythmus, überVerkehr, Transport und Logistik, über Rhythmus und Zeit sowie Musik und Raum. Theoretischer Ausgangspunkt ist das Konzept der Rhythmusanalyse des französischen Soziologen Henri Lefebvre.
Sich schreiben in der Welt des Mittelalters
Selbstzeugnisse bilden ein gegenwärtig vielseitig diskutiertes Quellenfeld, zumal wenn unter historisch-anthropologischem Blickwinkel nach Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten gefragt wird. Das Buch entfaltet dieses Quellenfeld aus mediävistischer Perspektive. Ausgehend von begriffs- und wissenschaftsgeschichtlichen Analysen wird der Vorstellung vom eher spärlich mit autoreferentiellen Schriften besetzten Mittelalter ein offener Selbstzeugnisbegriff entgegengestellt, der selbstständige von nicht selbstständigen Selbstzeugnissen heuristisch zu unterscheiden ermöglicht. Letztere werden begrifflich als ,inserierte Selbstzeugnisse' gefasst. Komplementär werden Quellen mit selbstbezüglichen Anteilen als ,komplexe Selbstzeugnisse' gekennzeichnet.
Der mediävistischen Erforschung von Selbstzeugnissen wird zunächst ein weites Spektrum verschiedenster Quellentypen von Artefakten bis zu sprachlich oder tonal verfassten Selbstzeugnissen zugrunde gelegt, als deren Fluchtpunkte ,Selbstidentifikation' und ,Selbstrepräsentation' diskutiert werden. Der eigene Name, die Schrift mit der eigenen Hand erscheinen als gewissermaßen basale Selbstzeugnisse. Insbesondere an Briefen und Briefsammlungen werden die Probleme verteilter Urheberschaft, Interferenzen von Schriftlichkeit und Mündlichkeit sowie Genderfragen beobachtet.
Bei der Untersuchung ,inserierter Selbstzeugnisse' rücken Kontexte verstärkt in den Blick. Die eigene Person erscheint thematisiert im Augenzeugenbericht, in bio- /hagiographischen Schriften oder in Visionsberichten, wobei ihrem Verbleib im Zuge von Textualisierungen und Überlieferung nachgegangen wird. Selbstbezügliche Notate werden in kalendarischen Quellentypen und in historiographischen Werken aufgesucht. Exemplarisch analysiert werden Quellen von der Spätantike und dem Frühmittelalter bis zum späten 16. Jahrhundert.
Die wieder virulenten Fragen nach den Formen mittelalterlicher Individualität, nach der Relation von Individuum und Gruppe können sich in der Perspektive dieses Buches an eine mediävistische Selbstzeugnisforschung wenden, die die historischen Praktiken der Verstetigung eines Ichs ins Auge fasst. Sie vermag zu zeigen, dass Selbstreferentialität auch in der mittelalterlichen Gesellschaft präsent war. Wie ihre Orte entdeckt werden können, wird hier gezeigt.
Religionen in Nachbarschaft
Das Interdisziplinäre Forum Religion der Universität Erfurt hat sich in einer Vorlesungsreihe mit der starken These von einem „mehrfachen Pluralismus" in der Religionsgeschichte Europas auseinandergesetzt, die in dem 2009 von Hans G. Kippenberg, Jörg Rüpke und Kocku von Stuckrad herausgegebenen Buch „Europäische Religionsgeschichte" vertreten wird. Was bedeutet es, die traditionelle Sicht der Kirchengeschichte in Europa zu erweitern und von einer Religionsgeschichte zu sprechen? Soll Pluralismus als ein Problem oder als ein Wert verstanden werden? Wie lassen sich historische Erfahrungen im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit, im 19. und 20. Jahrhundert deuten, wenn institutionelle Mehrheiten nicht automatisch der Maßstab zur Beurteilung des „Häretischen" oder „Marginalen" sind? Beiträge über Polemiker und Konvertiten, Gelehrte und Missionare, Liturgiker und Kirchenpolitiker, Traditionalisten und Theologiestudierende lassen eine Dynamik erkennbar werden, für die eine Formel „Religionen in Nachbarschaft" der Schlüssel sein könnte.
Mit Beiträgen von Christoph Bultmann, Stephanie Haarländer, Richard Hölzl, Thoralf Klein, Benedikt Kranemann, Christof Mandry, Martin Mulsow, Josef Pilvousek, Rotraud Ries, Jörg Rüpke, Sabine Schmolinsky und Heidemarie Winkel.
Weitere Veröffentlichungen / Publikationen /Herausgeberschaften
Anette Baumann, Evelien Timpener und Sabine Schmolinsky (Hgg.): Raum und Recht. Visualisierung von Rechtsansprüchen in der Vormoderne (bibliothek altes Reich, Bd. 29), Berlin / Boston 2020.
Aufsätze (Auswahl)
Räumlichkeit und Geschlecht in mittelalterlichen Ordensnormen, in: Monika Frohnapfel-Leis, Muriel González-Athenas (Hgg.): Zwischen Raum und Zeit. Zwischenräumliche Praktiken in den Kulturwissenschaften (SpatioTemporality / RaumZeitlichkeit. Practices – Concepts – Media / Praktiken – Konzepte – Medien, Bd. 14), Berlin / Boston 2022, S. 213–232.
Anette Baumann, Sabine Schmolinsky und Evelien Timpener: Einführung, in: Anette Baumann, Evelien Timpener und Sabine Schmolinsky (Hgg.): Raum und Recht. Visualisierung von Rechtsansprüchen in der Vormoderne (bibliothek altes Reich, Bd. 29), Berlin / Boston 2020, S. 1–9. Translated by William Templer: Space and law – Introduction, S. 165–174.
Wer wird das Himmlische Jerusalem erbauen? Interpretationen in der Apokalypsenexegese des Alexander Minorita, in: Susanne Ehrich / Andrea Worm (Hgg.), Geschichte vom Ende her denken. Endzeitentwürfe und ihre Historisierung im Mittelalter, Regensburg 2019, S. 147–157.
Heiner Stahl, Diana Hitzke und Sabine Schmolinsky: Taktungen und Rhythmen. Einleitung, in: Sabine Schmolinsky, Diana Hitzke, Heiner Stahl (Hgg.): Taktungen und Rhythmen. Raumzeitliche Perspektiven interdisziplinär (SpatioTemporality / RaumZeitlichkeit. Practices – Concepts – Media / Praktiken – Konzepte – Medien, Bd. 2), Berlin / Boston 2018, S. 1–8.
Bettelorden und Mystik in Erfurt im 13. und 14. Jahrhundert. Eine Annäherung, in: Karl Heinemeyer und Anselm Hartinger (Hgg.): Barfuß ins Himmelreich? Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt. Textband und Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Erfurt 2017, Dresden 2017, S. 92–97.