Die Sammlung Perthes birgt als Nachlass der Verlagshäuser Justus Perthes Gotha, Justus Perthes Darmstadt und des VEB Hermann Haack Gotha eines der bedeutendsten Kartenverlagsarchive Kontinentaleuropas. Teil der Überlieferungen ist eine Kartensammlung von fast 200.000 Blättern. Sie stellt einen Glücksfall dar, da die Sammlung sowohl die in Gotha produzierten Karten in allen ihren Herstellungsstufen als auch die vom Verlag breit erworbene internationale Kartenproduktion seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts umfasst, die auch aufgrund umfänglicher Tauschbeziehungen der Kartenverlage untereinander zustande kam. Dank der Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung/BMBF wird jetzt ein erster zentraler Teilbestand der Kartensammlung erschlossen und weltweit zugänglich gemacht: Innerhalb von zwei Jahren werden über 35.000 Afrika- und Asienkarten der Sammlung aus den Jahren 1800–1945 katalogisiert, digitalisiert und der (Fach-)Öffentlichkeit verfügbar gemacht. Alle Digitalisate werden über die Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha (DHB) publiziert, gehostet von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Ein englischsprachiger Blog präsentiert herausragende bzw. exemplarische Fundstücke und erste Ergebnisse der Erschließung. Darüber hinaus werden in Veranstaltungen, Tagungen und Workshops die vielfältigen Forschungsfelder und –potentiale, die der exzeptionelle Kartenbestand eröffnet, vorgestellt und diskutiert.
Neben Kupferstichen, Lithographien, Korrekturexemplaren und Andrucken gehören Handzeichnungen und Manuskriptkarten zu den herausragenden Stücken des Bestands. Zu diesen zählen Routenaufnahmen von Afrika- und Asienreisenden, Landschaftsskizzen und ‑ansichten sowie unikale kartographische Zeichnungen und Entwürfe der Gothaer Kartographen, die in Kartenform die im Feld gesammelten Daten aggregierten. Viele dieser Entwürfe bewahren ein breites lokales Wissen, das auf politisch-territoriale Gegebenheiten aber auch auf soziale und kulturelle Zusammenhänge abhebt. Hier schließt das Projekt an Erkenntnisse aus vorangegangenen Pilotstudien an; insbesondere an die Forschungen zu den historischen Karten Nordostafrikas der Sammlung Perthes (ETHIOMAP). Diese Wissensbestände gilt es en détail zu erfassen, nachhaltig zu dokumentieren und bekannt zu machen. Es ist deshalb ein weiteres Anliegen des Projekts, das lokale, in den Kartenentwürfen und -skizzen visuell und sprachlich eingegangene Wissen künftig durch weitere ausgreifende wissenschaftliche Kooperationen und Forschungsprojekte in Afrika und Asien (wieder) zugänglich zu machen.
Die hier interessierenden Kartenbestände sind für die neuere Geschichte weiter Regionen Afrikas und Asiens, ebenso wie für die Geschichte Europas im Zeichen kolonialer Globalität von Bedeutung. Karten figurierten in diesem Zusammenhang stets als Medien, die übergreifende räumliche Zusammenhänge visualisierten. Das in Karten konzentrierte und aus europäischer Perspektive reformulierte geographische Wissen diente jedoch nicht nur der Veranschaulichung und Orientierung, sondern schrieb sich zugleich in übergreifende politische Diskurse ein: In dem Maße, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neues Denken in politischen Räumen zunahm, gewann neben der politischen Geographie auch eine neue politische Kartographie an Konturen – eine Konjunktur, die sich aufs Engste mit den unterschiedlichen kolonialen Projekten der Europäer in Afrika und Asien verband. Aus diesem Befund ergeben sich für die in der Sammlung Perthes bewahrten Afrika- und Asien- Bestände zahlreiche Forschungsfragen, denen eine eigene internationale Arbeitsgruppe nachgeht. Diese soll zum Thema: „Kartographisches Wissen und Territorialität“ Ansätze der Kartographiegeschichte und der Area Histories mit globalgeschichtlichen Fragen und Perspektiven der transkulturellen Studien verknüpfen.
Das Projekt KarAfAs weist das Verlagshaus Justus Perthes Gotha und seine Nachfolger gleichermaßen als Knotenpunkt eines historischen wie auch eines künftig aufzubauenden Forschungsnetzwerkes aus. Es zeigt exemplarisch auf, in welchem Maße die Bestände für Fragen der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte im Zeitalter kolonialer Globalität innovative Blickwinkel eröffnen. Das übergreifende Ziel des Vorhabens ist, in großer Breite Forschungspotentiale aufzuzeigen, die sich aus der Sammlung Perthes ergeben, diese mit Blick auf die Perspektiven transkultureller Studien weiterzuentwickeln und zur Forschung mit den Beständen einzuladen.
Das Projekt ist als Kooperationsvorhaben am Forschungscampus Gotha situiert. Es fokussiert auf eine forschungsgeleitete Erschließung und digitale Präsentation der Afrika- und Asienkarten der Sammlung Perthes sowie auf eine auf diese Bestände bezogene Wissenschaftskommunikation. Das Vorhaben wird gemeinsam von der Sammlung Perthes/Forschungsbibliothek Gotha und dem Forschungskolleg Transkulturelle Studien realisiert.
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Bild: Bruno Hassenstein, Originalkarte der nord-abessinischen Grenzlande,Maßstab: 1 : 500.000, 1864 © Sammlung Perthes / Forschungsbibliothek Gotha, SPK 547-112085962.
Leitung
Prof. Dr. Iris Schröder(Direktion des Forschungskollegs Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes und Professur für Globalgeschichte am Historischen Seminar, Universität Erfurt)
Dr. Petra Weigel (Leiterin der Abteilung Sammlung Perthes, Forschungsbibliothek Gotha)
Wissenschaftliche Mitarbeit
Dr. Claudia Berger
Annika Dörner, M.A.
Bibliothekarisch-technische Umsetzung/Digitalisierung:
Karl Franz Hutter, M.A.
Yvonne Gräser
Martina Schröder
Andreas Pügner
Studentische Assistenz:
Marko Mališ
Julia Toni
Restauratorische Betreuung:
Forschungsbibliothek Gotha
Laufzeit:
02/2021–01/2023
Förderung:
BMBF-Projekt im Rahmen der Förderlinie eHeritage
Der Blog dokumentiert herausragende Fundstücke sowie erste Ergebnisse der Kartenerschließung und weitere Neuigkeiten.