Der Philologe und (Religions-)Soziologe untersucht dabei in den kommenden drei Jahren die vielschichtige neopagane Szene – also Menschen aus verschiedenen religiösen Strömungen, die sich vorchristlichen Naturreligionen verbunden fühlen – im heutigen Griechenland. Ein Forschungsdesiderat in mehrfacher Hinsicht: Denn die sogenannten „völkischen“ oder „neuheidnischen Religionen“ sind zwar ein international, in etlichen Ländern Europas (und darüber hinaus) zu beobachtendes Phänomen, jedoch weist der neugriechische Fall etliche Besonderheiten auf, insbesondere wegen seiner Verbindung zum antiken griechischen Polytheismus und der heftigen Kritik an der Griechischen Orthodoxen Kirche, am neugriechischen Staat, am akademischen altertumswissenschaftlichen Establishment sowie an der offiziellen Ideologie des Landes über die historisch harmonische Verbindung zwischen Hellenismus und Christentum. Das Forschungsprojekt an der Universität Erfurt zielt nun darauf ab, den griechischen Neopaganismus sowohl „intern“ (in Bezug auf Glaubensvorstellungen, rituelle Praktiken, Struktur) als auch „extern“ (z.B. Einflüsse, Kooperationen, Konflikte, Rekrutierungsstrategien, Öffentlichkeitsbeziehungen) differenziert, detailliert und systematisch zu untersuchen. Methodisch sind dabei sowohl eine qualitative Inhaltsanalyse als auch Feldforschung mit gezielten Interviews geplant. Die Ergebnisse sollen anschließend sowohl einem akademischen als auch einem nicht-akademischen Publikum u.a. in Konferenzen, Fachartikeln, Blogbeiträge und in einer Monografie zum Thema zugänglich gemacht werden.
Die neopagane Szene in Griechenland setzt sich aus einer Vielzahl kleiner Gruppen und Organisationen zusammen, die zwar einige gemeinsame Merkmale aufweisen (z.B. Idealisierung der Antike, Naturverehrung, Polytheismus vs. Monotheismus), sich jedoch in Bezug auf Glaubensaspekte, rituelle Praxis und politische Ideologie unterscheiden. Eine stärkere Präsenz bzw. Sichtbarkeit solcher Bewegungen lässt sich ab den 1980er-Jahren beobachten, als die griechische Gesellschaft sich stufenweise liberalisierte. In diesem Kontext konnten einige neopagane Organisationen rechtliche Anerkennung finden, auch wenn die neopagane Szene als Ganze im Land von vielen Seiten bis heute stark marginalisiert wird.
„Dieses Projekt ist nicht nur für ein besseres Verständnis der religiösen und kulturellen Landschaft des heutigen Griechenland unerlässlich“, sagt Prof. Dr. Vasilios N. Makrides, der das Projekt an seiner Professur betreuen wird. „Es werden auch Themen von außerordentlicher Relevanz für eine vergleichende Erforschung neopaganer Bewegungen im gesamteuropäischen Kontext angesprochen, was theoretisch für die Religionswissenschaft und andere Sozial- und Kulturwissenschaften weiterführend sein könnte.“