Politische Theorie/Ideengeschichte; Staatstheorien, Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt auf der arabisch-islamischen Welt; Politischer Islam; Integration und Migration; Feindbilddenken- und konstruktionen
Die Umbrüche des Jahres 2011 haben in den betroffenen Ländern der arabischen Welt vielschichtige Prozesse des sozialen, ökonomischen und insbesondere politischen Wandels in Gang gesetzt. Mit dem Abstand von nun drei Jahren ist aber deutlich geworden, dass ein Systemwechsel hin zu mehr Demokratie nicht in so kurzer Zeit und vor allem nicht ohne eine Überwindung des Widerstands der Kräfte des Anciene Régime gelingen kann. Das Beispiel Ägypten zeigt auf sehr klare Weise, dass die bloße Einführung formal-demokratischer Verfahren und Rechte – Wahlen, Zulassung politischer Parteien, Versammlungs- und Pressefreiheit usw. – zwar als Erfüllung einer Minimaldefinition von Demokratie angesehen werden kann; doch darüber hinaus wurde klar, dass die beteiligten Akteure über alle politischen Lager hinweg kaum in der Lage sind, sich auf politische Aushandlungsprozesse mit offenem Ende einzulassen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um säkulare oder islamische Akteure handelt: autoritäre und undemokratische Strukturen und Einstellungen überwiegen auf beiden Seiten. Kompromisse, die z.T. schmerzhafte Konzessionen erfordern, werden als Niederlage angesehen, die Position des politischen Gegners als illegitim abgelehnt. So wird oft versucht, die eigene politische Programmatik ohne Abstriche als einzig valide Alternative durchzusetzen.
Die Aufgabe eines Systemwechsels und einer Demokratisierung in Ägypten auf Grundlage von Aushandlungsprozessen („negotiated democracy“) kann nicht um die Frage umhin, wie nach Jahrzehnten von zuerst kolonialer und dann einheimischer autokratischer Herrschaft – oftmals in säkularem Gewand - politische Teilhabe organisiert werden kann, die alle politischen Akteure auf eine Weise ins zu schaffende politische System integriert, die die Gefahr eines Rückfalls in autoritäre Herrschaftsmuster dauerhaft ausschließt. Für die Analyse der arabischen Länder bleibt zudem die Frage nach dem Verhältnis von säkularen und islamischen Akteuren hinsichtlich der künftigen Rolle der Religion in Staat und Gesellschaft zentral. Beispiele wie Indonesien und die Türkei sowie das kurze Intermezzo der ägyptischen Muslimbrüder an der Macht zeigen, dass gescheiterte oder ausgebliebene Demokratisierungsversuche ursächlich nicht an „dem Islam“ festzumachen sind. Vielmehr muss man auch bei säkularen Akteuren der arabischen Welt von einer bestenfalls ambivalenten Haltung gegenüber demokratischen Verfahren sprechen, was nicht zuletzt durch die Existenz säkular-autoritärer Regime in Jordanien, Syrien, Tunesien unter Ben Ali, Libyen unter Ghaddafi sowie Ägypten sowohl unter Mubarak, als auch unter al-Sisi erhärtet wird. Im Zentrum der Arbeit wird die Rolle der säkularen Akteure in Ägypten beim Systemwechsel stehen. Von besonderem Interesse werden zentrale Konzepte dieser Akteure sein, die für eine Systemtransformation von Bedeutung sind. Dazu gehören u.a. Demokratievorstellungen, Zivilgesellschaft, Säkularisierung, Freiheitsrechte, Pluralismus, Verfassungsstaat, Repräsentation etc. Diesem Vorgehen liegt die These zugrunde, dass in Tunesien und Ägypten eine Situation „radikaler Polarisierung“ zwischen säkularen und islamischen Akteuren vorliegt, die zu einer ausgehandelten Demokratisierung nur dann führen kann, wenn grundlegende Konzeptionen und Narrative von Gesellschaft und Staatlichkeit im öffentlichen Raum verhandelt werden. Methodisch soll neben objektiv-strukturalistischen Theorien der Systemtransformation ein subjektiv-akteurszentrierter empirischer Teil (Interviews und Auswertung von Programmen) Aufschluss darüber geben, wie sich die Einstellungen der säkularen Akteure zur Demokratisierung verhalten, und ob auf dieser Grundlage eine Konsolidierung demokratischer Strukturen möglich
Erstgutachter: Prof. Dr. Kai Hafez (Universität Erfurt)