Sole Insight. An welchem Ort habe ich die meiste Zeit verbracht während der letzten Monate. In einem kleinen Café. Der erste Besuch, klar ist, das ist DER Ort für mich, eine kleine Oase in der großen Stadt. Fernab von all dem Lärm und doch mittendrin. Nur ein paar Stufen hinunter und schon ist man in der Party Straße: Armenia Street. Der einzige ruhige Moment hier, Sonntagvormittag. Fast fremd wirkt es dann. So leer.
Im Kontrast zu den Nächten. Die Straße entlang und alle paar Meter musst du dich zu einem anderen Beat bewegen. Das Klackern der losen Kopfsteinpflaster, wenn ein Auto langsam die die Straße entlang rollt. Langsam der Menschenmassen wegen, die ausgelassen, betrunken nicht mehr Straße und Bürgersteig unterscheiden. Ich höre immer, dass es so anders war. Und natürlich, die Krise im Land kann nicht unbemerkt bleiben. Noch immer erinnern leerstehende Restaurants an die Explosion. Das Geld fehlt, um sie wieder aufzubauen. Die Trümmer sind nicht angerührt. So wie die Tankstelle. Unter ihr vergraben, noch immer Autos. Wenn das Geld den Besitzer*innen fehlt, kommt es nicht von anderswo. Außer von Menschen, denen es selbst fehlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Explosion erst ein Jahr her ist. Ohne eine Regierung, so viel wieder aufgebaut.
All die Menschen, all der Lärm, die Musik, auch wie es jetzt ist, für mich meist zu viel. Deshalb die Stufen hinauf. Meine Oase. Tagsüber scheint die Sonne auf die bunten Schirme. Kinder spielen auf den Stufen. Erhoffen sich einen der süßen Säfte aus dem Café. Alte Menschen grüßen. Man genießt hausgemachte Spezialitäten, Fatayer und Molokhia, von der Mutter gemacht.
Am Nachmittag fühlt sich das Café langsam. Die Stimmung heiter in den Nächten. Junge Katzen erobern Herzen. Gin Basil mit frisch gemachter Basilikumlimonade. Einzigartiger Persönlichkeiten. Backgammon. Zigarettenrauch und Almaza Flaschen mehren sich. Gitarre. Gesang. Tanz.
Auf den Stufen sammeln sich junge Menschen. Sie hinterlassen Schriftzüge auf ihnen:
Wir fuhren mit dem Bus von Beirut in den Norden Richtung Tannourine. Am letzten Stopp stiegen wir aus und wollten per Anhalter weiter. Leider hatte aber niemand einen freien Platz für uns. Nach einiger Zeit stießen wir auf das Haus eines alten Ehepaares, das uns mit Äpfeln versorgte. Vor allem die Frau hat sich sehr um uns gesorgt, denn sie wusste, dass keine Busse zu unserem Ziel, dem Campingplatz „Joz Camping“ (Walnuss), fuhren und uns wahrscheinlich auch niemand mitnehmen würde. Wir wollten aber trotzdem unser Glück versuchen. Die Landschaft war beeindruckend: komplette Einöde mit sehr wenigen Häusern, felsig, grau, sehr still und wunderschön. Plötzlich tauchte ein Auto auf, es war der Sohn unserer Bekannten, sie hatte ihn geschickt, um uns zu unserem Ziel zu bringen. Wir waren superglücklich und erleichtert.
Der Campingplatz liegt im Wald direkt am Fluss Jaouz, die Zelte sind sehr komfortabel eingerichtet mit richtigen Betten. Abends kochten wir im Freien auf einem Feuer. Am nächsten Tag wanderten wir ins Dorf „Wata Houb“. Dort haben uns zwei Männer ein Stück in ihrem Auto mitgenommen. Sie erzählten uns von dem maronitischen Kloster „Couvent Saint Antonius“ gleich in der Nähe und brachten uns auch dorthin. Das Kloster ist direkt am Hang gebaut, es gibt dort Weinreben, eine Riesen-Zeder im Innenhof, Gewölbekeller und coole Mönche. Ein Mönch erzählte uns von dem „Baatara Wasserfall“ in der Nähe. Dieser fällt 250 Meter tief durch eine Kalksteinhöhle, das wollten wir natürlich sehen und machten uns auf den Weg. Die Höhle ist wirklich toll und machte mich ganz ehrfürchtig.
Wir freundeten uns dort auch mit einem Teeverkäufer an, der ganz in der Nähe wohnte. Er brachte uns nach einer Tasse Tee mit seinem Jeep zurück zum Kloster. Dort lernten wir bei einem Abendessen mit den Mönchen viel über die verschiedenen Konfessionen im Libanon. Am nächsten Tag besuchten wir den Gottesdienst in der dortigen Kapelle und konnten später mit einem der Mönche zurück nach Byblos fahren. Von da nahmen wir den Bus nach Beirut. Dies ist meine Lieblingstour im Libanon, die mir die Augen für die Schönheit des Landes und die enorme Gastfreundschaft seiner Menschen geöffnet hat.
Beirut liegt am Meer. Das hat sich Mima gemerkt, als ich ihr das erste Mal erzählt habe, dass wir ein paar Monate im Libanon verbringen werden. Eine wichtige Information für sie, sie liebt schwimmen und seit einigen Wochen hängt das kleine Seepferdchen stolz an ihrer Badehose. Ich sage ihr nicht gleich, dass man hier besser nicht Baden geht, dass das Wasser zu verschmutzt ist. Beirut liegt am Meer. Und das Meer will sie jetzt sehen. Ich tippe auf meinem Handy herum und zwei Minuten später steht ein uber vor unserer Tür. "Bonjour" und "Merci" kennt Mima schon, sie hält es für Arabisch.
Ich unterhalte mich mit dem Fahrer, während wir die Rue de Independance runterfahren, am Platz der Märtyrer vorbei, eine große Fläche erstreckt sich vor uns. Noch vor zwei Jahren war hier das Zentrum der Revolution, jetzt ist ein ganzes Viertel abgeriegelt und Militärs mit Gewehren stehen herum. Wir fahren weiter durch Downtown, dem Zentrum Beiruts, wo sich aber wenige länger als nötig aufhalten, nur die überteuerten Produkte auf den Regalen der Luxusmarken, Hermés neben einem verrammelten Gebäude voller Graffiti. Wir fahren vorbei an Hochhäusern, deren Glasfenster zersplittert sind, als vor einem Jahr Tausende Tonnen von explosivem Stoff im Hafen von Beirut in die Luft gingen, die Portraits der Verstorbenen sind auf einem langen Zaun gemalt. Unser Auto folgt der Strasse bis wir wieder aufs Meer stoßen, Stop and Go auf der Straße die zwischen Stadt und Strand liegt. Mima beugt sich aus dem rechten Fenster in Richtung Corniche, der betonierten Strandpromenade, auf der einige Menschen spazieren gehen, dahinter alles blau. Auf meiner Seite Glasfassaden, Fast-Food-Restaurants, dazwischen eine verlassene alte Villa. Der Raum hinter den großen Fenstern mit Arabesken im ersten Stock sieht nach einem Ballsaal aus. Langsam nähern wir uns der American University. Besuche auf dem Campus sind gerade wegen Corona verboten, aber ich erinnere mich gut an die wunderschönen Gebäude und die Katzen, die sich dort auf den Steinen räkeln. Hier steigen wir aus.
Mima hat schon aus dem Auto ein Auge auf die blinkenden Luftballons geworfen, die überall verkauft werden, neben Zuckerwatte und anderem Spielzeug. In die Richtung will sie jetzt laufen. Na gut. Der Wind weht uns sanft ins Gesicht als wir uns in Bewegung setzen. Wir werden rechts überholt von Miet-Dreirädern mit der Aufschrift “Beirut ist besser auf dem Fahrrad”, einige Kinder fragen uns nach Geld. Ich denke an die Scheine, die in meinem Beiruter Zimmer unter dem Kissen des Sessels liegen, Geld für Monate in Euro und Dollar, die ich bei Bedarf in Wechselstuben zum Tageskurs umtausche. Bei unserer Ankunft habe ich 18000 Lira für einen Dollar bekommen, drei Monate später bekomme ich 30000, normal waren mal 1500.
Wir halten an und beobachten über die Brüstung gelehnt eine Gruppe von Männern, die in Taucherausrüstung auf dem Riff herumlaufen, ein Netz in der Hand. Einer von ihnen stakst mit Schwimmflossen in unsere Richtung zu einem Grill, der unten an der Mauer lehnt und legt kleine orangene Kringel auf den Rost. Wir sehen den brutzelnden Shrimps von oben zu, wir stehen direkt über ihnen. Der Mann zwinkert Mima zu und macht eine einladende Geste. Sie winkt ihm zurück und zieht mich weiter in Richtung Leuchtturm. Sie findet die blinkenden Luftballons spannender als die frischen Meerestiere. Der Himmel verfärbt sich schon, als sie sich einen Ballon aussucht.
Wir nehmen ein uber zurück. Die Stadt ist nur spärlich beleuchtet durch die Häuser, deren Generatoren noch laufen. Offiziellen Strom gibt es heute nur für drei Stunden. Wir fahren durch dunkle Straßenzüge, ich links, Mima in der Mitte und ihr Ballon rechts auf der Rückbank. Er blinkt den ganzen Weg.