Marion Bayerl
1. Problemstellung
Kaum ein anderes gesellschaftliches Problem ist derzeit auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses so präsent, wie der Klimawandel, seine Folgen und die Frage nach Art und Umfang eines Handlungsbedarfs durch jedes Individuum, die Nationalstaaten und die globale Gemeinschaft insgesamt.
Da es noch stärker und globaler als frühere zentrale Umweltthemen (z. B. Waldsterben durch sauren Regen, Ozonloch) als Problem mit ethischem Handlungsbedarf aufscheint und zudem aufgrund seiner multikausalen Ursachen schwerer zu bekämpfen ist, stellt es ein geeignetes Thema dar, um eine grundlegende Frage anzugehen, die die verschiedensten Bereiche tangiert. Es handelt sich um die Frage, wie die Kultursachbereiche Technologie, Ökologie und Wirtschaft im Rahmen einer christlichen Ethik sinnvoll zueinander stehen, ohne in Widerspruch zu geraten. Dieser Sachverhalt ist deshalb so zentral, weil es damit letztlich auch um die Frage geht, inwieweit eine Hierarchie christlicher Werte, Gott – Mensch – Natur angesichts anthropogener Umweltprobleme aufrechterhalten werden kann.
2. Der Klimawandel und seine Folgen
Auch wenn es von manchen politischen Kräften angezweifelt wird, kann es als wissenschaftlich erwiesen1 betrachtet werden, dass es nicht nur einen natürlichen, sondern auch einen von Menschen verursachten Klimawandel gibt und dieser gegenwärtig bereits dramatische Ausmaße angenommen hat.
Dies soll deshalb an dieser Stelle nicht eigens begründet werden. Vielmehr ist ein kurzer Blick auf den Klimawandel selbst und seine Folgen sinnvoll.
Das Problem des zu hohen CO2-Gehalts der Luft ist, dass es (genauso wie auch andere Gase, z.B. Methan) ein Treibhausgas ist und damit in hoher Konzentration zu einem „Treibhauseffekt“, und damit zur Erwärmung der Atmosphäre führt.
Der Treibhauseffekt ist erdgeschichtlich gesehen ein natürlicher Effekt und bewirkt, dass die von der Erde abgestrahlte Wärme zum Teil zurückgehalten und nicht ins Weltall abgestrahlt wird. Das verhindert u. a. die Vereisung der Erde. Ohne diesen Effekt würde weltweit eine Durchschnittstemperatur von minus 18 Grad herrschen.2
Auch ein Schwanken in der CO2-Konzentration und damit der Temperatur ist an und für sich noch nichts Ungewöhnliches. So waren beispielsweise im Mesozoikum (vor 252-66 Millionen Jahren) und im Pliozän (vor ca. 5-2 Millionen Jahren) die CO2-Konzentrationen ähnlich wie heute und die Temperaturen in der Folge um zwei bis drei Grad höher im Vergleich zu heute. Das hatte zur Folge, dass weite Gegenden, wie beispielsweise Grönland eisfrei waren und der Meeresspiegel um mindestens zehn Meter höher lag als heute.3
Während aber eine gewisse Schwankung normal war, ist es die heutige Entwicklung nicht mehr. Denn zum einen übersteigt der CO2 –Anstieg alle bisherigen in großem Ausmaß und zum anderen erfolgt der Anstieg der Temperatur so schnell, dass sich Tier- und Pflanzenarten nicht schnell genug anpassen können.
Wie stark diese Veränderungen sind, zeigen zwei Zahlenbeispiele: Während beispielsweise 1750 noch 280 CO2-Moleküle auf eine Million Luftmoleküle kamen, so sind es heute bereits 407.4 Seit dieser vorindustriellen Zeit ist die Lufttemperatur über der Landoberfläche beinahe doppelt so schnell angestiegen wie die globale Durchschnittstemperatur.5
Solche Temperaturänderungen haben außerdem Auswirkungen auf andere Klimagrößen. So führt dies in manchen Gegenden zu einem stärkeren Regen, auf den dann eine längere Phase der Trockenheit folgt. Auch Spätfröste treffen Pflanzen härter, weil diese durch die wärmeren Temperaturen bereits in ihrer Entwicklung weiter sind und die Wirbelstürme im Atlantik sind zwar nicht häufiger, aber wesentlich heftiger, als vor dem Temperaturanstieg.6
So fasst Markus Vogt die Situation zusammen: „Trotz aller Klimaverhandlungen und aller Rede über ökologische Gerechtigkeit stoßen wir jedes Jahr mehr Treibhausgase aus; derzeit ca. doppelt so viel, wie die Wälder und Meere absorbieren können. Mitte des Jahrhunderts könnte Südeuropa von Wüsten geprägt sein. Der Verbrauch von Energie und Ressourcen, sowie der Ausstoß von Müll und Schadstoffen steigen weltweit unaufhörlich weiter.“7
3. Die Umweltethik im Zeitalter des Anthropozän
Dieser Einfluss des Menschen auf seine Umwelt ist einmalig in der Geschichte der Menschheit. Zwar haben die Menschen zu allen Zeiten ihr Lebensumfeld gestaltet, doch hatten sie nie so viel Einfluss und so viel Gestaltungs- und auch Vernichtungsmacht wie seit etwa der Zeit der Industrialisierung. Während also lange Zeit der Mensch vor der Herausforderung stand sich in einer oft auch rauen und teilweise wilden Natur zu behaupten und zu überleben, ist es jetzt gerade umgekehrt und die Überlebenschancen von Teilen der Umwelt (z. B. Tier- und Pflanzenarten) sind durch das Handeln des Menschen bedroht. Deshalb sprechen Wissenschaftler auch gerne vom Zeitalter des Anthropozäns, als des Zeitalters, in dem die Welt entscheidend durch das Handeln des Menschen geprägt ist.
Vor diesem Hintergrund ist es von wesentlich größerer Bedeutung, als zu früheren Zeiten, dass die Ethik zu den sich daraus ergebenden umweltethischen Fragen Stellung bezieht und im interdisziplinären Dialog nach Lösungsmöglichkeiten sucht.
In der hier als Beispiel gewählten Klimafrage liegen zwei bekannte Stellungnahmen vor, die die christliche Ethik nicht ignorieren darf: Die Bewegung „Fridays for Future“ mit Greta Thunberg als bekanntester Repräsentantin und die Enzyklika Laudato Si‘ von Papst Franziskus. Es soll hier bei der Analyse dieser beiden Lösungsansätze vor allem darum gehen, welche ethischen Werthaltungen und welche Priorisierungen vorliegen bzw. gefordert werden. Außerdem sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Einschätzungen herausgearbeitet werden. Eine inhaltliche Bewertung und ein Weiterdenken der verschiedenen Optionen sollen dann in einem späteren Gliederungspunkt erfolgen.
3.1. Lösungsvorschläge von Greta Thunberg und Papst Franziskus
3.1.1. Greta Thunberg und Fridays for Future
Die Forderungen und Lösungsvorschläge der Fridays-for-Future Bewegung wiederzugeben, ist äußerst schwierig, weil es sich um eine sehr heterogene Gruppe handelt und deshalb auch verschiedene Ansichten zusammen kommen – bis hin zu sehr radikalen Gruppierungen.
Zu Beginn der Bewegung wurde eher allgemein eine effektivere Klimapolitik bzw. ein stärkerer Schutz des Klimas gefordert. Und auch gegenwärtig sind konkrete Handlungsforderungen eher selten. In erster Linie werden Zielforderungen gestellt.
Bei einer Pressekonferenz im April 2019 im Berliner Museum für Naturkunde, bei der die Bewegung ihre Forderungen vorstellte, betonten sie, dass es nicht ihre Aufgabe sei, zu sagen, auf welche Weise diese Forderungen ganz konkret in die Realität umgesetzt werden könnten. „Den geeignetsten Weg zu finden, ist die Aufgabe der Politik in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, und nicht die der jungen Generation“8, hieß es hier etwa.
Ähnliche Aussagen tauchen häufiger auf, so dass sie mit einiger Berechtigung als eine Grundhaltung der Bewegung ausgemacht werden können. Z. B. heißt es auch in der Forderung von „Fridays-for-Future Brandenburg“ deutlich: „Dazu konkrete Pläne vorzulegen, adäquate Maßnahmen zu entwickeln und in Gesetzen zu verankern, ist Aufgabe der Regierung.“9
Und auch Greta Thunberg selbst hat sich bei Ansprachen und Interviews bereits mehrfach in dieser Hinsicht geäußert.
Da keine konkreten Handlungsforderungen vorliegen, ist eine ethische Beurteilung schwierig, denn das übergeordnete Ziel, die Umwelt und das Klima zu schützen, ist zweifellos ein sehr wichtiges Ziel und dass hier gesellschaftlicher und politischer Handlungsbedarf besteht, kann als unbestreitbar gelten.
Zumindest wurde das Gesamtziel im Laufe der Bewegung durch Einzelziele konkretisiert.
Der offizielle Forderungskatalog, der beispielsweise auf der Homepage von Fridays-for-Future Deutschland veröffentlicht ist10, fordert explizit: „Nettonull 2035 erreichen“, „Kohleausstieg bis 2030“, „100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035“.11 Bis diese Ziele erreicht sind, wird als sofortige Maßnahme gefordert: „Das Ende der Subventionen für fossile Energieträger“, „1/4 der Kohlekraft abschalten“, „eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen. Laut UBA sind das 180 € pro Tonne CO2.“12
Außer diesen konkreten Zielvorgaben erkennt man drei Grundausrichtungen der Bewegung:
1. Als erstes wird deutlich, dass der Klimaschutz für die Aktivisten absolute Priorität hat. Kein anderes gesellschaftliches Problem und keine anderen politischen oder ethischen Herausforderungen haben eine solche Dringlichkeit als der Klimaschutz.
2. Zum anderen werden die Forderungen nach Klimagerechtigkeit gleichgesetzt mit der Forderung nach Generationengerechtigkeit. Alle Handlungen und vor allem alle Versäumnisse auf diesem Gebiet werden als Verantwortungslosigkeit oder in manchen Formulierungen gar als Verbrechen gegenüber der jüngeren Generation oder später lebenden Menschen betrachtet.
Dieser Aspekt wird im Sinne der Menschenrechte gefordert: Mangelnder Klimaschutz gefährdet die Menschenrechte nachfolgender Generationen.
3. Und schließlich wird gefordert, dass geeignete Rahmenbedingungen, Vorgaben, Gesetzte und Maßnahmen für einen Klimaschutz nicht arme Regionen, sozial schwache Menschen oder sonstige Gruppierungen benachteiligen dürfen. Wie bei den einzelnen Zielforderungen, wird nicht weiter ausgeführt, wie das genau geschafft werden kann.13
Insgesamt zeigt sich die Bewegung sehr ökonomiekritisch. Die Ursache für den zu hohen CO2-Ausstoß wird in dem Profitstreben mächtiger Wirtschaftslenker und in einem stark auf wirtschaftlichen Wachstum ausgerichteten Gesellschaftssystem gesehen. So heißt es etwa:
„Vor allem in den Sektoren Energieerzeugung, Wohnen und Bauen, Industrie, Transport und Verkehr sowie Landwirtschaft sind enorme Anstrengungen nötig. Das wirtschaftliche Handeln darf nicht weiterhin planetare Grenzen überschreiten.“14 Dazu passt, dass die Akteure von Fridays for Future das Hauptproblem darin sehen, dass Entscheidungsträger nicht handeln wollen und sprechen ihnen oft ab, das Wohl aller im Sinn zu haben.
Auch dass geeignete Lösungsstrategien zu finden schwierig ist, und noch weiteres Forschen und Suchen erfordert, wird kaum wahrgenommen. Beispielsweise wurde Greta Thunberg in einem Interview aufgefordert, Umweltwissenschaften zu studieren, um aktiv die Probleme angehen zu können. Daraufhin antwortete sie, dass die Fakten ohnehin klar seien und jetzt einfach gehandelt werden müsse.
Zusätzlich zu dieser ökonomiekritischen Haltung sind auch Vorbehalte gegenüber einer starken Globalisierung und teilweise auch gegenüber einem zu großen Vertrauen in die technologischen Entwicklungen und Möglichkeiten aus den Aussagen der Vertreter/innen von Fridays for Future festzustellen. Da diese Aussagen jedoch meist in Interviews und Talkrunden und nicht in schriftlicher Form gemacht wurden, ist es schwierig zu sagen, inwieweit diese Aussagen als offizielle Stellungnahme der gesamten Bewegung gewertet werden könne.
In gleicher Weise schwingt bei vielen Aussagen die Tendenz zu einer mehr oder weniger radikalen Verzichtsethik mit. So wird gefordert, die Menschen müssen ihre Mobilität und ihren Verbrauch einschränken und die Produzenten müssten sich mit weniger Gewinn zufrieden geben. Beispielsweise schildert Greta, dass sie selbst auf das Fliegen verzichtet, sich vegan ernährt und sich einen „Shop-Stopp“ auferlegt hat, d. h. dass sie nur das nötigste einkauft. Ihre Mutter hat beispielsweise ihre Tätigkeit als internationale Opernsängerin aufgegeben, um nicht fliegen zu müssen.
Außer dieser Hauptströmung gibt es innerhalb der Klimadebatte aber meist außerhalb der Fridays-for-Future-Bewegung radikale Ansichten.
So beschreibt beispielsweise die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future Deutschland in ihrem Buch „Das Ende der Klimakrise“, dass Kinder die Klimabilanz verschlechtern, allein dadurch, dass sie geboren werden. Der Verzicht auf ein Kind bzw. ein weiteres Kind stelle somit einen Beitrag zum Klimaschutz dar. Beispielsweise heißt es in dem Buch: „Ist das Kinderkriegen unseren Mitmenschen gegenüber verantwortungsvoll, da statistisch gesehen nichts einen größeren CO2-Fußabdruck hinterlässt als ein Kind?“15
Damit greift sie die These von Verena Brunschweiger auf, die sich Anfang 2019 in ihrem Buch „Kinderfrei statt Kinderlos“ dazu äußert, sie würde aus Klimaschutzgründen auf Kinder verzichten. Mit dem Verweis auf eine kanadische Studie16 führt sie auf, dass durch den Verzicht auf ein Kind pro Jahr 58 Tonnen CO2 eingespart werden können. Wohingegen durch Recycling nur 0,2 Tonnen pro Jahr und durch den Verzicht auf ein Auto nur 1,4 Tonnen im Jahr eingespart werden kann.17 Deshalb fordert sie auch, dass jede Frau, die der Umwelt zuliebe kein Kind geboren hat, mit 50 Jahren 50.000 Euro erhalten solle. Auch wenn die Autorin in der anschließenden medialen Diskussion, ihre Thesen etwas abschwächte und den Verzicht auf Kinder als ihre persönliche Lebensentscheidung und nicht als gesamtgesellschaftliches Konzept darstellte, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass der Mensch hier primär als Verursacher der Klimaproblematik gesehen wird und damit der Schritt klein ist, den Menschen selbst als Problem zu sehen – allein aufgrund seiner Existenz und nicht etwa aufgrund seines Handelns.
Es ist nicht auszuschließen, dass solche Überlegungen zu einer generellen Anfrage an das Existenzrecht des Menschen führen. In Verbindung mit bestimmten Ideologien, wie z.B. nationalistischen Strömungen, kann durchaus die Gefahr bestehen, dass einzelnen Personengruppen das Fortpflanzungsrecht, vielleicht sogar das Lebensrecht abgesprochen wird.
Eine solche Entwicklung ist sicherlich nicht im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung, die deutlich fordern, dass es durch die Maßnahmen zu keinen Benachteiligungen und Ausgrenzungen kommen darf. Sie kann jedoch bei einer absoluten Priorisierung der Klimathematik über allen anderen Werten nicht ausgeschlossen werden.
Hier zeigt sich, dass die Bewegung – auch mit dem ausgeprägten Personenkult um Greta Thunberg – weltanschauliche Züge trägt, die für viele jungen Menschen den zentralen Inhalt ihres Tuns und Strebens darstellen.
Durch eine so starke Verabsolutierung der CO2-Problematik ist auch die Gefahr einer Radikalisierung und eines Biozentrismus gegeben, der die Natur über den Menschen stellt.
Eine solche Radikalisierung findet in einigen Gruppierungen bereits statt, wie beispielsweise „Extinction Rebellion“, die auch vor gesetztes widrigen Aktionen nicht zurückschrecken.
Diese Radikalität der Haltung einzelner aus diesen Gruppierungen wird an einem Plakattext deutlich: So trug der Klimaaktivist Björn Langhammer im Oktober 2019 in Nürnberg, kurz nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle, ein Plakat mit der Aufschrift: „Wenn das Klima eine Synagoge wäre … was für ein Aufschrei.“ In einem anschließenden Interview sagte er, das Klima sei für ihn gerade einfach wichtiger. Der Anschlag in Halle sei schrecklich, aber was mit dem Klima passiert, sei viel schrecklicher.“ Bei solchen Äußerungen wird deutlich, dass hier Umweltrechte gegen Menschenrechte ausgespielt werden oder in einer Abwägung ersterem Priorität eingeräumt wird.
Sicherlich muss stark differenziert werden: Extreme Haltungen der Verabsolutierung dürfte nicht für die Mehrheit der Anhänger der Fridays-for-Future Bewegung gelten, die einfach aktiv für eine bessere Welt kämpfen wollen und zurecht stolz darauf sind, gehört und ernst genommen zu werden.
3.1.2. Papst Franziskus und die Enzyklika Laudato Si‘
Mit etwas weniger medialer Aufmerksamkeit, aber doch sowohl innerhalb als auch außerhalb der katholischen Kirche mit großer Beachtung und Wertschätzung aufgenommen, äußerte sich Papst Franziskus 2015 mit seiner Enzyklika Laudato Si‘ zum Thema Umwelt und damit auch zur Klimafrage.
In diesem Lehrschreiben legt er einen vielseitigen und umfangreichen Text über Gott, seine Schöpfung und die Menschen vor, die die Erde als gemeinsames Haus bewohnen und sie als Leihgabe Gottes an alle Menschen bewahren müssen. Es ist die erste Enzyklika, in der die Umweltproblematik und die Klimafrage direkt und ausführlich behandelt werden.
Nachdem der Papst am Anfang der Enzyklika seine Thesen in die Aussagen seiner Vorgänger18 einreiht und somit die Kontinuität der Lehre betont, zitiert er im weiteren verschiedene Stimmen – u. a. 23 mal nationale Bischofskonferenzen. Letzteres ist ein Novum in päpstlichen Lehrschreiben, die eher selten Bezug auf nationale Erkenntnisse und Verlautbarungen nehmen und sich eher auf die Aussagen anderer Päpste beschränken.
Dazu anerkennt er ausdrücklich die verschiedenen Kräfte – er nennt „unzählige Wissenschaftler, Philosophen, Theologen und soziale Organisationen“ – die „das Denken der Kirche über diese Fragen bereichert haben“.19
Dass dies keine leere Floskel ist, zeigt sich in der Schilderung der gegenwärtigen Umweltsituation. So unterscheiden sich diese Ausführungen hier kaum von der Fridays-for-Future Bewegung20 und auch von namhaften Wissenschaftlern.21 So heißt es beispielsweise in Nr. 23: „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle. Es ist auf globaler Ebene ein kompliziertes System, das mit vielen wesentlichen Bedingungen für das menschliche Leben verbunden ist. Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befinden. In den letzten Jahren war diese Erwärmung von dem ständigen Anstieg des Meeresspiegels begleitet und außerdem dürfte es schwierig sein, sie nicht mit der Zunahme extremer meteorologischer Ereignisse in Verbindung zu bringen, abgesehen davon, dass man nicht jedem besonderen Phänomen eine wissenschaftlich bestimmbare Ursache zuschreiben kann. Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen.“22
Die Folgen der Umweltzerstörungen werden dabei auf zweifache Weise gesehen, einmal anthropozentrisch, in ihren schwerwiegenden Folgen für die Menschen – und hier ganz besonders armutsfokussiert.23 Und zum anderen werden die Belastungen und Zerstörungen im Hinblick auf die Schöpfung als ganze und in der Verantwortung dem Schöpfer gegenüber gesehen. Gerade diese Beschädigung der „Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung“ sieht er als eine Form, ja geradezu eine Urform der Sünde.24
Um das auszudrücken, verwendet der Papst eine poetisch-metaphorische Sprache und Ausdrucksweise, die vom „Sonnengesang“ des heiligen Franziskus und dem indigenen Motiv der „Mutter Erde“ inspiriert ist. „Die metaphorische Sprache kann berühren, aber auch verstören. In jedem Fall lässt sie aufhorchen; sie provoziert. Sie klingt fremd, weil sie weder den Konventionen öffentlicher Rede noch der kurialen political correctness entspricht.“25
Da an dieser Stelle keine exakte Inhaltsangabe der Enzyklika erfolgen kann und diese auch für die vorliegende Fragestellung wenig sinnvoll wäre, sollen hier nur die drei hier relevanten Bereiche analysiert werden: 1. Zusammenschau von sozialem und ökologischem Handlungsbedarf; 2. Technologiekritische Haltung; 3. Humanökologie und die Hierarchie der Werte.
3.1.2.1. Zusammenschau von sozialem und ökologischem Handlungsbedarf
Bereits gleich zu Anfang tritt ein Leitmotiv der ganzen Enzyklika zu Tage: Die Zusammenschau der ökologischen mit den sozialen Herausforderungen der Gegenwart. So wird etwa die Option für die Armen, die auch in anderen Schreiben des Papstes einen weiten Raum einnimmt, auf die Natur ausgeweitet. So heißt es: „Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde, die ‚seufzt und in Geburtswehen liegt‘ (Röm 8,22). Wir vergessen, dass wir selbst Erde sind (Vgl. Gen 2,7).“26
Bei seiner Schilderung des Klimawandels verweist Franziskus darauf, dass gerade die armen Menschen besonders darunter leiden müssen.27 Er sieht dadurch eine parallele Entwicklung von ökologischer und sozialer Problematik und eine wechselseitige Verstärkung.28 Deshalb müssen auch Maßnahmen gegen ökologische und soziale Missstände parallel und aufeinander abgestimmt erfolgen. So stellt er etwa fest: „Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“29
Damit zeigt sich, dass die Forderungen des Papstes ganz ähnliche Zielforderungen enthalten wie die Fridays-for-Future Bewegung, die ebenfalls dafür plädieren, dass durch Klimaschutzmaßnahmen keine Benachteiligung von sozial schwachen Menschen oder auch ärmeren Ländern und Regionen erfolgen darf. Während jedoch die Formulierung von Fridays for Future zu diesem Gesichtspunkt erkennen lässt, dass sie durchaus einen Konflikt zwischen den beiden Gesichtspunkten Armutsbekämpfung und Umweltschutz wahrnehmen, vertritt Papst Franziskus die These, dass beide Bemühungen parallel laufen und der Einsatz in einem dieser Bereiche auch dem anderen zugutekommt.
Wichtig erscheint außerdem: Einen Lösungsvorschlag, den – wie dargelegt – einige Vertreter der Fridays-for-Future-Bewegung als Möglichkeit der CO2-Reduktion sehen, nämlich den Verzicht auf Kinder, lehnt der Papst – wenig überraschend – grundlegend ab. Allerdings geht es bei den Aussagen in Laudato Si‘ nicht um den freiwilligen Verzicht auf ein (weiteres) Kind in westlichen Industrieländern, vielmehr wendet sich der Papst gegen den Druck auf sog. Entwicklungsländer, ihre Geburtenrate zu reduzieren. Deshalb sind diese beiden Ansichten nur bedingt vergleichbar.30
Neben diesem Blick auf die einzelnen, armen und benachteiligten Menschen, sieht der Papst eine soziale Ungerechtigkeit auch zwischen verschiedenen Ländern. Wieder sieht er die Ursache für beides, für die sozialen wie für die ökologischen Notstände in der Lebensweise und vor allem dem Konsumverhalten der Menschen in den nördlichen Ländern. Er spricht (in Nr. 51) auch von einer „ökologischen Schuld“ zwischen dem Norden und dem Süden.31
In seiner territorialisierenden Sichtweise, die an mehreren Stellen sehr deutlich wird32 wendet sich der Papst gegen die Länder des globalen Nordens und ihre politischen und ökonomischen Praktiken. Dabei verortet er Verursacher und Leidtragende der ökologischen, aber auch sozialen Missstände ganz klar räumlich in den Norden bzw. den Süden.33 „In der Gesamtdiagnose zeichnet auch der Papst das in globalisierungskritischen Debatten gängige Weltbild eines von den entwickelten Ländern des globalen Nordens dominierten globalen Kapitalismus, den er als ‚ein perverses System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen‘ (LS 52) bezeichnet. Die ‚Wirtschaftsmächte‘ und die ‚Märkte‘ werden, räumlich stark assoziiert mit den entwickelten Wirtschaftsnationen in den Regionen des globalen Nordens, in ihrem Verhalten und ihrer Eigenlogik als ‚selbstmörderisch‘ charakterisiert, sie werden zudem als Akteure gekennzeichnet, die trotz der offensichtlichen vielfältigen Gefahren immer noch den Status quo aufrechterhalten möchten, die fortfahren, ‚das aktuelle weltweite System zu rechtfertigen‘ und ‚die dazu neigen, den gesamten Kontext wie auch die Wirkungen auf die Menschenwürde und die Umwelt zu ignorieren‘ (LS 56).“34
In diesem Zusammenhang prangert er vor allem das Konsumverhalten in den Industrieländern an.35
Ob diese Kritik – vor allem in ihrer in weiten Teilen vorhandener Schwarz-Weiß-Dialektik – den empirischen Tatsachen vollumfänglich entspricht, muss angefragt werden. Beispielsweise findet in den letzten Jahrzehnten der größte Anstieg der Klimaschädigung in Schwellenländern des globalen Südens, wie beispielsweise China statt.36
Diese Kritik am globalen Norden mit seiner wirtschaftlichen Macht passt jedoch in seine insgesamt sehr negative Beurteilung von kapitalistischen Praktiken, Marktmechanismen und der Globalisierung. Häufig wird der Kapitalismus mit einer Gier gleichgesetzt, die durchweg verwerflich und schadensstiftend ist. Lobend hebt er dagegen lokale Selbstversorgungsinitiativen (LS 179) hervor und fordert einen Verzicht der reichen Länder zu Gunsten der Armen und eine Verlangsamung wirtschaftlicher Aktivitäten.37
Interessant an diesem Gesichtspunkt ist noch, dass Franziskus den Klimaschutz unter dem Blickwinkel der Menschenrechte und der Menschenwürde betrachtet und einfordert38, was wiederum eine Parallele zur Fridays-for-Future-Bewegung darstellt. Auch wenn diese es mit anderen Worten feststellen, so sehen auch sie in der Bedrohung der Klimastabilität eine Verletzung der Menschenrechte, da dies überwiegend die Armen im globalen Süden und zukünftige Generationen betrifft.
3.1.2.2. Technologiekritische Haltung
Wie schon im vorigen Themenfeld, der Zusammenschau von sozialen und ökologischen Problemen deutlich wurde, zeigt sich auch in den übrigen Abschnitten der Enzyklika eine konsumkritische Haltung, die große Skepsis gegenüber marktwirtschaftlichen Strukturen, der wirtschaftlichen Globalisierung, der Finanzwirtschaft und einem zu großen Fortschritts- und Wachstumsstreben zeigt. In all diesen Bereichen fordert der Papst eine stärkere Hinwendung zur Tugendethik, vor allem einer Verzichtsethik.
Dies erstreckt sich auch auf einen weiteren Bereich, der durch die Umweltthematik in der Enzyklika sehr dominant ist, nämlich den Bereich der Technologie.
Obwohl er an einigen Stellen, die positiven Seiten des technischen Fortschritts würdigt39, ist die gesamte Haltung von großer Skepsis bis hin zu offener Ablehnung geprägt.
An einigen Stellen ist die Kritik eher indirekt, etwa wenn er in einer Reihe von negativen Entwicklungen die „technologischen Neuerungen“ mit aufreiht.40 An anderen Stellen ist die Ablehnung jedoch ganz direkt.41
Der Grund für die kritische Haltung liegt in der Macht, die die Technologie einzelnen Menschen über andere und über die Natur verleiht. Sie wird als Instrument gesehen, mit dem die ohnehin Mächtigen und Reichen noch mehr Macht bekommen, so dass sie die wirtschaftlich benachteiligten Menschen beherrschen und ausbeuten können. So schreibt er in Nr. 104: „Wir können aber nicht unbeachtet lassen, dass die Nuklearenergie, die Biotechnologie, die Informatik, die Kenntnis unserer eigenen DNA und andere Fähigkeiten, die wir erworben haben, uns eine gewaltige Macht verleihen. Besser gesagt, sie geben denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt.“
Vor allem, dass diese menschliche Macht nun auch vor den Welt- und Naturabläufen keinen Halt macht, findet die Kritik des Papstes. Besonders bedrohlich empfindet der Papst diese Entwicklungen aufgrund der „Globalisierung des technokratischen Paradigmas“, wie er es nennt. Der Mensch habe zwar schon immer in die Natur eingegriffen, aber „für lange Zeit lag das Merkmal darin, zu begleiten, sich den von den Dingen selbst angebotenen Möglichkeiten zu fügen. Es ging darum, zu empfangen, was die Wirklichkeit der Natur von sich aus anbietet, gleichsam die Hand reichend. Jetzt hingegen ist das Interesse darauf ausgerichtet, alles, was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen durch den Eingriff des Menschen, der dazu neigt, die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorieren oder zu vergessen. Deswegen haben der Mensch und die Dinge aufgehört, sich freundschaftlich die Hand zu reichen, und sind dazu übergegangen, feindselig einander gegenüber zu stehen. Von da aus gelangt man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte.“42 Hier nennt Franziskus ganz explizit die drei Bereiche, die er als Gefahr und Bedrohung wahrnimmt: die Ökonomie, die Finanzwelt und die Technologie – und ihre jeweiligen Vertreter.43 Diese Bereiche und besonders die technologischen Kenntnisse sieht er als Quelle von Macht, wobei er wenig Vertrauen darauf hat, dass der Mensch diese Macht sinnvoll beherrschen oder reglementieren kann.44
Aufgrund dieser engen Verwobenheit von Macht und Technologie kritisiert der Papst vor allem drei Aspekte: einen einseitigen Fortschrittsoptimismus, der die neuen Technologien als Lösung aller Umweltprobleme ansieht45, die Konzentration auf Einzelprobleme mit einem mangelnden Blick auf die Gesamtheit und schließlich die Beeinflussung der Gesellschaft und der Politik von Technologie und Finanzwesen.46 Bei letzterem nimmt er damit zwei Bereiche zusammen – Technologie und Finanzwesen47 – die nur sehr gedingt miteinander in Korrelation stehen und in sehr unterschiedlicher Weise gesellschaftliche Strukturen prägen. Eine solche Sichtweise ist im Hinblick auf eine differenzierte Beurteilung nicht unproblematisch. Hier schwingt – wie schon an anderen Stellen48 - ein insgesamt globalisierungskritisches und ökonomiekritisches Weltbild mit.49
Gerade der Blick auf die Gesamtheit ist Franziskus besonders wichtig, da er mehr noch als die Behebung einzelner ökologischer oder sozialer Probleme ein grundsätzliches Umdenken fordert. So führt er aus: „Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradigmas bilden. Andernfalls können auch die besten ökologischen Initiativen schließlich in derselben globalisierten Logik stecken bleiben. Einfach nur eine technische Lösung für jedes auftretende Umweltproblem zu suchen, bedeutet, Dinge zu isolieren, die in der Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, und die wahren und tiefsten Probleme des weltweiten Systems zu verbergen.“50
Deshalb fordert er eine Beschränkung der Technik und eine Lenkung im Dienst einer anderen Art des Fortschritts.51 Eine solche Forderung ist nicht unproblematisch und steht in gewisser Weise im Gegensatz zum analytischen Teil der Enzyklika. Denn während er sich bei der Schilderung der Umwelt- und Klimaproblematik sehr stark an die Urteile der aktuellen Ergebnisse der Natur- und Sozialwissenschaften hält, nimmt er hier eine andere Position ein.
Zwar mildert er seine harten Urteile etwas ab, indem er gegen Ende der Ausführungen zum Thema Technologie etwas einschränkt: „Das bedeutet nicht, sich jeglicher technischen Neuerung zu wiedersetzten, die eine Verbesserung der Lebensqualität einer Bevölkerung gestattet. Doch in jedem Fall muss der Grundsatz erhalten bleiben, dass die Rentabilität nicht das einzige Kriterium sein darf, das berücksichtigt wird, und dass in dem Moment, in dem mit wachsendem Kenntnisstand neue Elemente zur Beurteilung auftauchen, eine neue Bewertung unter Teilnahme aller betroffenen Parteien stattfinden müsste.“52 Vor allem dürfe sich die Politik nicht der Technologie, der Wirtschaft und den Finanzinteressen unterwerfen und generell sei eine langsamere Vorgehensweise in technischen Entwicklungen anzustreben.53 Doch könnte gerade bei der Klimaerwärmung eine zu zögerliche und langsame Vorgehensweise problematisch sein, da sehr schnell reagiert werden muss.
3.1.2.3. Humanökologie und Hierarchie der Werte
Die Ausführungen von Papst Franziskus sind geprägt von einer durch Franz von Assisi inspirierten Schöpfungstheologie, die zu Harmonie und gegenseitiger Achtung zwischen den Menschen und seinen Mitgeschöpfen und zu Gehorsam und Demut gegenüber dem Schöpfer aufruft.54
Dieses Verständnis fasst er in den Begriffen „ganzheitliche Ökologie“ bzw. „Humanökologie“ zusammen.55 Er meint damit die Zusammenschau der verschiedenen Bereiche des menschlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Lebens und die damit zusammenhängenden Konsequenzen. Er fordert, „dass wir uns nun mit den verschiedenen Elementen einer ganzheitlichen Ökologie befassen, welche die menschliche und die soziale Dimension klar mit einbezieht.“56 Im Folgenden stellt er die verschiedenen Kräfte und Einflussfaktoren zueinander in Beziehung und betont die Bedeutung ihrer Wechselwirkung. Dazu gehören auch die kulturellen und auch die institutionellen Gegebenheiten einer Gesellschaft57 und auch „die notwendigen Beziehungen des Lebens des Menschen zu dem moralischen Gesetzt, das in seine eigene Natur eingeschrieben ist“,58 wie er es formuliert.
Wichtig ist dem Papst bei dieser Begrifflichkeit auch noch, dass die Humanökologie nicht vom Begriff des Gemeinwohls zu trennen ist. Um diese Bedeutung dieses Grundprinzips zu unterstreichen, verweist er auf seinen Stellenwert in der Sozialethik und auf das II. Vaticanum.59
Abschließend60 bindet er dann dieses Prinzip und damit auch die Ausrichtung seiner Humanökologie wieder an die Option für die Armen, indem er hier den gegenwärtig höchsten Handlungsbedarf sieht – auch in ökologischer Hinsicht.
Danach erweitert er jedoch in einem eigenen Unterkapitel (V. Die Generationsübergreifende Gerechtigkeit) diese Gemeinwohlverpflichtung auch auf zukünftige Generationen und betrachtet diese unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeitsfrage.61 Damit zeigt er deutliche Parallelen zu Fridays for Future, die als Hauptargument für ihre Forderung nach Klimagerechtigkeit die Erhaltung der Welt für die junge und für künftige Generationen fordern.
Nach diesen Grundforderungen zeigen sich jedoch auch wieder Unterschiede, da es dem Papst nicht nur um die praktische Erhaltung geht, sondern er diese Frage auch auf den Sinn- und Wertehorizont ausweitet. So schreibt er in Nr. 160: „Diese Frage betrifft nicht nur die Umwelt in isolierter Weise, denn es ist unmöglich, das Problem fragmentarisch anzugehen. Wenn wir uns bezüglich der Welt, die wir hinterlassen wollen, Fragen stellen, meinen wir vor allem ihre allgemeine Ausrichtung, ihren Sinn, ihre Werte. Wenn diese grundlegende Frage nicht lebendig mitschwingt, glaube ich nicht, dass unsere ökologischen Bemühungen bedeutende Wirkungen erzielen können.“ Damit bettet er die sozialen und ökologischen Fragen ein in die Sinnfrage – vereinfacht ausgedrückt: „Wozu sind wir auf der Welt?“. Damit geht es dann wiederum nicht nur um zukünftige Generationen, sondern um die Würde jedes Menschen. So fasst Markus Vogt zusammen: „Das Paradigma der Humanökologie bietet die entscheidende methodische Basis zur kulturgeschichtlichen Vertiefung der Debatte um ökologische Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Sie erweitert den funktionalistischen Naturbegriff, der in den politisch einschlägigen Programmen überwiegend vorausgesetzt wird. Eine humanökologische Ethik der Nachhaltigkeit hält prinzipiell an dem transzendentalphilosophischen Ansatz der Kant’schen Ethik fest, stellt also den Mensch als Person und Verantwortungsträger in den Mittelpunkt der ethisch-politischen Konzeption. Sie konzentriert sich jedoch darauf, die naturalen Bedingungen des menschlichen Personseins zu verdeutlichen, um dem Menschen in einer ganzheitlich konkreten Sicht nicht nur als abstraktem Subjekt, sondern auch als leiblich-seelischem Wesen gerecht zu werden.“62
Von dieser Sinnfrage kehrt der Papst dann wieder zurück auf die ökologischen Probleme und ihre Ursachen.63
Um diese Ganzheitlichkeit zu erreichen, möchte der Papst die Beziehungsordnung, die er aus dem Gleichgewicht geraten sieht, wieder in die richtige Bahn gebracht sehen. Dazu geht er an verschiedenen Stellen der Enzyklika immer wieder auf die Beziehung zwischen Gott und den Menschen und zwischen Mensch und Natur ein.
Das Hauptproblem sieht er darin, wenn entweder der Mensch sich zum Herren der Welt macht, oder wenn andererseits die Natur verabsolutiert, zum Maß aller Dinge gemacht wird. Damit grenzt er sich sowohl gegen einen exklusiven Antropozentrismus als auch gegen einen Biozentrismus ab und findet dafür deutliche Worte: „Diese Situation führt uns in eine beständige Schizophrenie, die von der Verherrlichung der Technokratie, die den anderen Lebewesen keinen Eigenwert zuerkennt, bis zu der Reaktion geht, dem Menschen jeglichen besonderen Wert abzusprechen. Man kann aber nicht von der Menschheit absehen. Es wird keine neue Beziehung zur Natur geben ohne einen neuen Menschen. Es gibt keine Ökologie ohne eine angemessene Anthropologie. Wenn der Mensch bloß für ein Wesen unter anderen gehalten wird, das aus einem Spiel des Zufalls oder einem Determinismus der Natur hervorgeht, dann droht in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewusstsein abzunehmen. Ein fehlgeleiteter Anthropozentrismus darf nicht notwendigerweise einem „Biozentrismus“ den Vortritt lassen, denn dies würde bedeuten, ein neues Missverhältnis einzubringen, das nicht nur die Probleme nicht lösen, sondern auch andere hinzufügen würde. Man kann vom Menschen nicht einen respektvollen Einsatz gegenüber der Welt verlangen, wenn man nicht zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens, der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt.“64
Damit fordert der Papst, sich die richtige ethisch-theologische Rangordnung im Sinne einer reflektierten Schöpfungstheologie im Bewusstsein zu halten, wenn über ökologische Maßnahmen nachgedacht wird. Eine solche Hierarchie der Werte – Gott – Mensch – Natur – schützt sowohl den Menschen als auch die Natur und hilft, in Entscheidungssituationen und Dilemmasituationen, in denen verschiedene berechtigte Interessen einander entgegenstehen, die richtige oder zumindest eine verantwortbare Abwägung vorzunehmen. Sie schließt aus, dass Mensch und Natur gegeneinander ausgespielt werden.
Ein solcher Gedankengang ist nicht auf ein Kapitel der Enzyklika konzentriert, sondern zieht sich durch den gesamten Text und taucht immer wieder auf, wenn bei Einzelfragen eine Verschiebung der Werthierarchie festgestellt wird.
So schreibt Franziskus etwa in Nr. 75: „Wir können nicht eine Spiritualität vertreten, die Gott als den Allmächtigen und den Schöpfer vergiss (…) Auf diese Weise würden wir schließlich andere Mächte der Welt anbeten oder uns an die Stelle des Herrn setzen und uns sogar anmaßen, die von ihm geschaffene Wirklichkeit unbegrenzt mit Füßen zu treten. Die beste Art, den Menschen auf seinen Platz zu verweisen und seinem Anspruch, ein absoluter Herrscher über die Erde zu sein, ein Ende zu setzten, besteht darin, ihm wieder die Figur eines Vaters vor Augen zu stellen, der Schöpfer und einziger Eigentümer der Welt ist. (…)“
Daran anschließend lehnt er explizit jede Vergöttlichung der Natur ab, vor allem wenn sie dazu führt, die Würde, die Freiheit und die Verantwortung des Menschen zu gefährden.65 Diese Sonderstellung des Menschen heißt aber nicht, dass andere Lebewesen zu bloßen Objekten degradiert werden.66 Andererseits seien aber auch nicht, „alle Lebewesen gleichzustellen und dem Menschen jenen besonderen Wert zu nehmen, der zugleich eine unermessliche Verantwortung mit sich bringt. Es setzt ebenso wenig eine Vergottung der Erde voraus, die uns die Berufung entziehen würde, mit ihr zusammenzuarbeiten und ihre Schwäche zu schützen. Diese Auffassungen würden letztlich neue Missverhältnisse schaffen um der Realität zu entfliehen, die uns unmittelbar angeht. Manchmal bemerkt man eine Versessenheit, dem Menschen jeden Vorrang abzusprechen, und es wird für andere Arten ein Kampf entfacht, wie wir ihn nicht entwickeln, um die gleiche Würde unter den Menschen zu verteidigen. Es stimmt, dass wir uns darum kümmern müssen, dass andere Lebewesen nicht verantwortungslos behandelt werden. Doch in besonderer Weise müssten uns die Ungerechtigkeiten in Wut versetzten, die unter uns bestehen, denn wir dulden weiterhin, dass einige sich für würdiger halten als andere.“67
Werden diese Grundsätze nicht gewahrt und die Hierarchie der Werte nicht respektiert, dann kommt es zu einem fehlgeleiteten Anthropozentrismus bei dem sich der Mensch selbst ins Zentrum stellt und „seinen durch die Umstände bedingten Vorteilen absoluten Vorrang“ gibt.68 Dann wird es schwer, eine „objektive Wahrheit“ oder „allgemein gültige Prinzipien“ anzuerkennen69, was sowohl die Beziehung zum Schöpfer, zur Schöpfung als auch zu den Mitmenschen belastet.
4. Zusammenwirken von Ökologie, Ökonomie und Technologie
Diese systematische Darstellung der Thesen und Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung und in noch größerer Ausführlichkeit den Argumentationen von Papst Franziskus in Laudato Si‘ zeigen eine einheitliche ökonomiekritische Haltung – die sich beispielsweise von den Enzykliken früherer Päpste stark absetzt (Benedikt XVI, Johannes Paul II.).
Bei der Einschätzung der technologischen Entwicklungen gibt es dagegen größere Unterschiede zwischen Papst Franziskus und Fridays for Future, auch wenn bei beiden eine ähnliche Tendenz festzustellen ist. Während sich die Vertreter von Fridays for Future nicht direkt zu technologischen Entwicklungen äußern und nur ein zu großes Vertrauen in deren Problemlösemöglichkeiten kritisieren, äußert sich Franziskus offen ablehnend.
Im Folgenden sollen deshalb die Wechselwirkungen dieser drei Kultursachbereiche näher in den Blick genommen werden.
4.1. Der Zusammenhang von Ökologie und Ökonomie
Zusammen mit einer sehr ökonomiekritischen Haltung sieht Papst Franziskus die Entwicklungen, die zu einer sozialen Ungerechtigkeit führen und diejenigen, die zu ökologischen Problemen und Zerstörungen geführt haben, parallel, durch die gleiche Gesinnung und Situation verursacht. Für beides sei die Gier einzelner, die wirtschaftliche Macht und die Finanzmacht der Privilegierten verantwortlich. Dagegen müsse eine Haltung des Verzichts und der Mäßigung stehen, die dafür sorgt, dass beide Problembereiche, die sozialen und die ökologischen behoben werden können. Auch wenn er sich nicht nur auf tugendethische Forderungen beschränkt, sondern durchaus die Komplexität der Systeme anerkennt und politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zum Schutz der Umwelt fordert, kann dieser Schwerpunkt in der Argumentation von Laudato Si‘ doch nicht übersehen werden.
Auch in den Texten und Aussagen von Fridays for Future zeigt sich eine ökonomiekritische Haltung. Vor allem das Gewinnstreben der Aktionäre und der Unternehmen wird kritisiert. Zum Zusammenhang von sozialen und ökologischen Problemen äußern sich die Vertreter kaum. Wohl deshalb, weil sie sich sehr stark oder sogar ausschließlich auf die ökologischen Probleme konzentrieren. In den offiziellen Aussagen (z. B. auf der Homepage von Fridays for Future Deutschland) wird jedoch gefordert, dass ökologische Maßnahmen nicht sozial benachteiligte Menschen noch weiter belasten dürfen, sondern ein Weg gefunden werden muss, der den Schutz der Natur und des Klimas ohne soziale Härten gewährleistet. Damit ähnelt Fridays for Future wiederum Papst Franziskus.
Deshalb ist es bei der Frage, wie die beiden Kultursachbereiche Ökologie und Ökonomie zusammen stehen, von entscheidender Bedeutung, inwieweit Armutsbekämpfung und Umweltschutz – hier speziell der Klimaschutz – kompatibel bzw. sich gegenseitig verstärkend sind, oder ob es sich um wiederstreitende Interessen handelt.70
Als erstes kann festgestellt werden, dass die Gefährdung der Natur und damit der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen aus wirtschaftlichen Interessen nicht neu ist. Bereits vor Hunderten von Jahren wurden z. B. große Waldregionen gerodet, was zum Teil zu regionalen ökologischen Katastrophen führte, unter denen die dort lebenden Menschen zu leiden hatten. Seit der industriellen Revolution – bedingt durch starkes Bevölkerungswachstum und dem Einsatz von Technologien mit Verbrennungsprozessen und Einleitung des Treibhauseffektes – hat sich der Einfluss des Menschen auf seine Umgebung jedoch erheblich verstärkt. Dieser ist nicht nur gravierender und dauerhafter, sondern vor allem globaler als zu früheren Zeiten.71
Mit dieser Globalisierung – sowohl durch Umweltsünden als auch deren Folgen – hat sich der Handlungsspielraum und die Steuerbarkeit der betroffenen Menschen erheblich verringert. Wurde beispielsweise ein Wald gerodet, ein See verunreinigt oder in einer Stadt durch Industrieanlagen die Luft verschmutzt, so waren primär die dort lebenden Menschen von den Folgen betroffen. Zwar trifft es auch bei regionalen Umweltbelastungen nicht nur die Verursacher, sondern auch Unbeteiligte, aber diese Missstände sind durch lokale Regelungen und nationale Gesetzte wesentlich schneller zu beheben.
In der Klimafrage ist die Situation insofern anders, als sie die Welt als ganze betrifft und nicht durch nationale Gesetzte oder die Änderung der Lebenssituation in einer Region zu ändern ist. In dieser Frage ist nicht nur eine Regelung unter Bündnispartnern (z. B. Europäische Union) sondern mit allen Ländern der Erde nötig.
Besonders problematisch und im allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden besonders schmerzhaft ist es, dass oftmals diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen die gravierendsten Folgen zu tragen haben.
Damit wird die Klimafrage auch zu einer Frage nach globaler Gerechtigkeit. Durch die Klimaproteste von Fridays for Future fokussiert sich diese stark auf eine intergenerationelle Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen. Da jedoch weltweit gerade sozial und finanziell schwächere Menschen, Regionen und Ländern stärker unter dem Klimawandel zu leiden haben, als wohlhabendere, stellt sie auch in hohem Maße eine Frage nach der intragenerationellen – und im Hinblick auf das soziale Gefälle auch nach der sozialen – Gerechtigkeit. In diesem Zusammenhang wird häufig stark polarisiert und Nationen vorschnell in Kategorien wie „Verursacher“ und „Leidtragender“ oder gar in „schuldig“ oder „unschuldig“ eingeteilt.
So stellt beispielsweise Steinmair-Pösel fest: „Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen weltweit aufgrund eines nicht-nachhaltigen Ressourcenverbrauchs und die damit verbundenen globalen Degradationsprozesse stellen zwar weiterhin ein gesamtmenschliches Gerechtigkeitsproblem dar, zugleich sind jedoch die konkreten Folgen für die einzelnen Länder und sozialen Schichten jetzt und in der Zukunft höchst unterschiedlich. Dies gilt vor allem für die Auswirkungen der globalen Klimaveränderungen auf verschiedene Länder und Bevölkerungsschichten. So sind die Bewohner der armen (südlichen) Hemisphäre stärker betroffen als jene der nördlichen Gegenden. Diese Dysbalance wird in der Zukunft weiter zunehmen. Da die meisten Menschen dieser Gegenden jedoch am Klimawandel schuldlos sind, insofern sie vom ihn verursachenden Ressourcenverbrauch bisher weitgehend ausgeschlossen waren, werden sie in doppelter Weise zu Opfern: zum einen aufgrund ihrer Armut, zum anderen, weil die geringen Ressourcen, die ihnen bisher zur Verfügung standen, und damit ihre Existenzgrundlage durch Klimaänderungen bedroht sind.“72
Auch wenn hier in weiten Teilen – vor allem im Hinblick auf die Folgen der Klimaerwärmung und der Umweltzerstörungen – ein zutreffendes Scenario für die Zukunft gezeichnet wird, ist doch gerade in der Frage der Verursachung und damit auch der Gegensteuerung ein differenzierterer Blick nötig. So ist – wie an anderer Stelle bereits aufgeführt – der CO2 Ausstoß gerade in Schwellenländern hoch und noch im Steigen begriffen.73 Auch Schutzmaßnahmen und gesetzliche Regelungen zum Schutz der Umwelt sind in Ländern des globalen Nordens – u. a. bedingt durch die ökonomischen Möglichkeiten in diesen Ländern – wesentlich ausgeprägter als in den übrigen Regionen der Welt.
Gleichwohl dürfen die negativen Auswirkungen des Klimawandels und anderer Umweltzerstörungen für den globalen Süden nicht übersehen oder verharmlost werden. Diese Gefährdung der Existenzgrundlage erfolgt auf vielfältige Weise, vor allem durch die schleichende Zerstörung ihrer Heimat und der Nahrungsmittelsicherheit. So sind die Existenzrechte der 2,5 Milliarden Menschen gefährdet, die gegenwärtig dort direkt von der Landwirtschaft leben.74
Damit ist nicht nur eine Ungleichheit und Benachteiligung gegeben, sondern der Klimawandel „stellt einen unmittelbaren Angriff auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte dar. Langfristig und global ist die Sicherung menschenwürdiger Existenz nicht ohne Klimaschutz möglich.“75
Aufgrund dieses Zusammenhangs ist es verständlich, dass beide Herausforderungen – die weltweite Armutsbekämpfung und der Klimaschutz als zusammen gehörende Aufgaben gesehen werden.
Bleibt man in Fragen des Klimaschutzes beim Verursacherprinzip, dann stellt man fest, dass das, was man im Großen, also im Verhältnis der Nationen feststellen kann, auch im Kleinen, also innerhalb einer nationalen oder regionalen Gesellschaft feststellen kann. So hängt der individuelle ökologische Fußabdruck stark von der Finanzkraft des einzelnen ab. Im Schnitt sind Menschen mit einem höheren Einkommen für mehr CO2-Emissionen verantwortlich, als Menschen mit eher geringem Einkommen.
Dieser Zusammenhang darf aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass Bemühungen um den Klimaschutz denjenigen der Armutsbekämpfung in weiten Teilen entgegenstehen. Denn dauerhafte Armutsbekämpfung kann nur über wirtschaftliche Entwicklung geleistet werden. Die bisher bekannten und finanzierbaren Methoden diese zu erreichen sind jedoch weitgehend von der Nutzung fossiler Energien abhängig.76 So fasst Markus Vogt zusammen: „Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer streben nach Armutsüberwindung und Wohlstandssicherung durch energieintensive Industrialisierung, wie sie vom reichen Norden vorgelebt wurde und wird. Es gibt in der Atmosphäre jedoch keinen Platz mehr für das CO2, das die Entwicklungsländer emittieren würden, wenn sie sich so entwickeln wollten wie die Industrienationen.“77
Die Armutsbekämpfung wird in einem von Not, Arbeitslosigkeit oder gar Hunger geprägten Kontext verständlicherweise eine Priorität vor Umweltschutzmaßnahmen eingeräumt. Das Bewusstsein für die Schädigung des Klimas oder anderer ökologischer Belastungen und oft auch die schlichte Möglichkeit dazu, erfolgt meist erst, wenn das Überleben und die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse gesichert sind.
Diese widerstreitenden Interessen zwischen Klimaschutz und Armutsbekämpfung bzw. soziale Gerechtigkeit kann man wiederum nicht nur auf globaler Ebene und in sog. Entwicklungs- und Schwellenländern feststellen, sondern auch innerhalb einer westlichen Volkswirtschaft.
Denn zwar haben die Menschen einen je größeren ökologischen Fußabdruck, je mehr Einkommen und Besitz sie haben, aber auch Maßnahmen des Klimaschutzes treffen oft finanzschwächere Menschen härter als wohlhabende.
So würde beispielsweise eine CO2-Steuer, die nicht in irgendeiner Form den Bürger/innen zurückgezahlt wird (wie es etwa in der Schweiz der Fall ist), ärmere Menschen härter treffen. Denn diese verwenden einen prozentual größeren Anteil ihres Einkommens für Energie (Heizung, Mobilität), Wohnung und Lebensmittel. Wie alle Verbrauchssteuern (z. B. Mehrwertsteuer) ist diese Steuer auch nicht wie die Einkommenssteuer gestaffelt, so dass hier eine unterschiedliche Belastung möglich wäre – die Mehrwertsteuer und auch die CO2-Steuer beträgt für jeden gleich viel, egal welcher Prozentsatz seines Einkommens dem entspricht.
Auch Vorschläge, wie eine Entlastung durch eine Erhöhung der Pendlerpauschale, entlastet Besserverdienende mehr als Geringverdiener, da Menschen mit einem niedrigen Einkommen nur wenig Steuern zahlen, von denen sie befreit werden könnten.
Eine Form von „Pro-Kopf-Rückzahlung“, würde dieses Problem zwar vermeiden, doch auch sie ist nicht vorbehaltlos als gerecht einzustufen, da sie die Rahmenbedingungen in der die Menschen leben, nicht berücksichtigen kann (z. B. Unterschied Land und Stadt bzw. Entfernungen und der Nutzungsmöglichkeit des öffentlichen Nahverkehrs, erwerbstätig oder nicht, usw.).
Der Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung bzw. der Förderung sozialer Gerechtigkeit einerseits und Klimaschutz kann somit als höchst komplex und äußerst ambivalent eingestuft werden. Es ist deshalb wichtig, diesen Sachverhalt bei der Planung konkreter Maßnahmen und Strukturen mitzudenken und nicht vorschnell oder pauschal Forderungen und Ansprüche in die Kategorien „gut“ und „böse“ einzuordnen. Ein Übermaß an Idealisierung, mit dem Versprechen einen richtigen und für alle guten und gerechten Weg zu finden, ist in diesem Kontext höchst problematisch. Es muss dabei klar sein, dass in vielen Bereichen ein Kompromiss, manchmal auch die Entscheidung für das kleinere Übel fallen muss und es nicht in jeder Situation eine für alle befriedigende und perfekte Lösung geben kann.
In diesem Sinne ist es auch nicht ratsam zu pauschal „die Ökonomie“ zum Sündenbock für die ökologische Krise zu machen, ohne ihre Verdienste – gerade im Bereich der globalen Armutsbekämpfung – zu vergessen.
So hat das wirtschaftliche Wachstum nicht nur zu Verbesserungen für einige wenige Privilegierte, sondern zur Verbesserung der Lebensqualität großer Bevölkerungsschichten geführt. Dies beschränkt sich nicht nur auf reinen materiellen Wohlstand, sondern auf den Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Bildung.78 Der Nobelpreisträger Angus Deaton stellt dazu fest: „Life is better now than at almost any time in history. More people are richer and fewer people live in dire proverty. Lives are longer and parents no longer routinely watch a quarter of their children die.“79
Seit dem Beginn der Globalisierung zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts sind Milliarden von Menschen aus ihrer absoluten Armut befreit worden. Der wirtschaftliche Aufschwung und damit die Verbesserung der Lebenslage der Menschen in vielen Ländern wie Indien und China wären ohne den freien Güter- und Kapitalverkehr und die internationale Arbeitsteilung nicht möglich gewesen. Außerdem hat die globale Ungleichverteilung erkennbar abgenommen. Eine Ausschließung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen aus gesellschaftlichen Bezügen, die der Papst u. a. auch in seinem Schreiben Evangelii gaudium anprangerte, konnte durch die Globalisierung in weiten Teilen behoben werden.80 Dagegen sind gerade die Länder der Erde, die nicht in wirtschaftlich produktive Globalisierungsprozesse einbezogen wurden (z. B. politisch instabile afrikanische Länder südlich der Sahara), diejenigen, die nach wie vor in großer Armut gefangen sind.81
Wie alle Sachbereiche, die mit der Interaktion der Menschen unlösbar verwoben ist und vor allem die in hohem Maße mit Kollektivgüter zu tun haben, braucht sie geeignete Rahmenbedingungen, Strukturen und ordnungspolitische Vorgaben, die sie zum Wohl der Menschen regeln. Deshalb ist dieses Problem – der ökologischen Transformation der Gesellschaft bei gleichzeitiger Sicherung von Freiheit und Gerechtigkeit – eine sozialethische Aufgabe und allein über Tugendethik und Verzicht (so wichtig diese auch sind) nicht zu lösen.
Dieses Austarieren der verschiedenen Interessen und Bedürfnisse ist in der sozialen Marktwirtschaft, die sich immer mehr zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft entwickelt, am besten gegeben. Zumindest gibt es momentan kein anderes Gesellschaftsmodell, das gleichermaßen die Freiheit des Menschen schützt und für sozialen Ausgleich sorgt.
Außerdem hilft ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis um die wirtschaftlichen Zusammenhänge dabei, umweltethische Forderungen nach ihrer Umsetzbarkeit und auf ihre Auswirkungen auf andere Bereiche der Gesellschaft hin zu überprüfen. Ohne ein solches besteht die Gefahr, dass die angestrebten Ziele faktisch unterlaufen werden.82 „Die Umweltökonomie kann der Umweltethik helfen, die Gefahr einer simplifizierenden und einzelne Akteure überfordernden ‚Moralisierung‘ zu umgehen, indem sie auf Anreizstrukturen hinweist, die dazu führen können, dass ‚beschränkt moralische‘ Akteure gegen ihre moralischen Überzeugungen handeln.“83
4.2. Der Zusammenhang von Technologie und Ökologie
Ebenso wie der Zusammenhang von Ökonomie und Ökologie sehr ambivalent ist, ist es auch der zwischen Technologie und Ökologie.
Während die Fridays-for-Future-Bewegung sich nicht offen gegen Technologisierung ausspricht, sondern lediglich eine Skepsis gegen ein zu großes Vertrauen in ihre Problemlösemöglichkeiten im Bereich des Klimaschutzes hegt, spricht der Papst in seiner Enzyklika deutliche Worte gegen das „technokratische Paradigma“.
Eine genaue Analyse der Texte der Enzyklika zeigt jedoch, dass seine Kritik keineswegs eindimensional technikfeindlich ist. Vielmehr ist in seinen Argumentationen bereits die Ambivalenz zu erkennen, die hinter der Situation einer fortschreitenden Technologisierung und Digitalisierung steht. Auch wenn dem Gesamtduktus der Aussagen eine stark skeptische Haltung nicht abgesprochen werden kann, so kritisiert er technologische Entwicklungen – ganz im Sinne einer befreiungstheologischen Ausrichtung – hauptsächlich in Hinblick auf den Faktor Macht, vor allem wenn sie zu einer Konzentration von Macht bei wenigen Menschen über andere führt oder wenn die Technik selbst Macht über Menschen gewinnt.
Technologie kann in diesem Sinne durchaus Gefahren bergen und negative Auswirkungen haben. Beispielsweise können hoch technologisierte Industrieländer großen Preisdruck auf die Rohstoffpreise ausüben, die aus sog. Entwicklungsländern bezogen werden. Auch siedeln sich Firmen mitunter gerade dann in ärmeren Regionen an, wenn sie hohe Löhne und strenge Umweltauflagen umgehen wollen, die in westlichen Ländern Standard sind. Hier kann technologisches Potential durchaus als Machtfaktor wahrgenommen werden.
Auch innerhalb von Gesellschaften können Gefahren in dieser Hinsicht erkannt werden. So erweitert die fortschreitende Digitalisierung nicht nur die Freiheit der Menschen, sondern gefährdet sie gleichzeitig: Durch ständige Erreichbarkeit durch Handy, Whatsapp, usw. und neue Formen der Manipulation und der Beeinflussung (z. B. Werbung, Fake-News), wird häufig eine Dauerverfügbarkeit erwartet, die Privatsphäre reduziert und die Entscheidungsfreiheit des Menschen beschränkt. Kann jemand aus finanziellen Gründen oder einfach weil er vielleicht aufgrund seines Alters weniger Interesse an solchen technischen und digitalen Neuerungen hat, nicht mithalten, besteht die Gefahr der sozialen Isolation oder auch eine wirtschaftliche bzw. finanzielle Benachteiligung.84
Diese Schattenseiten sind unverkennbar, dürften jedoch die positiven Seiten des Verhältnisses von Technologie und Ökologie nicht überdecken. In der Tat haben technische Errungenschaften in vielerlei Hinsicht dem Wohl und der Würde der Menschen und auch dem Schutz und der Bewahrung der Schöpfung gedient.
So haben beispielsweise umweltverträgliche Verfahrenstechniken und sog. End-of-pipe-Technologien wie Filter- und Kläranlagen viele Verunreinigungen von Gewässern und Luft gestoppt oder zumindest entscheidend gemildert. Ob es sich um die Entwicklung von phosphatfreien Waschmitteln, dem Ausbau von Kläranlagen oder die Einführung von Katalysatoren in Kraftfahrzeugen handelte, so wären diese Verbesserungen ohne einen technischen Fortschritt und seine Etablierung in das alltägliche Leben nicht möglich gewesen. Auch die Abnahme von Holz- und Kohleöfen in privaten Haushalten und die Zunahme moderner Heiztechnik haben zu einer Steigerung der Luftqualität und einer Abnahme von „saurem Regen“ und dem dadurch verursachten Waldsterbens geführt.85
Auch für die gegenwärtigen großen Herausforderungen von Armutsbekämpfung, Klimaschutz und weiterer globaler Probleme ist es angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung unwahrscheinlich, dass all diese Probleme ohne neue technische Entwicklungen in Biologie, Chemie, Physik und den Ingenieurswissenschaften zu handhaben sind.
Gerade in Fragen des Klimawandels, der nur mit einer Entkoppelung von wirtschaftlicher Entwicklung und Ressourcenverbrauch bzw. Umweltbelastung zu lösen ist, ist ein technologischer Wandel und neue Technologien – sowohl in den Industrieländern als auch in den sog. Entwicklungsländern – unabdingbar.86 Andernfalls kommt es entweder zu massiven wirtschaftlichen Einbrüchen, die in vielen Regionen zu steigender Armut führen kann, oder aber Länder verweigern die Kooperation in Fragen des Klimaschutzes, so dass zielführende Schritte nicht umgesetzt werden können.
Um aber einerseits eine Machtkonzentration durch ein Wissensgefälle bei technologischen Entwicklungen zu verhindern und andererseits bei globalen Themen wie dem Klimawandel maximalen Nutzen zu erzielen, geht es nicht nur um eine Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien, sondern auch um ihren weltweiten Einsatz. Sehr treffend fasst Michael Reder diese Sachlage zusammen: „Eine Beschränkung des globalen Temperaturanstiegs im Rahmen des Klimawandels unter 2 ° C ist z. B. ohne sozial disruptive wirtschaftliche Einbrüche überhaupt nur möglich, wenn es zu technologischen Durchbrüchen u. a. in den Bereichen der Energiespeicherung, kohlenstoffneutraler Kraft- und Baustoffe und der CO2-Abscheidung und -Speicherung kommt. Aber auch in vielen anderen Bereichen sind die derzeit zur Verfügung stehenden Technologien nicht ausreichend. Da nicht zu erwarten ist, dass Unternehmen von sich aus genügend Forschungsanstrengungen in dieser Richtung unternehmen werden, ist auch staatliche Forschungsförderung notwendig. Damit die globalen Umweltziele erreicht werden, ist es außerdem notwendig, dass neue umweltfreundliche Technologien frühzeitig nicht nur in Ländern mit entsprechenden Forschungskapazitäten – d. h. vor allem in den reichen Industrieländer und einigen Schwellenländern – eingesetzt werden. Deshalb ist Technologietransfer in diese sog. Entwicklungsländer notwendig.“87
Werden die Gefahren der Technologisierung und Digitalisierung nicht übersehen und darauf geachtet, dass sie nicht zur Ausbeutung Schwächerer und weniger Privilegierter führt, sondern den Lebensraum und die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen dienen und die Schöpfung bewahren, dann können die gegenwärtigen und künftigen technischen Errungenschaften als Lösungsmöglichkeit für globale Probleme gesehen werden.
5. Hierarchie der Werte: Gott – Mensch – Natur
Diese sich wiederstreitenden und teilweise sich entgegenstehenden Interessen und Ziele werden oft nicht in ihrer Komplexität wahrgenommen, was dazu führt, dass sich Fronten verhärten und damit Kompromisse und Lösungsstrategien verhindert werden. Gerade die Radikalität, mit der Handlungen eingefordert werden, zeigt, dass es wichtig ist, sich vor den konkreten Strukturgestaltungen, klar die Werte zu benennen, deren die ordnungspolitischen Maßnahmen zu dienen haben. Da es hier mehrere berechtigte und wichtige Werte, Normen und Ziele gibt, ist es umso wichtiger, sich der eigenen Präferenzen bewusst zu sein, diese zu hinterfragen und zu begründen. Für die christliche Ethik kann von einer Werthierarchie, die sich dem Schöpfer verpflichtet weiß und das Wohl und die Würde des Menschen im Blick hat, nicht abgewichen werden. So ergibt sich die Werthierarchie: Gott – Mensch – Umwelt. Diese Hierarchie der Werte darf nicht als Herrschaftsanspruch gegenüber der Natur, sondern als Schutz-, Fürsorge- und Verantwortungsanspruch verstanden werden. Das ist durch die Rückbindung an den Schöpfergott gegeben.
Sie verhindert auch, dass jeweils einzelne Herausforderungen – und seien sie noch so groß und schlimm – verabsolutiert werden und mit einer Radikalität und teilweise fast religiösem Eifer vertreten werden. Vielmehr werden diese so in das größere Ganze eingeordnet und mit anderen Anliegen und anderem Handlungsbedarf in Einklang gebracht. Eine solche Werthierarchie schützt auch vor einer Ideologisierung, Überhöhung und Realitätsferne. Gerade im Bewusstsein der menschlichen Schwäche und Fehlbarkeit im Blick auf den Schöpfergott wird die Möglichkeit eröffnet, nach realistischen, umsetzbaren und langlebigen Lösungen und Kompromissen zu suchen.
Der Kern dieser christlichen Werthierarchie ist die Würde des Menschen, dessen Menschenrechte zu wahren und zu schützen sind. Er wird in seiner Rückbindung an Gott gesehen, der ihm durch seine Gottebenbildlichkeit und die Menschwerdung Jesu Christi eine unvergleichliche und unverlierbare Würde gegeben hat und in die Verantwortung für seine Schöpfung und die Mitgeschöpfe gestellt hat.
Dadurch wird einer Gefahr entgegengewirkt, die vor allem bei radikalen Strömungen innerhalb der Umweltbewegung besteht: nämlich dem Menschen aufgrund seiner Auswirkungen auf die Umwelt das Lebensrecht – zumindest indirekt – abzusprechen oder die Natur zu verabsolutieren (Biozentrismus).
Der Mensch produziert per se CO2, aber deshalb ist er nicht unwürdig zu leben. Er ist auch nicht unwürdig sich zu freuen, das Leben positiv zu genießen und in Achtung vor der Schöpfung diese auch zu nutzen und zu gestalten.
Somit hat eine solche Werthierarchie eine doppelte theologisch-ethische Schutzfunktion, den Schutz der menschlichen Würde und den Schutz der Schöpfung vor menschlicher Willkür. Auf dieser Basis kann dann nach ausgewogenen Lösungsmöglichkeiten gesucht werden, wenn die Güter jeweils miteinander abgewogen und in Balance gebraucht werden. Auch Kompromisslösungen können auf dieser Basis akzeptiert werden.
6. Lösungsmöglichkeiten
6.1. Sozialethische Lösungsansätze
Die Komplexität der globalen Umweltprobleme, wie dem Klimawandel, führt dazu, dass es nicht ausreicht, nur an die Vernunft der Menschen zu appellieren und auf einen tugendethischen Gesinnungswandel zu hoffen. Es sind zeitgleich zur Bildungs- und Informationsarbeit, strukturelle, ordnungspolitische Maßnahmen in Angriff zu nehmen – vor allem, wenn wichtige Errungenschaften, wie die globale Armutsbekämpfung, die Demokratie, Freiheitsrechte und andere Menschenrechte geschützt und gewahrt werden sollen.
Beide – sozialethische und tugendethische Bemühungen – müssen parallel verlaufen, da es zum einen ordnungspolitische Regelungen braucht, um ein so komplexes Problem wie den Klimawandel oder andere ähnlich geartete Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. Zum anderen sind die Implementierbarkeit und auch die Einhaltung solcher Strukturen und Maßnahmen in freien und demokratischen Gesellschaften von dem Verständnis und der Zustimmung der Mehrheit der dort lebenden Menschen abhängig.
An dieser Stelle kann nur ganz allgemein und fragmentarisch ein Blick auf verschiedene Lösungsmöglichkeiten geworfen werden.
6.2. Internationale Zusammenarbeit – von der Koexistenz zur Kooperation
Viele Maßnahmen werden dadurch unterlaufen, dass sich Verschmutzungen und Umweltbelastungen auf andere Weltregionen verschieben. So weichen Unternehmen aufgrund strenger Umweltauflagen möglicherweise in Länder aus, in denen diese nicht gelten. Auch ein nationaler Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft ist kontraproduktiv, wenn stattdessen der durch diese Arten erzeugte Strom von den Nachbarländern importiert wird.
Die Klimaproblematik selbst stellt in dieser Hinsicht ein noch globaleres Problem dar. Denn keine Nation oder Region kann sich einfach von dieser Schicksalsgemeinschaft verabschieden, wie es etwa bei anderen Meinungsverschiedenheiten, z. B. durch den Austritt aus einer Staatengemeinschaft möglich ist.
Während bisher bei den vielfältigen zwischenstaatlichen Differenzen am besten mit der größtmöglichen Toleranz und einer friedlichen Koexistenz der Weltfrieden gesichert werden konnte, ist es hier anders. Denn jedes Handeln oder auch Nichthandeln hat Auswirkungen auf die gesamte Menschheit – der jetzt lebenden und der künftigen. Deshalb sind hier Strategien für eine möglichst große Zusammenarbeit notwendig.
Ottmar Edenhofer, u. a. sehen in der internationalen Kooperation den entscheidenden Faktor: „Die europäische Klimapolitik muss internationale Kooperation ermöglichen. Deutschland trägt mit etwa 2 Prozent nur zu einem kleinen Teil zum Anstieg der globalen Treibhausgase bei: Selbst die komplette Klimaneutralität würde also den jährlichen Zuwachs an globalen Emissionen, der 2018 rund 2 Prozent betrug, lediglich für ein Jahr pausieren lassen. (…) Von einer deutschen unilateralen Politik dürften aber quantitativ nur geringe Effekte ausgehen. Sie könnte den Klimawandel sogar beschleunigen, weil sie tendenziell zu einer Verdrängung von CO2-intensiver Produktion in Regionen mit weniger ambitionierter Klimapolitik führen kann – und zu einer Schwächung der strategischen Position in internationalen Klimaverhandlungen. Das wichtigste Ziel aller Klimapolitik ist daher, für internationale Kooperation zu sorgen und Trittbrettfahren zu unterbinden.“ 88
Letzteres sehen sie geradezu als zentrale Herausforderung: „Der geringe Anteil Deutschlands an den weltweiten Treibhausgasemissionen macht deutlich, dass die Klimapolitik das globale Trittbrettfahrerproblem lösen muss. Alles, was in Deutschland an CO2-Zielen ausgerufen und an Einsparungen erreicht wird, hilft weder dem Klima noch der Wirtschaft und auch nicht bei der Lösung des Trittbrettfahrerproblems, wenn es nicht in eine glaubwürdige, internationale Klimapolitik eingebettet wird. Jede national oder international ausgerichtete politische Maßnahme muss daher darauf zielen, dass sie die maximale Menge an globalen Emissionen reduziert, da nur diese für die globale Erderwärmung relevant sind.“89
Auch der Volkswirt Hans-Werner Sinn sieht hier den Kern des Problems und hält deshalb einen weltweiten Emissionshandel zur Kontrolle der emittierten Kohlenstoffmenge für die erfolgversprechendste Strategie. Zwar löse die unsichtbare Hand des Marktes nicht das Klimaproblem, aber vor allem deshalb, weil es für Emissionen keinen Markt gäbe. Der weltweite einheitliche Preis für CO2 Ausstoß könne aber dieses Problem lösen und zu einer Reduktion führen. Die Schwierigkeit liegt darin, alle Staaten dazu zu bringen, bei diesem Vorhaben mitzumachen.90 Hier schlägt der Nobelpreisträger William D. Nordhaus vor, einen Zusammenschluss von ausreichend mächtigen Ländern zu gründen, die einen solchen Zertifikatenhandel initiieren und alle Länder, die hier nicht mitmachen wollen auf verschiedenste Weise zu sanktionieren. Ein solcher Weg scheint gangbar, auch wenn dabei berücksichtigt werden muss, dass ein Ausschluss oder eine Sanktionierung arme und wirtschaftlich schwächere Länder nicht übermäßig belasten darf. Hier müsste ein Weg gefunden werden, um soziale Härten auszugleichen.
6.3. Internalisierung von Klimakosten
Bis ein solcher weltweiter Zertifikatenhandel realisiert ist, kann versucht werden, innerhalb der Nationalstaaten eine Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erreichen, indem eine Internalisierung vollzogen wird, also ein Preis für den CO2-Ausstoß eingeführt wird. Das kann beispielsweise durch eine CO2-Steuer geschehen. Da es hierbei zu sozialen Härten und zu einer überproportionalen Belastung von sozial schwachen Menschen kommen kann, müssten diese auf eine geeignete Weise kompensiert werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass den Menschen die Kosten für einen durchschnittlichen Verbrauch zurück erstattet werden, so dass nur diejenigen finanziell belastet werden, die überdurchschnittlich viel CO2-Ausstoß verursachen. Dies könnte durch die Senkung von Steuern und Abgaben auf Strom erfolgen, oder auch über einen Pro-Kopf-Transfer, wie ihn gegenwärtig die Schweiz praktiziert. Dadurch könnten auch soziale Härten ausgeglichen werden, die damit zusammen hängen, dass ärmere Haushalte im Durchschnitt einen höheren Anteil an Energieausgaben haben. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Steuererleichterungen wegen des höheren Grenzsteuersatzes primär reicheren Haushalten zugutekommen.91
Dieses Vorgehen scheint angesichts der gegenwärtigen Lage die beste Möglichkeit zu sein, Klimakosten zu internalisieren ohne große soziale Härten zu verursachen. Allerdings darf auch hier nicht die Schwierigkeit übersehen werden, dass auch der Durchschnittsverbrauch nach Region, Umfeld (z. B. Leben auf dem Land oder in einer Großstadt) und auch individueller Lebenssituation sehr unterschiedlich sein kann.
6.4. Förderung von Möglichkeiten der CO2-Absorbtion
Da es fraglich ist, ob angesichts der steigenden Weltbevölkerung und der ebenfalls vermehrten Nutzung fossiler Energieträger eine Reduzierung des Ausstoßes erreicht werden kann, der die CO2-Konzentration in der Atmosphäre und damit den Temperaturanstieg in akzeptablen Grenzen hält, ist es nötig, nach Strategien der CO2-Absorbtion und technologische Möglichkeiten hierfür zu suchen.
6.4.1. Erhaltung und Ausweitung der natürlichen CO2-Absorbtion
Eine naheliegende und nebenwirkungsfreie Möglichkeit dafür ist die Erhaltung der Pflanzenwelt, vor allem der Wälder. Hans-Werner Sinn schlägt in diesem Sinne vor, über die UNO weltweit große Waldgebiete aufzukaufen. Der Amazonas-Regenwald würde nach seinen Berechnungen etwa 275 Milliarden Euro kosten92, was global betrachtet, durchaus machbar wäre93. Ein solches Vorgehen würde dafür sorgen, dass die Regionen mit großen Waldgebieten, die nicht selten zu den ärmeren Ländern der Welt zählen, für ihren Beitrag zum Klimaschutz durch den Erhalt der Wälder eine Vergütung erhalten. Um die Souveränität dieser Staaten nicht zu gefährden, wäre es auch denkbar, nur die Abholzungsrechte aufzukaufen und nicht das gesamte Land, oder zusammen mit den dort lebenden Menschen (im brasilianischen Regenwald beispielsweise die indigenen Völker) nach Schutzstrategien zu suchen und sie bei ihren Bemühungen nach Unabhängigkeit und der Bewahrung ihres Lebensraumes zu unterstützen.
Auch die Förderung von Aufforstungen wäre denkbar.94 Innerhalb von Nationalstaaten und Staatengemeinschaften, wie der EU könnten beispielsweise Subventionen dafür ausgegeben werden oder Land bewusst für die Aufforstung aufgekauft werden. Auch Unternehmen mit höherem CO2-Ausstoß könnten solche Aufforstungsprojekte oder Wald-Patenschaften übernehmen und dafür steuerlich entlastet werden (z. B. über die CO2-Steuer).
Außerdem ist der gezielte Anbau von Pflanzen denkbar, die besonders viel CO2 aus der Luft aufnehmen. So gibt es beispielsweise Algenarten, deren photosynthetische Effizienz etwa vier Mal so hoch ist wie bei Landpflanzen und die dadurch etwa 10-mal schneller wachsen. Aus diesen Algen wiederum kann Algen Öl als wertvoller Rohstoff (für Kraft- oder Baustoffe) gewonnen werden.95
6.4.2. Erforschung und Förderung von technischen Möglichkeiten der CO2-Absorbtion
Außerdem muss nach weiteren Möglichkeiten geforscht werden, um CO2 aus der Luft zu absorbieren und dauerhaft aus der Atmosphäre zu entziehen. Hierzu gibt es bereits interessante Ansätze, die jedoch noch eine weitere Forschung, Entwicklung und Umsetzung erforderlich machen.
So gibt es beispielsweise in Island das Projekt CarbFix2.96 Hier wird auf einer isländischen Hochebene Kohlendioxid aus der Umgebungsluft gefiltert, mit Wasser vermengt und das Gemisch in hunderte Meter Tiefe gepumpt, so dass es dauerhaft im Gestein fixiert ist.97 Auch wenn die Anlage noch große Mengen Energie benötigt, um eine eher kleine Menge CO2 aus der Luft zu extrahieren, handelt es sich um einen interessanten Ansatz.
Auch an der TU München gibt es interessante Forschungsansätze, wie CO2 in nutzbare Rohstoffe umgewandelt werden kann. So ist es Chemikern dort gelungen, einen Prozess zu entwickeln, der eine wirtschaftliche Entfernung des Treibhausgases Kohlendioxid aus der Atmosphäre ermöglichen könnte und das vom aktuellen Weltklimareport (IPCC Special Report on Global Warming of 1.5 °C) als global relevant eingestuft wurde.98
Außerdem gibt es Versuche, das CO2 aus der Luft zu filtern. So entwickelte das Unternehmen Climaworks riesige Luftfilter. Aus diesen wird das Treibhausgas gelöst und als natürliches Düngemittel in der Agrarindustrie eingesetzten.99
Dies sind nur einige wenige Ansätze der gegenwärtigen Versuche, durch technische Möglichkeiten den Anstieg des CO2-Gehalt der Atmosphäre zu verringern und das Klima zu schützen. Auch wenn diese und weitere Methoden noch nicht flächendeckend eingesetzt werden, so zeigen sie doch eine Lösungsmöglichkeit im Kampf gegen den Klimawandel auf.
6.5. Erforschung und Förderung von erneuerbarer Energie und von Speichermöglichkeiten
Auch auf anderen Gebieten der erneuerbaren Energien, der CO2-armen Mobilität und weiterer Themenfelder rund um die Klimafrage sind weitere Anstrengungen von Nöten.
So wird eine große Herausforderung sein, die ungleichmäßige Menge bei der Erzeugung von Strom aus Windkraft und Solar in den Griff zu bekommen. Hier machen sowohl die Stromspitzen, die das Netz überlasten als auch Zeiten geringer Effektivität große Probleme. Die Speicherung oder Nutzung dieser Energieüberschüsse ist momentan noch ein Problem. Denkbar wäre hier eine stärkere Förderung der Wasserstoff-Brennstoff-Zellen in Fahrzeugen und Antrieben. So könnten Stromspitzen zur Herstellung von Wasserstoff verwendet werden, der dann unbegrenzt lagerbar ist und z. B. für Fahrzeuge mit diesem Antrieb genutzt werden kann. Momentan ist der Wirkungsgrad von Wasserstoff-Brennstoff-Zellen noch so schlecht, dass ein solcher Antrieb wesentlich teurer ist als z. B. Elektro- oder Benzinfahrzeuge, doch könnte eine weitere Forschung hier Verbesserungen bringen. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Technik ist auch noch, dass die Herstellung von Wasserstoff durch erneuerbare Energiequellen, wie Wind und Sonne überall möglich ist. Das könnte eine Chance für ärmere Regionen dieser Erde, wie z. B. Afrika sein, die aufgrund großer Hitze und schwierigen Rahmenbedingungen (z. B. Trockenheit) nur schwer die Existenz ihrer Bewohner sichern können.
7. Resümee
Dieser kurze Blick auf die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der verschiedenen Bereiche zeigt, wie komplex und vielschichtig verschiedene Bereiche zusammenwirken, sich gegenseitig fördern oder auch entgegenstehen. Noch nicht berücksichtigt wurde bei all diesen Ausführungen, dass auch verschiedene Bereiche des Umweltschutzes einander entgegenstehen können. So können beispielsweise verschiedene Maßnahmen des Klimaschutzes auf andere Bereiche negative Auswirkungen haben. Hier sei nur auf die enormen Umweltzerstörungen durch den Lithiumabbau für die Batterien der Elektrofahrzeuge verwiesen.
Gerade die Lösungsmöglichkeiten zeigen, dass geeignete, dauerhafte und sozialverträgliche Möglichkeiten des Klimaschutzes am besten möglich sind, wenn die drei Kultursachbereiche Ökologie, Ökonomie und Technik nicht als Gegensätze sondern als sich ergänzende und bereichernde Themenfelder verstanden werden und alle Bemühungen dahin gehen, potentielle Widersprüche zu vermeiden.
Beim Zusammenhang von Ökologie und Ökonomie heißt das ein zweifaches: Zum einen müssen die ökologischen Kosten in die Ökonomie internalisiert werden. Zum anderen muss sich ökologischer Schutz auch ökonomisch rentabel auswirken.
Ähnlich verhält es sich mit dem Zusammenhang von Technik und Ökologie. Hier kann Technik als Mittel der Humanisierung dienen und im Dienst von Nachhaltigkeit stehen.
Vor allem ist in jedem Fall eine sehr differenzierte Analyse mit jeweils genauer Folgenabwägung nötig und von einer Polarisierung Abstand zu nehmen. Eine solche führt dazu, die Fronten zu verhärten und zeigt sich angesichts der vielfältigen Herausforderungen als kontraproduktiv.
Außerdem ist große Vorsicht bei Postwachstums-Ansätzen geboten, da nicht vergessen werden darf, dass eine stetig wachsende Weltbevölkerung versorgt werden muss. Dies kann nur mit einem wirtschaftlichen Wachstum gelingen, wenn große Verteilungskämpfe vermieden werden sollen.
Somit kann abschließend zum Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und Technologie festgehalten werden: Wenn die Gefahren nicht übersehen werden, kann die Kooperation dem Wohl und der Würde des Menschen dienen und dem Respekt vor der Schöpfung und ihrem Schöpfer förderlich sein.
Literatur:
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Lederer, Markus: Laudato si‘ und der Kapitalismus – kann und soll die Bestie gebändigt werden?, in: Heimbach-Steins, Marianne; Schlacke, Sabine (Hg.): Die Enzyklika Laudato si‘. Ein interdisziplinärer Nachhaltigkeitsansatz?, Baden-Baden 2019, S. 55-76.S.77-96.
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Neubauer, Luisa, Repenning, Alexander: Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft, Stuttgart 2019.
Reder, Michael; Gösele, Andreas; Köhler, Lukas; Wallacher, Johannes: Umweltethik. Eine Einführung in globaler Perspektive, Stuttgart 2019.
Reuber, Paul; Fuchs, Doris: Politische Raumkonstruktionen von Gesellschaft und Umwelt in der päpstlichen Enzyklika Laudato si‘ 2015 – Ein kritischer Kommentar aus der Perspektive von Poliitischer Geographie und Politischer Ökonomie, in: Heimbach-Steins, Marianne; Schlacke, Sabine (Hg.): Die Enzyklika Laudato si‘. Ein interdisziplinärer Nachhaltigkeitsansatz?, Baden-Baden 2019, S. 55-76.
Sinn, Hans-Werner: Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik, Berlin, 2008.
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Wynes, Seth; Nicholas, Kimberly: Mitigation gap: Education and Government recommendations miss the most effective individual actions, in: Environ. Res. Lett. 12 (2017).
1 So heißt es beispielsweise im Fünften Sachstandsbericht des IPCC zusammenfassend: „Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig, und viele dieser seit den 1950er Jahren beobachteten Veränderungen waren vorher über Jahrzehnte bis Jahrtausende nie aufgetreten. Die Atmosphäre und der Ozean haben sich erwärmt, die Schnee- und Eismengen sind zurückgegangen, der Meeresspiegel ist angestiegen, die Konzentration der Treibhausgase haben zugenommen. Jedes der letzten drei Jahrzehnte war an der Erdoberfläche sukzessive wärmer als alle vorangehenden Jahrzehnte seit 1850. In der Nordhemisphäre war 1983-2012 wahrscheinlich die wärmste 30-Jahr-Periode der letzten 1400 Jahre.“ (Fünfter Sachstandsbericht des IPCC (AR5), S. 1.)
2 Vgl. z.B. www.bundesumweltamt.de
3 Vgl.: www.zamg.ac.at/cms/de/klima und www.sueddeutsche.de
4 Vgl.: www.sueddeutsche.de
5IPCC‐Sonderbericht über Klimawandel und Landsysteme (SRCCL), S. 2.
6 Kromp-Kolb, Klimawandel, S. 31.
7 Vogt, Ökologische Gerechtigkeit S. 64.
8 Zitiert nach: www.welt.de („Fridays for Future macht mit Forderungskatalog Druck auf die Politik“ vom 08.04.2019), auch unter: www.dw.de („Fridays for Future erhöht Druck auf die Politik“ vom 08.04.2019), u.a.
9 fridaysforfuture.de/forderungen/
10 https://fridaysforfuture.de/forderungen/
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Beispielsweise ist auf der Homepage von „Fridays for Future Brandenburg“ zu lesen: „Dabei ist es uns als Bewegung wichtig, dass der nötige Wandel unter ökologischen und sozialen Aspekten gerecht gestaltet wird. Soziale Aspekte müssen in die Diskussionen und Entscheidungen einbezogen werden, ohne Ökologie und Soziales gegeneinander auszuspielen.“ (Forderungen von „Fridays for Future Brandenburg“ abrufbar unter https://fridaysforfuture.de/forderungen/)
Auch auf der allgemeinen Homepage von Fridays for Future Deutschland heißt es: „Die Verwirklichung dieser Forderungen muss sozial verträglich gestaltet werden und darf keinesfalls einseitig zu Lasten von Menschen mit geringem Einkommen gehen. Diesbezüglich müssen die Regierungen entsprechende Konzepte vorlegen.“ (https://fridaysforfuture.de/forderungen/)
14 https://fridaysforfuture.de/forderungen/
15 Neubauer, u.a., Klimakrise.
16Vgl. dazu: Wynes, u. a., Mitigation gap.
17Vgl. dazu: Wynes, u. a., Mitigation gap, S. 4.
18 In den ersten Abschritten (Nr. 3 – 6) verweist er auf Schreiben seiner Vorgänger, z.B. auf Johannes XXIII, Papst Paul VI, Johannes Paul II und Benedikt XVI.
19 LS Nr. 7.
20 Vgl. z.B. Homepage von Fridays for Future und Aussagen in verschiedenen Interviews.
21 Vgl. hier z.B. Lesch, u. a., Die Menschheit schafft sich ab. Zur Verwendung wissenschaftlicher Analysen zur Klimakrise, vgl. auch: Heimbach-Steins, u. a., Ein Impuls. S. 21 und S. 25-26.
22 LS Nr. 23
23 Z.B. Nr. 20: „Es gibt Formen der Umweltverschmutzung, durch die die Menschen täglich geschädigt werden. Den Schadstoffen in der Luft ausgesetzt zu sein, erzeugt ein weites Spektrum von Wirkungen auf die Gesundheit – besonders der Ärmsten – und verursacht Millionen von vorzeitigen Todesfällen.“
24 Nr. 66: „Dieser Bruch ist die Sünde. Die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung wurde zerstört durch unsere Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, da wir uns geweigert haben anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe sind. Diese Tatsache verfälschte auch den Auftrag uns die Erde zu ‚unterwerfen‘ (vgl. Gen 2,15).“
25 Heimbach-Steins, u. a., Ein Impuls. S. 21.
26 Nr. 2.
27 Nr. 25: „Der Klimawandel ist ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen; er stellt eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit dar. Die schlimmsten Auswirkungen werden wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten auf die Entwicklungsländer zukommen. Viele Arme leben in Gebieten, die besonders von Phänomenen heimgesucht werden, die mit der Erwärmung verbunden sind, und die Mittel für ihren Lebensunterhalt hängen stark von den natürlichen Reserven und den ökosystemischen Betrieben wie Landwirtschaft, Fischfang und Waldbestand ab. Sie betreiben keine anderen Finanzaktivitäten und besitzen keine anderen Ressourcen, die ihnen erlauben, sich den Klimaeinflüssen anzupassen oder Katastrophen die Stirn zu bieten, und sie haben kaum Zugang zu Sozialdiensten und Versicherungen. So verursachen die klimatischen Veränderungen zum Beispiel Migrationen von Tieren und Pflanzen, die sich nicht immer anpassen können, und das schädigt wiederum die Produktionsquellen der Ärmsten, die sich ebenfalls genötigt sehen abzuwandern, mit großer Ungewissheit im Hinblick auf ihre Zukunft und die ihrer Kinder.“
28 Nr. 48: „Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen. Tatsächlich schädigen der Verfall der Umwelt und der der Gesellschaft in besonderer Weise die Schwächsten des Planeten.“ Vgl. dazu auch den weiteren Text von Nr. 48 und Nr. 49.
29 Nr. 49
30 So heißt es etwa in Nr. 50: „Anstatt die Probleme der Armen zu lösen und an eine andere Welt zu denken, haben einige nichts andres vorzuschlagen als eine Reduzierung der Geburtenrate. Es fehlt nicht an internationalem Druck auf die Entwicklungsländer, indem wirtschaftliche Hilfen von gewissen politischen Entscheidungen zugunsten der ‚Fortpflanzungsgesundheit‘ abhängig gemacht werden. (…) Die Schuld dem Bevölkerungszuwachs und nicht dem extremen und selektiven Konsumverhalten einiger anzulasten, ist eine Art, sich den Problemen nicht zu stellen.“
31 Nr. 51: „Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur Einzelne an, sondern ganze Länder, und zwingt dazu, an eine Ethik der internationalen Beziehungen zu denken. Denn es gibt eine wirkliche ‚ökologische Schuld‘ – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen. (…) Die Erwärmung, die durch den enormen Konsum einiger reicher Länder verursacht wird, hat Auswirkungen in den ärmsten Zonen der Erde, besonders in Afrika, wo der Temperaturanstieg vereint mit der Dürre verheerende Folgen für den Ertrag des Ackerbaus hat.“
32 Vgl. z.B. LS 52, 56, u.a.
33 Vgl.: Reuber, u. a., Politische Raumkonstruktionen, S. 63-65.
34 Reuber, u. a., Politische Raumkonstruktionen, S. 63
35 Vgl. z.B. Nr. 55: „Es gibt mehr ökologisches Empfinden in der Bevölkerung, auch wenn es nicht reicht, um die schädlichen Konsumgewohnheiten zu ändern, die nicht nachzulassen scheinen, sondern sich verbreiten und entwickeln.“ und Nr. 59: „Diese ausweichende Haltung dient uns, unseren Lebensstil und unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten beizubehalten.“
36 Vgl. hierzu z.B. www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/treibhauseffekt
37 Vgl.: Lederer, Laudato si‘, S. 81, 83 und 86.
38„Die Umwelt ist ein kollektives Gut, ein Erbe der gesamten Menschheit und eine Verantwortung für alle. Wenn sich jemand etwas aneignet, dann nur, um es zum Wohl aller zu verwalten. Wenn wir das nicht tun, belasten wir unser Gewissen damit, die Existenz der anderen zu leugnen. Deshalb haben die Bischöfe von Neuseeland sich gefragt, was das Gebot „du sollst nicht töten“ bedeutet, wenn „zwanzig Prozent der Weltbevölkerung Ressourcen in solchem Maß verbrauchen, dass sie den armen Nationen und den kommenden Generationen das rauben, was diese zum Überleben brauchen.“
39 Nr. 102: „Die Menschheit ist in eine neue Ära eingetreten, in der uns die Macht der Technologie vor einen Scheideweg stellt. Wir sind die Erben zwei Jahrhunderten enormer Veränderungswellen: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, der Telegraph, die Elektrizität, das Automobil, das Flugzeug, die chemischen Industrien, die moderne Medizin, die Informatik und jüngst die digitale Revolution, die Robotertechnik, die Biotechnologie und die Nanotechnologien. Es ist recht, sich über diese Fortschritte zu freuen und angesichts der umfangreichen Möglichkeiten, die uns diese stetigen Neuerungen eröffnen, in Begeisterung zu geraten, da Wissenschaft und Technologie ein großartiges Produkt gottgeschenkter Kreativität sind. Die Umgestaltung der Natur zu Nützlichkeitszwecken ist für die Menschheit seit ihren Anfängen charakteristisch, und daher ist die Technik Ausdruck der Spannung des menschlichen Geistes auf die schrittweise Überwindung gewisser materieller Bedingtheiten hin. Die Technologie hat unzähligen Übeln, die dem Menschen schadeten und ihn einschränkten, Abhilfe geschaffen. Wir können den technischen Fortschritt nur schätzen und dafür danken, vor allem in der Medizin, in der Ingenieurswissenschaft und im Kommunikationswesen. Und wie sollte man nicht die Bemühungen vieler Wissenschaftler und Techniker anerkennen, die Alternativen für eine nachhaltige Entwicklung beigesteuert haben?“
40 Nr. 46: „Zu den sozialen Komponenten der globalen Veränderung gehören auch die Auswirkungen einiger technologischer Neuerungen auf die Arbeit, die soziale Ausschließung, die Ungleichheit in der Verfügbarkeit und dem Konsum von Energie und anderen Diensten, die gesellschaftliche Aufsplitterung, die Zunahme der Gewalt und das Aufkommen neuer Formen sozialer Aggressivität, der Rauschgifthandel und der steigende Drogenkonsum unter den Jüngsten, der Verlust der Identität. Das sind unter anderem Zeichen, die zeigen, dass das Wachstum der letzten beiden Jahrhunderte nicht in allen seinen Aspekten einen wahren ganzheitlichen Fortschritt und eine Besserung der Lebensqualität bedeutet hat. Einige dieser Zeichen sind zugleich Symptome eines wirklichen sozialen Niedergangs, eines stillschweigenden Bruchs der Bindungen von sozialer Integration und Gemeinschaft.“
41 Besonders deutlich wird die technologiekritische Haltung des Papstes in Nr. 108 seiner Enzyklika, in der die Technologie als Gefahr für die menschliche Freiheit und Kreativität einstuft und eine Art Versklavung des Menschen durch die Regeln der Technologisierung befürchtet: „Es ist nicht an die Möglichkeit zu denken, ein anderes kulturelles Paradigma zu vertreten und sich der Technik als eines bloßen Instruments zu bedienen. Das technokratische Paradigma ist nämlich heute so dominant geworden, dass es sehr schwierig ist, auf seine Mittel zu verzichten, und noch schwieriger, sie zu gebrauchen, ohne von ihrer Logik beherrscht zu werden. Es ist „kulturwidrig“ geworden, wieder einen Lebensstil mit Zielen zu wählen, die zumindest teilweise von der Technik, von ihren Kosten und ihrer globalisierenden und vermassenden Macht unabhängig sein können.“
42 Nr. 106
43 Vgl. hierzu auch: Nr. 107 und Nr. 109.
44 Nr. 104: „Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient. Es genügt, an die Atombomben zu erinnern, die mitten im 20. Jahrhundert abgeworfen wurden, sowie an den großen technologischen Aufwand, den der Nationalsozialismus, der Kommunismus und andere totalitäre Regime zur Vernichtung von Millionen von Menschen betrieben haben – ohne hierbei zu vergessen, dass heute der Krieg über immer perfektere todbringende Mittel verfügt. In welchen Händen liegt so viel Macht, und in welche Hände kann sie gelangen? Es ist überaus gefährlich, dass sie bei einem kleinen Teil der Menschheit liegt.“
Nr. 105: „Man neigt zu der Ansicht, jede Zunahme an Macht sei einfach hin Fortschritt; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wertsättigung, als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor. Tatsache ist, dass der moderne Mensch nicht zum richtigen Gebrauch der Macht erzogen wird, denn das enorme technologische Wachstum ging nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher. Jede Zeit neigt dazu, eine dürftige Selbsterkenntnis in Bezug auf die eigenen Grenzen zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es möglich, dass die Menschheit heute nicht den Ernst der Herausforderungen, die sich ihr stellen, wahrnimmt.“
45 Vgl. z.B. Nr. 109.
46Nr. 54: „Auffallend ist die Schwäche der internationalen politischen Reaktion. Die Unterwerfung der Politik unter die Technologie und das Finanzwesen zeigt sich n der Erfolglosigkeit der Weltgipfel über Umweltfragen. Es gibt allzu viele Sonderinteressen und leicht gelingt es dem wirtschaftlichen Interesse, die Oberhand über das Gemeinwohl zu gewinnen und die Information zu manipulieren, um die eigenen Pläne nicht beeinträchtigt zu sehen.“ und Nr. 109: „Das technokratische Paradigma tendiert auch dazu, die Wirtschaft und die Politik zu beherrschen. Die Wirtschaft nimmt jede technologische Entwicklung im Hinblick auf den Ertrag an, ohne auf mögliche negative Auswirkungen für den Menschen zu achten. Die Finanzen ersticken die Realwirtschaft.“
47 Die Zusammenschau dieser beiden eigenständigen Sachbereiche wird auch an anderen Stellen vorgenommen, z.B. LS 54.
48 Vgl., z. B. LS 52.
49 Vgl.: Reuber, u. a., Politische Raumkonstruktionen, S. 63 und auch S. 68.
50 Nr. 111.
51 Nr. 112: „Es ist jedoch möglich, den Blick wieder zu weiten. Die menschliche Freiheit ist in der Lage, die Technik zu beschränken, sie zu lenken und in den Dienst einer anderen Art des Fortschritts zu stellen, der gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher ist. Die Befreiung vom herrschenden technokratischen Paradigma geschieht tatsächlich in manchen Situationen, zum Beispiel wenn Gemeinschaften von Kleinproduzenten sich für weniger verschmutzende Produktionssysteme entschieden und dabei ein Modell des Lebens, des Wohlbefindens und des nicht konsumorientierten Miteinanders vertreten; oder wenn die Technik sich vorrangig darauf ausrichtet, die konkreten Probleme der anderen zu lösen, in dem Wunsch, ihnen zu helfen, in größerer Würde und in weniger Leid zu leben.“
52 Nr. 187
53 Nr. 189: „Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese darf sich nicht dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma der Technokratie unterwerfen.“ und: Nr. 191: „Wenn diese Fragen aufgeworfen werden, reagieren einige mit der Anschuldigung, man wolle gegen alle Vernunft den Fortschritt und die menschliche Entwicklung aufhalten. Wir müssen uns jedoch davon überzeugen, dass die Verlangsamung eines gewissen Rhythmus von Produktion und Konsum Anlass zu einer anderen Art von Fortschritt und Entwicklung geben kann.“
54 Z.B. Nr. 64, 65, 66, 67, 68, 75, 76, 81, 90.
55 Vgl.: Nr. 137, Nr. 138, Nr. 155.
56 Nr. 137.
57 Nr. 152.
58 Nr. 155
59 Nr. 156
60 Nr. 158.
61 Nr. 159.
62 Vogt, Ökologische Gerechtigkeit, S.79.
63 Nr. 161: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann, wie es bereits periodisch in verschiedenen Regionen geschieht. Die Abschwächung der Auswirkungen des derzeitigen Ungleichgewichts hängt davon ab, was wir jetzt tun, vor alle, wenn wir an die Verantwortung denken, die uns von denen zugewiesen wird, die die schlimmsten Folgen zu tragen haben.“
Nr. 162: „Die Schwierigkeit, diese Herausforderung ernst zu nehmen, hängt mit dem ethischen und kulturellen Verfall zusammen, der den ökologischen begleitet.“
64 Nr. 118.
65 Nr. 76: „Zugleich entmythologisierte das jüdisch-christliche Denken die Natur. Ohne aufzuhören, sie wegen ihrer Pracht und ihrer Unermesslichkeit zu bewundern, schrieb es ihr keinen göttlichen Charakter mehr zu. Auf diese Weise wird unsere Verpflichtung ihr gegenüber noch mehr betont. Eine Rückkehr zur Natur darf nicht auf Kosten der Freiheit und der Verantwortung des Menschen geschehen, der ein Teil der Welt ist mit der Pflicht, seine eigenen Fähigkeiten auszubauen, um die Welt zu schützen und ihre Potenzialität zu entfalten.“
66 Nr. 81: „Von den biblischen Erzählungen her betrachten wir den Menschen als ein Subjekt, das niemals in die Kategorie des Objektes herabgesetzt werde kann.“; Nr. 82: „Doch es wäre auch irrig zu denken, dass die anderen Lebewesen als bloße Objekte angesehen werden müssen, die der willkürlichen Herrschaft des Menschen unterworfen sind.“
67 Nr. 90. Dran anschließend betont er: „Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist. Die Ungereimtheit dessen, der gegen den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tiere kämpft, aber angesichts des Menschenhandels völlig gleichgültig bleibt, die Armen nicht beachtet oder darauf beharrt, andere Menschen zu ruinieren, die ihm missfallen, ist offensichtlich. … Darum ist eine Sorge für die Umwelt gefordert, die mit einer echten Liebe zu den Menschen und einem ständigen Engagement angesichts der Probleme der Gesellschaft verbunden ist.“ (Nr. 91)
68 Vgl. 122.
69 Vgl. 123.
70 Hier sei angemerkt, dass auch der Klimaschutz bestimmten Bereichen des Umweltschutzes entgegensteht. Darauf kann an dieser Stelle jedoch nicht eigens eingegangen werden.
71 Vgl.: Baumgartner, Umweltethik, S. 11-12.
72 Gabriel, Ökologie als Gerechtigkeitsfrage, S. 10-11.
73 Vgl. hierzu z.B. www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/treibhauseffekt
74 Vgl. Santarius, T.: Klimawandel und globale Gerechtigkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 24 /2007), S. 18-24, hier, S. 21, zitiert nach: Vogt, Ökologische Gerechtigkeit, S. 67.
75 UNDP [United Nations Development Programme], Bericht, 9-13, zitiert nach: Vogt, Ökologische Gerechtigkeit, S. 67.
76 Vogt, Ökologische Gerechtigkeit, S. 68.
77 Vogt, Ökologische Gerechtigkeit, S. 68.
78 Vgl.: Lederer, Laudato si‘, S. 87-88.
79 Deaton, The Great Escape, S. 1.
80 Vgl.: Althammer, Welche Wirtschaft tötet?, S. 11-13.
81 Vgl.: Mack, Tötet die Wirtschaft wirklich?, S. 305.
82 Vgl.: Reder, u. a., Umweltethik, S. 57-58.
83 Reder, u. a., Umweltethik, S. 58.
84 Beispielsweise schreibt Kromp-Kolb: „Gepaart mit einem unangemessenen Vertrauen in Technologie und Innovation, die nicht mehr dem Menschen dienen, sondern ihn umgekehrt zu ihrem Diener machten, haben die Menschen die Kontrolle über die Entwicklung abgegeben.“ Kromp-Kolb, Klimawandel, S. 35.
85 Baumgartner, Umweltethik, S. 15.
86 Reder, u. a., Umweltethik, S. 72.
87 Reder, u. a., Umweltethik, S. 72-73.
88 Edenhofer, u. a., Das Klimaschutzprogramm, S. 10.
Bereits getätigte Bemühungen in diese Richtung haben sich bereits in Bezug auf die Gesamtsituation als wenig Hilfreich erwiesen, wie dargelegt wird: Einige haben beispielsweise über teure Zusatzprogramme erneuerbare Energien oder den Ausstieg aus der Kohle gefördert. Diese unilateralen Maßnahmen sind nicht effektiv. Sie führen bei einer unveränderten Emissionsobergrenze lediglich zu einer Verlagerung der Emissionen – im Ergebnis sinken die Preise, und die Zusatzanstrengungen laufen ins Leere.
Um diesen Wasserbett-Effekt zu vermeiden, müssten die Zertifikate gelöscht werden, was als unilaterale Maßnahme nur unter eingeschränkten Bedingungen möglich ist.“ (ebd., S. 8.)
89 Edenhofer, u. a., Das Klimaschutzprogramm, S. 10.
90 Sinn, Hans-Werner: Wie retten wir das Klima und wie nicht?, Vortrag in München (Münchner Seminare) am 16. Dezember 2019, vgl. außerdem: Sinn, Das grüne Paradoxon.
91 Ottmar Edenhofer, u. a. rechnen verschiedene Modelle einer CO2-Bepreisung durch, die einerseits eine emissionsmindernde und zugleich sozialverträgliche Wirkung haben. Vgl. hierzu: Edenhofer, u. a., Das Klimaschutzprogramm, S. 4.
92 Vgl. Vortrag von Sinn, Hans-Werner: Wie retten wir das Klima und wie nicht? Am 16.12.2019 an der Ludwig-Maximilians-Universität, München; vgl. außerdem: Sinn, Das grüne Paradoxon.
93 Beispielsweise hat allein Deutschland ein Klimaschutz-Paket beschlossen, bei dem bis zum Jahr 2023 62 Milliarden Euro für den Klimaschutz ausgegeben werden. (Vgl.: Edenhofer, Das Klimaschutzprogramm, S. 2.)
94 Zum Einfluss von Maßnahmen im Bereich des Landmanagement usw., vgl. IPCC: IPCC-Sonderbericht, S. 5.; und: Lüdeling, Eike: Maßnahmen gegen Landdegradierung und Klimawandel, www.de-ipcc.de/254.php.
95 Vgl. Vortrag von Brück, Thomas: CO2 – Klimakiller oder Rohstoff der Zukunft? Wege zu einer klimazentrierten Bioökonomie, am 27.11.2019 in München.
96 Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Schweizer Unternehmens Climeworks, des Versorgers Reykjavik Energy und der Universität Island.
97 Vgl.: Hecking, Claus: Technik for Future. Konzepte zur CO2-Reduktion, in Spiegel Wissen vom 09.12.2019.
98 Hierzu werden die im vorhergehenden Abschnitt erwähnten Algen verwendet. Vgl. z.B. Kohlefaser aus Treibhausgas, Pressemitteilung vom 13.11.2018, www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/35078/
99 Vgl.: Wagener, Laura: Luftfilter aus der Schweiz: Klimaretter und Naturdünger in einem, in: reset.org/blog/luftfilter-aus-der-schweiz-klimaretter-und-naturduenger-einem-06072017
Vgl. auch: reset.org/knowledge/co2-vom-klimakiller-zum-wertstoff-03202019.