Das Studium der Theologie hat eine lange Tradition in Erfurt. Bereits vor Gründung der Universität im Jahre 1392 bescherten Erfurts Stifts- und Ordensschulen der heutigen Thüringer Landeshauptstadt einen guten Ruf als Hochschulstandort: „Wer gut studieren will, der gehe nach Erfurt!“ hieß es schon damals. Die theologische Fakultät der später gegründeten Universität umfasste neben Lehrstühlen, die von Weltpriestern besetzt waren, je einen Lehrstuhl der Augustiner, Dominikaner und Franziskaner. In den ersten hundert Jahren ihres Bestehens erhielten hier nicht weniger als fünfundfünfzig deutsche Bischöfe ihre theologische Ausbildung. Martin Luther, der an der Universität Erfurt wenigstens sieben Semester Theologie studierte, rühmte sie dadurch, dass er alle anderen im Vergleich zu ihr als „bloße Schützenschule“ bezeichnete. Mit dem finanziellen Niedergang der Stadt und der Spaltung der Konfession jedoch ging diese Blütezeit zunächst zu Ende – bis zur Neugründung der Universität im Jahr 1994.
Seit 2003 nun ist die, bereits zu DDR-Zeit als eigenständiges Institut wiedergegründete, Katholisch-Theologische Fakultät erneut Teil der Universität Erfurt. Als einzige Katholisch-Theologische Fakultät in den östlichen Bistümern widmet sie sich heute, wie schon vor mehr als 700 Jahren, der Erforschung der christlichen Lehre. Von besonderem Interesse für die Fakultät ist dabei, schon durch ihre einmalige Lage in den ansonsten vorwiegend protestantisch geprägten neuen Bundesländern, die Ökumene. Für Studium und Forschung stehen damit elementare Fragen im Vordergrund, wie jene danach, inwiefern Glaube in einer säkularen Gesellschaft gelebt werden oder was uns das Studium der Theologie in einer zunehmend pluralen Religionsgemeinschaft lehren kann. Nicht vergessen werden darf dabei, dass die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt eine bewegte und für die Kirche im Osten Deutschlands sowie darüber hinaus wichtige Vorgeschichte hat. Sie führt die Tradition des Theologischen Studiums Erfurt fort, jener theologischen Ausbildungseinrichtung, die hier in Erfurt in der Zeit der Teilung unseres Heimatlandes, in der Zeit der Teilung unseres Europas und unserer Erde entstanden ist und unter den schwierigen Bedingungen des real existierenden Kommunismus das kirchliche Leben in Ostdeutschland prägte.
Martin Luther an der Katholisch-Theologischen Fakultät
Martin Luther wurde 1501 als "Martinus Ludher ex Mansfeldt" an der Universität Erfurt immatrikuliert, legte an der artistischen Fakultät 1502 sein Bakkalarexamen ab und wurde 1505 Magister artium. Das erschütternde Erlebnis eines schweren Gewitters in der Nähe des Dorfes Stotternheim - fast wäre er von einem Blitz getroffen worden - scheint dazu beigetragen zu haben, einen bereits latent gehegten Wunsch, nämlich Mönch zu werden, durch ein Gelübde in die Tat umzusetzen. Zwei Wochen später, am 17.07.1505, trat Martin Luther in das Augustinerkloster ein. Nach Noviziat und Vorbereitung auf die Weihen empfing er 1507 in der Kilianikapelle des Erfurter Marienstifts (Dom) (heute Vorlesungsraum - siehe Fotos oben links und rechts unten) die Priesterweihe und begann danach Theologie am Generalstudium der Augustinereremiten in Erfurt, das der Universität inkorporiert war, zu studieren. Im Herbst 1508 wurde er vom Orden nach Wittenberg gerufen, um an der Philosophischen Fakultät eine Vorlesung über die Nikomachische Ethik des Aristoteles zu halten. Zurückgekehrt nach Erfurt hielt er Vorlesungen über die Sentenzen des Petrus Lombardus (im Coelicum) und wurde 1509 zum "baccalaureus sententiarius" im Coelicum, dem Auditorium der Theologischen Fakultät, promoviert. Vorlesungssaal ehemalige Kilianikapelle Grundlagen und zahlreiche Anregungen für seine spätere Entwicklung hat Martin Luther in Erfurt bekommen. Sein ganzes Leben lang hatte er enge Beziehungen zu Erfurt, wohin ihn sein Weg auch später noch mehrmals führte. Wie ein Bekenntnis klingt es, wenn er 1513 formulierte: "Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke". Wo Luther während seiner Studentenzeit 1501 bis 1505 in Erfurt wohnte, ist nicht mit letzter Sicherheit zu sagen. Die Georgenburse an der Lehmannbrücke (Augustinerstraße 28) könnte ein Domizil gewesen sein. Bei seinen Aufenthalten in Erfurt predigte er in der Michaelis- , der Kaufmanns- und Barfüßerkirche. Bei einer legendären Begegnung mit einem katholischen Geistlichen im Gasthaus "Hohe Lilie" soll er dort eingekehrt sein, und das Gasthaus "Schlehendorn" diente ihm zweimal als Unterkunft.
Literatur: Erfurter Chronik (Erfurter Straßennamen); Kleineidam Bd. II.; A. Kurz, Erfurter Lutherbuch, Erfurt 1917; H. Tümmler (Hg.), Luther und Erfurt, Erfurt 1943; J. Meisner, Das Auditorium Coelicum am Dom zu Erfurt, Leipzig 1962.
Der Reformator
Die Universität Erfurt hatte um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert nochmals einen geistigen Aufschwung erlebt. Die Neubelebung erfolgte gleichzeitig nach zwei Richtungen: Zum einen gab es eine Spätblüte der Scholastik, zum anderen blieb Erfurt der "via moderna" treu. Martin Luther wurde während seines Studiums in Erfurt 1501 bis 1505 und während seines Klosteraufenthaltes mit beiden Richtungen vertraut. Seine "philosophischen" und theologischen Lehrer Jodocus Trutfetter und Bartholomäus Arnoldi von Usingen sind typische Vertreter dieser Blütezeit. Den Studien der Artes verdankte Luther seine Beherrschung der Grammatik, der Rhetorik und der aristotelischen Logik sowie seine Kenntnis der Ethik und der Metaphysik des Aristoteles. Sein Klostereintritt bei den Augustinereremiten dürfte vor allem auch darauf zurückzuführen sein, weil dort die gleiche philosophisch-theologische Richtung wie an der Artistenfakultät herrschte und Luther hoffen konnte, dort seine Studien im gleichen Geist fortsetzen zu können. Bei seinem späteren Theologiestudium seit 1507 lernt er eine in Erfurt vorherrschende theologische Schulmeinung näher kennen, den durch Gabriel Biel vermittelten Ockamismus, der gerade hinsichtlich der Erbsünden- und Sündenlehre eine "gefährliche Sprengkraft" besaß. Dennoch kann die Frage, welche Traditionen für Luther in seinen Erfurter Jahren von Einfluss waren, bis heute nicht präzise beantwortet werden. Ergänzende Elemente sind zu nennen, die aber dennoch nicht das Werden des Reformators stringent erklären, weil Luthers Theologie sich eigenständig entwickelte. In seiner "Erfurter Zeit" lernte er natürlich seinen "Ordensvater" Augustinus und dessen Werke kennen, und die Bibel wurde für ihn Grundlage seines Lebens. Der Umgang mit den Texten der Humanisten haben ihn beeinflusst, ohne das er zu einem Vertreter des Humanismus geworden wäre. Einige der Erfurter Humanisten, wie Crotus Rubeanus und Heinrich und Peter Eberbach kannte er persönlich. Nicht zuletzt ist die Mystik und besonders Bernhard von Clairvaux, dessen Texte er u.a. aus den Tischlesungen während der Mahlzeiten seiner Klosterzeit kannte, für Luther von Einfluss geworden.
Literatur: Kleineidam Bd. II; B. Lohse, Luthers Theologie, Göttingen 1995; H.A. Obermann, Luther, Berlin 1982.
"Dieses Seminar ist zu einer wunderbaren Fülle gediehen"
Vom Philosophisch-Theologischen Studium zur Theologischen Fakultät
(Festvortrag von Prof. Dr. Josef Pilvousek zu Jubiläumsfeier vom 22. bis 24. Mai 2002)
Als einen öffentlichen Festvortrag haben die Organisatoren des Jubiläums einen kirchengeschichtlichen gewählt, der laut Intention die Geschichte der Katholischen Theologischen Ausbildungsstätte in Erfurt behandeln soll. Diese Theologische Ausbildungsstätte steht vor einem Wendepunkt. Eine erwartete Entscheidung zugunsten oder zu ungunsten einer katholischen Fakultät an der Universität Erfurt wird diese Ausbildungsstätte verändern. Man könnte dementsprechend diesen geschichtlichen Überblick als Resümee, als Dank oder Erfolgsgeschichte verstehen und hätte damit nicht ganz Unrecht. Mit solcher Erwartungshaltung könnte ein Vortragender leben und würde die Zuhörer hoffentlich bestens informiert entlassen können.
Historische Vorträge können aber auch dazu dienen, das Reservoir historischer Bildung zu speisen, Verschüttetes wieder zu entdecken und Erinnerungen wach zu halten oder aufzufrischen. Da geschichtliche Vorgänge aber nicht im Hinblick auf spezifische Handlungs- und Orientierungsziele geplant und produziert worden sind, entsteht über die aktuellen Bedürfnisse hinaus ein Überschuss an nicht unmittelbar Brauchbarem. Dieses historische Wissen kann nicht die Frage „Was lehrt uns das?“ oder „Wie muß ich heute handeln?“ beantworten, weil die Voraussetzungen, die handelnden Personen und Mentalitäten der Vergangenheit mit der Gegenwart nicht identisch sind. Nur dadurch, dass Vergangenheit und Gegenwart nicht gleich sind, entsteht die Chance einer Differenz, die es mir erlaubt, die aktuellen Fragen und Probleme auf dem Hintergrund der Vergangenheit zu reflektieren. So erst kann historische Bildung beispielsweise die Rolle als Kritik- und Revisonsinstanz gegenüber vorherrschenden kirchenpolitischen Paradigmen oder heutigem theologischem Denken übernehmen. In diesem Sinne gründet die vernünftige Brauchbarkeit kirchengeschichtlicher Bildung auch zu einem Teil in ihrer unmittelbaren Unbrauchbarkeit für aktuelle Handlungskonzepte. Aber gerade darin liegt ihre Relevanz, weil sie mit ihrem Wissen, das auf ganz anderen Personen, Handlungsmotiven und Verhaltensweisen gründet, die tagespolitischen Ereignisse, anstehenden Entscheidungen und aktuellen Schuldzuweisungen aus einer Perspektive kritisch begleiten kann, die außerhalb einer schnellen Brauchbarkeit liegen. Anders und plakativ formuliert, das historische Wissen beispielsweise über das Zweite Vatikanische Konzil ist noch keine Gewähr dafür, dass dessen Beschlüsse praktisch umgesetzt werden können. Sehr wohl aber kann aus seiner geschichtlichen Kenntnis heraus der historisch Gebildete erkennen, welche Ausstände es gibt, wo Fehlentwicklungen zur ursprünglichen Intention vorhanden sind und Rezeptionsprozesse befördert oder gebremst werden.
Unternehmen wir also den Versuch, die fünfzigjährige Geschichte dieser Theologischen Ausbildungsstätte mit einigen ausgewählten Fragestellungen über die aktuelle Verwendbarkeit hinaus für unser Wissen bereitzustellen.
1. Theologische Ausbildung in Mitteldeutschland
Am 10.Oktober 1959 wurde das damalige Erfurter Priesterseminar durch das Approbationsdekret der Studienkongregation endgültig genehmigt. Im Begleitschreiben wird als Begründung für die Errichtung des Erfurter Priesterseminars angegeben, dass in Folge des Zweiten Weltkrieges eine schwierige Situation für die Kirche in Mitteldeutschland entstanden sei, und demzufolge ein enormer Priestermangel herrsche. Die schwierige Situation ist hinlänglich bekannt und ausführlich beschrieben. In einem Gebiet, in dem vor dem Krieg nur knapp 1 Million Katholiken lebten, war es bis 1949 zu einer Gesamtzahl von 2,7 Millionen gekommen. Die ebenfalls geflohenen und vertriebenen Priester waren nur zum geringen Teil mit ihren Gemeinden deportiert worden, so dass tatsächlich ein enormer Priestermangel herrschte. Die Priesterausbildungsstätten in den ehemaligen deutschen Ostgebieten standen nicht mehr zur Verfügung. Die Theologiestudenten konnten nur an westdeutschen Fakultäten ihre Ausbildung absolvieren. Mehrfach beschrieben ist auch, dass im August 1950 eine interne Anweisung des Ministeriums des Innern keine Zuzugsgenehmigung für Personen aus Westdeutschland und aus den Westsektoren Berlins in das Gebiet der DDR erlaubte. Dieses Faktum gilt als entscheidender Motivationsschub für die Errichtung eines Priesterseminars in Mitteldeutschland. Kann man also davon ausgehen, dass das Verbot von Zuzügen der eigentliche Grund für die Errichtung der Ausbildungsstätte in Mitteldeutschland war? Oder anders gefragt: Hatten die damaligen kirchlichen Verantwortlichen gar nicht die Möglichkeit erwogen, unabhängig von Zuzugsgenehmigungen, katholische Theologie in Mitteldeutschland zu etablieren?
Der damalige höchste kirchliche Würdenträger in Berlin und der Ostzone Kardinal von Preysing hielt bis zu seinem Tod im Dezember 1950 diese wichtige Thematik, Theologie in Mitteldeutschland zu studieren, für abwegig und nicht ausführbar. Überhaupt sah er für die Kirche im östlichen Teil seines Bistums kaum eine normale Zukunft. Nicht zuletzt haben deshalb er und seine engsten Mitarbeiter nichts Fundiertes unternommen, um eine theologische Ausbildungsstätte im Gebiet der SBZ/DDR zu schaffen. Erstaunlich aber ist, dass eine Reihe von kirchlichen Verantwortlichen - vor allem Ferdinand Piontek, aber auch Wilhelm Weskamm und Heinrich Wienken - bereits seit 1946 die Frage der Errichtung einer Ausbildungsstätte für Priester, aber auch ein Theologiestudium für Mitteldeutschland erwogen. Was zunächst nur wie eine unterschiedliche Auffassung über ein peripheres Thema aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als grundsätzliches Problem für die katholische Kirche in der SBZ und DDR. Man hat sich die politische und gesellschaftliche Situation vor Augen zu halten. Dieser östliche Teil Deutschlands war von den Russen besetzt. Die Kenntnisse über sie nährten sich nicht nur aus der früheren Propaganda. Viele hatten durch die voranrückende Rote Armee ihre Heimat verloren und erste Erfahrungen mit den Besatzern gemacht. Einige wenige Bischöfe hatten die Erlebnisse mit der Besatzungsmacht tagtäglich von Gläubigen berichtet bekommen und selbst negative Erfahrungen mit diesem als bolschewistisch und atheistisch bezeichneten diktatorischen System gesammelt. Gerechterweise muss hinzugefügt werden, dass es auch positive Erfahrungen der Kirche mit den Russen gab. Sie wurden aber kaum zur Kenntnis genommen. Die Frage, die die kirchlichen Verantwortungsträger beschäftigte, war also auch, ob Kirche in einem solchem System überhaupt Bestand haben könne oder man nicht besser auf die Beseitigung des Systems warten und darauf hinarbeiten sollte. Den Nachgeborenen mag dies im Rückblick als theologische Fehlleistung und mangelnde Glaubenszuversicht erscheinen. Damals war es aus Sorge und Angst geborene vielfach verbreitete Meinung, dass Kirche in diesem Teil Deutschlands chancenlos sei.
Den Wunsch nach einer eigenen theologischen Ausbildungsstätte muß man dagegen als Ausdruck einer Glaubensüberzeugung definieren, die plakativ später so formuliert wurde: Gott wolle katholische Kirche in der mitteldeutschen Diaspora.
Auf der Sitzung der ostdeutschen Kommissare am 22./23. Mai 1946 in Berlin ist erstmals urkundlich eine solche Fragestellung nachweisbar. Im Gebiet der damaligen SBZ hatten die evangelischen Kirchen sechs Fakultäten an staatlichen Universitäten. Dies war offensichtlich auch Anlass für einige Konferenzteilnehmer Überlegungen anzustellen, eine katholisch-theologische Fakultät an einer staatlichen Universität zu errichten. Vertreter der sowjetischen Militäradministration hatten überdies Vertretern der katholischen Kirche signalisiert, sie hätten nichts gegen eine solche Fakultät einzuwenden. Die recht dürftigen Protokolle dieser Konferenz nennen drei Universitäten: Jena, Halle und Greifswald. Eindeutig wird bei diesem ersten Plan Halle favorisiert. Im gleichen Jahr, 1946, hatte der Leiter des Commissariates der Fuldaer Bischofskonferenz Heinrich Wienken bereits mit Oberst Tulpanow von der Sowjetischen Militäradministration und dem Präsidenten der Deutschen Verwaltung für Volksbildung Gespräche über eine katholisch-theologische Fakultät geführt. Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger stellte schließlich 1948 bei der philosophischen Fakultät der Universität Halle den Antrag, einen Lehrstuhl für scholastische und patristische Philosophie zu errichten. Der Antrag wurde abgelehnt, weil zugegebenermaßen die Begründung für eine Errichtung so formuliert war, dass die philosophische Fakultät sich nicht zuständig fühlte. Die Hallenser Professoren hatten den Eindruck, es handle sich um die Ausbildung katholischer Religionslehrer. Infolge dieser Ablehnung beabsichtigte nun Bischof Wienken eine theologische Fakultät an der Universität Leipzig zu errichten. Dieses Projekt verfolgte er noch bis 1950/51, als ihm bereits von kirchlicher Seite signalisiert worden war, diese Lösung komme nicht in Frage. Wienken lag sehr daran, dass die jungen Geistlichen in der DDR in der Öffentlichkeit als Akademiker angesehen wurden. Die Errichtung einer theologischen Fakultät an einer bestehenden Universität wäre um das Jahr 1950, nach Gründung der DDR und forcierter staatlicher Überwachung und Repression wohl nur noch mit erheblichen kirchenpolitischen Konzessionen möglich gewesen.
Neben diesen Versuchen, in Halle und Leipzig eine theologische Fakultät zu etablieren, ist an weitere Aktivitäten zu erinnern, die aber eine kirchliche Ausbildungsstätte vorsahen. Im September 1946 war auf einer weiteren Konferenz der ostdeutschen Diözesen im Beisein des Apostolischen Visitators für Deutschland Alois Muench von den Vertretern der Diözesen der dringende Wunsch geäußert worden, eine zentrale kirchliche Ausbildungsstätte in der sowjetischen Besatzungszone zu schaffen. Kardinal Preysing lehnte eine solche, trotz massiver Kritik einiger Konferenzteilnehmer, ab. In der Folgezeit wird es dann auch der Apostolische Visitator sein, der öfter ein solches Projekt einer theologischen Ausbildungsstätte für Mitteldeutschland ins Gespräch bringt. Nach der Erfahrung der Septemberkonferenz trug er allerdings seine Option nicht mehr der Gesamtkonferenz vor. 1948 fragte Münch Kapitelsvikar Piontek nach seiner Meinung über eine eigene Ausbildungsstätte für Priester in der SBZ. Noch vor Errichtung des Pastoralseminars Neuzelle antwortete Piontek, dass er ein eigenes Priesterseminar, in dem Priesteramtskandidaten eine volle philosophische, theologische und asketische Ausbildung erhalten, für dringend nötig erachte. Wenige Monate später regte wiederum Ferdinand Piontek die Schaffung eines vollständigen Priesterseminars für die Ostzone an, fand aber nur wenig Unterstützung. Die Gründe für solche ablehnenden Tendenzen sind vor allem in der Tatsache begründet, dass es nicht die zentrale Instanz gab, die sich solch eine Option zu eigen machte und sie energisch genug betrieb. Die zu diesem Zeitpunkt noch möglichen Zuzüge aus den Westzonen erschienen manchen Bischöfen und Verantwortlichen ausreichend, um den Priesternachwuchs zu sichern; für Pläne darüber hinaus sah man keine Veranlassung. So lässt sich festhalten, dass es bereits vor der Gründung des Erfurter Priesterseminars kirchliche Verantwortungsträger in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR gab, die über die praktischen Erfordernisse der Sicherung des Priesternachwuchses hinaus eine eigene theologische Ausbildungsstätte in Mitteldeutschland für notwendig erachteten.
Nach der „Wende“ des Jahres 1989 und der Wiedervereinigung wurden gelegentlich Positionen vertreten, die die Erfurter Ausbildungsstätte nach dem Wegfall der politischen Rahmenbedingungen für obsolet erachteten. Denkwürdiger Weise formulierte die Studienkongregation im Errichtungsdekret der Theologischen Fakultät Erfurt vom 22. Mai 1999 hinsichtlich der Notwendigkeit einer eigenen kirchlichen Fakultät: „Viele neue Gründe kamen dazu, warum das Studium es verdiente, mit einem angemessenerem akademischen Status ausgezeichnet zu werden.“ Der Leser dieses offiziellen Schreibens fühlt sich an die Protagonisten theologischer Ausbildung in Mitteldeutschland erinnert, wenn es weiter heißt: „Es dient ja dem Ziel, neben der akademischen Ausbildung der Alumnen die Präsenz der katholischen Theologie in der Kultur dieser Region in geeigneter Weise zu stärken und die Botschaft des Evangeliums auszubreiten.“
2. Der Standort der theologischen Ausbildungsstätte
Außer den Überlegungen an einer der bestehenden Universitäten Halle, Greifswald, Jena und Leipzig eine theologische Fakultät zu errichten, waren keine Standorte erwähnt worden. 1948 hatte man lediglich ganz allgemein formuliert, es könne nur ein Standort in dem Jurisdiktionsgebiet in Frage kommen, der die relativ höchste Zahl der katholischen Bevölkerung hat; das sei wahrscheinlich das Land Sachsen. Diese Überlegungen zeitigten keine konkreten Folgen.
Als die Planungen für eine Katholische Akademie, wie das Priesterseminar im Gründungsstatus genannt wurde, in die entscheidende Phase traten, wurde am 4. Dezember 1951 Berlin-Biesdorf als Standort in Aussicht genommen. Alle Vorbereitungen für die Eröffnung des Seminars für den 6. Mai 1952 waren getroffen, als am 2. Mai das mündliche und am 5. Mai das schriftliche Verbot zur Errichtung einer katholischen theologischen Ausbildungsstätte an dem genanntem Ort durch die Staatsvertreter erfolgte. Die Gründe für dieses plötzliche Verbot und die generelle Absage in Berlin-Biesdorf ein Priesterseminar zu errichten, sind bis heute nicht mit letzter Klarheit zu eruieren. Fest steht, dass Partei und Staatsapparat in Berlin keine katholische Hochschule wollten. Heinrich Wienken sieht in ursächlichen Zusammenhang mit diesem Verbot die Niederlassung der Jesuiten in Berlin-Biesdorf. Die staatlichen Akten offenbaren das Bild einer unergründlichen staatlichen Verwaltung: inkompetente und unentschlossene Urlaubsvertreter, nicht bearbeitete Briefe und nicht weitergeleitete Informationen. Den Mitgliedern der Berliner Ordinarienkonferenz gereicht es zur Ehre, dass sie diese für sie niederschmetternde Nachricht vom Verbot nicht resignieren ließ und sie an dem Plan einer theologischen Ausbildungsstätte festhielten. Da der Staat avisiert hatte, gegen eine Ausbildungsstätte in der DDR nichts einzuwenden, mussten die Mitglieder der BOK nach anderen Orten in der DDR suchen. Außerordentlich willkommen wäre den Staatsvertretern das Priesterseminar Neuzelle gewesen, das weit außerhalb eines städtischen Ballungszentrums lag. Für die Kirchenvertreter kam Neuzelle wegen seiner Abgeschiedenheit deshalb nicht in Frage. Ein Kinderheim in Leipzig-Engelsdorf, das man besichtigt hatte, schied aus, weil es in dieser Region das einzige katholische Kinderheim war. Ein Kinderheim in Ohrdruf bei Gotha erwies sich völlig ungeeignet. Zwei weitere Objekte waren in Aussicht genommen worden. Das Liebfrauenkloster in Magdeburg schien sehr geeignet; man musste aber noch mit der evangelischen Kirche verhandeln, ob das Gebäude freigegeben werden würde. Als sehr geeignet wurde auch das Ursulinenkloster in Erfurt bezeichnet. Die Ursulinen besaßen hier eine große Schule, die von den Nationalsozialisten enteignet worden war, die aber, so hatte der Bürgermeister angedeutet, den Ursulinen zurückgegeben werden könnte. Am 12. Mai 1952 hatte anlässlich einer Ortsbegehung Generalvikar Freusberg in Erfurt mitgeteilt, der Rat der Stadt Erfurt habe es abgelehnt, die Schule den Ursulinen zum jetzigen Zeitpunkt wiederzugeben; er könne aber drei Häuser zur Verfügung stellen, die allerdings noch nicht leer geräumt seien. Auf der Bischofskonferenz vom 17. Mai 1952 waren nur noch Magdeburg und Erfurt als Standorte im Gespräch. Inzwischen hatte man Verhandlungen mit dem evangelischen Bischof Ludolph Müller geführt und von ihm die Zusage erhalten, dass Liebfrauenkloster in Magdeburg erwerben zu können. So sprach alles dafür, die in Aussicht genommene katholische theologische Ausbildungsstätte in Magdeburg zu errichten. Am 21. Mai teilte Otto Nuschke dem Ministerpräsidenten Grotewohl den Inhalt eines Briefes von Bischof Weskamm mit, als Sitz der „katholischen theologischen Akademie“ sei Magdeburg bestimmt worden. Er fügte hinzu, als Zwischenlösung sei bis zur Fertigstellung der Gebäude in Magdeburg das Konradhaus in Erfurt vorgesehen. Als neuer Eröffnungstermin wurde der 5. Juni 1952 in Aussicht genommen. Generalvikar Freusberg schien von den Plänen, die Magdeburg als endgültigen Sitz vorsahen, nichts gewusst zu haben - ebenso wenig einige andere Jurisdiktionsträger und die vorgesehene Hausleitung. Am 28. Mai jedenfalls, also eine Woche vor der Eröffnung, schlug Freusberg Weskamm eine große Eröffnungsfeier in Erfurt vor. Das anfängliche Zögern des Berliner Bischofs, auf den Vorschlag Freusbergs einzugehen, lässt sich leicht erklären, wenn man in Erwägung zieht, dass der Erfurter Generalvikar nichts davon ahnte, die Eröffnung in Erfurt nur als vorläufig zu betrachten. Zwei Tage später, am 1. Juni, schrieb Weskamm erneut an Nuschke und teilte ihm als endgültigen Sitz Magdeburg mit. Die Wende zu Gunsten Erfurts muss zwischen dem 1. und 3. Juni 1952 erfolgt sein. Denn am 3. Juni informierte Walter Ulbricht Staatssekretär Warnke, dass als endgültiger Sitz der „Hochschule“ Erfurt bestimmt sei. Ministerpräsident Grotewohl, der sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befand, war nach seiner Rückkehr über den neuen Stand der Dinge, Erfurt als endgültigen Sitz zu wählen, so überrascht, dass ihm sein Stellvertreter, Otto Nuschke, den Entscheidungsprozess erläutern musste. Nuschke schrieb: „Ich darf noch ergänzend hinzufügen, dass ursprünglich Erfurt nur als Anfangsort für das Priesterseminar gedacht war, dass die endgültige Niederlassung aber in Magdeburg erfolgen sollte. Sie werden sich, Herr Ministerpräsident, erinnern, dass Sie seinerzeit dem Bischof Weskamm in Gegenwart von Herrn Prälaten Zinke sagten, das Seminar könne in irgendeiner Stadt der DDR eröffnet werden, nur nicht in Berlin und seiner näheren Umgebung. Während ihres Urlaubes erklärte der Kollege Ulbricht jedoch, dass auch Magdeburg als Grenzkreis nicht in Frage käme, sondern es eben bei Erfurt sein Bewenden haben müsste.“ Warum die topographischen Kenntnisse Walter Ulbrichts Magdeburg zum Grenzkreis machten, lässt sich nur dadurch erklären, dass sich in der Nähe Magdeburgs grenzunterschreitende Salzstöcke befanden, deren Ausdehnung bis über die Zonengrenze hinaus Befürchtungen weckten.
Weit schwieriger ist die Frage zu beantworten, warum Wilhelm Weskamm über die Favorisierung Magdeburgs als endgültigem Sitz weder Jurisdiktionsträger noch die vorgesehene Erfurter Hausleitung ausreichend informierte. Lediglich Prälat Johannes Zinke und der bischöfliche Sekretär müssen in dieses „Planspiel“ eingeweiht gewesen sein. Eine hypothetische Antwort könnte sein, dass das innerhalb eines Monats errichtete Erfurter Priesterseminar dem Berliner Bischof kaum Zeit ließ, die zum Teil hektisch verlaufenden Verhandlungen allen Beteiligten detailliert mitzuteilen. Zudem hatten eine Reihe vorgesehener Mitglieder des Seminars in der entscheidenden Phase noch keine Einreisegenehmigung erhalten, waren also nicht vor Ort. Diese Hypothese reicht m.E. als Erklärung nicht aus. Annähern kann man sich einer plausibleren Erklärung nur, wenn man die Person des Hauptakteurs, Bischof Wilhelm Weskamm, intensiver in den Blick nimmt. Von den ersten konkreten Planungen bis zur Eröffnung in Erfurt waren nur sieben Monate vergangen. Bischof Weskamm hatte von Anfang an das Projekt „theologische Ausbildungsstätte“ zu seiner ganz persönlichen Sache gemacht. Beim Studium der Quellen kann man sich zudem des Eindrucks einer mit atemberaubendem Tempo betriebenen Gründung nicht erwehren. Dabei, wie könnte es anders sein, unterliefen ihm auch eine Reihe kleinerer Pannen, die allerdings kaum ins Gewicht fallen. Der offenbar schlecht unterrichte Nuntius musste über Dritte nachfragen, was Weskamm eigentlich plane. Und als er schließlich erfahren hatte, dass es sich um eine theologische Lehranstalt handeln solle, hatte er in einem Brief Weskamm empfohlen, der Regierung lediglich den Plan zur Errichtung einer theologischen Ausbildungsstätte zur Kenntnis zu geben. Weskamm dagegen, der eine Zustimmung des Staates wollte, bat stattdessen um eine „zustimmende“ Kenntnisnahme. Der von Zeitgenossen als nicht einfache und energische Persönlichkeit charakterisierte Bischof hatte bei seiner Amtsübernahme zwei einflussreiche Mitarbeiter seines Vorgängers entmachtet, die nun alles andere als loyal, z.T. sogar hämisch die Schritte ihres neuen Oberhirten kommentierten. Weskamm muß wohl das Verbot von Biesdorf als persönliche Niederlage empfunden und deshalb alles nur Mögliche versucht haben, dass eine Priesterausbildungsstätte zustande kam. Da schon einmal - im Fall Biesdorf - die Frage des Standortes als Begründung für das Verbot diente, ließ er sich zwei Optionen offen: Magdeburg und Erfurt. Als die eine ausschied, konnte er auf die zweite zurückgreifen, ohne sie als Niederlage oder Scheitern nach außen kommentieren zu müssen. Den Verzicht auf Magdeburg, ohnehin im Einflussbereich des mächtigen Paderborner Erzbischofs Jaeger und so auch konfliktträchtig, konnte der ebenfalls selbstbewusste Berliner Bischof offenbar umso leichter verschmerzen.
Die Frage, ob bei den Überlegungen, das Priesterseminar in Erfurt zu errichten, schon die Tradition der 1816 aufgelösten Universität Erfurt und der Theologischen Fakultät eine Rolle spielten, muss wohl verneint werden. Zwar werden in einem Artikel aus Anlass der feierlichen Eröffnung am 5. Juni 1952 berühmte frühere Erfurter Theologen genannt, und auch die Nähe der früheren Stiftsgebäude zur alten Universität wird hervorgehoben. Die Rede, die Bischof Weskamm zu diesem Anlaß hielt, geht aber vor allem auf Bonifatius, dessen Gefährten, ihren Glaubensmut und ihr Gottvertrauen ein. Jahre später, nachdem sich die Erfurter Professorenschaft mit der Geschichte der Universität Erfurt befasst hatte, knüpfte man bewusst an diese Tradition an. Erst zu diesem Zeitpunkt entdeckte man eher beiläufig, dass der Name der alten Universität „Studium Erfurtense“ beinahe deckungsgleich mit Philosophisch-Theologisches Studium Erfurt war. Wenn auch nicht ausführlich reflektiert, hatte die Gründergeneration mit der Stadt Erfurt einen Standort gewählt, der historisch gesehen beste Voraussetzungen bot, Theologie zu studieren. Schon 1530 war durch den Hammelburger Vertrag, gleichsam eine Vorwegnahme des Augsburger Religionsfriedens, der konfessionelle Besitzstand festgelegt worden. Das bedeutete nicht nur einen relativ stabilen katholischen Bevölkerungsanteil und eine Reihe kircheneigener Gebäude, die sich um Dom und St. Severi gruppieren. Indem sich beide Konfessionen in rechtlich festgelegten Bereichen begegnen konnten, sind, mit wenigen Ausnahmen, der Stadt Erfurt größere konfessionelle Streitigkeiten erspart geblieben und es kam zu einem Klima gegenseitiger Achtung und vielfältigen freundschaftlichen Kontakten.
Wie sehr die Wahl Erfurts gerechtfertigt war, hatte schon die Gründergeneration, so beispielsweise Bischof Wienken 1959, dankend festgehalten: „Angesichts der politischen Lage in der DDR, deren Entwicklung nicht vorauszusehen war, ist die Errichtung des Priesterseminars in Erfurt nach meiner jetzigen Ansicht doch wohl die beste Lösung gewesen.“ Als schließlich im gleichen Jahr die Approbation erteilt wurde, hat der Begleitbrief zum Dekret auch die römische Überzeugung beinahe euphorisch wiedergeben: „Dieses Seminar ist zu wunderbarer Fülle gediehen.“
3. Die Zuordnung von Seminar und Studium
Bis heute schaffen auch bei Insidern die Begriffe Priesterseminar, Alumnat und Philosophisch-Theologisches Studium Irritationen. Was andernorts Theologenkonvikt hieß, nannte man in Erfurt seit 1959 Alumnat, und was man gewöhnlich als Hochschule bezeichnet, wurde in Erfurt als Philosophisch-Theologisches Studium, kurz „Studium“, betitelt. Der Begriff Hochschule wurde wegen möglicher politischer Implikationen vermieden. Beide Institute bestanden an einem Priesterseminar, so dass dieser Begriff auch synonym für Alumnat und Studium verwendet wurde.
Wie kam es zu dieser für Außenstehende seltsam erscheinenden Zuordnung? Die zu dieser Zeit, also in den fünfziger Jahren, in Deutschland bestehenden Theologischen Anstalten konnte man in drei Gruppen einteilen.
1. Die Universitätsfakultäten. Vorrangiges Ziel ist primär zweckfreie Forschungsstätte sein zu wollen, erst sekundär berufliche Ausbildungsstätte. Die akademische Selbstverwaltung ist Folge und adäquater Ausdruck jener Zwecksetzung.
2. Die Tridentinischen Seminare. Sie haben direkt und vorrangig die Berufsausbildung zum Ziel, wobei die wissenschaftliche Ausbildung in enger Einheit mit der pastoralen-praktischen einerseits und der aszetischen andererseits gesehen wird.
Zwischen diesen beiden Formen von Theologischen Lehranstalten stehen
3. Die kirchlichen Anstalten, die im Geltungsbereich des Preußenkonkordates liegen und durch das Reichskonkordat neu bekräftigt wurden. Infolge eines komplizierten geschichtlichen Prozesses und durch staatskirchenrechtliche Regelung sind diese Anstalten den Universitätsfakultäten weitgehend gleichgestellt. Eine Folge dieses Prozesses war, dass diese Anstalten innerlich immer stärker auseinander fielen in theologische Lehranstalten einerseits und Theologenkonvikte und Pastoralseminare andererseits.
Die Erfurter Ausbildungsstätte gehörte zweifelsfrei zur dritten Gruppe. Nachdem die Bemühungen um die Errichtung einer staatlich anerkannten Theologischen Hochschule im Frühjahr 1952 gescheitert waren, wurde der bisherige Name Akademie gestrichen und durch Philosophisch-Theologisches Studium ersetzt. Dieses Priesterseminar war für die DDR-Regierung nicht mehr das angestrebte Seminar des preußischen Konkordates. Die DDR-Regierung betrachtete das Priesterseminar in Erfurt als rein kirchliche Einrichtung zur Ausbildung von Geistlichen ohne jeden Hochschulcharakter. Als solches und nur unter dieser Bedingung hatte man das Einverständnis der Regierungsstellen erhalten. Die Ordinarien blieben aber bei ihrer Konzeption und verstanden und betrieben innerkirchlich das Priesterseminar entsprechend deutschem Teilkirchenrecht. So wurde am 10. Dezember 1953 festgelegt: "Das Philosophisch-Theologische Studium ist an dem Seminarium regionale majus in Erfurt errichtet. In seinen Ämtern und in der Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten ist es von der Verwaltung des Priesterseminars, die durch deren zuständige Organe erfolgt, geschieden. Philosophisch-Theologisches Studium und Priesterseminar dienen in wechselseitiger Hilfeleistung miteinander der Aufgabe der kirchlichen Priestererziehung." Deutlich wird die Zuordnung beider Institute in den Briefköpfen. Das Studium führte in der Kopfzeile Priesterseminar und darunter Philosophisch-Theologisches Studium. Das spätere Alumnat hatte nur eine Kopfzeile, Priesterseminar. Bis 1959 sollte diese Regelung ihre Geltung behalten. Auffallend war bei diesem Modell die starke Stellung des Regens und die alleinige Kompetenz des Priesterseminars in Wirtschaftsfragen. Für den Staat war damit aber nach außen hin deutlich dokumentiert, dass es sich um eine Einrichtung zur Ausbildung von Geistlichen handelte. Merkwürdigerweise begann um die Jahreswende 1958 zu 1959 im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Statuten innerhalb des Professorenkollegiums eine Diskussion um die Bezeichnung der Ausbildungsstätte. Einige Professoren waren der Ansicht, dass die bisherigen Bezeichnungen entgegen dem tatsächlichen Status das Erfurter Priesterseminar nach außen hin als ein Tridentinisches Seminar ausweisen würden und forderten deshalb auch den Titel zu ändern. Der eigentliche Charakter des Studiums müßte erkennbar werden, argumentierten sie. Denn sonst wäre das Erfurter Regionalseminar in Deutschland ein Unikum und würde aus der Kommunikation mit den übrigen deutschen Lehranstalten herausfallen. Da die Diskussion innerhalb des Kollegiums zu keinem Erfolg führte, die Mehrheit die alte Bezeichnung wegen möglicher politischer Implikationen beibehalten wollte, wandte sich diese kleine Gruppe ohne Wissen der Gesamtkonferenz an den Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz, Julius Kardinal Döpfner. Sie baten ihn, das bisherige Priesterseminar in den Statuten zukünftig als Theologenkonvikt zu bezeichnen und die Trennung beider Institute inhaltlich deutlicher formulieren zu dürfen. Nach einer harten Diskussion in der Bischofskonferenz kam es schließlich zu einem Kompromiss. Der Name Konvikt wurde wegen möglicher politischer Implikationen abgelehnt. Die Trennung zwischen Seminar und Studium aber deutlicher strukturiert und formuliert. Seit dieser Zeit vereint das Konstrukt Priesterseminar als Überbegriff beide Institute, die gleichrangig nebeneinander bestanden. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung wohl die richtige. Ohne nach außen hin das eigentliche Ziel der Erfurter Ausbildungsstätte aufzugeben, hatte man im Inneren ein auf das Spezifische des jeweiligen Instituts ausgerichtetes Handlungskonzept definiert. Die Gefahr, Alumnat und Studium noch stärker zu trennen bestand zwar zeitweise, wurde aber, Gott sei Dank, nie wirklich virulent. Ein enges Miteinander von asketischer und wissenschaftlicher Ausbildung gehörte von Anfang an zu den herausragenden Merkmalen der Erfurter Ausbildungsstätte. Seit 1999 gibt es die Theologische Fakultät Erfurt und daneben das Priesterseminar. Obschon damit das bisherige Konstrukt rechtlich beendet ist, heißt es in den Statuten der Theologischen Fakultät von 1999 unter Art. 9, § 5 (2): „Der Regens des Priesterseminars wird zur Behandlung aller Fragen beratend hinzugezogen, die unmittelbar das Alumnat angehen. Die Semester- und Ferienordnung sowie der Vorlesungsplan werden im Einvernehmen mit dem Regens festgelegt.“
Das Miteinander beider Institute hat sich nicht nur in DDR-Zeiten bewährt. Es gehört auch heute zu den positiven Kennzeichen theologischer Ausbildung in Erfurt, dass wissenschaftliche und aszetische eng miteinander verbunden sind.
4. Staatsapparat und Theologische Ausbildung
Zu den ausgewählten Themen geschichtlicher Darstellung der katholischen theologischen Ausbildungsstätte Erfurt muß zwangsläufig der politische und gesellschaftliche Kontext gehören, in dem sich die Theologenausbildung in der DDR vollzog. Dass das Priesterseminar und die Theologenschaft unter Beobachtung der verschiedenen Dienststellen des Staatapparates standen, ist hinlänglich bekannt. Auch das MfS setzte alles daran, nicht nur Informationen zu erhalten, sondern möglichst einen oder mehrere Inoffizielle Mitarbeiter im Priesterseminar zu installieren. Tatsächlich ist dies von 1957 bis 1962 mit dem IM „Bernhard Schüler“ gelungen, ohne dass er aber zum Priester geweiht wurde. Die Zahl der Spitzel, die von außen, seien es Theologen, die in Erfurt studiert hatten oder kirchliche Angestellte, die dem MfS Informationen über Personen, Veranstaltungen und z.T. Lehrinhalte lieferten, ist inzwischen bekannt. Hinzuzurechnen sind die nicht namentlich erfassten und zu erfassenden "Vorgänge" einer sogenannten Abschöpfung, also jene Fälle, wo aus Geschwätzigkeit, Naivität und "Blauäugigkeit" Informationen gegeben wurden. Wie viel Schaden dadurch angerichtet wurde, lässt sich empirisch nicht eruieren. Nachweisbare Folgen für die Theologenausbildung insgesamt sind nicht zu konstatieren. Erstaunlich und auffallend scheint mir jedoch nicht die Tatsache der umfassenden Überwachung zu sein. Nach der „Wende“ wurde überdeutlich offenbar, in welch einem Überwachungsstaat wir lebten. Erstaunlich ist für mich, das es dem MfS nicht gelungen ist, einen Theologen aus dem Priesterseminar als IM anzuwerben. Der Satz muss wohl verdeutlicht werden. Theologen, die als IM geführt wurden, waren entweder vor oder nach ihrer Seminarzeit angeworben worden. Beim IM „Bernhard Schüler“ beispielsweise handelte es sich um einen katholischen Jugendlichen, der die feste Absicht hatte, aus der Kirche auszutreten und vom MfS überredet werden konnte, im Dienste des Staates die Priesterlaufbahn einzuschlagen. Worin mag diese positive Bilanz begründet sein? Ohne die moralischen und charakterlichen Qualitäten der damaligen Theologiestudenten in Zweifel zu ziehen, stellt sich mir bei Betrachtung der subtilen Anwerbungsmethoden des MfS dennoch eine Frage. Wie wurde die Theologenschaft auf dieses ständige Umwerben und Bedrängen vorbereitet, welche helfenden Verhaltensregeln wurden gegeben? Mir scheint, dass vor allem die von den Bischöfen vorgegebene reglementierte Gesprächsführung mit Staats- und Parteivertretern, neben charakterlicher Stärke ein wichtiges Moment für Resistenz war.
Die Geschichte solcher Gesprächsführung beginnt mit dem Runderlass Kardinal Preysings von 1947, in dem er dem Klerus äußerste Zurückhaltung bezüglich politischer Erklärungen vorschrieb. Von Bedeutung für die katholische Kirche in der DDR wurde dieser Erlass aber erst, als die BOK und ihr Vorsitzender Wilhelm Weskamm 1954 den sogenannten Preysingerlass modifizierten und präzisierten und Kardinal Julius Döpfner 1957 nochmals eine Verschärfung vornahm. Seither beriefen sich alle diesbezüglichen Anweisungen der BOK und später der BBK auf diese beiden Erlasse.
Bis zum Ende der DDR wurden sie ständig erneuert und eingeschärft, um Einstiegsmöglichkeiten in den „kirchlichen Bereich" zu verhindern. Anfangs nur für den Klerus verbindlich, waren sie allmählich auch auf Laienmitarbeiter, ja indirekt selbst auf Gruppen von Gläubigen ausgedehnt worden.
Im Erfurter Priesterseminar hatten Regenten und Dozenten diese reglementierte Gesprächsführung schon in den Anfangsjahren übernommen, sie an die Situation angepasst und turnusgemäß, manchmal in jedem Semester den Studenten vorgetragen. Diese Punkta, manchmal nur aus wenigen Sätzen bestehend, hatten das Verhalten der Theologiestudenten gegenüber den Organen des Staates zum Inhalt.
Als Fallbeispiel sei eine solche Punkta aus dem Jahre 1965 angeführt.
Ausgangspunkt war die Aussage, dass jeder, der zum Theologiestudium angenommen wird, wie jeder Priester dem jeweiligen Bischof bzw. Ordinarius untersteht.
Daraus folgere 1.: „Alle Dinge, in die Sie durch eigene Schuld oder per Zufall hinein geraten werden, müssen sie sofort und unverzüglich Ihrem nächsten Vorgesetzten mitteilen. Das ist im Seminar der Regens oder der Subregens. Es steht Ihnen selbstverständlich jederzeit der Weg offen, Ihrem Bischof bzw. Ihrem Ordinarius direkt Mitteilung zu machen. Und hier die ganz dringende und herzliche Bitte: Seien Sie darin peinlich genau!“ Und weiter heißt es: "Kein Bischof und kein Regens wird Ihnen den Kopf abreißen, sondern mit ihrer Lage Verständnis haben und Ihnen zu helfen versuchen. Nichtmitgeteilte Vergehen bedrücken den Betreffenden bzw. sind Handhaben, um ihn unter Druck zu setzen. Sie handeln im ureigensten Interesse, wenn Sie sich also sofort und nicht erst nach Wochen selbst stellen!
2. Bei irgendwelchen Begegnungen oder Vernehmungen sagen Sie nur die Dinge, die die Sache betreffen. Es ist nicht üblich in einer Begegnung interne Dinge des Hauses zur Sprache zu bringen.
3. Seien Sie vorsichtig und loyal in Ihren Äußerungen und lassen Sie sich nicht provozieren. Das gilt besonders in Gesprächen untereinander, zum Beispiel in der Eisenbahn. Alle politischen Gespräche mit amtlichen oder halbamtlichen Stellen werden zentral geführt zum Beispiel hier im Seminar vom Hausherrn Weihbischof Aufderbeck bzw. Erzbischof Bengsch.“ Und abschließend heißt es in dieser Punkta: „Wenn Sie zum Theologiestudium Ja gesagt haben und dazu angenommen sind, dann müssen Sie sich danach richten. ... Sie sind ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten. Und auch Ihre Privatsphäre wird davon betroffen. Man schaut auf Sie und beobachtet sehr genau.“
Soweit die Auszüge aus einer von den Studenten so bezeichneten „Politpunkta“.
Dass diese Art der Belehrung hinsichtlich der Resistenz der Theologen gegenüber staatlichen Vereinnahmungsversuchen erfolgreich war, steht außer Frage. Haben aber nicht diese Verhaltensregeln einen Prozess befördert, der die Beschäftigung mit Theologie aus Sorge vor Vereinnahmung in einen innerkirchlichen Binnenraum abgedrängte und die gesellschaftliche Situation nur noch wahrgenommen wurde, man sich aber nicht mehr mit ihr auseinandersetzte? Vor allem nach der „Wende“ sind kritische Stimmen lauter geworden, die diesen Vorwurf thematisierten. Man wird diese Kritik nicht leichthin abtun dürfen. Es lassen sich im Rückblick tatsächlich Defizite geistiger Auseinandersetzung mit der DDR-Wirklichkeit ausmachen. Ob diese Defizite allerdings darauf zurückzuführen sind, dass man dem Staatsapparat vorsichtig oder ablehnend begegnete, darf bezweifelt werden. Viel mehr kam es auf den einzelnen Theologiestudenten selbst an, wie mutig, befähigt und offen er „theologisch Rede und Antwort“ geben wollte oder konnte. Dass zu solchem schwierigen, mutigen und sicher auch manchmal gefährlichen Tun die begleitende, aufmunternde und schützende Hand einer kirchlichen Obrigkeit fehlte, mag darin begründet sein, dass die katholische Kirche in der DDR das Thema „Auseinandersetzung mit der DDR-Wirklichkeit“ erst spät, in den 80ger Jahren, als wichtiges Ziel definiert hat.
Manchmal ist nach 1989 auch gefragt worden, ob die große Thematik „Widerstand und Konformismus“ in Erfurt eine andere Ausdrucksweise oder andere Deutemuster fand. Für das Erfurter Priesterseminar kann im Rückblick gleiches wie für die katholische Kirche in der DDR gelten.
Die katholische Kirche in der DDR war keine oppositionelle Institution und kein Bollwerk des Widerstandes. Resistent wollte man gegenüber der staatstragenden Ideologie sein, und Abwehr, Begrenzung, Eindämmung staatlicher Übergriffe waren Ziele, um Kirche sein und bleiben zu können. Dem Gewissen zu folgen und keine faulen Kompromisse auf dem Glaubensweg einzugehen, sah man als vorrangig an. Um dies zu erreichen, bediente man sich einer „Taktik”, die Konflikte mit dem Staat und der staatstragenden Partei weitestgehend vermied, andererseits aber auch keine positiven Stellungnahmen abgab, um nicht vereinnahmt zu werden. Kann die Kirche in der DDR nicht im strengen Sinn als „oppositionell” bezeichnet werden, so gilt aber auch, dass sie nicht konformistisch handelte. Mit gesichertem historischen Abstand mag zwar manche Äußerung, manche kirchenpolitisch motivierte Handlung wenig mutig erscheinen, konformistisch muß sie deshalb aber noch lange nicht gewesen sein. Dass „trotz Anfechtung des Glaubens durch Ideologie und Säkularismus Gläubige in einer säkularen und ideologischen Diaspora ein Glaubenszeugnis abgelegt haben, das sich sehen lassen kann”, qualifiziert manche Kritik am Weg der katholischen Kirche in der DDR als zu oberflächlich. Diese Diaspora theologisch als Ort und Chance der Kirche fächerübergreifend dargestellt und junge Menschen dazu ermutigt zu haben, in der Nachfolge Jesu sich von dieser Diasporakirche in Dienst nehmen zu lassen, gehört ganz sicher zu den größten Verdiensten des Erfurter Priesterseminars.
Überblickt man die 50-jährige Geschichte der Erfurter theologischen Ausbildungsstätte, dann kann nur Dank die passende Antwort sein. Um diesen Dank adäquat auszudrücken, werden wir morgen in einem Gottesdienst Gott, dem Herrn der Geschichte, Dank sagen, wobei nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft unserer Ausbildungsstätte einbezogen werden.
Meine Ausführungen haben möglicherweise eine Menge von Informationen ohne unmittelbare Brauchbarkeit für aktuelle Handlungskonzepte geliefert. Was Sie damit anfangen können, darauf habe ich keinen Einfluss. Wenn Sie mir aber einen Wunsch hinsichtlich der vermittelten Geschichte gestatten, dann vielleicht den: bleiben Sie der Erfurter theologischen Ausbildungsstätte vor allem dadurch gewogen, dass Sie sie auch in Zukunft kritisch begleiten.
Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt erinnerte am 19. November 2017 an einen ganz besonderen Tag: Vor 15 Jahren, am 19. November 2002, unterzeichneten der Vatikan und der Freistaat Thüringen einen Vertrag, der die Eingliederung der Fakultät in die staatliche Universität Erfurt festschrieb und damit die kirchliche Trägerschaft aufhob. Am 1. Januar 2003 trat die Regelung in Kraft.
In einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur KNA haben der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr und Universitätspräsident Walter Bauer-Wabnegg die Fakultät jetzt anlässlich des kleinen Jubiläums gewürdigt und sie als unverzichtbaren Bestandteil der Universität Erfurt bezeichnet. Die katholische Theologie sei nicht nur profilschärfend für die Hochschule, sondern habe auch die Herausforderung angenommen, in einem säkularisierten Umfeld katholische Theologie zu betreiben und so auch mit den Menschen, die keinen Glauben haben, einen Dialog zu führen. Zudem stelle sie sich der Aufgabe, über das theologische Wirken hinaus in den interdisziplinären Forschungen der Universität und den gesellschaftlichen Diskursen Platz zu nehmen. Bischof Neymeyr hob im Interview aber auch die ökumenische Ausrichtung der Fakultät hervor. Sie kooperiere eng mit der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Jena. Bereits der spätere Reformator Martin Luther (1483-1546) habe in Erfurt als Student eine für seine Zeit sehr moderne Theologie kennengelernt. Diese Prägung wirke fort und mache Erfurt für Theologie-Studierende bis heute interessant.
Mehr über das 15-jährige Jubiläum und seine öffentliche Wahrnehmung lesen Sie auch in den folgenden Artikeln: