In den 1860er Jahren kulminierte eine Vielzahl europäischer Expeditionen in Abessinien, die Wissensproduktion, wissenschaftliche Kommunikation, Politik und materielle Bereicherung miteinander verbanden. Der gewählte Untersuchungszeitraum ist aber nicht nur durch vermehrte europäische Aktivitäten im abessinischen Reich gekennzeichnet. Der Zeitraum ermöglicht auch die Beobachtung früher Formen des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftskommunikation in einer Zeit, in der sich die Wissenschaftspraxis akademisch professionalisierte.
Während dies zum Ausschluss bestimmter Akteursgruppen aus den ‚professionellen‘ Wissenschaften führte, blieb die Explorationsforschung ein Sonderfall, der es verschiedenen Akteur*innen ermöglichte, sich einzubringen; ein Phänomen, das auch durch die Entstehung des europäischen Reisetourismus nach Afrika beeinflusst wurde. Inwieweit haben diese oft gegensätzlichen Entwicklungen dazu geführt, dass sich Hierarchien unter den Akteursgruppen, die an Expeditionen beteiligt waren, verwischt oder stabilisiert haben? Und welche Praktiken setzten sie im Feld ein?
Anhand von drei unterschiedlichen, aber eng miteinander verknüpften europäischen Expeditionen nach Abessinien analysiert das Projekt das Aufeinandertreffen der beteiligten Akteursgruppen, die mit ihnen verbundenen transeuropäischen Netzwerke und ihre Praktiken des Sammelns von Artefakten, der Wissensproduktion sowie des (Wissenschafts-)Managements und der Kommunikation. Auch die Anwendung von Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen wird ein zentraler Punkt der Analyse sein.
Bild: Theodor von Heuglin, Route von Adua nach Gondar (Manuskriptkarte). Forschungsbibliothek Gotha/Sammlung Perthes, SPK 40.20.a A (03), Bl. 8 (CC BY-SA 4.0).