Wie re-konfigurieren sich Recht und Politik durch die Verfassungstransformationen in Bolivien und Ecuador? Eine systemtheoretische Analyse
Seit den 2000er Jahren vollziehen sich in Bolivien und Ecuador Verfassungstransformationen, die sich insbesondere durch drei einschneidende Zäsuren kennzeichnen: die Konstitutionalisierung der Plurinationalität, die Überhöhung des Volks und die Rechtssubjektivierung der Natur. Dieser Verfassungswandel hat Auswirkungen auf das Verhältnis von Recht und Politik, die viele als so weitreichend beurteilen, dass sie von einem „Neuen Lateinamerikanischen Konstitutionalismus“ sprechen. Wie sich dieser Wandel von Recht und Politik jedoch präzise rekonstruieren und analysieren lässt, ist weiter offen. Genau hier setzt das Vorhaben mit einer an Niklas Luhmanns orientierten systemtheoretischen Perspektive an. Denn damit ist es möglich, die Auswirkungen der Verfassungstransformationen für das Rechtssystem und das politische System auf drei Ebenen zu analysieren: Auf der Ebene der systemischen Stabilisierungen wird untersucht, ob und ggf. wie die Verfassungen durch strukturelle Kopplung und Entparadoxierung zur Ausdifferenzierung dieser beiden Systeme beitragen; auf der Ebene der systemischen Selbstbeschreibungen wird untersucht, ob und ggf. wie dieser Wandel in Semantiken wie des „Neuen Lateinamerikanischen Konstitutionalismus“ oder des „Estado de Derechos“ (Staat der Rechte) beschrieben und reflektiert werden; und auf der Ebene der Systemdifferenzierung kann dann anhand des Zusammenspiels des operativen Prozessierens von Recht und Politik (auf der ersten Ebene) und der Semantiken (auf der zweiten Ebene) genauer auf die Form und den Grad der funktionalen Ausdifferenzierung des politischen Systems und des Rechtssystems geschlossen werden. So soll gezeigt werden, wie die Verfassungstransformationen in Bolivien und Ecuador das Verhältnis von Recht und Politik re-konfiguieren, d.h. ob und wie sich Recht und Politik unter diesen Bedingungen ausdifferenzieren, strukturell koppeln und entparadoxieren sowie welche Funktion(en) der Verfassung im Recht einerseits und der Politik andererseits dadurch zukommen.
Publikationen
Vorstudien
- Barrios Suvelza, Franz X. (2022): The concept of coup d’état under stifling stress: Legal theory’s political-science–based response. In: International Journal of Constitutional Law 20, S. 1982-2007.
- Barrios Suvelza, Franz X. (2019): Neither Unitary nor Federal: Did Bolivians Invent Something New? In: International Political Science Review 41, S. 1-17.
- Barrios Suvelza, Franz X. (2018): El Control Contramayoritario Como Marco De Análisis De La Influencia Del Nuevo Constitucionalismo Latinoamericano Sobre La Democracia. In: Revista Española de Ciencia Política 47, S. 39-68.
- Brodocz, André (2009): Die Macht der Judikative. Wiesbaden.
- Brodocz, André (2003a): Die symbolische Dimension der Verfassung. Ein Beitrag zur Institutionentheorie. Wiesbaden.
- Vermaßen, Hannah (2023a): Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende. Strukturelle Voraussetzungen, Formen und Folgen gesellschaftlicher Koordinationsprozesse. Bielefeld.
- Vermaßen, H. (2023b): Gesellschaftliche Integration durch systemische Resonanz? Zur Refokussierung der Systemtheorie auf die spezifische Offenheit operativ geschlossener Sozialsysteme. In: Mölders, Marc / Siri, Jasmin (Hg.): Differenzierung und Integration. Zur Ausdifferenzierung der Differenzierungstheorie. 5. Sonderband der Zeitschrift für Theoretische Soziologie, Weinheim Basel, S. 223-252.
Veranstaltungen
- Workshop zur methodischen Grundlegung des Projekts am 6./7.3.2025 im Internationalen Begegnungszentrum der Universität Erfurt