Bereits 2008 wurde Myriam Wijlens, auch damals als erste Frau, durch das vatikanische Dikasterium für die Einheit der Christen als Delegierte in der Kommission ernannt. Während ihres zweiten Mandates leitete sie - für die katholische Kirche erneut zum ersten Mal - zusammen mit einem Kollegen aus der Orthodoxen Kirche von 2014 bis 2023 die Arbeitsgruppe "Moralische Urteilsfindung in den Kirchen." Unter ihrer Leitung wurden zwei Studien und ein Abschlussdokument veröffentlicht. Die erste Studie enthält Selbstbeschreibungen: Kirchen beschreiben, wie sie in moralischen Fragen zu einem Urteil kommen, welche Faktoren eine Rolle spielen und wer verbindlich entscheidet. In einer zweiten Studie wurden ethische Fragestellungen, die im Laufe der Geschichte eine Änderung im Ergebnis verzeichnen, analysiert: was löste ein Umdenken aus, welche Faktoren spielten im Änderungsprozess eine wichtige Rolle, wie hat man trotz Änderung die Einheit bewahren können? Die Prozesse wurden anhand von Beispielen aus den verschiedenen Kirchen analysiert, um für heutige Fragestellungen Erkenntnisse zu gewinnen. Themen waren z.B. die Beerdigung nach Selbstmord, orthodoxe, calvinistische und katholische Überlegungen zum Umgang mit Wucherzinsen, vom Verbot für Frauen in der Kirche zu reden bis hin zur Entwicklung von Frauenkirchenchöre im vierten Jahrhundert in der Syrisch Orthodoxen Kirche, Religionsfreiheit in der katholischen Kirche, interreligiöse Ehen in einem muslimischen Kontext bei den Methodisten in Malaysia und Vieles mehr.
Aufgrund dieser gewonnen Einsichten konnte das Studiendokument "Kirchen und moralisch-ethische Urteilsbildung: Dialog fördern, um Koinonia zu stärken“ von der Kommission in 2021 verabschiedet werden. Darin wird den Kirchen ein Instrument angeboten, welches es erlaubt, die Prozesse und die oftmals damit einhergehenden Spannungen in und zwischen den Kirchen besser zu verstehen, damit eine Trennung verhindert und das Gespräch zur Einheit gefördert werden kann. Prof. Wijlens berichtet, dass diese drei Veröffentlichungen sehr viel Aufmerksamkeit genießen, da fast alle Kirchen im Bereich der ethischen Fragestellungen sich mit immensen Herausforderungen konfrontiert sehen. Sie selbst hält dazu Vorträge in der ganzen Welt, wie z.B. im April 2024 an der Seton Hall University in der Nähe von New York.
Prof. Wijlens berichtet, dass die neue Kommission, die unlängst in Indonesien ihre Arbeit aufgenommen hat, die Problemen der ethischen Fragestellungen weiter in den Blick nehmen wird und sich dabei u.a. auf die Anthropologie konzentrieren will. Eine weitere Studiengruppe, deren Ko-Moderatorin sie vorübergehend ist, wird sich mit der Ekklesiologie befassen: wie kann sichtbare Einheit verstanden werden? Welchen Beitrag kann eine Ekklesiologie leisten, die von der Taufe her denkt und was bedeutet es, dass die Mitglieder der Kirchen weltweit in verschiedenen Kontexten leben? Eine dritte Gruppe wird sich mit Fragen zur Sendung und zum Zeugnis ablegen befassen. Was bedeutet es Kirche in der und für die Welt zu sein? Themen wie Dekolonialisierung und Kontextualisierung werden wichtige Aspekte sein. Prof. Wijlens wird neben ihrer Tätigkeit als Vizemoderation der Kommission weiterhin in der Studiengruppe, die das 1700-jährige Gedenken an das Konzil von Nicaea (325) vorbereitet, mitarbeiten. Höhepunkt der Feierlichkeiten wird sicherlich die Weltkonferenz in Wadi El Natrun in Ägypten im Herbst 2025 sein.