Die lokale Politisierung globaler Normen
Die Projektgruppe untersucht
... unter welchen Bedingungen Normen, die mit einem globalen Geltungsanspruch auftreten (etwa Menschenrechte, Nachhaltigkeit, rule of law, accountability), tatsächlich Akzeptanz finden. Denn schon weil solche Normen vom jeweiligen Kontext zunächst absehen – also eine hochgradig distanzierte Perspektive einfordern – haben sie Schwierigkeiten, bei ihren Adressaten überhaupt Plausibilität zu erlangen. Eine Wirksamkeit ‚universalistischer‘ Normen ist typischerweise über lokale Politisierungen vermittelt; an ihnen hängt es, ob solche Normen überhaupt Erfolg haben, und inwieweit sie nur selektiv angeeignet werden. Diese Prozesse sind bislang kaum erforscht.
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Bei der Untersuchung solcher Prozesse konzentrieren wir uns zunächst auf die Rolle von Protestbewegungen: Erstens auf Bewegungen politischer bzw. religiöser Minderheiten in relativ schwachen Staaten, die – teils direkt wegen ihrer Schwäche, teils wegen autoritärer Kompensationsstrategien – schlechte Verwirklichungschancen für ‚universalistische‘ Normen bieten. (Der Fall Südasien ist hier zentral für das Projekt.) Andererseits auf einen ‚westlichen‘ Fall, in dem die Erfolgsaussichten universalistischer Normen ebenfalls schwach erscheinen, nämlich politische Mobilisierungen, die auf eine stärkere Regulierung von Finanzmärkten zielen. Kontrastierend betrachten wir Fälle, in denen entsprechende Forderungen von wirtschaftlichen Interessenten vorgebracht werden; sowie Fälle, in denen Obergerichte von sich aus in ihren Entscheidungen auch auf Normen zurückgreifen, die nicht der nationalen Rechtstradition angehören.
Um Erfolg und Misserfolg solcher Normen besser zu erklären, greift das Projekt für dieses Thema bisher ungenutzte soziologische und ethnologische Konzepte auf, die diese Formen der Ordnungsbildung von den Mikroprozessen her denken, und nutzt ‚qualitative‘ Forschungsmethoden, die dieser Perspektive entsprechen. Wir rekonstruieren diese Prozesse also zunächst von der Ebene lokaler Handlungsabläufe her. Die Leitfrage lautet, welche lokalen Prozesse und welche sozialen Ordnungsformen bestimmten Typen von Generalisierungen Plausibilität und Stabilität verleihen und anderen nicht; und welche Mechanismen die jeweils gegebenen Umstände einer normgeleiteten Hinterfragung entziehen und/oder der jeweiligen Norm – bzw. der Hoffnung, sie lasse sich verwirklichen – die Plausibilität nehmen.
Ziel des Projekts ist zum einen, eine neue politik- und sozialtheoretische Grundlage zu entwickeln, die solche Politisierungsprozesse erklären kann. Zu diesem Zweck rekonstruieren wir, ausgehend vom Problem der lokalen Evidenz, zunächst Theorien über ‚soziale Praktiken‘, sowie die kritisch darauf reagierenden neuen Moralsoziologien (Boltanski/Thévenot, J. Alexander, Joas). Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt ist das Konzept einer sich über kulturelle und soziale Grenzen vollziehenden Übersetzung (Renn, Fuchs), das den Fokus auf den schrittweise vollzogenen Prozess der verändernden Übertragung lenkt – und dazu beiträgt, die Ausbreitung solcher Normen nicht einfach als Fall kultureller Homogenisierung zu betrachten. Auf dieser Grundlage soll ein einheitlicher theoretischer Zugang zum Problem der lokalen Evidenz entwickelt werden, der erklären hilft, wie ‚globale‘ Normen lokal Plausibilität erlangen – oder eben nicht erlangen.
Zum anderen testen wir diese Analysestrategie in exemplarischen Fallstudien, mit Untersuchungsgegenständen, die sich zunächst stark voneinander unterscheiden, in denen aber jeweils die Schwierigkeiten einer lokalen Politisierung ‚universalistischer‘ Normen hervortreten.
Gefördert
durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur