PD Dr. Kerstin Brückweh

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PD Dr. Kerstin Brückweh

Forschungsprojekt

Die lange Geschichte der ,Wende’. Lebenswelt und Systemwechsel in Ostdeutschland vor, während und nach 1989

Über Ostdeutsche wird derzeit viel gesprochen. Mich interessiert weniger der Fokus auf das vermeintlich spezifisch Ostdeutsche, sondern vielmehr die größere Frage, wie Menschen einen umfassenden Systemwechsel, der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichzeitig erfasst, in der alltäglichen Lebenswelt bewältigen. 1989/90 wird dabei nicht als ,Stunde Null‘ verstanden, vielmehr gilt es die drei Zeitebenen vor, während und nach dem Systemwechsel zu verbinden. Wie gestaltete sich das Verhältnis von alltäglicher Lebenswelt und Systemwechsel? Welche Erfahrungen, Emotionen, Hoffnungen und Enttäuschungen waren damit verbunden? Welche Wissensressourcen standen den Akteuren vor 1989 zur Verfügung, wie konnten sie im Umbruch neu organisiert und kommunikativ verhandelt, wie nach 1989 etabliert werden? Auf welcher Grundlage und Erfahrung wurden gesellschaftliche Grundfragen debattiert, neu geordnet und in der sozialen Praxis umgesetzt?

Meine Forschungen am Max-Weber-Kolleg stehen im Kontext der Forschergruppe „Die lange Geschichte der ,Wende’. Lebenswelt und Systemwechsel in Ostdeutschland vor, während und nach 1989" (s. hier), die ich am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam leite. Die vier Teilprojekte der Gruppe zielen darauf, über die Zäsur von 1989/90 hinweg den gesellschaftlichen Wandel zu rekonstruieren, der die friedliche Revolu­tion und die Transformation ermöglicht und geprägt hat. Die Spannungen und Dynamiken ostdeut­scher Lebenswelten im Systemwechsel werden in einer Kernuntersuchungszeit von Mitte der 1970er Jahre bis zum Anfang der 2000er Jahre in vier Mikrostudien am Beispiel von lokaler politischer Kultur, Bildung, Konsum und Wohn­eigentum analysiert. Je nach Thema wird über diesen Zeitraum hinausgegangen. Alle vier Mikrostudien untersuchen je einen ländlichen, stadtnahen und städtischen Raum. Während die Geschichte vor 1989, die friedliche Revolution und die Ereignisse der sog. Wie­der­vereinigung als Forschungssphäre der Geschichtswissenschaft galt, wurde die Zeit danach bis vor Kurzem vor allem von Sozialwissenschaftlern beherrscht. Diese enorme Präsenz der qualitativ und quantitativ arbeitenden Sozial­wissenschaften hat einerseits zur Folge, dass sie Wissen für die Zeit nach 1989 produzierten, das heute als historische Quelle genutzt werden kann; andererseits hat sie zu einem Phänomen beigetragen, das bis heute die Diskurse über die ,Wende‘ prägt: Forschungen zur institutionellen Makroebene wurden meist nicht mit der Mikroebene individueller Erfahrungen in Zusammenhang gebracht. In der Forschergruppe wird deshalb die Perspektive von oben und von unten verbunden, indem klassische Quellenarbeit mit Oral History und der Sekundäranalyse von qualitativen und quantitativen sozialwissenschaftlichen Daten kombiniert wird. Zu­dem werden die Befunde in den Kontext des Spät- und Postkommunismus in Ostmitteleuropa und anderer Transfor­mations­gesellschaften eingebettet.

Unter dem Arbeitstitel „Unter ostdeutschen Dächern. Wohneigentum zwischen Enteignung, Aneignung und Neukonstituierung der Lebenswelt“ beschäftige ich mich innerhalb der Forschergruppe mit Fragen von Besitz und Eigentum am Beispiel des Wohnens. Nach 1989 wurde in den postsozialistischen Staaten der Privatisierung von Eigentum aus systemischer Perspektive große Bedeutung für den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft und einer demokratischen Gesellschaft zugeschrieben. In der Praxis stellte sich in Ostdeutschland die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse als Herausforderung dar. Für die Analyse müssen deshalb bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Eigentumsideen, -politiken und -praktiken berücksichtigt werden. Als repetitiv-alltäglicher und für die Lebensgestaltung der historischen Akteure grundlegender Bereich erlaubt das Thema den gleichzeitigen Blick auf Eigentumsrechte und -politik, auf Verwaltungspraxis und auf den Alltag und verbindet somit das System mit der Lebenswelt.