Helena studiert eigentlich an der Universität Erfurt im Master Kinder- und Jugendmedien. Doch das vergangene Studienjahr nutzte sie für einen Auslandsaufenthalt an der Sophia University in Tokyo – und erfüllte sich damit auch einen Kindheitstraum. Wir sprachen mit ihr darüber, welche Herausforderungen und Abenteuer sie im Land der aufgehenden Sonne erlebte und warum dabei eine Wetter-App unverzichtbar ist.
Helena, wie kam es dazu, dass du dich für ein Auslandsstudium in Japan entschieden hast?
Als ich noch ein Kind war, hat mir meine Patentante den Film "Chihiros Reise ins Zauberland" geschenkt und damit eine ganze Kettenreaktion ausgelöst: Manga, Games, Sushi – eine Zeit lang ging es mir wie so vielen anderen Teenagern auch und ich konnte gar nicht genug von Japan bekommen. Zwei Reisen später habe ich beschlossen, dass das Studium die beste (und vielleicht letzte) Gelegenheit ist, einige Zeit in Japan zu leben und mich für einen Platz im Austauschprogramm beworben.
Was hast du gehofft, während deines Auslandsstudiums lernen zu können?
Da ich zu dem Zeitpunkt Kinder- und Jugendmedien studiert habe und mich auch privat für mediale Themen interessiere, wollte ich möglichst viel Neues über die Popkultur lernen. Auch hier im westlichen Raum gibt es schließlich viele Fans japanischer Bücher, Spiele und Serien!
Und welche Lehrveranstaltungen hast du in Japan besucht?
Die Sophia University ließ uns innerhalb des deutsch-japanischen Austauschprogramms, abgesehen von einem Pflichtkurs am deutschen Institut, sehr viele Freiheiten. Ich habe Kurse verschiedener Fakultäten belegt, darunter zu soziologischen, psychologischen und auch zu medialen Inhalten. Highlight in beiden Semestern war "Discourse Analysis" bei Gavin Furukawa. Im ersten Moment mag dies trocken klingen, aber das Seminar war sehr unterhaltsam und wirklich lehrreich, auch in Bezug auf die japanische Kultur.
Wie weit kommt man mit englischen Sprachkenntnissen an der Sophia University und in Japan allgemein?
Auf dem Campus kommt man mit Englisch sehr gut zurecht, auch wenn viele Studierende ausschließlich Japanisch sprechen. Außerhalb ist es sehr unterschiedlich: Meiner Erfahrung nach sprechen die meisten eher kein oder nur wenig Englisch, aber den Alltag kann man in der Regel trotz Sprachbarriere relativ gut bewältigen. Schwierig wird es dagegen an Orten wie Ämtern oder Arztpraxen. Aber da die Sophia University Austauschstudierenden eine Art "buddy programme" anbietet, kann man sich im Zweifelsfall auch bei einem der Mentoren informieren. Meine Partnerin war sehr lieb und hat mir mehrfach bei amtlichen Briefen oder Versicherungsfragen geholfen.
Tokyo ist sicher eine aufregende Stadt. Aber was gibt es konkret zu entdecken? Wie hast du deine Freizeit verbracht?
Zu entdecken gibt es tatsächlich eine ganze Menge! Ich habe die Stadt immer gern auf eigene Faust erkundet, Schreine, Tempel und Museen besucht, mich durch verschiedene Restaurants probiert und das riesige Angebot an Mode, Medien und Merchandise durchstöbert. Tokyo hat einiges zu bieten, was es in Deutschland nicht gibt, zum Beispiel den über 600 Meter hohen Skytree, die nur von Frauen besetzte Takarazuka Revue und sogar Pokémon-Paraden. Auch an kulturellen Veranstaltungen wie Festivals oder Feuerwerkshows habe ich gern teilgenommen. Auch Tagesausflüge und Reisen machen dank der sehr gut ausgebauten Infrastruktur großen Spaß. Ein typischer Tag als Student in Tokyo könnte wie folgt aussehen: zwischen den Uni-Kursen eine Schüssel Ramen auf dem Campus, später Abendessen mit ein paar Freunden im Izakaya (das sind kleine Gaststuben in den Gassen Tokyos), und danach ein Abstecher in eine der zahlreichen Arcade-Spielhallen oder Karaoke-Bars.
Wie war dein Eindruck von Land und Leuten?
Insgesamt positiv! Japaner sind nicht umsonst für ihre Freundlichkeit und Höflichkeit bekannt. Das Land ist vielfältig und sehenswert. Rückblickend hat sich das Jahr in Tokyo für mich in jedem Fall gelohnt und ich kann nur jedem empfehlen, irgendwann einmal dorthin zu reisen. Allerdings sollte man die interkulturellen Unterschiede nicht unterschätzen: Essen, Mode und Architektur sind eine Sache, zwischenmenschliche Beziehungen, Traditionen und Werte eine andere. Beispielsweise ist es selbst für Japaner bisweilen schwer, nach der Schulzeit tiefe Freundschaften zu entwickeln. Viele Menschen in Tokyo haben mit Einsamkeit zu kämpfen, die Schönheitsideale können das eigene Selbstbild negativ beeinflussen und Phänomene wie "honne" (die wahren Gefühle einer Person) und "tatemae" (öffentliches Verhalten) lassen einen immer mal wieder an der Authentizität von Beziehungen zweifeln. In Gesprächen mit Kommilitonen habe ich gemerkt, dass manche ein sehr romantisiertes Bild von Japan haben. Und so sehr ich Land und Leute auch schätze, darf man nicht vergessen, dass es sich dabei im Gegensatz zu Deutschland um eine eher kollektivistisch geprägte Nation handelt.
Wie kostspielig ist ein Auslandsstudium in Tokyo?
Definitiv nicht billig, was vor allem an den hohen Mietpreisen liegt. Selbst ein kleines Zimmer in einem der Wohnheime kostet 500 bis 600 Euro oder mehr. Lebensmittel sind bezahlbar, wenn man von den Preisen für Obst und Gemüse absieht. Dennoch habe ich gern und viel auswärts gegessen oder mir auf dem Heimweg noch eine traditionelle Bentōbox mitgenommen. Das ist meist deutlich günstiger als man erwarten würde. Alles in allem muss man als Austauschstudent*in für das Leben in Tokyo mit 1.000 bis 1.500 Euro pro Monat rechnen.
Welche Tipps hast du für Studierende, die sich für ein Auslandsstudium in Japan interessieren?
Selbst mit grundlegenden Japanisch-Kenntnissen würde ich jedem empfehlen, sich im Vorfeld einen Übersetzer und Offline-Karten von Tokyo herunterzuladen. Hilfreich fand ich auch die Wetter-App "NERV Disaster Prevention", um mich zeitig über Erdbeben oder Taifune informieren zu können, denen Japan aufgrund seiner geografischen Lage regelmäßig ausgesetzt ist. Im Sommer kommen dann hohe Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit dazu. Scheinbar simple Aktivitäten können durch das Klima, Mangel an Sprachkenntnissen und allgemeine Reizüberflutung merklich erschwert werden. Tokyo ist eine vielfältige, interessante Stadt, die zu sehen sich eindeutig lohnt – gleichzeitig würde ich jedem ans Herz legen, einen Umzug an das andere Ende der Welt nicht auf die leichte Schulter zu nehmen!