Jungs sind besser in Naturwissenschaften als Mädchen? Wer eine Klasse wiederholt, verbessert seine schulischen Leistungen? Latein fördert das logische Denken? Bildungsmythen gibt es viele, manche davon sind so fest verankert in den Köpfen, dass es schwer ist, mit ihnen „aufzuräumen“. Doch genau das haben sich Jana Asberger, Madeleine Müller und Marcus Berger, alle drei Doktorand*innen an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, zur Aufgabe gemacht. Gemeinsam mit Studierenden möchten sie Bildungsmythen auf den Grund gehen und sie wissenschaftlich prüfen. Die Ergebnisse werden dann im Podcast „Besserwissen. Bildungsmythen auf der Spur“ veröffentlicht. Für unseren Campusblog "Ich mag meine Uni..." haben wir mal genauer nachgefragt:
Was sind eigentlich Bildungsmythen und warum ist es wichtig, sie richtigzustellen?
Jana: Bildungsmythen sind weit verbreitete Fehlannahmen über Bildungsthemen, also Annahmen, die dem aktuellen Forschungsstand zu einem Thema widersprechen. Oft geht es bei Bildungsmythen um Fragen von Erziehung, Schule und Unterricht. Solche Fragen betreffen uns eigentlich alle in unserem unmittelbaren Alltag, weil die meisten von uns mal zur Schule gingen, gerade studieren, selbst mal Lehrer*in werden möchten oder vielleicht auch Eltern von Kindern sind, die zur Schule gehen. Und in diesen alltäglichen Situationen beeinflussen Bildungsmythen unsere Wahrnehmung und Entscheidungen. Da ist es schon wünschenswert, dass wir Entscheidungen treffen, die zumindest nicht im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Den Anspruch haben wir ja auch, wenn wir Entscheidungen bezüglich unserer Gesundheit oder der Umwelt treffen. Hinzukommt, dass es zahlreiche Bildungsmythen gibt, die erschreckend weit verbreitet sind, nicht nur unter Lai*innen, sondern auch bei Lehrer*innen und Lehramtsstudierenden. Gerade bei Lehramtsstudierenden ist das Aufdecken von Bildungsmythen wichtig, weil sie erstens hinderlich dabei sein können, Studieninhalte zu lernen und zweitens, professionelle Entscheidungen im späteren Schulalltag beeinflussen können.
Jana, du promovierst ja auch zum Thema Bildungsmythen. Was fasziniert dich an dem Thema?
Jana: Besonders interessant finde ich, dass es gar nicht mal so einfach ist, gegen Bildungsmythen anzugehen. Da wir alle schon so viele Erfahrungen mit Lernen und Lehren gemacht haben, hatten unsere Annahmen lange Zeit, sich zu verfestigen. Häufig sind Bildungsmythen auch mit sehr persönlichen Erfahrungen verbunden, sodass wir unsere Annahmen nur ungern infrage stellen. Das stellt eine Herausforderung dar, die ich wirklich spannend finde. Außerdem sehe ich auch viele Parallelen zu aktuellen Diskussion, die ebenfalls von falschen oder höchst fragwürdigen Vorstellungen durchdrungen sind, so zum Beispiel Corona oder der Klimawandel. Das macht mein Forschungsthema noch vielseitiger. Es gibt oft Situationen, in denen ich anwenden kann, was ich während meiner Promotion bereits gelernt habe.
Wie sucht ihr die Bildungsmythen aus, die ihr dann im Studium Fundamentale mit den Studierenden untersucht? Wie gehen die Studierenden dabei vor?
Jana: Die Studierenden können sich aussuchen, zu welchem Thema sie eine Podcastfolge produzieren möchten. Wir haben einige Themen aus der bisherigen Forschung zu Bildungsmythen gesammelt (über 50 Bildungsmythen und es gibt sicher noch mehr!) und geben den Studierenden eine Auswahl vor. Sie können aber auch immer gerne selbst Themen vorschlagen, die sie spannend finden. So sind schon interessante Folgen zu Bildungsgerechtigkeit oder dem vermeintlichen bayerischen "Elite"-Abi entstanden. Die Studierenden machen dann eine Literaturrecherche und arbeiten den aktuellen Forschungsstand zu ihrem Thema aus. Das schreiben sie auch in einer Hausarbeit nieder. In einem nächsten Schritt überlegen sie sich, wie sie diese oft ja auch komplexen Befunde in einem Podcast so kommunizieren können, dass die Hörer*innen es nachvollziehen und im besten Fall auch spannend finden.
Madeleine: Ich persönlich finde es auch sehr bereichernd, einfach Themen mit einem vermeintlichen Mythoscharakter, die uns während des Semesters im beruflichen oder privaten Umfeld begegnen, aufzunehmen, zu diskutieren und den Studierenden vorzuschlagen. Interessant ist ja auch dabei, dass sich oftmals nicht per se ein Mythos in einem bestimmten Thema verbirgt, sondern eher die gegenübergestellte Betrachtung von Bedingungen, unter denen etwas gut oder weniger gut funktioniert, eine spannende Erkenntnis sein kann. Ein gutes Beispiel ist hier der Mythos um die Klassengröße – also dass kleinere Klassen auch bessere Leistungen bedeuten: Wenn eine Lehrkraft ihr didaktisch-methodisches Repertoire in einer kleineren Klasse nicht optimal ausnutzt und im Gegensatz zu gleichen Bedingungen in einer größeren Klasse nicht verändert, dann ist dieser Unterricht nicht wirklich ertragreicher. Die angewandte Expertise der Lehrkraft hat hier also Vorrang vor der Klassengröße.
Seid ihr selbst schon „Opfer“ eines Bildungsmythos' geworden? Oder gibt es einen, der euch lange verfolgt hat oder den ihr wirklich selbst mal hartnäckig geglaubt habt?
Jana: Als ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, stellte ich häufig Bildungsmythen bei mir fest. Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr deutlich daran, wie mein Klassenlehrer auf dem Gymnasium einen "Finde-deinen-Lernstil-heraus"-Test mit uns gemacht hat. Das ist DER Klassiker unter den Bildungsmythen und ich bin ihm auch später noch immer wieder begegnet. Da war es schon eine Überraschung, dass es keine Belege für die Wirksamkeit von lernstilangepasstem Lernen gibt.
Madeleine: Definitiv hat mich der Bildungsmythos um den passenden Lernstil vor allem während meines Lehramtsstudiums auch lange verfolgt, weil es einfach auf den ersten Blick zu plausibel und nach einem gut umsetzbaren Lösungsansatz für Lernschwierigkeiten klingt. Aus meiner eigenen Schullaufbahn triggert mich auch besonders der Bildungsmythos, dass Jungen von Natur aus besser in MINT-Fächern seien als Mädchen. Für mich war immer der Eindruck, dass es als außergewöhnlich betrachtet wurde, wenn man als Mädchen an der Mathematikolympiade teilnahm oder gar Freude am naturwissenschaftlichen Unterricht hatte. Wirklich überrascht hat mich außerdem die lange Liste an kursierenden Bildungsmythen, die Jana aus der Fachliteratur zusammengetragen hat und mit in unser Seminar gebracht hat. Wir haben also noch eine große Auswahl für viele spannende Podcastfolgen.
Warum habt ihr euch für das Medium Podcast entschieden, um die Seminarergebnisse zu veröffentlichen?
Madeleine: Erstmal war die Entscheidung, die Seminarergebnisse an die (bildungsinteressierte) Öffentlichkeit heranzutragen, für uns wichtig. Im Sinne der Wissenschaftskommunikation erschien es uns notwendig, ähnlich wie das Münchner "Clearing House Projekt", wissenschaftliche Erkenntnisse auf einem einfachen und zugleich barrierefreien Weg zu vermitteln und evidenzbasiertes Wissen aus dem Seminar, der Fakultät und sogar der Universität zu veräußern. Zudem ist es für die Studierenden zwar eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, komplexe Studieninhalte auch für Lai*innen verständlich und anregend aufzubereiten, doch genau an diesem Punkt sehe ich auch einen großen Mehrwert für unsere Studierenden.
Marcus: Es geht uns darum, Wissen auch auf anderen Wegen, möglichst barrierefrei und frei zugänglich – im Sinne der Open Education zur Verfügung zu stellen. Für Die Studierenden ist es im Übrigen ein toller Anreiz, die Inhalte nicht nur gut aufbereiten zu können, sondern auch die Möglichkeit zu haben, potenziell viele Menschen zu erreichen und damit gesellschaftlichen Impact zu erzielen.
Welche Mythen habt ihr schon untersucht und veröffentlicht, welche sind geplant?
Marcus: Die ersten bereits veröffentlichten Folgen behandeln die Themen Klassenwiederholung, Geschlechterunterschiede und Bildungsgerechtigkeit. Interessant ist auch die Folge 1, in der wir mit Professor Johannes Bauer aus einer Metaperspektive über das Thema Bildungsmythen sprechen. Zu den nächsten Folgen halten wir uns erstmal bedeckt. Lasst euch überraschen! Wir freuen uns auf Lob, Kritik und Austausch.
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