Neringa hat für das Auslandsstudium eine klare Regel: „Sag zu allem: JA! Trau dich. Genieße. Und vor allem: Lebe!“ Die Studentin im Master Globale Kommunikation: Politik und Gesellschaft hat ein Semester an der National Chengchi University in Taiwan verbracht. „Ein Bilderbuch-Auslandssemester“, sagt sie heute.
Neringa, du hast dich für ein Auslandsstudium in Taiwan entschieden. Wie hast du das Land während deines Aufenthaltes dort kennengelernt?
Taiwan ist mit Abstand das schönste Land, das ich bisher gesehen habe. Das liegt vor allem an der unglaublichen Natur, der Verflechtung von verschiedensten asiatischen Kulturen mit einem Hauch westlicher Welt, dem unschlagbaren Essen und vor allem den freundlichen Menschen.
Taiwan ist ein Land, das spannender nicht sein kann. Es steht seit Jahren im politischen Spannungsfeld mit China und wird weltweit von nur sehr wenigen, kleinen Ländern anerkannt. Man könnte meinen, dass das Land „Taiwan“ gar nicht existiert, denn offiziell trägt es den Namen „Republik China“, auf manchen Weltkarten ist der Name Taiwan gar nicht eingezeichnet, einige Fluggesellschaften fliegen „Taiwan“ nicht an und manche Mobiltelefone haben das taiwanesische Flaggen-Emoji nicht.
Ich hatte Glück, während der Präsidentschaftswahl im Januar 2020 im Land zu sein und mitzuerleben, wie stolz die Taiwaner auf ihr kleines Land sind und wie sehr sie Demokratie leben und achten. Das macht sich vor allem bei den jungen Erwachsenen bemerkbar, die nach Unabhängigkeit vom chinesischen Festland streben.
Warum hast du dich ausgerechnet für ein Studium in Taiwan entschieden und wie sahen deine ersten Schritte in Sachen Planung und Vorbereitung aus?
Für mich stand schon ganz früh fest, dass ich ein Auslandssemester machen will. Da ich im Master studiere und das dritte Semester als Mobilitätssemester angeboten wird, musste ich mich schon direkt nach dem Beginn des Studiums (Mitte Oktober) darum kümmern, mich zu informieren und zu bewerben.
Es gab ein paar Veranstaltungen zum Thema „Semester im europäischen und außereuropäischen Ausland“, die alles ein bisschen erleichtert haben, und ich habe mich dann dazu entschieden, ein Auslandssemester im asiatischen Raum zu absolvieren. Ich habe mich auf der Webseite der Uni über Partneruniversitäten informiert und zwei gefunden, deren Kurse recht gut zu meinem Studiengang gepasst haben. Eine davon war die National Chengchi Universität (NCCU) in Taiwan.
Ich fing also an, meine Bewerbung für die NCCU vorzubereiten, wobei mir die Uni-Webseite sehr geholfen hat. Es ist alles detailliert beschrieben, welche Unterlagen man braucht und wie der Bewerbungsprozess aussieht. Bei Fragen steht einem das International Office zur Seite.
Nachdem ich mich erfolgreich an der Universität Erfurt für einen Austauschplatz beworben habe, musste ich mich noch einmal an der NCCU bewerben, was überhaupt kein Problem darstellte – die Bewerbungsschritte waren die gleichen, außerdem hilft einem das Mobility Online-Portal dabei.
Es ist sehr wichtig, sich vorab über die wichtigsten Fristen zur Bewerbung zu informieren, vor allem, wenn man das Studium, so wie ich, gerade erst angefangen hat. Die Vorbereitung für ein außereuropäisches Auslandssemester ist ein bisschen aufwendiger als eine Erasmus-Bewerbung, weil man sehr viel selber organisieren und viel schreiben muss, aber es ist trotzdem überschaubar.
An der National Chengchi University dann endlich angekommen – wie gestaltete sich dein Studium vor Ort?
Die National Chengchi University genießt eine landesweit gute Reputation und ist eine der besten Universitäten Taiwans. Gerade im politischen Bereich ist die Universität sehr gut aufgestellt. Neben zahlreichen nationalen Bachelor- und Master-Studiengängen gibt es auch internationale Studiengänge, wozu der Studiengang „International Master’s in International Communication Studies“ gehört, für den ich mich eingeschrieben habe.
Ich sprach vor dem Auslandssemester mit der Koordinatorin meines Studiengangs (Globale Kommunikation: Politik und Gesellschaft) über die Kurse, die ich im Ausland gerne belegen würde und ob sich diese mit meinem Studiengang vereinbaren lassen. Anhand der Syllabi der taiwanesischen Kurse war dies aber kein Problem und somit habe ich mich für zwei inhaltliche Kurse (jeweils ca. 9 europäische ECTS, kommt aber immer auf den Zeitaufwand und die entsprechenden Absprachen mit den Koordinator*innen an) und einen Mandarin-Sprachkurs entschieden.
Die inhaltlichen Kurse waren zum einen „Globalization and Transnationalism“ und zum anderen „Popular Culture in Taiwan: Nation, Performance and Everyday Life“. Im letzteren war eine kleine Forschungsarbeit nötig, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich habe männliche, taiwanische Studenten im Hinblick auf ihr Verständnis vom männlichen Rollenbild in Bezug auf die taiwanische, populäre Kultur interviewt.
Das Englisch der Dozierenden war ausgezeichnet, ich hatte keine großen Verständnisprobleme und konnte gut im Unterricht mitkommen. Von Studierenden, die andere Kurse belegt haben oder aus anderen Fachbereichen kommen, habe ich aber auch Gegenteiliges gehört. Ich hatte also wirklich Glück mit meinen Lehrern.
Das Unterrichtsniveau habe ich persönlich als etwas niedriger empfunden, dafür waren die Kurse aber aufwendiger und sehr zeitintensiv. Man hatte jede Woche Hausaufgaben abzugeben und musste unter während des Semesters mehrere Präsentationen halten. Außerdem gab es midterm-exams, die zu Beginn der zweiten Semesterhälfte geschrieben wurden.
Am Ende der Vorlesungszeit wurden entweder Prüfungen oder Hausarbeiten geschrieben, man hatte also konstant immer etwas zu tun. Mein Auslandssemester endete am 19. Januar mit der Abgabe meiner letzten Hausarbeit.
Wie funktioniert die Kursbelegung?
Ich war während meines Auslandssemesters am Department für „International Master’s in International Communication Studies“ eingeschrieben und konnte somit aus diesem Studiengang Kurse auswählen. Das Office for International Cooperation (OIC) bietet allerdings auch übergreifende Kurse an, für die sich Studierende aller Fachrichtungen anmelden können. Die Anmeldung der Kurse beginnt schon während des Auslandssemesters, man bekommt aber alle nötigen Informationen von der OIC-Koordinatorin an der NCCU immer rechtzeitig zugeschickt. Mit ihren Anweisungen hat man bei der Anmeldung keine Schwierigkeiten, obwohl es am Anfang ziemlich kompliziert aussieht.
Die Anmeldung für die Kurse erfolgt in vier Phasen. Das heißt, selbst wenn man einen Kurs nicht in der ersten Phase bekommt, hat man immer noch die nächste, um sich dafür anzumelden. Dafür ist aber eine Absprache mit den zuständigen Dozierenden wichtig. Der Chinesisch-Sprachkurs (Teilzeit) war schwer und zeitintensiv, aber machbar.
Wenn man ein kompletter Anfänger ist, so wie ich, ist der Kurs eine große Herausforderung und man muss hauptsächlich lernen, wie man Wörter richtig betont. Man lernt aber innerhalb eines Semesters nicht so viel, dass man sich im Alltag ein wenig verständigen könnte. Allerdings erkennt man schon einige Schriftzeichen wieder und kann zumindest „ni hao“ sagen, was die Taiwaner*innen immer sehr glücklich gemacht hat.
Thema Unterkunft: Wo hast du während deines Studiums gewohnt und wie viel hat dich dein Wohnplatz gekostet?
Mit der Bewerbung für die NCCU konnte man auch angeben, wie man gern wohnen möchte. Es gab insgesamt vier Optionen, aus denen man aussuchen und je nach persönlichem Favorit priorisieren konnte. Es gibt die Optionen, sich für das Wohnheim oder das International House zu bewerben. Die Plätze im I-House und den Wohnheimen sind sehr begehrt, da braucht man tatsächlich etwas Glück. Es gibt auch noch die Möglichkeit, bei der Suche nach einem WG-Zimmer von seinen Buddys unterstützt zu werden, oder aber man sucht selbst. Es gibt Facebook- und WhatsApp-Gruppen, in denen regelmäßig neue Angebote hochgeladen werden. Man kann also eigentlich immer etwas finden.
Ich kam im Wohnheim (Zi Qiang Dorm 10) in einem Doppelzimmer unter. Die Zimmer verfügen über ein Bett, einen Schreibtisch, einen Kleiderschrank und ein Regal pro Person, zusätzlich hat jedes Zimmer ein eigenes Bad. Es gibt auf jeder Etage zwei Gemeinschaftsräume, die mit einem Kühlschrank, einer Mikrowelle und einem Reiskocher ausgestattet sind. Das Kochen selbst ist aber strengstens untersagt. Zum Essen geht man abends zu den beliebten Nachtmärkten, die in ganz Asien verbreitet sind und erstklassiges und vor allem günstiges taiwanisches sowie internationales Essen anbieten. Auch Souvenirs und Dinge für den täglichen Gebrauch kann man dort kaufen.
Das Wohnheim Zi Qiang 10 ist ausschließlich für Master-Studierende. Es ist mit das neueste und teuerste der Wohnheime und befindet sich auf dem Campus oben auf dem Berg. Es gibt Einzelzimmer, die dann etwas teurer sind, und Doppelzimmer. Ich habe für das gesamte (!) Semester ca. 700 Euro bezahlt, was schon echt wenig ist. Die Lage des Wohnheims ermöglicht einen fantastischen Ausblick auf die Stadt. Da der Campus ziemlich außerhalb der Stadt liegt, war es immer etwas anstrengend, vom Wohnheim in die Stadt zu fahren. Man gewöhnt sich aber auch hier recht schnell an die Situation und eigentlich war es ganz schön, nicht ständig im Trubel der Stadt zu sein.
Rund um den Wohnheimkomplex Zi Qiang 9 und 10 gibt es alles, was man zum Leben braucht: einen Gemischtwarenladen, ein Café, eine Kantine mit ausgezeichneten kleinen Restaurants, die Essen zu einem unschlagbar günstigen Preis anbieten, einen Bücherladen, ATMs, Gemeinschaftsräume und ein kleines Fitnessstudio. Um den Campus gibt es zahlreiche Restaurants und Gemischtwarenläden, Friseure und eine Postfiliale.
Das Wohnheim-Leben ist viel besser, als es sich anhört: Man trifft sich abends mit nationalen und internationalen Studenten entweder zum Abendessen, zum Lernen oder auf ein, zwei Getränke und macht dabei noch ein bisschen Musik. Entspannte und lustige Abende sind hier garantiert!
Wie hoch sind die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Taiwan? Und welche praktischen Tipps für den Alltag kannst du Studieninteressierten mit auf den Weg geben?
Das Leben in Taiwan erwies sich als unglaublich einfach und angenehm. Das Land ist sehr modern und hat alles, was man braucht. Als ich am ersten Tag am Flughafen angekommen bin, holte ich mir sofort eine taiwanische SIM-Karte, mit der man unschlagbar schnelles Internet hatte, sogar im Untergrund. Selbst wenn man keine SIM-Karte hat, gibt es fast überall in der Stadt kostenloses WLAN.
Ich holte mir ebenfalls eine sogenannte EasyCard, mit der man den Bus, die Metro und die Züge nutzen kann. Das ist eine Prepaidkarte, die man vorher mit einem Betrag aufladen muss, um den ÖPNV zu nutzen. Dieser ist unfassbar günstig und ich habe vom Wohnheim ins Stadtzentrum umgerechnet nicht mal einen Euro gezahlt.
Das Leben in Taiwan ist generell sehr günstig. Das Essen und der Verkehr verlangen einem einen geringen Betrag ab – will man allerdings ausgehen, sind europäische Preise Standard. Kleiner Tipp: Die Clubszene in Taipei ist enorm gut aufgestellt. Es gibt daher fast jeden Tag Aktionen oder spezielle Tage, bei denen der Eintritt frei ist und es eine Getränke-Flatrate gibt. So spart man sehr viel Geld.
Die Verkehrsanbindung zur Innenstadt und an andere Städte Taiwans ist ausgezeichnet. Das Busnetz, die Metro, die Züge und die Fluglinien sind sehr gut ausgebaut. Am besten informiert man sich auf Google Maps über die Routen und die einzelnen Abfahrtzeiten, die App erwies sich dabei immer als hilfreiche Quelle. Man muss bedenken, dass die Busse und Metros um 00:00 Uhr nicht mehr fahren. Entweder man nimmt sich dann ein U-Bike oder man bestellt sich ein Uber, was in Taiwan sehr weit verbreitet ist und sich für mich immer als sehr verlässlich erwies.
Wie war dein Eindruck von Land und Leuten?
Ich hatte das Gefühl, dass das Land sehr „verspielt“ ist. Ich habe mich oftmals gefühlt, als würde ich durch einen Anime spazieren. Es ist alles ein bisschen laut und sehr bunt, überall stehen Spielautomaten und die Müllabfuhr spielt „Für Elise“. Es war nie langweilig und es gab jeden Tag etwas Neues zu sehen, aber dazu später mehr.
Obwohl Sprachbarrieren existieren, ist Kommunikation mit Einheimischen dennoch möglich – zur Not mit Hand und Fuß. Mit den jüngeren Leuten konnte man teilweise recht gut auf Englisch sprechen, bei der älteren Generation wendete ich die wenigen Wörter an, die ich gelernt hatte, in der Hoffnung, dass sie mich verstehen. Insgesamt empfand ich die meisten Taiwaner*innen als schüchtern und zurückhaltend, aber sie waren immer freundlich und stets bemüht, mir zu helfen.
Wie ist es um die Sicherheit im Land bestellt?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich vor meiner Abreise nach Taiwan unfassbar Angst vor Naturkatastrophen hatte, obwohl ich selbst noch nie welche erlebt habe. Da Taiwan in einer seismisch sehr aktiven Zone liegt und jährlich etwa 1000 Erdbeben verbucht, bekommt man als Austauschstudent das ein oder andere Beben mit. Ich selbst habe einige Erdbeben miterlebt, kann aber sagen, dass es nicht so schlimm war, wie ich es mir vorgestellt habe. Falls du also auch Angst davor haben solltest wie ich, mach dir bitte keine Sorgen: Taiwan ist im Notfall gut ausgerüstet. Angst sollte bei deiner Entscheidung, ein Auslandssemester in Taiwan zu verbringen, kein Maßstab sein!
Generell kann man sagen: Taiwan ist eines der sichersten Länder der Welt – ich habe mich immer sehr wohl gefühlt und konnte auch nachts ohne Bedenken rausgehen. Was die medizinische Versorgung angeht, kann ich sagen, dass sie europäischem Standard entspricht und man sich im Notfall auf die Ärzte und Krankenhäuser verlassen kann – auf dem Land sieht das ein bisschen anders aus, aber die größeren Städte sind gut ausgestattet.
Während eines Taifuns, der in der Regel groß angekündigt wird, sollte man sich am besten vorher schon mit dem Nötigsten eindecken, da es sein kann, dass man auch mal drei Tage nicht raus darf.
… und wenn man mal aus Taiwan herauskommen möchte – welche Möglichkeiten gibt es da?
Das Reisen im asiatischen Raum ist sehr einfach, schnell und kostengünstig. Ich selber konnte während verlängerter Wochenenden nach Japan und Vietnam fliegen. Ich habe während meiner Zeit in Taiwan viele Leute aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kennengelernt. Auch einige tiefgehende Freundschaften zu Taiwanes*innen und Nicht-Taiwanes*innen konnte ich schließen, was das Leben in Taiwan nochmal um einiges schöner gemacht hat.
Wenn neben den ganzen neuen kulturellen Eindrücken auch noch gute Freunde hinzukommen, mit denen man das Land bereist und alle möglichen Erfahrungen macht und besondere Momente teilt, ist das Auslandssemester einfach perfekt. Es lässt dich wachsen, nicht nur akademisch, sondern vor allem persönlich. Mir hat das Auslandssemester viel positive Energie geschenkt und ich habe gelernt, alles mit viel mehr Liebe zu betrachten. Es war wie eine Art Selbsttherapie für mich und jedes Mal, wenn ich an die Zeit in Taiwan zurückdenke, habe ich ein sehr angenehmes Gefühl im Bauch.
Alles in allem: Wie denkst du rückblickend über dein Auslandssemester?
Ich liebte jeden einzelnen Moment in diesem wunderschönen Land. Ich wollte eigentlich gar nicht mehr zurück. Deshalb weiß ich auch, dass es nicht das letzte Mal war, dass ich in Taiwan gewesen bin. Ich habe viel dazugelernt, vor allem habe ich mich selbst neu kennen gelernt. Es gab keine negative Erfahrung, die irgendwie erwähnenswert wäre, ich hatte sozusagen ein Bilderbuch-Auslandssemester. Natürlich gab es kulturelle Eigenheiten, an die ich mich erstmal gewöhnen musste, aber selbst diese wurden im Laufe der Zeit zu liebevollen Attributen, die ich auch selbst irgendwann übernahm.
Ich kann dir nur raten, jeden einzelnen Moment mitzunehmen, egal ob positiv oder negativ – die Zeit im Ausland ist unglaublich wertvoll und man muss alles auskosten. Regel Nummer Eins: Sag zu allem „JA!“ Trau dich. Genieße. Und vor allem: Lebe!