"Ein bisschen vermisse ich es schon, einfach über den Campus oder in die Bibliothek zu laufen und inspirierende Menschen zu treffen. Das ist an anderen Universitätsstandorten nicht so ohne Weiteres möglich, gerade wenn der Campus sehr groß oder verteilt ist", sagt Mandy Singer-Brodowski. Sie erinnert sich gern an ihre Zeit an der Uni Erfurt. Damals studierte sie hier Erziehungswissenschaften und Religionswissenschaften im Bachelor und später Sonder- und Integrationspädagogik für den außerschulischen Bereich im Master. Ihren Abschluss hat sie 2011 gemacht. Heute ist sie selbst Professorin. Am Lehrstuhl für Bildung für nachhaltige Entwicklung des Instituts für Bildungswissenschaft der Universität Regensburg. Über ihren Weg dorthin erzählt sie in unserem Campusblog...
Ein Freund aus Schulzeiten hatte an der Universität Erfurt studiert, und so hatte Mandy Singer-Brodowski schon vor ihrer eigenen Bewerbung um einen Studienplatz die Möglichkeit, den Erfurter Campus ein wenig kennenzulernen. "Das war sehr hilfreich", erinnert sie sich. "Ich mochte den überschaubaren Campus und die Möglichkeit auch niedrigschwellig mit den Dozierenden ins Gespräch zu kommen." Die Begeisterung für die Uni Erfurt blieb ihr auch nach der Immatrikulation erhalten: "Ich erinnere mich gern an die vielen engagierten Lehrenden in meinen Studiengängen und an den sehr bereichernden Austausch mit meinen Kommiliton*innen. Außerdem habe ich von dem großen Gestaltungsspielraum an der Universität Erfurt profitiert: Das Berufsfeld und das Studium Fundamentale waren exzellente Möglichkeiten, über den Tellerrand des eigenen Studiums zu schauen und haben mich dafür sensibilisiert, dass Wissenschaft eine besondere Verantwortung in Zeiten aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen hat. Ich habe bis heute keine weitere Prüfungsordnung kennengelernt, die es den Studierenden ermöglicht, unter der Begleitung von erfahrenen Wissenschaftler*innen eigene Lehrveranstaltungen zu organisieren. Das ist großartig und ich würde es jeder Person empfehlen, sich hier zumindest im Kleinen auszuprobieren."
Nach dem Studium ging es für Mandy Singer-Brodowski an der Leuphana Universität Lüneburg weiter. Dort schrieb sie – offenbar nachhaltig beeindruckt vom Erfurter Studium Fundamentale – ihre Doktorarbeit zum Thema "Studierende als Gestalter*innen einer Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung. Selbstorganisierte und problembasierte Nachhaltigkeitskurse und ihr Beitrag zur überfachlichen Kompetenzentwicklung Studierender". Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand eine Fallstudie, die das von Studierenden selbstorganisierte Nachhaltigkeitsseminar an der Universität Erfurt in den Blick nahm, das sie während ihrer Studienzeit mit aufgebaut hatte und das sie damit auch nach dem Studium weiter mit ihrer alten Alma Mater verband. Nachhaltigkeitsthemen hatten Mandy Singer-Brodowski seit jeher interessiert, dafür wollte sie sich einsetzen. Und so verwundert es kaum, dass sie, parallel zu ihrer Promotion, als Referentin des Präsidenten des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie den Bereich der transformativen Wissenschaft mit aufbaute. "2016 übernahm ich dann die Koordination des Zentrums für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal, bevor ich an die Freie Universität Berlin an den Arbeitsbereich für erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung gewechselt bin. Neben Forschungsaufenthalten und Gastprofessuren an der University of British Columbia, Vancouver (Kanada) und an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt (Österreich) habe ich an der FU Berlin größere Forschungsprojekte zum Monitoring von Bildung für nachhaltige Entwicklung, transformativem Lernen und zur nachhaltigen Hochschulentwicklung koordiniert und geleitet", berichtet die Erfurter Alumna über ihren weiteren Werdegang. Seit April 2024 hat sie nun am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Regensburg den Lehrstuhl für Bildung für nachhaltige Entwicklung inne und freut sich sehr darauf, hier mit ihrem Team in den nächsten Jahren die Forschung und Lehre zu nachhaltigkeitsbezogenen Lern- und Transformationsprozessen aufzubauen.
Offensichtlich hatte ihr Studium in Erfurt Einfluss auf ihre Berufsentscheidung. Wir fragen die junge Professorin deshalb, welche Studieninhalte von damals ihr heute noch nützlich sind: "Die Universität Erfurt hat mich am stärksten dazu befähigt, eigeninitiativ Lösungen für Dinge zu entwickeln, die ich in der Welt geändert haben möchte. Das war auch Dank des großen Freiraums möglich, den mir meine Dozierenden gerade im Master-Studium ermöglichten. In der Forschung heißt das fachübergreifende Schlüsselkompetenzen – diese sind in komplexer werdenden Arbeitswelten immer wichtiger, weil fachliches Wissen eine immer kürzere Halbwertszeit hat und es vielmehr darum geht, sich ständig weiterzuentwickeln. Was ich im Studium tatsächlich vermisst habe, war eine fundierte Methodenausbildung – vor allem in qualitativen Forschungsmethoden. Hier habe ich mir viel Handwerkszeug für die Entwicklung und Durchführung von Forschungsprojekten erst nach dem Studium richtig angeeignet. Solche Grundlagen empirischen Arbeitens haben an anderen Standorten einen höheren Stellenwert", gibt Mandy Singer-Brodowski zu bedenken.
Nichtsdestotrotz hat sie ihr Studium in wunderbarer und lebendiger Erinnerung: "Ich erinnere mich an viele mich prägende Menschen", sagt sie und greift gleich ein paar Namen auf: "Prof. Dr. Bärbel Kracke, die mich in meinem Promotionswunsch zum entscheidenden Zeitpunkt mit den richtigen Fragen unterstützt hat; Prof. Dr. Winfried Palmowski, der mir mit systemtheoretischen Perspektiven völlig andere Denkwelten eröffnet hat; Dr. Birgit Jäpelt, die mit einer unglaublichen Wertschätzung stets auf Augenhöhe kommuniziert hat; Prof. Dr. Alexander Thumfart, der ein immer wieder inspirierender Gesprächspartner für politische Themen war und leider viel zu früh von uns gegangen ist, apl. Prof. Dr. Bettina Holstein, die viele meiner ehrenamtlichen Aktivitäten konstruktiv begleitet hat und Prof. Dr. Sandra Tänzer, die mir auch nach der Zeit an der Universität Erfurt stets mit Rat und Tat fachlich zur Seite stand. All diesen Menschen und vielen weiteren verdanke ich, dass ich heute das machen kann, was mich erfüllt. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Und so versucht auch Mandy Singer-Brodowski den Studierenden von heute etwas mit auf den Weg zu geben: "Folgen Sie Ihrem Herzen im Hinblick auf wissenschaftliche Interessen und intellektuelle Leidenschaften. Und probieren Sie sich aus. Bringen Sie sich in die Gestaltung Ihrer Universität ein. Trauen Sie sich, auch unbequeme Fragen zu stellen. Und bleiben Sie gesprächsbereit und offen dafür, sich von anderen Argumenten überzeugen zu lassen. Wissenschaft ist ein unglaubliches Abenteuer und das Studium nur die erste Etappe davon. Selbst wenn Sie nicht in der Wissenschaft bleiben wollen, ist ein Wissen über die Entstehung und Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse zentral für viele Berufe. Die Universität ist dabei ein Ort, an dem Sie viele Fragen besser verstehen (vielleicht nicht final beantworten) können. Das ist die Grundlage für die Entwicklung von Veränderungen in unserer Gesellschaft. Egal ob Klimakrise, Rassismus, Antisemitismus, Diversität, Inklusion oder soziale Ungleichheit – Universitäten sind Orte, die keine einfachen Lösungen produzieren, sondern Probleme in ihrer Komplexität adressieren und Problemlösungsstrategien multiperspektivischer denken lassen. Und davon brauchen wir heutzutage mehr denn je."