„Wir sagen nie auf Wiedersehen“ Frauen helfen – Frauen in der Notfallseelsorge

Veranstaltungen
Die klugen Jungfrauen am Dom zu Erfurt mit Schriftzug "Frauen der Kirche - Kirche der Frauen"

von Luise Lehmann

Auch im aktuell laufenden Wintersemester gibt es wieder eine digitale Veranstaltungsreihe unter der Überschrift „Frauen der Kirche – Kirche der Frauen“, organisiert von der Frauenförderung und Gleichstellung der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Professur für Exegese und Theologie des Neuen Testaments. Bereits im vergangenen Sommersemester gaben drei Frauen, die in unterschiedlichen kirchlichen Berufsfeldern tätig sind, spannende Einblicke in ihr (Berufs-) Leben. Am 23. 11.2021 fand die Auftaktveranstaltung der Reihe im Wintersemester statt.

Organisierte und professionelle Notfallseelsorge – jünger, als man glaubt

Unter dem Titel „Frauen helfen – Frauen in der Notfallseelsorge“ leitete Carolin Bollinger durch den Abend und ihr Berufsfeld. Sie ist seit 2004 Pastoralreferentin der Diözese Mainz, arbeitete ab 2015 in der Ökumenischen Notfallseelsorge und ist seit 2018 Beauftragte für das System Worms-Wonnegau in der Notfallseelsorge.

Zuerst erzählte sie etwas zu Entwicklung der Notfallseelsorge und da bot sich für die Zuhörenden gleich zu Beginn eine Überraschung, denn organisierte Notfallseelsorge in Kooperation mit Rettungsdienststellen gibt es in Deutschland erst seit 1990. Bis heute ist Notfallseelsorge dezentral organisiert und so läuft viel über Bedarf und Engagement im jeweiligen Gebiet. In Katastrophenfällen, wie dieses Jahr bei den Überschwemmungen im Ahrtal, ist nur eine rudimentäre Organisation dieser dezentral organisierten Notfallseelsorgesysteme vorhanden, doch auch hier ist durch viel Sozialkompetenz und Engagement der Menschen ein Miteinander der Systeme und eine gute Betreuung der betroffenen Personen möglich.

Dienst an allen in akuter Not

„Die Notfallseelsorge bietet ihren Dienst allen Menschen in akuter Not an, ohne Ansehen von Religion, Konfession oder Weltanschauung. Der Beistand Gottes gilt den Armen jeder Art. Die Notfallseelsorge wendet sich an Menschen, die egal aus welchen Gründen in akuter Not sind und der besonderen Zuwendung Gottes bedürfen.“

Ein Grundsatz, der plausibel klingt, doch im konkreten Fall, so Bollinger, ist es immer wieder herausfordernd nach diesem zu handeln. In der Begegnung mit Menschen anderer Religionen oder Weltanschauungen ist enorme Sensibilität gefragt und gleichzeitig muss man sich als Notfallseelsorger*in selbst treu bleiben können. Der Umgang mit der Schuld anderer ist nie leicht, auch weil jede*r anders damit umgeht und es so auch passieren kann, dass ein Täter fragt „Ich bin doch Schuld, oder?“

Zuhören und Selbstwirksamkeit ermöglichen

„Es ist nie lustig, wenn wir vor der Tür stehen“, sagt Carolin Bollinger und erzählt von den häufigsten Einsatzindikationen: Reanimation, Überbringung von Todesnachrichten mit der Polizei, Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten, …. Was genau ist die Aufgabe in solchen Fällen als Notfallseelsorger*in? Die Zuhörenden lernen: es geht nicht um Trost, sondern darum den Menschen bei ihrer Wiedererlangung der Selbstwirksamkeit zu helfen. Kleinschrittig wird deshalb das weiter Vorgehen durchgegangen, damit die betroffenen Menschen merken, dass ihr Leben zwar radikal anders ist, aber dass sie trotzdem etwas tun können und handlungsfähig sind. Der Fokus der Notfallseelsorger*innen liegt ganz auf den vor ihnen sitzenden Menschen und Carolin Bollinger erklärt, dass genau deshalb gilt „Empathie statt Sympathie“. Denn statt das Gefühl durch Sympathie zu teilen, so den Fokus auf sich selbst zu lenken und dadurch eventuell selbst alle persönlichen Verlusterfahrungen zu durchleben, wird durch Empathie nach dem Grund der Gefühle gefragt. Es schafft eine Distanz zu der belastenden Situation für den*die Notfallseelsorger*in und so ist eine vollkommene Fokussierung auf die betroffenen Menschen und ihre individuellen Gefühle möglich.

Auf die Frage, wann die Arbeit für die Notfallseelsorge beendet ist, gibt Bollinger mehrere Antworten. Zum einen betont sie, dass Notfallseelsorge eine Akuthilfe ist, ein zweites Mal kommt sie nicht zum gleichen Einsatzort. Zum anderen erfolgt nach maximal 8–12 Stunden eine Übergabe an andere Zuständigkeiten. Das kann die Trauergemeinschaft sein, der Sozialdienst, manchmal werden Menschen aber auch allein gelassen. Prinzipiell gilt aber immer Selbstschutz geht vor, das heißt, dass bei Überforderung oder Erschöpfung nachalarmiert werden kann.

Notfallseelsorge als Freiraum für Seelsorge

Carolin Bollinger gefällt an dieser Arbeit auch der Wegfall von kirchlichen Hierarchien. Es ist ein hohes Maß an eigenverantwortlichem Arbeiten gefordert und das ist für katholische Frauen durchaus attraktiv. Auch dadurch, dass den Notfallseelsorger*innen liturgische Kompetenz zukommt, die dürfen Abschiedsrituale, Aussegnungen und manchmal auch Beerdigungen durchführen. Sie betont aber auch, dass dies nicht nur Frauen betrifft, sondern natürlich auch nichtgeweihte Männer. Auch die ökumenische Zusammenarbeit erlebt sie als gegenseitige Bereicherung und sie findet, dass diese Zusammenarbeit auch etwas Zukunftsweisendes für die Kirchen sein kann.

Es war ein Abend voller Gedanken, Informationen und Austausch und an dieser Stelle sei Carolin Bollinger nochmals ein herzlicher Dank dafür ausgesprochen, dass sie einen Einblick in dieses wichtige und verantwortungsvolle Berufsfeld gegeben hat.

Am 11. Januar 2022 wird Angelika Röde zum Thema „Frauen begleiten – Frauen in der Gefängnisseelsorge“ sprechen, und am 18. Januar 2022 findet die Reihe für dieses Semester mit dem Vortrag „Frauen reflektieren – Netzwerk AGENDA Forum katholischer Theologinnen e. V.“ von Prof.' Dr.' Gunda Werner ihren Abschluss. Die Frauenförderung und Gleichstellung der Katholisch-Theologischen Fakultät freut sich, auch an diesen beiden Abenden wieder zahlreiche interessierte Zuhörende begrüßen zu dürfen – nicht nur aus der Fakultät und Universität. Die Veranstaltungen finden online statt (Zugangsdaten auf den Seiten der Fakultät).

Informationen zur Veranstaltungsreihe